JournalistenAkademie

Interviews

Qualität – Wird sowas heute noch gebraucht?

Der taz- Mitbegründer Tom Schimmeck fand schon immer deutliche Worte für die Medienlandschaft Deutschland. Im Interview verrät er, warum Journalisten eine Mitschuld an der Finanzkrise tragen und warum die Medien die Demokratie zu Grabe tragen.

Von Nicolas Schweers

Sie veröffentlichten mit dem Buch „Am besten nichts Neues“ eine sehr deutliche Medienschelte. Selbst haben Sie für die Zeit oder den Deutschlandfunk gearbeitet. Ist der Qualitätsjournalismus ausgestorben?

Schimmeck: Qualität findet nur noch in Nischen statt. Bei den Öffentlich-Rechtlichen gibt es tolle Feature und Hintergrundberichte und sogar gute Unterhaltung. Aber bei ZDfneo und nicht bei den Hauptsendern. ARD und ZDF hingegen sind banale Bespaßungsteppiche. Information und Kultur werden da nur abgenudelt. Die breite Masse konsumiert nicht mehr; vielleicht zehn Prozent fordern Qualität und suchen dann gezielt danach.

Was läuft falsch in der Medienlandschaft?

Schimmeck: Ausschlaggebend sind sicherlich die Arbeitsbedingungen bei den Sendern. Egal ob fest angestellt oder freischaffend – die Etats schrumpfen, Zeit und Geld sind knapp. Die Journalisten befüllen die Medien lediglich mit Content: Masse statt Klasse.

Sie sprechen von einer der größten Krisen seit 1945, der Niedergang der demokratischen Öffentlichkeit drohe.

Schimmeck: Früher dienten Medien der Aufklärung, heute sollen sie vor allem für Zerstreuung sorgen. Damit wird das Geschäft gemacht. Das ist eine Umkehr von A nach Z: Was zählt sind Klatsch und Tratsch, Promis und Personality. Hintergründe sind komplex, sie aufzuzeigen ist schwierig und teuer. Und im Zweifel gibt es dafür niedrigere Quoten.

Und konkret?

Schimmeck: Der Wirtschaftsjournalismus hat in der Krise furchtbar versagt. Zu viele Journalisten haben nicht hingesehen, als sich die Anzeichen für eine weltweite Finanzkrise häuften. Statt Selbstkritik gab es Mainstream, Wissen wurde durch Glauben ersetzt. Das war schon fast wie bei einer Religion: Jetzt ist die Kirche abgebrannt und alle stehen dämlich da.

Sie schreiben, der Politikjournalismus sei auf Kuschelkurs mit den Mächtigen.

Schimmeck: Ob Bonn oder Berlin, gekuschelt wurde schon immer. Aber das ist es nicht allein. Viel gravierender ist, dass der Journalismus seine Funktion verliert. Politik ist inzwischen nur noch fortlaufendes ad-hoc Krisenmanagement, es fehlt an Visionen. Journalisten reagieren darauf wahnsinnig beliebig. Sie schreiben anti-politische Texte aus denen die angeödete Verachtung spricht. Diese post-demokratische Einstellung ist jedenfalls gefährlich.

Die Leser und Zuschauer identifizieren sich gerne mit einzelnen Personen. In zu Guttenberg lagen viele Hoffnungen, die Menschen wieder für Politik zu begeistern.

Schimmeck: Hintergründe werden immer weniger erklärt, Personen stehen im Vordergrund. Vor einem Jahr war Frau Merkel eine großartige Kanzlerin, die das Spiel der Macht verstanden hat. Jetzt ist sie die Dumpfnudel der Nation. Das ist infantil. Die FDP verwaltet lieblos den Unfug von vorgestern. Widersprüche existieren, das will nur keiner eingestehen. Diese pubertäre Schulhofschlägerei jedenfalls löst nicht gerade Begeisterung aus.

In Ihrem Buch schreiben Sie: "Ein Dieter Bohlen braucht kaum einen Furz zu lassen, um News zu generieren. Burkina Faso muss für eine vergleichbare Menge medialer Zuwendung schon tausend Tote aufbieten." Liefern die Medien nicht gerade das, was die Menschen wollen?

Schimmeck: Trash, Mist, Scheiße – damit wurde schon immer das meiste Geld gemacht. Gottschalk oder die Bild haben schon immer mehr Quote, mehr Absatz gehabt. Das ist normal, alle wollen bespaßt werden. Emotionen dominieren. Qualitätsjournalismus darf aber nicht nur billigste Bedürfnisse befriedigen. Ob nun SZ oder FAZ, den Bohlen haben alle. Ich träume von einer guten Boulevard-Zeitung. Eine Zeitung, die nicht nur den Trieb bedient, sondern auch den Kopf.

Online für zwischendurch, die Zeitung für den Genuss

Dr. Bernd Graff ist stellvertretender Chefredakteur von Süddeutsche Online und Leiter der Kulturredaktion der Süddeutschen Zeitung. Aus dieser Sicht beobachtet er die Trends der Zeitungslandschaft sehr genau.

Von Nicolas Schweers

Inzwischen gilt: Nichts ist so alt wie die Zeitung von heute. Stimmt das, ist Print chancenlos?

