Die FES im Jahr 2022 – Soziale Demokratie im Zeichen der Zeitenwende
Kaum jemand in Europa hatte ihn kommen sehen: den fundamentalen Schock, den Wladimir Putin der Welt zufügte. In der Nacht zum 24. Februar 2022 begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und mit ihm ein energiepolitisches Erdbeben, eine geopolitische Zäsur. Bundeskanzler Olaf Scholz fand für das, was viele Menschen empfanden, das treffende Wort: Zeitenwende.
Dabei wollte die Friedrich-Ebert-Stiftung 2022 damit beginnen, die Nachwirkungen der Pandemie gründlich aufzuarbeiten. Seit Herbst 2021 hatten wir Projekte und Studien konzipiert, die Antworten geben auf die Frage, wie sich die Lasten der kostspieligen Pandemie gerecht schultern lassen. – Uns wurde schnell klar: Mit Putins Krieg geht es ab sofort nicht mehr nur um Geld und Gas. Sondern schlichtweg um die Zukunft Europas.
Schnelle Antworten zu geben ist nicht die wichtigste Aufgabe politischer Stiftungen. Unser Metier sind gereifte Analysen und das Versammeln der richtigen Expertinnen und Experten. Dass wir dennoch in kürzester Zeit gute Inhalte zur Zeitenwende anbieten konnten, verdanken wir nicht zuletzt der enormen Kraftanstrengung der letzten beiden Jahre.
Mit dem vom Vorstand im Jahr 2019 eingeleiteten Prozess »FES100« hatten wir die Friedrich-Ebert-Stiftung runderneuert: Abteilungen wurden umstrukturiert und fusioniert, neue Arbeitsweisen erprobt, Innovationen getestet und eingeführt. Den Prozess konnten wir planmäßig im Juni letzten Jahres vollenden – mit der Fusion der beiden großen internationalen Abteilungen Internationaler Dialog und Internationale Entwicklungszusammenarbeit.
Dank neuer Arbeitsweisen konnten wir daher kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine reagieren: Mit der Tiergartenkonferenz, unserem außenpolitischen Flaggschiff-Format, stellten wir das erste große Forum auf die Beine, das Antworten zur Zeitenwende formulierte. Die auf der Konferenz von SPD-Chef Lars Klingbeil geforderte »Führungsrolle Deutschlands« als Garant des Zusammenhalts in Europa machte weltweit Schlagzeilen, waren es doch selbstbewusste Töne, die aufhorchen ließen. Bereits am nächsten Tag begannen FES-Kolleg_innen damit, ein neues umfangreiches Projekt zu konzipieren. Dieses entwickelt nun, im Jahr 2023, Szenarien dazu, wie der Aufbruch in eine Ära aussehen könnte, in der wir alle weiter gut und sicher leben können.
Die Impulse der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik haben wir seitdem kontinuierlich eingespeist in unser Netzwerk aus 104 Büros weltweit. Unsere internationalen Standorte wiederum ermöglichen es uns, die verschiedenen internationalen Perspektiven auf die Zeitenwende in die deutsche Debatte einzubringen. Damit gelingt es der Friedrich-Ebert-Stiftung, die Diskussionsprozesse zur Neuausrichtung der Außenpolitik inhaltlich zu unterfüttern, nicht zuletzt mit Fokus auf neue wichtige Partnerschaften im globalen Süden. Denn für uns ist klar, dass »Zeitenwende« nicht heißen darf, nur an uns selbst zu denken. Putins Aggression muss vielmehr zur Folge haben, dass wir in Europa enger zusammenrücken und gemeinsam mit Partnern auf der ganzen Welt Frieden, Demokratie und Freiheit noch solidarischer und aktiver verteidigen.
Gesellschaftliche und politische Verunsicherungen bereiten leider einen Nährboden für Akteure, deren Geschäft es ist, Misstrauen und Hass zu säen. Die Pandemiejahre haben gezeigt, wie schnell sich Allianzen formen zwischen denen, die zweifeln, und jenen, die völkische und rechtspopulistische Rezepte propagieren. Die Arbeit für Demokratie und gegen Rechtsextremismus ist daher für uns ein herausragend wichtiges Feld. Wir sind stolz auf zahlreiche FES-Initiativen gegen Rechtsextremismus. So unterstützen wir seit einem Jahrzehnt Journalist_innen aus ganz Deutschland in der medialen Auseinandersetzung mit der extremen Rechten. »Berichten über Rechts« heißt die erfolgreiche Reihe, die sich zu einem wichtigen Forum entwickelt hat.