Von der Kohlestadt zur Klima-Vorreiterin

Bottrop im Ruhrgebiet hat es geschafft, den CO2-Ausstoß innerhalb von nur zehn Jahren zu halbieren – und ist damit Vorbild für viele Kommunen.

Energiewende  |   4. September 2023   |   Bericht von Simone Schnase  |  Lesezeit: 3 Minuten

„Blauer Himmel, grüne Stadt“, so lautete vor 13 Jahren das Motto, unter dem der Initiativkreis Ruhr gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen einen Wettbewerb um den Titel „Innovation City“ startete. Nahezu alle Städte im Ruhrgebiet bewarben sich damals, um Energiestadt der Zukunft zu werden. Neben dem Renommee, vorbildliche Klimapolitik zu machen, wurden der Stadt mit dem innovativsten Konzept Investitionen in Höhe von zweieinhalb Milliarden Euro in Aussicht gestellt.

Gewonnen hat keineswegs eine der Ruhrgebiets-Metropolen Essen, Dortmund oder Duisburg, sondern das damals 117.000 Einwohner zählende Bottrop. „Gesucht wurde ein Projektgebiet, das möglichst gemischt sein sollte: Einfamilienhäuser, Mehrfamilienhäuser, Gewerbe. Und genau so ein Gebiet konnten wir aufweisen“, sagt Thorsten Albrecht, Sprecher der Stadt Bottrop.

Bei den rund 70.000 Bewohner_innen des potentiellen Projektgebietes sei dann die Werbetrommel gerührt worden: „Wir haben um Unterstützung und Mitwirkung geworben, auch in Form einer Unterschriftenkampagne, denn natürlich musste es auch Aufgabe der Anwohner sei, sich selbst zu beteiligen. Ohne das hätte das Ganze nicht funktionieren können.“ Die Unterstützung, so Albrecht, sei in der Bevölkerung groß gewesen, mehr als 20.000 Unterschriften kamen zusammen. Die Stadt bekam den Zuschlag – das Experiment „Innovation City“ konnte beginnen.

Die Menschen bei der Energiewende mitnehmen

Das Ziel des damaligen und heutigen Bottroper Oberbürgermeisters Bernd Tischler (SPD) war dabei von Anfang an eine „Energiewende von unten“. Er gründete einen Runden Tisch, an dem alle zwei Wochen die wichtigsten Akteure zusammenkamen: Vetreter_innen von  Wohnungswirtschaft, Industrie, Gewerbe und Handwerk, Hochschulen und Verwaltung, außerdem Politiker_innen und nicht zuletzt Bürger_innen diskutierten gemeinsam alle Schritte hin zum ambitionierten Ziel des Projekts: Die Halbierung des CO2-Ausstoßes innerhalb von zehn Jahren.

Viele kleine Schritte ließen das „Integrierte Klimaschutzkonzept“ der Stadt wachsen: So schulte Bottrop Klassensprecher_innen aller Schulen zum Thema Energie/Klima/Umwelt, um sie zu sensibilisieren und die Idee der Innovation City in die Schulen und Familien zu tragen.

Energieberater_innen suchten gezielt das Gespräch mit den Menschen. „Das war ein ganz wesentlicher Teil“, sagt Albrecht. „Denn viele Menschen dachten, sie müssten kostspielig ihre gesamten Häuser klimafreundlich sanieren. Dabei waren es sehr oft nur das Dach oder die Heizung, die erneuert werden mussten.“ Die Energieberatung hätte den Menschen aus dem Projektgebiet viele Ängste genommen, ihnen Wege aufgezeigt, schrittweise zu sanieren und dabei geholfen, Fördergelder von der Stadt oder vom Land abzurufen. Am Ende bestand das Mammutprojekt aus 241 Einzelprojekten.

Bürger_innen kostenlos und zentral beraten

Beraten wurden die Menschen kostenlos durch die „InnovationCity Managementgesellschaft“ (ICM) im neu gegründeten „Zentrum für Information und Beratung“. Dort wurden nicht nur die wichtigsten Fragen rund um Themen wie Fassadendämmung, Energieoptimierung durch Wärmekopplung, Photovoltaik, Fern- oder Erdwärme beantwortet, sondern auch ganze „Zukunftshäuser“ präsentiert, die nach ihrer Sanierung mehr Energie erzeugen als verbrauchen. Eigentümer_innen konnten sich dafür bewerben, um gemeinsam mit Initiativkreis-Mitgliedern aus der Industrie den dafür nötigen Umbau durchzuführen. So entstand zum Beispiel aus einem typischen Sechziger-Jahre-Einfamilienhaus ein Zukunftshaus unter der Federführung des Energieversorgungskonzerns RWE und mit Hilfe von mehr als 20 Unternehmen. Der Initiativkreis Ruhr ist ein Zusammenschluss der rund 70 größten und einflussreichsten Wirtschaftsunternehmen und Institutionen aus dem Ruhrgebiet.