Graff: Nein, überhaupt nicht. Zeitungen liefern nicht nur News, sondern auch Analysen, Korrespondentenberichte und Kritiken. Print ist also nicht überholt. Zeitungen entwickeln ihre eigene Sprache, Stil und Charme – das ist was die Leute lieben. Ebenso wichtig ist die Autorschaft, also wer über was schreibt.

Die Auflage der Zeit legt zu, Online wird immer mehr gelesen. Ein gegenläufiger Trend?

Graff: Es ist eine Frage der Klientel. Die Zeit trifft eine bestimmte Tonlage, es ist möglich, dass dieselben Leute ebenso intensiv Spiegel Online (Spon) lesen. Gemein haben diese Qualitätstitel ihre Uniqueness, ihr Alleinstellungsmerkmal. Sie sind Agenda-Setter, das ist ihre klassische Aufgabe. Sie haben Mut zum Risiko. Sie liefern überraschende Geschichten, gut recherchiert. Das erwartet der Leser, darauf kann er sich verlassen.

Sie sind seit der Gründung von Süddeutsche Online dabei. Wie kann sich SZ.de gegen Spon behaupten?

Graff: Gar nicht. Wir sehen uns selbst als Mitbewerber. Spon hat viel mehr Ressourcen und Geld. Auch bei den Themen unterscheiden wir uns. Früher waren alle Portale nachrichtengetrieben. Spon liefert inzwischen ebenfalls Korrespondentenstücke oder auch Historisches. Online-Medien sind typische Büro-Medien. In der Mittagspause oder zwischendurch bleibt kaum Zeit für große Reportagen. Es herrscht ein Kampf um Aufmerksamkeit. Was zählt sind die Breaking-News, Häppchen rund um Kachelmann zum Beispiel.

Liegt in diesem Gegensatz die Zukunft der Zeitung?

Graff: Was die SZ so groß gemacht hat, sind nicht nur die exklusiven Geschichten, sondern eben auch, dass wir nicht bloß schreiben, was passiert, sondern auch warum. Das zweite Heft der Zeitung enthält nicht etwa den Wirtschafts- oder Sportteil, sondern das Feuilleton. Nach der Titelseite folgen die großen Reportagen auf Seite 3, dann das Meinungsressort. Das ist eine bewährte Strategie. Online gibt es gerade eine Menge Trends. Wir haben eine Werbekrise, keine Krise des Journalismus oder der Zeitung. Die Auflagenverluste sind nicht so gravierend, jedoch brechen die Erlöse aus dem Anzeigengeschäft weg. Da muss man sich sehr genau überlegen, was man macht. Entscheide ich mich beispielsweise für Twitter, dann muss ich mich darauf völlig einlassen und den Account auch pflegen. Nach meinen Erfahrungen ist die Arbeit mit Facebook wesentlich erfolgreicher. Im Moment tut sich unglaublich viel und wir müssen herausfinden, was die Menschen wollen.

Facebook macht Reporter nicht seelig

Interview mit Sascha Langenbach

Von Christina Quast

Für die Bild-Zeitung, die Hamburger Morgenpost und den Berliner Kurier hat Sascha Langenbach geschrieben. Doch mit Social Networks kann er für den Beruf nicht viel anfangen. Sein Profil bei facebook und xing hat der Boulevardreporter gelöscht.

Was ist das Problem an Social Networks für Sie?

Dass ich mich nicht davon angesprochen fühle, welche Informationen dort verbreitet werden. Mir fehlt schlicht und ergreifend die Relevanz von Social Media - ich bekomme nicht die Informationen die ich für meine Arbeit oder mein alltägliches Leben brauche.

Dann nutzen Sie facebook und Co. nicht als Quelle?

Ich recherchiere durchaus, aber man muss vorsichtig sein mit dem, was die Leute von sich bekannt geben. Ist das die Wahrheit, die ich auch drucken kann? Kann ich sagen, es ist authentisch, weil es in einem Social Network geschrieben steht? Die Tatsache das diese Netzwerke gibt, heißt nicht, dass ich die Daten ohne zu hinterfragen verwerten kann. Es wird so getan als seien facebook und Co. das allein seelig machende Rechercheinstrument – das ist nicht so.

Bieten Social Networks nicht gute Möglichkeiten, um Menschen zu finden - samt Fotos, Freunden und Kontaktdaten?

Das ist ja ein Vorurteil, dass Boulevardjournalisten gnadenlos alles ausnutzen, was ihnen zur Verfügung steht. Dabei haben wir Fehler, die viele seriöse Zeitungen im Zusammenhang mit dem Amoklauf in Winnenden gemacht haben, gar nicht begangen. Das sind andere Medien, die weniger Erfahrung haben mit solchen Gewaltverbrechen und den Folgen, etwa der Veröffentlichung von Bildern. Wir sind ganz anders geschult, denn wir waren schon viel früher mit Fragen des Medien- und Persönlichkeitsrechts konfrontiert, wenn sich Leute zu weit nach vorn gewagt haben.

Vertrauen Sie denn Blogs oder Tweets von Kollegen, die das journalistische Handwerk ja beherrschen?

Obwohl es schon interessante Sachen gibt, langweilen mich die meisten Blogs. Ich bin bestimmt ein dreiviertel Jahr nicht bei Bildblog gewesen, das ja als Blog an und für sich gesehen wird. Ich muss jedes Thema, dass ich als Journalist bearbeite von mehreren Seiten angehen und kann mich nicht auf eine Quelle verlassen. Denn es steht auch viel Unsinn und Quatsch in todseriösen Zeitungen.

