Früher grau, heute grün

Der Geschäftsführer des „Innovation City Management“ Burkhard Drescher erklärt, wie Bottrop ausgezeichnete Klimastadt geworden ist.

Energiewende  |  4. September 2023  |   Interview von Harff-Peter Schönherr  |   Lesezeit: 5 Minuten

Bottrop war lange vom Steinkohlenbergbau geprägt, von der Konzentration auf einen fossilen Energieträger. Seit 2010 profiliert sich die Stadt als Vorreiterin der Energiewende und der Klimakrisen-Resilienz. Umgesetzt wird das Projekt „InnovationCity Ruhr - Modellstadt Bottrop“ durch die Innovation City Management GmbH (ICM). Wie hat das alles angefangen?

Burkhard Drescher: Das Projekt wurde vom Initiativkreis Ruhr ins Leben gerufen, einem Zusammenschluss der Wirtschaft hier im Ruhrgebiet. Der Gedanke war, eine „Klimastadt“ zu realisieren. Damit sollte ein Beitrag zum Strukturwandel geleistet werden, weg von der Kohle. Es gab einen Wettbewerb, und alle Städte des Ruhrgebiets konnten teilnehmen. Bottrop machte unter 16 Städten das Rennen, auch dadurch, dass es gelang, hier so viele Bürger_innen für dieses Thema zu aktivieren. Unterschriften wurden gesammelt; am Ende waren es 20.000 für ein Bottrop von morgen.

Was war das Ziel des Projekts?

Im Pilotgebiet, dem innenstädtischen Kern von Bottrop, 70.000 Einwohner groß, sollten die CO2-Emissionen halbiert werden. Das ist auch gelungen. Anfang 2021 war das Ziel erreicht. Das haben Evaluationen ergeben, unter anderem wissenschaftlich bestätigt durch das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie.

Ohne die Bereitschaft der Bürgerschaft, sich auf diesen Prozess einzulassen, hätte das sicher kaum funktioniert?

Bereits in der Wettbewerbsphase haben Oberbürgermeister und Rathaus stark um Zustimmung für eine Kandidatur geworben. Bekannt war, dass 2018 in Bottrop die letzte Zeche schließen würde; 6.000 Menschen waren damals noch im Kohlebergbau tätig. Dass die Stadtspitze so demonstrativ dafür stand, den Strukturwandel zu organisieren, hat den Nährboden für eine positive Grundstimmung geschaffen. Das war eine ideale Grundlage für unser Vorhaben. Der ICM-Ansatz einer Energiewende von unten nimmt alle mit: Stakeholder aus Politik und Wirtschaft und die Öffentlichkeit. Am Ende sind 241 Projekte realisiert worden, erarbeitet nicht zuletzt in Bürgerwerkstätten.

Das reicht von der Regenwasserbewirtschaftung bis zum Solaratlas. Und der Prozess ist noch nicht abgeschlossen.

Derzeit entwickeln wir einen Masterplan dafür, wie Bottrop bis 2035 klimaneutral wird. Dafür reicht es nicht, Energie einzusparen und regenerativ zu erzeugen; dazu muss auch Treibhausgas kompensiert werden, durch Begrünung des Stadtraums, von Fassaden und Dächern. Entscheidend ist, dass wir einer Systematik folgen, die sich fundamental von dem unterscheidet, was auf Bundesebene geschieht. Bei uns geht es nicht darum, wie Strom von der Nordsee nach Süddeutschland kommt. Wir beginnen bei der kleinsten Einheit, dem einzelnen Haus. Erst dann geht es auf die nächsthöheren Ebenen, auf das Quartier, auf die Gesamtheit einer Stadt.

Wie haben Sie die „Energiewende von unten“ gestaltet?

Rund 12.000 Menschen sind zu unseren Veranstaltungen in Bottrop gekommen. Es wurden mehr als 4000 Energieberatungen durchgeführt und mehr als 30 Prozent aller Einzeleigentümer_innen beraten. Unsere Energieberater sind von Haus zu Haus gegangen, haben individuell erklärt, wie man die Haushaltskasse entlasten kann, durch energetische Modernisierungen auch im Altbestand – auf Bundesebene wird ja immer auf den Neubau fokussiert. Wir haben gemeinsam mit den Leuten geprüft, welche Maßnahmen möglich sind, wann sie sich rechnen. Das war eine sehr direkte, niedrigschwellige Ansprache. Sie war der entscheidende Treiber, und diesen Weg werden wir weitergehen. Viele sind ja extrem interessiert an dem Thema, und die zentrale Frage dabei ist immer: Was kostet das alles?

Wie einzigartig ist die Systematik, die Sie für Bottrop entworfen haben?

