Mit Car-Sharing und E-Bike unterwegs im ländlichen Raum

Im baden-württembergischen Ortenaukreis haben sich 14 Kommunen zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, um Impulse für eine klimafreundliche Mobilitätswende zu geben.

Mobilität  |   1. Dezember 2023   |   Bericht von Simone Schnase  |  Lesezeit: 3 Minuten

Elektromobilität, Car-Sharing, Radwege, ein flächendeckender öffentlicher Personennahverkehr sowie die Anbindung an den Fernverkehr der Bahn: Konzepte für eine klima- und umweltfreundliche Verkehrspolitik gibt es reichlich. Beim Thema Mobilitätswende herrscht allerdings ein Stadt-Land-Gefälle, das auch durch Anreize wie das 49-Euro-Ticket nicht aufgehoben werden kann. Denn wo kein Bus fährt und wo kein Bahnhof ist, nützt selbst das günstigste Ticket wenig. Selbst wenn ein Dorf oder eine Kleinstadt es geschafft haben, ein gutes Verkehrskonzept zu installieren, sind der Arbeitsplatz, der Hausarzt oder der Sportverein im nächsten Ort – und dort fährt dann kein Bus mehr.

Es ist ein Dilemma, dem vielerorts mit Resignation begegnet wird. Einen anderen Weg gegangen sind 14 Kommunen in der Ortenau, dem mit 1.861 Quadratkilometern flächengrößten Landkreis Baden-Württembergs. Sie arbeiten gemeinsam und regional vernetzt im „Mobilitätsnetzwerk Ortenau“ an nachhaltigen Mobilitätsangeboten. Gegründet wurde dieses bundesweit erste und bisher einzige Netzwerk seiner Art im Jahr 2019 von den Gemeinden Appenweier, Friesenheim, Gengenbach, Kehl, Lahr, Neuried, Offenburg, Rheinau, Schutterwald und Willstätt. Im Jahr 2022 sind ihm außerdem Achern, Oberkirch, Schwanau und Seelbach beigetreten.

Klimafreundlich fortbewegen auf dem Land

Ziel des Netzwerks: Bürger_innen sollen sich mit Hilfe von E-Bike und Car-Sharing einfach und klimafreundlich sowohl in ihrer Kommune als auch zwischen ländlichen und städtischen Zentren fortbewegen können. Für sein innovatives Projekt wurde das Netzwerk vor zwei Jahren im Rahmen des Wettbewerbes „Gemeinsam erfolgreich. Mobil in ländlichen Räumen“ des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) ausgezeichnet.

Matthias Kaufhold war von Anfang an dabei: Erst als Stadtplaner bei der Stadt Kehl und mittlerweile als Leiter des Sachgebiets Bauverwaltung und Stadtplanung in Oberkirch. „Es gab vor der Gründung zu wenig interkommunale Zusammenarbeit“, sagt er. „Dabei ist es viel effizienter, sich zusammenzutun.“ Bis das Netzwerk konkrete, also nach außen sichtbare Maßnahmen vorweisen konnte, bedurfte es allerdings erst einmal einiger Vorarbeit: In einer ersten konzeptionellen Phase mussten gemeinsam die Themenschwerpunkte der Kommunen identifiziert werden. In der anschließenden Arbeitsphase wurden dann, auch mithilfe des Beratungsunternehmens „endura kommunal“, das bis heute als Netzwerkmanager fungiert, die Grundlagen für die Umsetzung erarbeitet. „Das ging natürlich nicht ohne vielfältige Hilfe und Beratung“, sagt Kaufhold. „Aber daneben ist bei einem solchen Projekt auch Mut zur Fehlerkultur ganz wichtig, denn da es für unser Netzwerk wenig Vorbilder gibt, war unser Vorhaben teilweise durchaus auch ein Risiko.“

14 Kommunen handeln gemeinsam

Insgesamt dauerte es gut drei Jahre, bis sich das Netzwerk endlich an die Umsetzung machen konnte. Aber auch hier gab es noch eine Hürde zu überwinden: „Als loser Zusammenschluss durften wir nicht gemeinsam die geplanten Mobilitätsangebote für Bike- und Car-Sharing ausschreiben und zusammen nach einem geeigneten Anbieter suchen, der dasselbe Leihsystem innerhalb der Netzwerkgemeinschaft installiert – das ging mit der Rechtsform GbR nicht“, sagt Kaufhold. Also musste sich die Organisationsform des Netzwerks ändern.

Nun ist es seit 2022 eine Kommunalanstalt öffentlichen Rechts, kann als solche Ausschreibungen für alle 14 Kommunen tätigen und gemeinsam Fördermittel beschaffen, und auch die Antragstellung der Mitglieds-Kommunen ist dadurch deutlich erleichtert worden. Die Kommunalanstalt ermöglicht eine gemeinsam finanzierte Geschäftsstelle, beim Einsatz von Investitionsmitteln bleibt die Budgetkontrolle jedoch bei den einzelnen Kommunen. Unter ihnen werden die anfallenden Ausgaben des Netzwerks nach einem festen Schlüssel aufgeteilt. „Effizienter und auch kostengünstiger als in einem solchen Verbund kriegt man das nicht hin“, sagt Kaufhold.