Ist es für Journalisten besonders schwierig in Social Networks zwischen beruflich und privat zu trennen?

Ich benutze sie einfach nicht mehr. Denn ich möchte mir aussuchen, mit wem ich befreundet sein will. Das kann ich nicht, wenn Menschen, die ich kenne, eine Freundschaftsanfrage schicken. Diese nicht zu bestätigen, dass finde ich auch ein bisschen unhöflich. Dadurch, dass ich Artikel veröffentliche und mich ehrenamtlich engagiere, bin ich sowieso zu finden. Jeder der mich kontaktieren will, kann das auch, aber ich muss nicht mein ganzes Privatleben offen legen. Und die meisten Leute geben blöderweise echt zu viel von sich preis!

Der Reitz der WAZ

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit

Von Jennifer Küppers

"Journalist sein ist der schönste Beruf für die richtigen Menschen", behauptet Ulrich Reitz. So klingt sie also, die "Stimme des Westens", tief, klar, ruhig. Seine Worte unterstreicht Ulrich Reitz, seit 2005 Chefredakteur der Essener Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), die mit einer Samstagauflage von 580.000 Exemplaren die größte Regionalzeitung Deutschlands ist, mit wenigen, gezielt gesetzten Gesten. Die Augenbrauen sind leicht in die Höhe gezogen, die blauen Augen hinter den randlosen Brillengläsern fixieren einen fernen Punkt. Wenn er über die Zukunft der Zeitung reflektiert, dann fällt oft ein Wort: Qualitätsjournalismus. Ein Reitz-Thema, stellt man schnell fest: Der herkömmliche "Abfalljournalismus" gehöre "in die Tonne!" "Wir brauchen Menschen mit Mut zur Recherche, mit Courage, die schnell und gründlich arbeiten können und die richtigen handwerklichen Kompetenzen haben. Ein Kommentar muss knallen, nicht etwa: Linke Meinung, rechte Meinung, Arbeitskreis!" Es "knallt" auch regelrecht, wenn Ulrich Reitz diskutiert: "Ich mag es, wenn es in Diskussionen heiß hergeht", gibt er mit einem verschmitzten Lächeln zu.

Reitz machte zuletzt als einer der großen Neugestalter im Zeitungsgeschäft von sich reden. So entwickelte er für die vier zur WAZ-Gruppe gehörenden Ruhrgebiets-Tageszeitungen ein neues Konzept, mit dem er höhere Qualität bei niedrigeren Kosten erzielen will. 300 der 900 Redakteursstellen wurden eingespart. Das bisherige sogenannte "WAZ-Modell", das darauf beruhte, dass die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung", die "Neue Ruhr/Rhein Zeitung", die "Westfälische Rundschau" und die "Westfalenpost" vollkommen unabhängig voneinander arbeiten, wurde durch das "Mantelkonzept" ersetzt. Dieses sieht vor, dass die Ressorts der einzelnen Zeitungen aufgelöst und durch "Newsdesks" ersetzt werden. Die werden von verschiedenen Ressortleitern geführt, die den vier Zeitungen Geschichten zu den unterschiedlichen Ressorts zuliefern. Was jeweils ins Blatt kommt, bestimmen aber nach wie vor die Chefredakteure und die Mitarbeiter der sogenannten "Titelredaktionen" Anfang 2009 wurde dann auch noch der Vertrag mit der dpa gekündigt. Stattdessen wurden kleinere Agenturen benutzt. Drei Millionen Euro werden dadurch gespart. All dies sind Schritte, die Reitz nicht nur Sympathiepunkte einbrachten: So war von journalistischem Kahlschlag die Rede und vom Verlust der Medien-Vielfalt. "Heute haben wir eine größere Vielfalt denn je", rechtfertigt sich Reitz mit erhobenem Zeigefinger und lässt diesen Satz erstmal wirken. Ein ganz wichtiger Schritt sei es, investigative Journalisten im Lokalteil zu fördern. "Wenn jemand sich über diese Region informieren will, soll er erkennen: Wenn du wirklich wissen willst, was hier gespielt wird, musst du die WAZ-Blätter lesen. Das wird uns nicht immer gelingen, aber es ist unser Anspruch."

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Diese Gültigkeit dieser Redewendung kann auch auf die Redaktionsarbeit bezogen werden. "Die eierlegende Wollmilchsau gibt es nicht." Vieles hat sich geändert und vieles muss noch geändert werden. "Ein Hauptkriterium für Qualitätsjournalismus – und nur der kann die Zukunft der Zeitung garantieren - ist die gründliche Recherche", sagt Reitz und erinnert sich: "Ich war sehr bestürzt, als ich feststellte, dass die durchschnittliche Recherchezeit eines Journalisten etwa eine Stunde betrüge. Die restliche Arbeitszeit ginge durch das "Bauen von Seiten" verloren." Kurzerhand wurden die Redaktions-Konferenzen von 14 Uhr auf 11 Uhr vorverlegt und es gab eine Arbeitstrennung zwischen den "Seitenbauern" und den "Produzenten". So wurde die Recherchezeit erhöht. All diese Umstrukturierungsmaßnahmen und Rationalisierungen beweisen, dass

Reitz an das Medium Zeitung und an seine Zukunft glaubt. "Ich nehme schließlich auch immer noch lieber den Print-Spiegel mit in die Sauna als das i-pad."