Stadtverwaltung umgebaut

Gleichzeitig baute Oberbürgermeister Bernd Tischler den Bottroper Verwaltungsapparat um, damit die Flut an Bau- und Umbauprojekten organisiert werden konnten, richtete Stadtteilbüros ein und schaffte neue Förderrichtlinien, damit auch weniger große Projekte wie die „Zukunftshäuser“ unterstützt werden konnten. So konnte die klimafreundliche Sanierung höchst unterschiedlicher Bestandsgebäude wie Ein- und Mehrfamilienhäuser, Siedlungen, Reihenhäuser, Tankstellen, Schulen, Tennishallen, Supermärkte oder Gewerbebetriebe umgesetzt werden. Zur Gebäudesanierung kamen Fernwärmeausbau, Erneuerung der Straßenbeleuchtung und die Nutzung von Grubengas der ehemaligen Zeche „Prosper IV“ zur Strom- und Wärmeerzeugung hinzu.

Studien bestätigen Erfolge

Das renommierte Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie (WI), das das Innovation-City-Projekt wissenschaftlich begleitet hat, kam zu dem Ergebnis, dass Bottrop so innerhalb von zehn Jahren seinen CO2-Ausstoß nahezu halbiert hat, während im Vergleichszeitraum von 2010 bis 2020 in der gesamten Bundesrepublik die CO2-Emissionen lediglich um 23 Prozent zurückgegangen sind. Beide Zahlen gelten allerdings nur für die Emissionen von Gebäuden. Denn der Sektor Verkehr war nicht Teil des Projekts. Während sich ICM-Geschäftsführer Burkhard Drescher hier „mehr Fortschritt“ gewünscht hätte (siehe Interview), sagt Albrecht: „Das ist ein wahnsinnig kostenintensiver Bereich, der auf kommunaler Ebene eine große Herausforderung darstellt.“

Eine Zahl in der Projektbilanz sticht ins Auge: Bottrop hat laut WI- und ICM-Bilanz bis 2020 eine zehnmal höhere CO2-Reduktion im Bereich Arbeit und Industrie erreicht als der Bundesdurchschnitt. Dieses Resultat hat allerdings wenig mit dem gesamten Sektor zu tun, sondern vor allem damit, dass sich in Bottrop im gleichen Zeitraum eines der größten Klärwerke Europas vom Klimakiller Kohle verabschiedet hat und auf Solarstrom umgestiegen ist. Das WI urteilte in seinem Endbericht „Quantitative Wirkungsbilanz zu InnovationCity Ruhr – Modellstadt Bottrop“: Das gesetzte Ziel, die CO2-Emissionen in Bottrop innerhalb von zehn Jahren zu halbieren, sei „aus damaliger wie heutiger Sicht äußerst ambitioniert“ gewesen. „Nicht zuletzt deswegen kann das Projekt als ausgesprochen erfolgreich und beispielgebend bezeichnet werden.“

Modellprojekt schafft neue Arbeitsplätze

Und das gilt nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Wirtschaft. Denn das Modellprojekt hat für Investitionen lokaler Unternehmen und für viele neue Arbeitsplätze in Bottrop gesorgt, so das Ergebnis des Ruhr-Forschungsinstituts für Innovations- und Strukturpolitik, das im Auftrag der ICM untersucht hat, welche regionalwirtschaftlichen Effekte das Pilotprojekt auf die Stadt hatte. Zudem werden in der ehemaligen Bergbau-Stadt bis heute jedes Jahr dreimal so viele Gebäude modernisiert wie im deutschen Durchschnitt. „Man kann Bottrop durchaus als Blaupause für andere Kommunen in Deutschland bezeichnen“, sagt Thorsten Albrecht. Und in der Tat: Das ICM ist längst nicht mehr nur dort aktiv, sondern berät mittlerweile Projekte in ganz Deutschland bei der Umsetzung der Energiewende von unten.

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