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Migrationsgeschichte steht an der Schnittstelle unterschiedlicher methodischer Debatten und epochaler Zugangsweisen, sie hat sich von ihrem Ringen um Anerkennung emanzipiert, das anfangs noch stark davon geprägt war, mögliche „Leistungen“ der aufnehmenden Länder oder der Migrierenden betonen zu müssen.
Migrationssysteme Der Begriff des Migrationssystems ist in der Forschung seit langem etabliert und bezeichnet nach unserem Verständnis nicht mehr als über längere Zeiträume stabile Verknüpfungen zwischen (Welt-) Regionen durch Mobilität. Die im 15. Jahrhundert einsetzende Bewegung von Europäer:innen in die beiden Amerikas sowie in Kolonien in anderen Weltregionen bildete bis in die 1950er-Jahre hinein ebenso ein solches Muster wie der „schwarze Atlantik“, also die jahrhundertelange Verschleppung von Afrikaner:innen nach Lateinamerika und in den Süden der (späteren) USA bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. „Systeme“ der Migration sind nicht an die Freiwilligkeit der Migrierenden gebunden. Vielmehr wäre es wünschenswert, auch die in der jüngeren Forschung prominent behandelten und nicht zuletzt zahllose Migrierende aus Asien betreffenden Schuldknechtschaftsverhältnisse einzubeziehen. Deren de jure aber nicht immer de facto befristeter Charakter spricht die temporäre Dimension der Migration an, die nicht dauerhaft sein musste. Uns interessieren Rückwanderungsbewegungen ebenso wie saisonale Muster, gleich ob sie von Erntezyklen gesteuert waren oder von Aufenthaltsbestimmungen, deren Bedeutung z.B. bei den in Deutschland tätigen Pflegekräften aus Osteuropa offensichtlich ist. Auf der einen Seite verlangt die Frage nach Mustern die Einbeziehung der demo-ökonomischen Situation in den Ausgangsregionen und der unterschiedlich regulierten Arbeitsmärkte in den Zielregionen. Dadurch kommt der Staat als wichtige Lenkungsinstanz in den Blick, die angemessen zu berücksichtigen sein wird, ohne dass Migrationspolitik das primäre Interesse des Bandes ist. Auf der anderen Seite aber gilt es die Akteur:innen in den Blick zu nehmen, welche die Bewegung zwischen Ausgangs- und Zielregion organisieren, formal oder informell, legal, semilegal oder illegal. Nur in der Zusammenführung beider Seiten wird man z.B. die über lange Zeiträume stabile Rekrutierung von in Europa und Nordamerika tätigen Care-Arbeiterinnen aus der südostasiatischen Inselwelt verstehen können.
Wege, Transportmittel, Netze Die zuletzt angesprochenen Akteur:innen leiten über zu den Transportmitteln, die den Migrierenden zur Verfügung standen, den Wegen, die sie nutzten, und den Netzen, die sie unterstützten oder in denen sie gefangen blieben. Fußwege sind bis in die Gegenwart wichtig (und ihre Kenntnis ein Schlüssel des illegalen Grenzübertritts), aber der Schiffsverkehr, Eisenbahn- und Luftverkehrsverbindungen haben die Infrastruktur des Migrierens grundlegend verändert. Häfen, Bahnhöfe und Flughäfen sind zu zentralen Relaisstationen geworden, die indessen nicht allein als Schnittstellen zwischen verschiedenen Abschnitten der Migration fungieren, sondern häufig genug Letztere blockieren, weil seuchenpolizeiliche Vorschriften Quarantänen erzwingen oder asylrechtliche die Zwangsunterbringung in zum Teil extraterritorialen Unterkünften nach sich ziehen. Der damit angesprochenen Spannung zwischen Mobilisierung und Immobilisierung gilt das besondere Augenmerk des Bandes und macht zugleich deutlich, dass Ausgangs- und Zielregionen auch dann keine eindeutigen Anfangs- und Endpunkte von Migration bilden, wenn sie nicht – wie im Falle der Wanderarbeit – ohnehin auf das Engste verknüpft bleiben.
Erfahrungen, Wissen und Konflikte Vor allem ist bei der Ankunft oft gar nicht klar, ob ein Ort – in der Regel eine Stadt – zum Endpunkt wird oder auch nur werden soll. Zeithorizonte, die von etwaigen Rückkehrwünschen maßgeblich mitbestimmt werden, prägen aber auch die Strategien von Migrierenden, die nicht zufällig häufig in Gastronomie und Handel Fuß zu fassen suchen. Solche Strategien gilt es systematischer zu erforschen und dabei die Bedeutung von ethnisch und oder religiös definierten Netzwerken einzubeziehen. Nicht zuletzt interessiert uns, welche Teilhaberechte inkl. des Wahlrechts wann eingeklagt werden und welche Reaktionen in der Mehrheitsgesellschaft zu beobachten sind. Die Teilhabe am Arbeitsmarkt wurde Migrierenden vonseiten der ansässigen Arbeiterschaft nicht selten verwehrt, eine ständige Herausforderung für gewerkschaftliche Organisationen, zumal die Arbeitgeberseite sich oft genug ethnisch oder rassistisch diskriminierter Gruppen als Streikbrecher bediente. Neben dem Arbeitsmarkt ist der Wohnungsmarkt ein besonders konfliktträchtiges Feld, auf dem gelegentlich auch aufscheint, dass Migration nicht durchgängig ein Armutsphänomen darstellt. Die nach Georgien geflüchteten Russen werden in Tiflis gelegentlich auch deshalb skeptisch beäugt, weil sie ob ihrer weit überdurchschnittlichen Berufsqualifikation sehr hohe Mieten bezahlen können.