Wir haben den Ansatz der Energiewende von unten selbst entwickelt, als Modell in Bottrop, und später ausgerollt auf mittlerweile mehr als 30 Kommunen. Und er funktioniert. Ein Beispiel: Bottrop hat, pro Kopf gerechnet, die höchste Photovoltaikdichte aller Großstädte in Nordrhein-Westfalen.

Die Innovation City Management GmbH (ICM) ist im Rahmen des Projekts „Innovation City Ruhr“ im Ruhrgebiet in Deutschland entstanden. Das Projekt wurde im Jahr 2010 ins Leben gerufen, um die ehemalige Industrieregion in eine Modellregion für nachhaltige Innovationen zu transformieren. Es zielte darauf ab, innovative Lösungen in den Bereichen Energieeffizienz, Mobilität, Wohnen und Arbeit zu entwickeln und umzusetzen. Die Modellstadt Bottrop war das erste Projekt. Das erfolgreiche Konzept wurde auf weitere Städte übertragen. Mittlerweile ist ICM bundesweit in der nachhaltigen Stadtentwicklung aktiv und hat mehr als 50 Kommunen in ganz Deutschland beraten.

Mittlerweile ist das ICM-Konzept nachhaltiger Stadtentwicklung auf weitere Städte und Kommunen übertragen, deutschlandweit, von Hamburg bis Krefeld, von Hannover bis Stuttgart, von Osnabrück bis Frankfurt am Main. Sogar in Berlin waren Sie vertreten, mit einer Servicestelle für energetische Quartiersentwicklung, im Auftrag der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz. Haben Sie mit einem solchen Erfolg gerechnet?

Nein. Am Anfang gab es nur das Projekt „Innovation City Bottrop“. Aber das hat sich schnell ausgeweitet. Mir ist das Thema zur Herzensangelegenheit geworden. Mittlerweile sind wir mehr als 60 Mitarbeitende, darunter Sanierungsmanager_innen und Energieberater_innen – begonnen haben wir 2010 mit weniger als zehn.

Seit zwölf Jahren entwickelt das ICM solche Innovations-Projekte. Das erfordert gute Kontakte, ein tragfähiges Netzwerk. Hilft Ihnen dabei Ihre Erfahrung als Politiker?

Ich habe Kommunalerfahrung, als ehemaliger Oberstadtdirektor, später dann Oberbürgermeister von Oberhausen. Zudem war ich CEO in der Immobilienwirtschaft. Beides ist sicher nützlich. Ich weiß, wie eine Kommune denkt, wie die Wirtschaft denkt. Das sind zwei völlig verschiedene Welten, die völlig unterschiedliche Sprachen sprechen. Da kann ich meine Dolmetscherfähigkeiten einbringen.

Wie finanziert sich das alles?

Anfangs waren wir eine gesponserte Projektgesellschaft. Das lief über Mittel des Landes, über den Etat der Städte, über die örtliche Wirtschaft. Seit 2022 befinden wir uns in einem Transformationsprozess zur eigenwirtschaftlichen Beratungsgesellschaft.

Bei einem Modellprojekt wie dem in Bottrop gibt es ja stets auch Rückschläge. Auf welchem Feld sind Sie nicht so gut vorangekommen wie erhofft?

Bei der Mobilität. Die haben wir zunächst ausgeklammert, auch bei der Treibhausgasbetrachtung. Das Pilotgebiet liegt zwischen den Autobahnen A42 und A2, und auf die haben wir keinen Einfluss. Ich hätte mir schon gewünscht, dass wir beim Thema Mobilität weiterkommen.  Mit dem neuen Masterplan wollen wir dieses Thema aber stärker in den Fokus nehmen.

Auch beim Radverkehr ist Bottrop noch verbesserungsbedürftig?

Auch da hätte ich mir mehr Fortschritt gewünscht, so wie wir ihn bei den Plus-Energie-Häusern gehabt haben, die mehr Energie erzeugen als ihre Bewohner_innen verbrauchen. Um eine radikale Verkehrswende hinzubekommen, bräuchten wir richtige Fahrradautobahnen, quer durch die Stadt. Das Thema Mobilität ist politisch schwierig, weil in den meisten Köpfen das Auto noch immer Priorität hat. Aber wir geben nicht auf.

Wie lautet Ihr Zwischenfazit für Bottrop?

Die Leute haben gesehen: Strukturwandel ist mit einer Energiewende von unten möglich. Es wird hier zwar keine Kohle mehr produziert, wodurch Jobs entfallen sind – die hat die Energiewende aber wieder geschaffen. Und Bottrop hat die niedrigste Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet. Die Energiewende ist nicht nur ein Imageträger, durch sie entstehen auch neue Arbeitsplätze.

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