Biographisches:
- 1968 geboren in Berlin, 1975 - 1985 Schule in Berlin, 1985 - 1988 Berufsausbildung mit Abitur, 1988 - 1990 Volontariat beim Rundfunk der DDR, 1990 - 1996 Studium der Erziehungswissenschaften, Publizistik, Psychologie an der FU Berlin, 1996 - 2009 freiberufliche Autorin, heute freie Autorin beim NDR in Schwerin.
- Gritt Kockot wuchs in Berlin auf und bekam dort auch familiär die Sonderstellung der Stadt in der DDR mit. Sie hält sich rückblickend, als damals angehende Rundfunk-Journalistin, für erstaunlich unpolitisch.
Ich bin in Ostberlin geboren, genauer gesagt in Buch, am 19. Mai 1968. Ich habe eine Schwester, die ist sechs Jahre jünger als ich. Meine Eltern waren sehr unterschiedlich. Mein Vater war Professor für Mathematik und Physik an der Hochschule und meine Mutter ist Schneiderin. Sie hat die erste Zeit, als wir noch ganz klein waren, immer selbstständig zuhause genäht. Das war ziemlich untypisch zu DDR-Zeiten, denn als Frau ist man eigentlich schnell wieder arbeiten gegangen, die Kinder waren alle in der Krippe, oft schon als Baby. Aber das wollte meine Mutter nicht und hat gesagt, okay, ich bleibe zuhause und nähe zuhause, das kann man super, und damit hat sie noch ein bisschen Geld verdient nebenher. Mein Vater hat als Akademiker auch ganz gut Geld verdient und hat zu DDR-Zeiten das erste Lexikon der Mathematik verfasst. Das wird heute sogar noch zitiert.
Also meine Eltern waren sehr unterschiedlich und haben sich 1979 nach zwölf Jahren Ehe auch scheiden lassen, weil mein Vater sich in eine andere Frau verliebt hatte, wie das so ist. Dann gab es viel böses Blut, meine Eltern haben so eine Art Rosenkrieg geführt. Es war ganz schrecklich, auch teilweise auf unserem Rücken ausgetragen, weil sie es nicht besser wussten, aus heutiger Sicht weiß ich das. Zu guter Letzt haben wir meinen Vater fünfzehn Jahre lang nicht gesehen, erst einmal. Meine Mutter ist dann wieder arbeiten gegangen, musste sie ja auch, weil die Eltern geschieden waren und sie einfach Geld verdienen musste. Das hat sie aber gut gemacht, find' ich, aber klar, irgendwas leidet immer darunter.
Hattest du denn grundsätzlich das Gefühl, dass dir in der DDR etwas fehlt?
Mangel hab' ich nicht empfunden, kann ich nicht sagen, aber wir waren auch nicht so der DDR-Durchschnittsbürger. Und selbst, was in der Werbung lief, dieser tolle Kaffee oder diese tolle Schokolade, „Mars macht mobil, bei Arbeit, Sport und Spiel“, das weiß ich alles noch. Und ich meine, irgendwann hatten wir diesen Riegel auch mal auf dem Tisch liegen. Klar, das war schon eine Seltenheit, aber immerhin haben wir es kennengelernt. Wir haben auch teilweise Werbung in der Klasse nachgespielt, so mit der „Joghurette“, da ist eine nachts an den Kühlschrank geschlichen und hat sich eine „Joghurette“ rausgeholt.
Es war auch so, dass wir eine ziemlich gut betuchte Tante hatten, die kam uns einmal im Monat besuchen, mindestens. Aus West-Berlin ist die immer angereist gekommen. Dann hat die ganze Familie sich getroffen. Wir haben zusammen Kaffee getrunken und Abendbrot gegessen. Sie hat auch immer 'was mitgebracht und ein paar Scheinchen an jeden verteilt. Also klar, für meine Mutter war das Gold wert damals. Sie hat als alleinerziehende Mutter recht wenig verdient, als Arbeiterin. Und so viel musste mein Vater auch nicht an uns beziehungsweise an meine Mutter bezahlen. Er hat teilweise auch die Zahlungen gar nicht geleistet, die er hätte leisten müssen. So war das immer noch ein Zubrot, wenn die Tante mal was rüber gereicht hat.