Ähnlich und doch so verschieden

FES-Berichterstatter Christoph Koitka hat sich im Rahmen der SommerAkademie über das Verhältnis von Medien und Politik unterhalten- mit einem Medienvertreter und einem Politiker.

Von Christoph Koitka

"Er sucht Informationen, befragt dazu Experten und bereitet seine Quellen verständlich auf." Die meisten Leser werden bei der Lektüre dieser Zeile spontan und völlig korrekt an das Berufsbild des Journalisten denken. "Doch auch ein Fachpolitiker ist der Wahrheitssuche verpflichtet", erklärt Martin Dörmann, medienpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der SPD: "Die Politik muss ebenso wie die Medienvertreter recherchieren und die verschiedenen Quellen abwägen."

Doch natürlich gibt es auch Unterschiede in der Arbeitsweise: "In der Politik liegt der Fokus schon vor der Recherche anders und diese hat von vornherein eine Richtung", meint Torsten Schäfer. Der Umweltjournalist ist unter anderem für GEO International tätig. "Der Medienvertreter hingegen sollte in alle Richtungen offen sein." Das kann der Politiker Martin Dörmann nur bestätigen, er hat ähnliche Erfahrungen gemacht: "Ein Gesetz ist nie objektiv-theoretisch richtig", sagt er daher. "Es stellt mehr einen Anstoß in eine bestimmte Richtung dar."

Doch auch ein Artikel eines Journalisten besteht nicht aus geballter Objektivität, weiß Torsten Schäfer: "Natürlich hat man meist eine eigene Meinung zum Thema. Das ist ja auch durchaus legitim. Niemand fungiert als seelenlose Schreibmaschine."

Im Umgang miteinander ist für Politiker und Journalisten Fairplay wichtigste Regel. "Ein gewisser Ehrenkodex muss eingehalten werden", sind beide überzeugt. Zu diesem gehört unter anderem der Schutz der eigenen Quellen. "Das ist wichtig, um Vertrauen aufzubauen", wissen die Medienprofis. Dörmann ergänzt: "Eine gezielte Fehlinformation wäre schlechter Stil. Selektion kann aber niemand verurteilen." Eine Gratwanderung. Beide nehmen einen Einfluss des anderen Berufsfeldes auf ihr eigenes wahr und wissen um die Wechselwirkung ihrer Metiers. "Als Abgeordneter bin ich abhängig vom Verständnis der Medienvertreter, wenn ich meine recherchierten Ergebnisse an die Öffentlichkeit geben möchte", erklärt Dörmann. "Die Medien lassen sich nicht einfach einspannen", hat der Politiker beobachtet. Torsten Schäfer sieht den Journalisten bereits durch seinen gesellschaftlichen Auftrag in der Pflicht: "Politik macht da aber starke Vorgaben für uns", sagt er. Der Umweltjournalist beobachtet den wachsenden Einfluss der professionellen Pressearbeit mit Sorge: "In vielen Fällen landet nur das in der Zeitung, was quasi vorrecherchiert wurde", sagt er.

Natürlich bleibt aber nach wie vor erstes Gebot: "Alles nachprüfen und hinterfragen!"

Womit wir wieder am Anfang wären. Und ob als Journalist, Berufspolitiker oder auch PR-Agent: Im Spannungsfeld zwischen Medien und Politik ist offensichtlich eine Menge los.

Die Zeitung als Luxusartikel

Medienwissenschaftler Leif Kramp über Crowd-Sourcing, Bezahlsysteme und unternehmerische Journalisten im Web 2.0

Von Christoph Henrichs

Herr Kramp, lesen Sie selbst regelmäßig Zeitung?

Ja, ich habe schon aus beruflichen Gründen mehrere Zeitungen und E-Paper abonniert, muss aber angesichts meiner wissenschaftlichen Arbeit regelmäßig auch den übrigen Blätterwald durchforsten, um mich gezielt über Neuigkeiten und Kontroversen zu medienrelevanten Themen zu informieren. Seit einiger Zeit gehören auch einige Internetblogs zu meiner Pflichtlektüre.

Auf BILDblog.de setzt man sich ja online mit den Printmedien auseinander...

Genau, das ist eines von vielen Beispielen. Dort konzentriert man sich ja hauptsächlich auf Fehler in der Berichterstattung der "Bild"-Zeitung. Mich interessiert bei diesen Blogs aber vielmehr: Wie funktionieren diese Blogs, was macht sie bei der breiten Nutzerschaft und einer Fachöffentlichkeit so erfolgreich? Und ist das eine sichere Zukunftsperspektive für den Journalismus im Internet?

Grundsätzlich stellt sich bei Internetblogs die Frage, wie die Konzepte finanziell verwirklicht werden können. Wie sieht dort die Entwicklung aus?