Moderne Verwaltung: Arbeitsteilung unter den Gemeinden im Netzwerk

Inhaltliche Aufgaben wie die Formulierung von Vertragsentwürfen, die Erstellung von Ausschreibungsunterlagen etwa für Bauleistungen und die Vorbereitung der Öffentlichkeitsarbeit teilen sich die Netzwerkkommunen untereinander auf. „Das war auch für unsere politischen Entscheidungsträger neu, dass sie sich mit einer Vorlage befassen, die nicht von der eigenen Verwaltung, sondern in einer benachbarten Gemeinde vorbereitet wurde“, so Kaufhold. „Es zeigt aber, wie modernes Verwaltungshandeln aussehen kann und erleichtert vor allem den kleineren Gemeinden den Einstieg und die Umsetzung.“

Das Ziel: 150 Mobilitätsstationen mit E-Autos, E-Bikes und Lastenrädern

Stufenweise sollen nun in den Netzwerkkommunen in den nächsten Jahren rund 150 Mobilitätsstationen mit E-Autos, E-Bikes und Lastenrädern errichtet werden, 37 davon wurden bereits oder werden noch im Jahr 2023 aufgebaut. Damit erreicht das Mobilitätsnetzwerk Ortenau absehbar 15 Prozent des gesamten Landesziels Baden-Württembergs, das 1.000 solcher Stationen plant – obwohl der Kreis Ortenau lediglich 3,5 Prozent der Landesbevölkerung stellt. Die Räder können in jeder Netzwerk-Kommune geliehen und abgegeben werden, für Autos plant das Netzwerk ein ähnliches Prinzip: „Noch müssen die Fahrzeuge wieder an die Mobilitätsstation zurück, an der sie ausgeliehen wurden, aber unser Ziel ist, sie künftig auch zwischen den Stationen austauschen zu können“, sagt Matthias Kaufhold. Damit insbesondere der Radverkehr gefördert wird, hat sich das Mobilitätsnetzwerk außerdem langfristig zum Ziel gesetzt, das Radwegenetz zwischen den Kommunen zu sanieren und, wo nötig, auch auszubauen.

Planen und buchen mit der Mobilitäts-App

Im Sommer 2023 hat der Ortenaukreis die vom Netzwerk konzipierte Mobilitäts-App „Ortenau Mobil“ freigeschaltet, die parallel zum Ausbau des Mobilitäts-Angebots stetig weiterentwickelt werden soll. Mit ihr können Routen für geplante Reisen in der Ortenau erstellt und sowohl Tickets für den ÖPNV als auch für Leih-Räder gebucht werden. „Bei der Entwicklung der App wurden die Bürger direkt beteiligt“, sagt Kaufhold. „Das war ganz wichtig, damit sie so niedrigschwellig wie möglich funktioniert und wir nicht an den Bedarfen der Menschen vorbeiplanen.“ Auch sonst bezieht das Netzwerk die Bürger_innen ein, zum Beispiel in Oberkirch bei den „Oberkircher Mobilitätsgesprächen“, die seit Januar 2022 regelmäßig veranstaltet werden: Hier wurden und werden die wichtigsten Grundsteine für das Mobilitätskonzept der Kommune im Dialog zwischen Zivilgesellschaft, Politik, Verwaltung, Unternehmen und Mobilitätsexpert_innen gelegt und gemeinsam Maßnahmen priorisiert.

Kritik an Förderpolitik des Bundes

Die Grundfinanzierung des Mobilitätsnetzwerks erfolgt aus Fördermitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz sowie kommunalen Eigenanteilen. Letztere müssen auch für die laufenden Kosten aufgebracht werden: „Während sich das Car-Sharing trägt, muss das Bike-Sharing immer bezuschusst werden“, so Kaufhold. Sorgen um die Finanzierung macht er sich zwar keine, denn, so sagt er: „Die Ortenau ist im Bundesvergleich wirtschaftlich sehr gut aufgestellt.“ Dennoch kritisiert er die aus seiner Sicht in Teilen nicht nachvollziehbare Förderpolitik: „Komponenten wie Ständer an den Radstationen, die man fürs Bike-Sharing zwingend benötigt, gelten beispielsweise als Betriebskosten – und Betriebskosten werden nicht bezuschusst. Ladesäulen für E-Autos werden hingegen bezuschusst. Das ist technisch nur bedingt nachvollziehbar und gegenüber Gemeinderäten und der Öffentlichkeit nicht erklärbar“, sagt er. Vor allem für kleine und klammere Kommunen könne das zur Folge haben, dass sie an Projekten wie dem Mobilitätsnetzwerk nicht teilnähmen: „Hier sind Bund und Länder in der Verantwortung.“ Loben müsse man aber auch, dass kritische Anregungen zu Förderprogrammen im Stuttgarter Verkehrsministerium ernstgenommen und dort nach Lösungen gesucht werde, so Kaufhold.

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