Und dann habe ich die alten Sachen meiner Kusine auftragen dürfen, in den 1980er Jahren, was war da alles modern. Da war ich in der Klasse total angesagt, weil ich die Trendsetterin war sozusagen. Also, was die schon vor zwei oder drei Jahren getragen haben, hab' ich nochmal angezogen, aber weil die Sachen teilweise wirklich auch gut waren. Das war natürlich wirklich das Positive, im Prinzip waren wir privilegiert, Berliner sowieso.
Das haben schon immer alle gesagt in der DDR, die Berliner sind privilegiert, weil die die ganzen Bananen kriegen, die kriegen die Tomaten. Wir mussten auch danach anstehen. Aber egal, wir haben die bekommen oder zumindest mal so etwas zu sehen bekommen. Also privilegiert waren wir auf jeden Fall auch, weil wir ja auch Westfernsehen gesehen und Westradio gehört haben damals. Die Sachsen zum Beispiel waren ja im Tal der Ahnungslosen, wie man immer so schön sagt. Man durfte das in der Schule nicht so weit raushängen lassen, aber die ganzen Serien, die in den 1980er Jahren modern waren, wie „Denver-Clan“ zum Beispiel, das war ein Muss. Wenn man da nicht mitreden konnte, war man draußen, da war Berlin sehr speziell.
Und wir haben natürlich RIAS Berlin gehört, und mit Ilja Richter im Fernsehen „Disco“ gesehen. Es war ja auch eine geniale Zeit, musikalisch allein schon. Und natürlich auch Kalter Krieg, das haben wir volle Kanne mitbekommen. Ich weiß noch, dass ich als Kind absolute Angst hatte davor, dass mal so eine Pershing-2- Rakete hochgehen würde, und dass alles vorbei ist. Ich war damals dreizehn oder vierzehn und hab' gedacht, mein Gott, ich hab' noch keinen Jungen in meinem Leben geküsst.
Meine Mutter durfte auch in den Westen reisen. Einmal, da hatte meine Tante sechzigsten oder siebzigsten Geburtstag, ich weiß es nicht mehr genau, und da durfte meine Mutter ausreisen. Aber wir Kinder waren natürlich das Pfand. Und als sie zurückkam, wurden wir auch reich beschenkt. Dann hatte sie eingekauft, natürlich nicht die teuersten Sachen, aber egal, aus dem Westen. In Krefeld hatten wir auch eine Tante, zu der durfte sie mal reisen. Also sie war mindestens drei- oder viermal schon weg.
Weil wir ja auch mal über das Positive in der DDR reden wollen: Dieser Überfluss im Westen, das fand ich jetzt nicht das Schlechteste, dass es den bei uns nicht gab. Zum Beispiel kann ich mich erinnern, dass meine Mutter immer zu Weihnachten in den Delikat-Laden ging, in den sogenannten Deli, und da immer ungarische Salami, Schweizer Käse und so kleinere andere Leckereien gekauft hat. Aber immer nur zu Weihnachten, und das war was ganz Besonderes. Das haben wir uns eingeteilt über die Feiertage, und das hat super geschmeckt, und man freute sich wieder auf das nächste Weihnachten, das gab es eben nicht alle Tage.
Ich kann mich erinnern, als ich die erste Zeit nach der Grenzöffnung in den Westen fuhr, mit der U-Bahn, da hab' ich immer nur geguckt. Geguckt, wie die Leute aussehen, was passiert. Wenn ich nach Hause kam, war ich so 'was von müde und erschlagen von den vielen Eindrücken und den vielen Wahrnehmungen. Man nimmt dann ja auch alles doppelt wahr. Allein die Gerüche auf den Straßen, das roch ganz anders, die Autos, die Abgase rochen anders als bei uns.
Natürlich spielte die Mauer in Berlin auch in unserem Leben damals eine Rolle. Wenn man zum Beispiel zwischen Pankow oder Prenzlauer Allee und Bernau hin- und hergefahren ist, ist man immer ein Stück an der Mauer vorbei gefahren. Und natürlich haben wir immer rüber geguckt und geglotzt, ob es was zu sehen gibt. Ich meine, die Häuser sahen schon etwas anders aus, etwas gepflegter oder so. Es war so nah und so unerreichbar, es ist ganz schlimm gewesen.
Wie lief das eigentlich in deiner Schulzeit, mit deiner Ausbildung?