Es gibt eine Reihe von Bezahlsystemen, die sich langsam durchsetzen wie zum Beispiel Kachingle oder Flattr. Hierbei zahlt der Internetnutzer einen bestimmten Monatsbeitrag, der dann jeweils auf verschiedene registrierte Websites verteilt wird, die der Nutzer im Laufe des Monats angesteuert hat und für unterstützenswert erachtet. Gefällt ihm ein Artikel so sehr, dass er dafür gerne bezahlt, klickt er auf einen speziellen Button: Je nach Gesamtzahl der Klicks wird der Monatsbeitrag dann anteilig an die jeweiligen Websites ausgezahlt. Das sind zwar im Einzelnen nur Kleckerbeträge, doch haben manche Blogs damit schon mehrere hundert Euro eingenommen. Ein anderes Konzept verfolgt das US-Portal "Spot.us": Hier können freie Journalisten bei den Nutzern für eine Rechercheidee werben und auch gleich erklären, wie viel ihre Story kosten wird. Wenn sie den Nutzern gefällt, können diese dafür spenden. Wenn ausreichend Geld zusammenkommt, kann der Reporter loslegen.

Das bedeutet ja, dass Journalisten ihre Rechercheideen gekonnt bewerben müssen, um den Zuschlag zu bekommen.

Journalisten müssen generell dazu übergehen, verstärkt unternehmerisch zu denken. Sie müssen ihre Ideen und ihre Arbeiten besser verkaufen, nicht nur ihren Redaktionen, sondern auch ihren Lesern, Zuhörern und Zuschauern – und dafür bietet das Internet eine ideale Plattform. Selbst festangestellte Journalisten sollten sich davor nicht scheuen und sich in sozialen Netzwerken bewegen, denn auf diese Weise können sie einen sehr viel engeren Nutzerkontakt herstellen und Vertrauen aufbauen: Schließlich gehen heutzutage immer mehr Nutzer dazu über, lieber Nachrichten und Informationen nach dem Empfehlungsprinzip von vertrauten Personen zu bekommen, mit denen sie in direkten Dialog treten können.

Also sind Twitter, Blogs und Laienjournalismus keine Gefahr für die renommierten Printmedien?

Man kann natürlich nie absolute Aussagen über die zukünftige Entwicklung treffen, aber auf jeden Fall bieten die Onlinemedien viel versprechende Möglichkeiten. Ich denke in der Tat, dass die Vorteile des Internets in dieser Angelegenheit überwiegen. Über soziale Netzwerke entwickeln sich bisher unbekannte Linkökonomien, welche die Art und Weise, wie wir uns informieren, grundlegend verändern.

Diese verlinkten Artikel kommen oft von SPIEGEL Online und Konsorten und müssen ja von irgendjemand verfasst werden. Ist das die Rolle der Qualitätsjournalisten?

Gut, dass Sie diese Verbindung herstellen, denn dort liegt der Kern des Problems: Es handelt sich dabei tatsächlich in der Regel um Verweise auf Inhalte, die professionell von Journalisten erarbeitet wurden. Auch in der Zukunft wird man im Internet regelmäßig auf das angewiesen sein, was Journalisten produzieren – sonst müssten wir uns auf das verlassen, was Gelegenheitsmeinungsmacher in ihrer Freizeit bloggen, und das kann und darf nicht alles sein. Eine demokratische Gesellschaft braucht hauptamtliche und nach verbindlichen ethischen und moralischen Standards agierende Informationsvermittler. Das bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass im Journalismus einfach alles so weitergehen kann wie bisher: Immer mehr Nutzer wollen nicht nur journalistische Produkte konsumieren, sondern stärker in die Arbeit, in die Erstellung und Diskussion von Inhalten einbezogen werden.

Wie sähe denn eine Einbindung der User praktisch aus?

Da gibt es zum Beispiel das Konzept des sogenannten Crowdsourcing, das sich in Einzelfällen schon bewährt hat. Wenn man seine Nutzer ernst nimmt, kann man sie in die Themenfindung und Recherche einbeziehen, auch um wertvolle Hinweise und Einschätzungen zu bekommen. Gern wird hierbei das Beispiel der britischen Tageszeitung "Guardian" angeführt: Dort wurden die Leser um Mithilfe gebeten, als sich die Redaktion angesichts von mehreren hunderttausend Dokumenten zu Spesenabrechnungen der britischen Parlamentsabgeordneten schlichtweg überfordert war, diese Masse an Quellenmaterial zu bewältigen. Schließlich beteiligten sich so viele Leser an der gemeinsamen Auswertung, dass immer mehr Ungereimtheiten zu Tage kamen. Das ist freilich ein seltenes Beispiel, aber eines, das zeigt, welches Partizipationspotenzial vorhanden ist.

Wie lässt sich der Journalismus in Zukunft finanzieren, wenn die Grenzen so miteinander verfließen?

Da liegt ein großes Problem in der Expansion ins Internet: Guter Journalismus muss weiterhin bezahlbar angelegt sein. Es war ein Grundsatzfehler, dass die Zeitungen bei ihrem Gang ins Internet teilweise ihre Artikel eins zu eins im Netz abgebildet und sie kostenlos erreichbar gemacht haben. Einige, wie etwa die Axel-Springer-Presse, nehmen das mittlerweile schrittweise zurück. Ein Geschäftsmodell für die Zukunft wäre, dass der Großteil der Artikel weiterhin frei verfügbar wäre, die tagesaktuellen Nachrichten, Reportagen und Interviews sich allerdings in einem kostenpflichtigen Premium-Bereich beziehungsweise eben in der Zeitung befinden würden. Dabei spricht man von einem "Freemium"-Prinzip.

Und damit können die finanziellen Sorgen der Zeitungen gelöst werden?