Auf der Tagung, die am 23./24. Oktober 2023 in den Räumlichkeiten der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn stattfinden wird, möchten wir Beitragsideen, Themenangebote und gemeinsame Fragen des hier skizzierten Rahmenthemas des Archivs für Sozialgeschichte 64 (2024) entwickeln. Teilnahme im Einzelfall nach Anmeldung möglich.
Begrüßung und Einführung in die Tagung
Philipp Kufferath, Bonn
Migration in der Moderne – Systeme, Wege, Erfahrungen, Konflikte
Thomas Kroll, Jena/Friedrich Lenger, Gießen
Panel 1: Perspektiven. Moderation: Claudia Gatzka, Freiburg
Jenseits von Ankunft und Arbeit. Forschungsperspektiven für eine Sozialgeschichte des Einwanderungslandes
Stefan Zeppenfeld, Bochum
Ankommen und Bleiben im ländlichen Raum. Neue regionalgeschichtliche Perspektiven auf die Migrationsgeschichte
Jens Gründler/Christoph Lorke, Münster
Angekommen? Transit als notwendige Perspektive einer modernen Migrationsgeschichte
Swen Steinberg, Kingston/Washington
Panel 2: Systeme. Moderation: Friedrich Lenger, Gießen
Dynamics of Migration in Africa: Nigerian Experiences
Lucky Igohosa Ugbudian, Ebonyi/Bern
„Riesige Personenzahlen, die nach Europa zurückzukehren beabsichtigen“: Transatlantische Rückwanderungen von Buenos Aires und New York um 1900
Agnes Gehbald, Bern
Bildungsmigration im langen 20. Jahrhundert. Konflikte um ausländisches Wissen in der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen
Olga Sparschuh, München/Wien
Panel 3: Zugehörigkeiten. Moderation: Anja Kruke, Bonn
Empire’s Children? Child Migrants Voicing Identity and Belonging, 1869–1970
Susanne Quitmann, München
„Du bist, was du fährst“. Automobil, Arbeitsmigration und sozialer Status in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Eva Maria Gajek, Köln/Bettina Severin-Barboutie, Clermont Auvergne
Panel 4: Wege. Moderation: Meik Woyke, Hamburg
Alle Wege führen nach Deutschland? Pendelrouten (süd-)osteuropäischer Migrant:innen
Lumnije Jusufi, Berlin/Jana Stöxen, Regensburg
Bahnhofsquartiere westdeutscher Großstädte als Räume des Ankommens und der Migration in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
David Templin, Osnabrück
Panel 5: Konflikte. Moderation: Kirsten Heinsohn, Hamburg
Geflüchtet und (vor-)verurteilt. Die Migration jüdischer Wissenschaftler:innen in die Türkei in den 1930er und 1940er Jahren
Sebastian Willert, Leipzig
Migration – Krieg – Genozid. Zur Migrationserfahrung in autobiographischen Texten von Überlebenden des Tutsizids
Anne D. Peiter, Réunion
Panel 6: Urbane Erfahrungen. Moderation: Philipp Kufferath, Bonn
Migration erzählen. (Post)migrantische Perspektiven auf die Stadtgeschichte
Andrea Althaus/Linde Apel/Jana Matthies, Hamburg
Migrants and the Animosity of the Urban Metropole. Faith-based initiatives for Migrants in Brussels, 1970–1990
Stijn Carpentier, Leuven
Moderation: Thomas Kroll, Jena
Abschlussdiskussion
Die neueren Jahrgänge der Zeitschrift sind ein Jahr nach Erscheinen online frei verfügbar weiter
Aktuelle Besprechungen von Neuerscheinungen zur Sozialgeschichte und zu weiteren Themen weiter
Alle seit 1961 erschienenen Bände des AfS stehen in retrodigitalisierter Form zur Verfügung weiter
In der Reihe Einzelveröffentlichungen aus dem Archiv für Sozialgeschichte werden Aufsätze aus den Rahmenthemen publiziert.
In der ReiheBeihefte zum Archiv für Sozialgeschichte erscheinen vorwiegend Quelleneditionen mit Dokumenten zur Geschichte der Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung sowie zur Zeitgeschichte.