Meine Mutter hat es rausgerissen, als es dazu kam, dass ich studieren wollte oder sollte. Meine Eltern waren ja schon geschieden. Da spielte mein Vater als Akademiker keine Rolle mehr. Weil meine Mutter ja sozusagen Arbeiterin war, war ich also Arbeiterkind und hatte so einen Vorteil, wenn es um einen Studienplatz ging. Als mein Vater noch da war, war ich ja beides, so ein Zwitter, Arbeiterkind und Intelligenzkind. Meine Eltern waren beide nicht in der Partei, das muss ich noch dazusagen, das haben die irgendwie hingekriegt. Also in der Position meines Vaters hätte er es vielleicht sein müssen. Ich glaube, sie haben auch versucht, ihn zu bearbeiten, soweit ich das noch weiß. Und wir hatten Westverwandtschaft in Westberlin.
Ich habe zu DDR-Zeiten Berufsausbildung mit Abitur gemacht, nach zehn Jahren in der Polytechnischen Oberschule (POS). Wir sind also zehn Jahre von der ersten bis zur zehnten Klasse alle zusammen in eine Klasse gegangen. Mal kamen ein paar Neue dazu, mal sind ein paar abgegangen. Aber so der Kern, der blieb von der ersten bis zur zehnten Klasse zusammen, und das war ganz toll. Dadurch ist man als Klassenkollektiv zusammengewachsen. Na ja, und nach der zehnten Klasse habe ich Berufsausbildung mit Abitur gemacht, drei Jahre lang. Das gab's in der EOS, erweiterten Oberschule.
Bei meinem Ausbildungsberuf zur Verkäuferin für Kindertextilien, da hat meine Mutter so ein bisschen nachgeholfen. Als Schneiderin hatte sie ja die Kontakte zum Einzelhandel und hat mal nachgefragt, ob ich da nicht einen Ausbildungsplatz kriegen könnte. Klar, es wurde ein bisschen nachgeholfen, öfter mal. Aber das war ja jetzt keine große Sache. Als Verkäuferin, was lernt man da großartig? Stoffzusammensetzung und wie man Kundentypen einzuteilen hat, also so ein bisschen Kundenpsychologie war mit dabei, und Kassenabrechnung und so weiter. Man stand immer eine Woche im Betrieb, im Kinderkaufhaus in der Leipziger Straße, da war ich untergebracht mit meinen Leuten, und dann war man wieder einen Monat in der Schule, ganz genau weiß ich es gar nicht mehr.
Mit dieser Fachverkäuferinnen-Ausbildung für Kindertextilien mit Abitur hätte ich eigentlich Ökonomin werden sollen. Das war schon so eingetaktet, dass man später in Leipzig an der Hochschule für Ökonomie studiert. Aber ich habe mich dagegen entschieden. Ich musste ein paar Widerstände überwinden, aber das habe ich gemacht, das hat geklappt, ohne in die SED eintreten zu müssen.
FDJ, mit rotem und blauen Tuch, das haben bis auf einen in meiner Klasse alle gemacht. Der war kirchlich gebunden und der hatte schon einige Nachteile dadurch, also der wurde total oft verbal von den Lehrern angegriffen deswegen, das haben wir mitbekommen. Wir haben uns teilweise mit ihm solidarisiert. Dann haben wir wieder mit ihm diskutiert, ja, und dein Gott, der hat nicht verhindert, dass es den Zweiten Weltkrieg gab. Der ist ganz cool damit umgegangen. Er ist später ein bisschen in die Punk-Richtung abgedriftet und hat uns allen den Stinkefinger gezeigt.
Es fing an mit den Jungen Pionieren. Wie war das noch? Es gab den Fahnenappell, nicht jeden Morgen oder so, immer zu Beginn der Schulzeit. Im September fing die Schule nach den achtwöchigen Sommerferien wieder an. Dann haben sich alle im Appellkreis aufgestellt mit einem FDJ-Hemd oder einer Pionieruniform, und dann wurden natürlich politische Reden geschwungen.
Hat einen das als Jugendlicher interessiert?
Also mein Elternhaus war jetzt nicht besonders pro DDR eingestellt, zuhause haben wir ganz anders geredet, als ich in der Schule. Ich war in einem evangelischen Kindergarten, weil ich ja getauft worden bin zu DDR-Zeiten. Ich war in der Elsa-Brandström-Straße in Berlin-Pankow, und da weiß ich noch, dass wir vor jeder Mahlzeit gebetet haben. Oder wir sind auch schon mal zur nahe gelegenen Kirche schräg gegenüber gegangen und haben sie uns angesehen. Oder wir sind zu Gottesdiensten gegangen oder der Pfarrer kam mal zu uns.