Bisher war es so, dass die Online-Aktivitäten von Zeitungshäusern in der Regel vom Mutterblatt querfinanziert werden mussten. Dieses Verhältnis wird sich aber tendenziell wandeln, vielleicht sogar umkehren, wenn in Zukunft effektive Erlösmodelle entwickelt werden, mit welchen Journalismus im Netz selbsttragend finanziert werden kann. Es wird ja auch immer wieder diskutiert, ob es eine bundesweite Gebühr für öffentlich-rechtlichen Printjournalismus geben sollte. Ein solcher Gebührentopf ist durch die fehlende Akzeptanz in der Pressewirtschaft, aber vor allem auch durch die Verteilungsproblematik kaum praktikabel, doch zur Förderung des Qualitätsjournalismus wäre es durchaus eine Option. In erster Linie sind jedoch die Verleger gefragt, die wieder ihre leidenschaftlich für guten, für einen starken Journalismus entdecken und die Renditen einmal zurück stellen, um ihre Redaktionen nicht weiter durch Rationalisierungsdruck zu verunsichern, sondern mit Experimentierfreude an der Zukunft des Journalismus zu arbeiten.

Die Zeitungsauflagen sinken, also werden Stellen gekürzt. Je weniger Redakteure bleiben, desto mehr fürchten sie ihren Arbeitsplatz, desto überforderter sind sie, desto mehr verlieren Sie Raum an das Internet. Ist das nicht ein Teufelskreis?

Ich denke, dass die Entlassungen in einigen Verlagshäusern aufgrund der wirtschaftlichen Situation durchaus erklärbar sind, auch wenn sie zum Teil präventiven Charakter haben. Dies wurde jedoch nicht in ausreichendem Maße damit verbunden, den verbleibenden Mitarbeitern in den Redaktion Mut zu machen und ihnen zu vermitteln, dass die Durstrecke nun zu Ende sei, sondern es wieder bergauf gehen soll. Ein solches Einfühlungsvermögen und Motivationsbemühungen vonseiten der Verlagsführung an die Redaktionen sind essentiell notwendig, um die tiefe Verunsicherung der Journalisten zu bewältigen: Unter der Angst vor Jobverlust leidet nicht nur der Journalist, sondern auch die Qualität seiner Arbeit.

Herr Kramp, wie geht es denn weiter mit den Zeitungen und dem Internet?

Der kontinuierliche Auflagenrückgang der Tageszeitungen in Deutschland wird sich voraussichtlich fortsetzen. Auch weitere Einschnitte sind wahrscheinlich, da es noch einige Zeit dauern wird, bis stabile Konzepte für journalistische Angebote im Internet entwickelt wurden, die auf eigenen Füßen stehen können und crossmediale Synergien ausschöpfen. Ich glaube aber nicht, dass das Medium Zeitung gänzlich verschwinden wird. Doch vermutlich wandelt sie sich zu einem Luxusgut: Dort findet dann der geneigte Leser all das, was er im Internet nicht findet: Ausgeruhte, tiefgehende Geschichten, Hintergründe, Essays – für solche Alleinstellungsmerkmale wird sich immer eine zahlende Kundschaft finden.

"Das Internet revolutioniert das journalistische Handwerk"

Gespräch mit dem diesjährigen "Keynote"-Sprecher: Prof. Dr. Stephan Weichert

Von Violetta Gringersch

Dr. Stephan Weichert ist Professor für Journalistik und Studiengangleiter am Campus Hamburg der MHMK und unter anderem Vorstandsmitglied im Netzwerk Recherche e.V. Er erforscht seit mehreren Jahren die Medienentwicklung und veröffentlichte zahlreiche Publikationen zum Thema (siehe unten). Wir sprachen über die Zukunft des Journalismus, der Zeitung sowie über die Medienentwicklung.

Herr Weichert, wie Sie in der "Keynote" sagten, gehören Sie bereits zu den iPad Fans. Greifen Sie denn überhaupt noch zu den Printmedien, oder nur dann wenn es keine elektronische Ausgabe gibt?

Ich hänge immer noch stark an der Haptik und Optik des klassischen Printjournalismus. Ich habe zwei Tageszeitungen und viele Zeitschriften abonniert, etwa "Wired", die amerikanische "Vanity Fair", "Time" und "Vice". Vor allem im Magazinbereich können die elektronischen Versionen nach meinem Empfinden den Printprodukten noch nicht das Wasser reichen, auch wenn die App von "Wired" schon sehr ambitioniert ist. Demgegenüber fällt mir beim Lesen von Tageszeitungen immer wieder auf, dass ihre Angebote und Darstellungsformen zunehmend obsolet werden. Häufig standen Nachrichten, die mich über die Zeitung erreichen, schon zwei Tage vorher im Netz. Allerdings erhält man durch die Zeitungslektüre nach wie vor einen sorgfältig ausgewählten, nach Relevanz gewichteten und oft auch brillant kommentierten Themenüberblick über das, was in der Welt oder in der direkten Nachbarschaft vor sich geht. Dazu kommt die Bereitstellungsqualität der Zeitung: Gedruckte Artikel laufen mir nicht weg, während Informationen in den Online-Medien einer enormen Beschleunigung und Eigendynamik unterliegen und viele Nutzer häufig überfordern. Alles in allem fehlt es aber Berufstätigen heute oftmals auch an Zeit, sich länger mit der Zeitung zu beschäftigen. Als störend empfinde ich inzwischen aber auch das Format, vor allem im öffentlichen Personennahverkehr stellt sich heraus, wie unhandlich und umständlich es ist, unterwegs Zeitung zu lesen. Das iPad ist da sehr viel praktischer.