Meine Eltern haben mir immer eingetrichtert, das, was hier zuhause geredet wird, das bleibt hier bei uns, und in der Schule redest du quasi nach dem Mund der Lehrer. Zum Überleben gehörte das dazu. Sagst schön, was die hören wollen. Das hatte man auch ganz schnell raus, wenn man nicht dumm war. Und wenn man irgendwie was erreichen wollte, dann machte man das so. Klar, wenn diese Reden geschwungen wurden, dann haben wir uns auch gedacht, um Gottes willen, hoffentlich geht das gleich vorbei oder so. Oder zum Beispiel zum 1. Mai auf diesem Demonstrationszug, vorbei an der Tribüne von Erich Honecker und Co., einmal winken. Bis dahin haben wir es meistens gar nicht geschafft, wir sind schon vorher irgendwie ausgeschert und abgehauen. Das haben auch nicht alle gewagt. Wer dabei erwischt wurde, da weiß ich nicht, was dann passiert ist. Aber daran kann ich mich erinnern, wir waren uns auch mit unserer Klasse einig, dass wir das machen und nicht bis zum Schluss mitlaufen.
Konntest du später studieren, was du wolltest?
Noch in meiner Kindheit, so mit elf oder zwölf Jahren, habe ich angefangen, pathologische Bücher zu lesen. Pathologie fand ich total spannend, Rechtsmedizin. Ich hatte eine Tante, die im Klinikum Buch arbeitete als Krankenschwester, und bei der durfte ich manchmal sein in den Ferien. Da hab' ich ein bisschen gearbeitet, ausgeholfen, mir schon ein paar kleine Märkerchen verdient. Hab' Bürodienst gemacht, mal was ausgefüllt oder so, oder Leuten irgendwie mit dem Rollstuhl geholfen. Und die nahm mich einmal mit in die Pathologie, weil sie was abgeben musste oder so. Das fand ich so spannend, und dann hab' ich angefangen, Bücher zu lesen. Von Otto Prokop1, „Spuren der Toten“ hieß das, in dem er dem auf den Grund gegangen ist, woran jemand gestorben ist. Das fand ich total spannend. Da dachte, oh ja, das mache ich, Medizin, ich studiere Medizin. Aber ich habe dann festgestellt, dass ich gar kein Blut sehen kann, mir wurde da schlecht. Während der Ausbildung bis zum Abitur gab's auch gar keine Biologie, weil wir ja in die Ökonomie-Richtung gehen sollten. Biologie-Abi aber war Voraussetzung, um Medizin studieren zu können. Ich hätte das auf der Abendschule noch nachholen können, ich hätte auch noch ein Praxisjahr machen müssen, bevor ich das hätte studieren können. Aber dann habe ich mich dagegen entschieden. Auch weil ich damals immer sehr gut in Deutsch war und lange Aufsätze geschrieben habe, und irgendwie so einen Tick in den Kopf gesetzt bekommen hatte, mal ganz groß herauszukommen als Schriftstellerin oder als Journalistin. Da hab' ich gedacht, ach, ich werde Journalistin, ohne überhaupt zu wissen, was damit zusammenhängt, was dahinter steht. Ich hab' nur gerne geschrieben und mich gerne ausgedrückt und so weiter. Und dann bin ich da gelandet.
Aber dann kam 1989 die Wende. 1990 war ich noch Volontärin beim Rundfunk der DDR. Ich hab' zwei Jahre Volontariat gemacht, das war normalerweise nur auf ein Jahr ausgelegt, aber bei der Aufnahmeprüfung in Bad Salow wurde ich gefragt, ob ich in die SED eintreten würde. Und da habe ich gesagt, mach' ich nicht, weil ich mich noch nicht reif genug fühle. Das war so die Standardantwort, die man geben konnte. Außerdem habe ich mir noch erlaubt, bei einem Thema, das uns frei gestellt worden ist, über eine Ärztin zu schreiben, die Alkoholkranke zu DDR-Zeiten betreute. Das war ein No-Go- Thema, das gab es gar nicht, Alkoholismus in der DDR. Daraufhin wurde ich abgelehnt fürs Studium, durfte aber mein zweites Volontariats-Jahr machen, was normalerweise eigentlich nicht so gehandhabt wurde, denn dann musste man sich irgendwas Neues suchen. Aber die haben gesagt, Sie sind talentiert, und Sie wissen ja beim nächsten Mal, worauf es ankommt, also machen Sie was draus.
Aber dann kam die Wende und ich hab' mir gesagt, so, ich studiere jetzt gleich im Westen, in West-Berlin. Ich hab' mich entschieden, Erziehungswissenschaften, Publizistik und Psychologie auf Magister zu studieren. Aber das würde ich auch nie wieder machen. Es ist ja nichts Halbes und nichts Ganzes eigentlich. Also wenn schon, dann Psychologie ganz. Oder vielleicht doch nochmal Medizin, also in meinem zweiten Leben. Aber man soll ja nichts bereuen.
Und wie ist es heute?
Ich hab' eine Zeit lang als Gerichtsreporterin für den NDR gearbeitet. Das hab' ich ein Vierteljahr richtig intensiv betrieben, hab' mich da richtig reingekniet. Aber es ist sehr speziell, es kostet echt Kraft. Und dann hab' ich gemerkt, es ist mir zu viel Negatives dabei, ich will das nicht mehr, ich will nicht über diese ganzen Kerle, die kleine Kinder vergewaltigen und missbrauchen, berichten und mich damit beschmutzen und auch noch die Umwelt damit verschmutzen.
Ich bin zu meinem Redaktionsleiter und hab' ihm das so gesagt. Das war eben letzten Endes doch nicht meins. Ich kann unter Druck schon arbeiten, das muss man ja in dem Job. Aber das hat mich total gestresst, so dass ich auch irgendwann die Reißleine gezogen habe. Weil ich eigentlich so ein Mensch bin, der lieber länger an einer Sache arbeitet, dann ist es profund und rund.
Eigentlich würde ich am liebsten lange Filme machen. Zum Beispiel die Sendung „Typisch“, das ist ein Portrait-Format von einer halben Stunde, da hatte ich mal die Möglichkeit, ein Portrait zu machen, das sind so meine Sachen. Oder „Land und Leute“, so eine viertelstündige Sendung, die ich auch gerne redaktionell mit vorbereite.
Hatte sich für dich die Wende angekündigt?
Zu dem Zeitpunkt war ich schon nicht mehr in der Schule, da war ich in meinem Volontariat. Während des Abiturs hab' ich da auch noch nichts mitbekommen, ehrlich gesagt. Vielleicht hab' ich da meine Antennen auch woanders hin ausgestreckt, da ging es mehr um Jungs, am Wochenende in die Discos gehen und so etwas alles. Dann während meines Volontariats-Jahres beim Rundfunk der DDR in Berlin, da zeichnete sich doch schon Einiges ab. Da wurde schon anders diskutiert, da wurde teilweise auch schon mal ein scharfer Ton angeschlagen, also von unserer Seite, von Seiten der Volontärinnen und Volontäre, die schon mal härter nachgefragt haben.
Wir haben natürlich verfolgt, was damals in der Sowjetunion in Moskau passiert ist, mit Gorbatschow, Perestroika und so weiter. Das waren ja durchaus Begriffe, die immer mehr zu uns herüberschwappten, die haben natürlich immer wieder Diskussionen ausgelöst, auf jeden Fall. Da mussten die Hierarchen sich damals auch irgendwie einlassen. Die haben natürlich immer versucht, das irgendwie abzuwiegeln oder nicht so ganz ernst zu nehmen. Ich war zu dem Zeitpunkt nicht so ein politisch denkender Mensch, obwohl man das vielleicht bei einem Journalisten in spe erwarten könnte.