Würden Sie sagen, dass das iPad den langsamen Tod der Zeitung auf Papier einleitet und es bald nur noch elektronische Verbreitungswege geben wird?

So drastisch sehe ich das nicht. Es gibt ja sogar die berechtigte Vermutung, dass es Zeitungen auf Papier auch noch in 20 Jahren geben wird. Das Zeitunglesen ist eine Kulturtechnik, die wir uns über Jahrhunderte angeeignet haben, sie wird wohl nie komplett vom Markt verdrängt werden. Allerdings werden die Auflagen der Blätter drastisch sinken, Zeitungen werden zu Luxusprodukten. Denn Aufmerksamkeit und Zeit sind die kostbarsten Ressourcen und nur diejenigen Menschen, die darüber verfügen, können sich diesen Luxus leisten. Aber die Mediennutzung hat sich mit dem Internet insgesamt stark verändert, daher beschleunigt eine Erfindung wie das iPad diese Entwicklung sicher.

Sie haben ja eine Weile auf alle journalistische Angebote verzichtet und sich lediglich auf die Hinweise Ihrer "social community" verlassen. Was ist denn Ihr Fazit nach diesem Experiment?

Ich habe mich nach einigen Tagen schon schlicht nicht mehr allumfassend und ausreichend informiert gefühlt. Mich haben über meine Netzwerke und favorisierten Blogs zwar zahlreiche wichtige Hinweise auf Medienangebote aus aller Welt erreicht, allerdings ging es da verstärkt um Fachinformationen, etwa über die Medienbranche. So lief ich natürlich Gefahr, dass allgemein relevante Themen, die nichts mit Medien oder Journalismus zu tun haben, durchs Raster fallen könnten. Mein Fazit des Experiments ist, dass der professionelle Journalismus, der eine kluge Auswahl und Einordnung der Information vornimmt, die mich interessieren, wohl auch weiterhin unverzichtbar bleiben wird.

Ihre Kollegen haben sich während der Podiumsdiskussion teilweise gesträubt als es hieß, dass die sozialen Netzwerke für den Journalismus wichtig seien. Denken Sie, dass diese Aussage bei den Kollegen richtig angekommen ist?

Was wir erlebt haben, waren recht typische Reaktionen von beinharten Praktikern. Mich wundert allerdings, wie offenherzig sich Online-Redakteure wie Bernd Graff von sueddeutsche.de mit ihren Internetfeindlichen und unkundigen Aussagen im Grunde als reine Printmenschen für eine solche Debatte über die Zukunft der Zeitung disqualifizieren. Auch den Reaktionen von Sascha Langenbach, dem Chefreporter des Berliner Kurier, nach zu urteilen scheinen die Perspektiven, die das Internet eta im Hinblick auf soziale Netzwerke bietet, manche Kollegen intellektuell schlicht zu überfordern: Sie deuten überdies auf eine fast schon pathologische Betriebsblindheit hin, die aus meiner Sicht leider symptomatisch ist für das Desinteresse und die Resistenz deutscher Medienunternehmen gegenüber den neuen digitalen Möglichkeiten für den Journalistenberuf – ganz im Gegensatz zu amerikanischen und britischen Verlagen, die viel mehr experimentieren und riskieren. Im Internet entsteht so etwas wie eine dritte publizistische Dimension, die das journalistische Handwerk revolutionieren wird.

Ein Beispiel: Wenn ich als Journalist einen Artikel schreibe, möchte ich natürlich von möglichst vielen Menschen gelesen werden. Veröffentliche ich den Link zum Artikel also über Twitter und jemand wie Sascha Lobo, der inzwischen an die 45.000 Follower hat, "re-tweetet" meinen Link, erreiche ich auf einen Mausklick potenziell deutlich mehr Leute als wenn mein Artikel lediglich in einer mittelgroßen Regionalzeitung veröffentlicht worden wäre. Bei vielen amerikanischen Zeitungen wie der New York Times oder der Washington Post, die ich vor kurzem besucht habe, ist das übrigens längst Gang und Gäbe. Ich finde es deshalb ein Armutszeugnis, dass einige deutsche Redakteure offenbar immer noch in der Internet-Steinzeit leben und sich teilweise sogar vehement gegen solche Innovationen sperren.

Qualitätsjournalismus betreiben, an den journalistischen Grundsätzen festhalten und dennoch nicht am Hungertuch nagen - das ist eine Sorge die hochaktuell ist. Vertreten Sie die Ansicht "Journalisten machen keine PR", oder sehen Sie da ein Zusammenspiel möglich?