Aber zum Thema Reisefreiheit zum Beispiel, da kann ich mich an eine Geschichte erinnern. Von einer Tante habe ich als Kind eine Karte aus Barcelona bekommen, mit einer Frau und einem gestickten Kleid drauf, mit Stoff gearbeitet, so eine richtig schöne Karte. Die hab' ich mir in ein Regal in meinem Zimmer gestellt, die hatte einen ganz besonderen Platz. Die hatte so ein schwarz-rotes Kleid an und eine weiße Bluse und Kastagnetten. Da dachte ich, wow, Spanien muss doch toll sein, da möchte ich mal hin, wenn die so aussehen. Und ein ganz großer Traum von mir war auch Amerika, ich will irgendwann in meinem Leben wenigstens einmal in Amerika gewesen sein. Und diesen Traum hab' ich mir 1992 erfüllt und bin mit ein paar Freundinnen vom Studium damals nach Florida gereist. Es war natürlich schon ein Kulturschock, aber es war jetzt auch nicht so nachhaltig, dass ich danach gedacht habe, ich müsste da nochmal hin oder so.
Was würdest du im vereinten Deutschland aus der DDR haben wollen?
Als ich damals in der fünften Klasse, als meine Eltern sich scheiden ließen, leistungsmäßig total abfiel, auch gerade in Mathematik und in den naturwissenschaftlichen Fächern, sogar in Deutsch, da ist mein Klassenlehrer zu meiner Mutter nach Hause gekommen und hat gesagt, ich glaube, Gritt braucht Hilfe, und ich würde mich bereit erklären, ihr Nachhilfe-Unterricht geben. Toll, oder!? Die Lehrer haben sich echt gekümmert, ein Besuch zuhause, das war gang und gäbe, eigentlich mindestens ein- oder zweimal im Jahr. Die Eltern kamen auch nicht unbedingt in die Schule. Klar, wenn die Kinder was ausgefressen hatten oder so, dann wurden die Eltern auch schon mal in die Schule bestellt. Aber sonst kam der Lehrer an sich nach Hause. Das Schulsystem der DDR hätte man eigentlich so wie es war übernehmen können. Es wird immer noch zu wenig in Bildung investiert.
Man hat der Bildung in der DDR auf jeden Fall einen hohen Stellenwert eingeräumt, das würde ich auf jeden Fall unterschreiben. Wir sind schon in meiner Schulzeit eigentlich regelmäßig ins Theater gegangen und haben uns so Sachen wie „Der Kaukasische Kreidekreis“ angesehen, von Brecht, und die „Dreigroschenoper“. Wir sind ins Berliner Ensemble, ins Maxim-Gorki-Theater und in die Staatsoper gegangen, „Entführung aus dem Serail“ und so 'was alles. Aber das lag vielleicht auch daran, dass die Mutter einer Schülerin aus meiner Klasse bei der Komischen Oper Kostümbildnerin war, und die hat uns dann öfter mal Karten besorgt. Das haben wir gerne angenommen.
Positiv erwähnenswert ist auch die Sicherheit des Arbeitsplatzes oder der bezahlbare Wohnraum. Ich hab' mir das nochmal so vor Augen geführt: Was haben wir damals für eine Wohnung bezahlt? 75 Mark, DDR-Mark. Das war vielleicht ein Zehntel von dem, was man verdient hat. Heute bezahlt man ein Viertel von dem, was man verdient.
Und was die Arbeitswelt meiner Mutter angeht, die arbeitete an einem sehr exklusiven Arbeitsplatz. Sie hat als Änderungsschneiderin bei Exquisit-Moden gearbeitet in einem relativ großen Kollektiv. Das waren vielleicht sechs oder sieben Schneiderinnen, die zusammen in diesem Exquisit-Modegeschäft in Berlin am Alexanderplatz arbeiteten. Und ich kann mich noch genau daran erinnern, dass immer, wenn jemand krank war, wurde zu dem nach Hause gegangen, da wurden Blumen vorbeigebracht. Immer abwechselnd, da haben sie sich abgesprochen. Heute gehst du mal vorbei oder meldest dich oder so. Ich meine, Telefon gab's ja auch schon, man konnte auch telefonieren. Aber es war eigentlich immer schöner, wenn jemand vorbei gekommen ist, und das haben die auch gemacht.
Oder sie haben zusammen Geburtstage gefeiert, die haben auch wirklich so Privatsachen zusammen als Kollektiv gemacht, also nicht nur mal einzeln oder jeder für sich oder als Paar, sondern wirklich so als ganzes Kollektiv, auch Ausflüge. Aber ich weiß nicht, ob das jetzt staatlich befördert wurde, also ob das der Staat war, der dahinter stand, oder ob das wirklich eher so ein menschliches Phänomen war, was sich vielleicht aus den Nöten des Alltags ergeben hat.