In der Rolle des Vorstandsmitglieds von Netzwerk Recherche e.V. vertrete ich natürlich die Ansicht, dass Journalisten keine PR machen dürfen. Mir ist aber durchaus bewusst, dass die Realität anders aussieht. Es gibt inzwischen sogar einige Hochschulen wie die Fachhochschule in Gelsenkirchen oder die Quadriga Hochschule in Berlin, die fragwürdige Studiengänge wie "Journalismus und PR" oder entsprechende Studienschwerpunkte anbieten. Das finde ich aber berufsethisch und handwerklich untragbar. Trotzdem habe ich einige Freunde, die als freischaffende Journalisten – vor allem aus finanziellen Gründen – gelegentlich PR-Projekte annehmen, und bei denen ich häufig auch kritisch nachbohre, wie sie hier eine Trennung vornehmen. Eine Kollegin macht zum Beispiel PR für einen großen Autokonzern und sie sagt, dass sie als Kulturjournalistin niemals mit diesem Unternehmen in einen professionellen Rollenkonflikt käme, weil sie nicht über Wirtschaft, zumal nicht über die Autoindustrie berichtet. Auf diese Weise kann sie beides mit ihrem Gewissen vereinbaren. Solange eine solche Trennung gegeben ist und solange die meisten freien Journalisten weiterhin mit derart niedrigen Honoraren zu kämpfen haben, müssen wir das wohl so akzeptieren. Man darf also über eine solche Vermischung niemals aus der Sicht arrivierter Redaktionsleiter argumentieren, sondern muss sich immer die schwächsten Mitglieder eine Gruppe ansehen. Was ich allerdings beängstigend finde ist, dass viele Nachwuchsjournalisten aus Geldgründen oft direkt in die PR abwandern – womit dem Journalismus viele junge Talente auf immer verloren gehen. Und das ist ein katastrophaler Trend.

Was geben Sie, als Professor für Journalismus, Ihren Studenten, den besagten Jungjournalisten, mit auf den schwierigen Weg?

Ich versuche, offen und ehrlich zu sein. Einen Job kann ich niemandem versprechen, aber was ich verspreche ist, dass kein Student, der sich wirklich anstrengt und bemüht ist, der talentiert ist und hartnäckig bleibt und vor allem eine Bereitschaft mitbringt, sich auf die aktuellen Veränderungen des Berufs einzulassen, arbeitslos bleibt. Dass unter jungen Leuten viel Potenzial vorhanden ist, habe ich bei unserem Projekt "Macromedia Web Award 2010" gemerkt, dass im vergangenen Semester gestartet ist: Die Studenten haben hierfür innovative Konzepte für journalistische Web-Angebote eingereicht. Es waren größtenteils brillante Sachen dabei, wie das Kreisklasse-Fußballportal Elbkick.tv, das vor einigen Wochen online gegangen ist. Meinen Studenten möchte ich damit zeigen, dass sie Ideen verwirklichen und unternehmerisch denken müssen, um später erfolgreich zu sein. In großen Medienunternehmen und Verlagen werden in Zukunft wohl nur noch die Wenigsten landen.

Eine kleine Zukunftsträumerei: Wie würden Sie sich den idealen Journalismus der Zukunft vorstellen?

Wünschen würde ich mir eine solide ökonomische Basis für einen guten, fairen und ausgewogenen Journalismus, der nach wie vor einen wichtigen Eckpfeiler unserer Demokratie bildet, dessen finanzielles Rückgrat über kurz oder lang aber wegbrechen könnte. Wo ich für Journalismus in Zukunft noch enormes Potenzial sehe, ist die stärkere Verknüpfung und Nutzung der Künstlichen-Intelligenz-Forschung. Das klingt jetzt zwar sehr futuristisch, wird aber beispielsweise durch die Entwicklung des Semantischen Webs, das eine komfortablere Mediennutzung ermöglicht, bereits vorangetrieben. Daneben könnte ich mir einen spielerischen Umgang mit journalistischen Angeboten vorstellen, die mehr Interaktivität bieten: Journalisten, die ihre Zielgruppe besser einbinden, würden dadurch auch eine stärkere Bindung zum Nutzer und dem, was Journalismus zu bieten hat, herstellen.


Dr. Stephan Weichert ist Professor an der Macromedia Hochschule für Medien und Kom-munikation (MHMK) in Hamburg und leitet dort den Studiengang Journalistik. Weichert arbeitet seit vielen Jahren als Sachbuchautor und Journalist für Zeitungen, Online-Portale und Radio. Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen gehören Die Meinungsmacher. Über die Verwahrlosung des Hauptstadtjournalismus (Hamburg 2010: Hoffmann und Campe, gem. m. L. Kramp), Digitale Mediapolis. Die neue Öffentlichkeit im Internet (Köln 2010: Herbert von Halem, gem. hrsg. m. L. Kramp/ A. von Streit), Wozu noch Journalismus? Wie das Internet einen Beruf verändert (Göttingen 2010: Vandenhoeck & Ruprecht, gem. hrsg. m. L. Kramp/ H.-J. Jakobs) und Wozu noch Zeitungen? Wie das Internet die Presse revolutioniert (Göttingen 2009: Vanden-hoeck & Ruprecht, gem. hrsg. m. L. Kramp/ H.-J. Jakobs), Das Verschwinden der Zeitung? In-ternationale Trends und medienpolitische Problemfelder (Berlin 2009: Friedrich-Ebert-Stiftung; gem. mit L. Kramp), Die Alpha-Journalisten 2.0. Deutschlands neue Wortführer im Portrait (Köln 2009: Herbert von Halem; gem. m. C. Zabel). Weichert ist Vorstandsmitglied bei Netzwerk Recherche e.V. und Gründer des Vereins für Medien- und Journalismuskritik e.V., der das Inter-net-Medienmagazin Cover herausgibt.

Eröffnungsrede

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Programm & Lebensläufe

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Keynote

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Studie

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Film-Impressionen

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O-Töne

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Fotos

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Abschluss & Zitat

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