Die Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung geben Auskunft über die Verbreitung, Entwicklung und Hintergründe rechtsextremer, menschenfeindlicher und antidemokratischer Einstellungen in Deutschland. Seit 2006 gibt die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) etwa aller zwei Jahre eine neue Ausgabe der „FES-Mitte-Studie“ heraus. Seit 2014 ist dafür von wissenschaftlicher Seite das Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld verantwortlich. Entwickelt wurde dieses Konzept gemeinsam mit den Wissenschaftler_innen um Brähler/Decker an der Universität Leipzig. Seit 2014 arbeitet die FES mit dem IKG zusammen und konnte so das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) in die Reihe der Mitte-Studien integrieren und weiterentwickeln, das zuvor von 2002-2010 im Rahmen der Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ untersucht wurde.
Im 2-Jahres-Rhythmus wird eine repräsentative Bevölkerungsumfrage durchgeführt. Nach einem wissenschaftlich anerkannten Prinzip wird dazu eine Stichprobe gezogen, die in ihrer Sozialstruktur (u.a. hinsichtlich Geschlecht, Alter, Bundesland und Bildungsstand) ungefähr der deutschen Wohnbevölkerung entspricht; sie also ein Abbild der Gesellschaft darstellt. Durch die Befragungssituation am Telefon ist die Hemmung, offen zu antworten, unter Umständen etwas höher als bei einer schriftlichen Befragung. Die berichteten Einstellungen sind daher eher als konservative Schätzung zu verstehen und fallen in anderen Umfragen teilweise höher aus. Die Ergebnisse aus dem aktuellen Erhebungszeitraum 2022/23 beziehen sich - wie schon in der Mitte-Studie 2020/21 - nicht nur auf Personen mit deutschem Pass, sondern auf die gesamte Wohnbevölkerung. Dennoch stellen Deutschkenntnisse eine Zugangshürde zur Befragung dar, da es finanziell leider nicht möglich ist, in andere Sprachen zu übersetzen. Mehr zur Methodik finden Sie hier.
Die Mitte einer Gesellschaft kann unterschiedlich bestimmt werden. In den Mitte-Studien meinen wir nicht nur die politische Mitte, sondern alle Teile der Bevölkerung, die theoretisch eine vermittelnde und auch stabilisierende Kraft in der Demokratie sein können. Es geht also nicht vorranging um rechtsextreme Strukturen, Gruppierungen und deren Mitglieder. Vielmehr sollen vorherrschende Behauptungen und Vorstellungen der Ungleichwertigkeit von Menschen in den Blick rücken, die zwar individuell unterschiedlich ausgeprägt sein können, aber in der Ganzheit und Wechselseitigkeit nur zu verstehen sind, wenn deren Verbreitung und Entwicklung in der Mitte der Gesellschaft analysiert und aufgedeckt werden. Hier können wir aber nur messen, worüber die Befragten bereit sind, Auskunft zu geben.
Es gibt einige Studien, die sich mit antidemokratischen, menschenfeindlichen und rechtsextremen Einstellungen befassen. Konzepte wie der „Thüringen-Monitor“ oder Studien zu GMF wie in München oder Solingen, beziehen sich auf die Mitte-Studien, das „Populismusbarometer“ der Bertelsmann Stiftung untersucht ähnliches, es gibt mittlerweile den Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) des DeZIM und ähnliche Untersuchungen. Gleichzeitig entwickelten die Forscher_innen an der Universität Leipzig die sogenannten „Leipziger Autoritarismusstudien“ aus der Mitte-Zusammenarbeit heraus. Einstellungsforschung ist wissenschaftlich fundiert und erprobt und obwohl die verschiedenen Studien mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Methoden forschen, kommen sie doch oft zu ähnlichen Einschätzungen. Eine der Hauptforderungen der Mitte-Studien wird somit zur gelebten Demokratiepraxis: mehr Forschung und Analyse sorgt für mehr Debatte. Dazu tragen auch die Mitte-Studien gern weiter bei.
Nein. Die vorliegende Einstellungsforschung basiert nicht auf den einzelnen Antworten, sondern auf den Zusammenhängen und einem daraus resultierenden Muster der Antworten. So können wir zeigen, dass menschenfeindliche, rechtsextreme und antidemokratische Einstellungen nicht unabhängig voneinander bestehen, sondern miteinander verbunden sind. Wer also bereit ist, in einem Bereich abwertenden und diskriminierenden Aussagen zuzustimmen, tut dies wahrscheinlich auch in anderen Bereichen. Es braucht aber konstante Zustimmung zu mehreren Aussagen, um von einer manifest menschenfeindlichen, rechtspopulistischen oder rechtsextremen Einstellung sprechen zu können. Die einzelnen Aussagen werden in vielen anderen Studien ebenfalls eingesetzt und sind darauf geprüft, dass sie zuverlässig sind und das messen, was sie messen sollen.
Ausführlich erklärt in DLF Systemfragen vom 7.10.2024 "Ab wann ist jemand rechtsextrem?"
Nein. Der FOCUS behauptet z.B. fälschlicherweise, alle die „Ausländer“ sagen, würden von der Mitte-Studie als rechtsextrem eingestuft. Das ist natürlich nicht wahr. Wie Medien ihre Headlines wählen, liegt natürlich in deren Hand. Warum der Focus den Titel so gewählt hat, erschließt sich uns nicht, weil es im Text nicht weiter erklärt wird. Selbstverständlich sind wir nicht der Meinung, dass die Verwendung des Begriffes „Ausländer“ allein einen Aufschluss auf irgendwas gibt. In der Studie erfassen wir die Einstellungen gegen eine Gruppe, die als „Ausländer“ verallgemeinert herabgewürdigt wird und dies mit mehreren Aussagen aus rechtsextremen Milieus. Die Stiftung sowie die Wissenschaftler schreiben natürlich niemanden vor, wie zu reden sei, machen aber den Vorschlag, von herabwürdigenden Zuschreibungen wie irreführenden Begriffsbezeichnungen abzusehen.
Debattenkultur und Meinungsvielfalt sind wichtig, aber es muss dafür einen gesellschaftlichen Konsens geben, der auf Gewaltfreiheit und demokratischen Grundwerten basiert. Sobald Menschen abgewertet, in Gruppen sortiert und verallgemeinert werden oder Hass, Hetze oder klare Falschaussagen verbreitet werden, darf eine demokratische Gesellschaft nicht mehr tolerant sein. Meinungen dürfen nicht gleichgestellt werden mit Fakten und Hass ist nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. In den Mitte-Studien kann beobachtet werden, wie selbst klar rechtsextreme Aussagen Zustimmung finden. Dies darf nicht normalisiert werden.
Das stimmt so nicht. Die Mitte-Studie betrachtet vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte des Nationalsozialismus antidemokratische Einstellungen, welche sich aus einer Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen speisen. Und zwar zunächst einmal unabhängig davon, welchem politischen Lager sich die Befragten selbst zuordnen. Erst in einem zweiten Schritt prüfen wir empirisch, wer welche Einstellungen vertritt, und wo sich die Befragten politisch selbst verorten. Auch den Populismus erheben wir zunächst „politisch neutral“, müssen dann aber empirisch feststellen, dass er in Deutschland sehr eng mit einer Ungleichwertigkeitsideologie verknüpft ist, also überwiegend ein Rechtspopulismus ist.
Außerdem glauben wir, auch mit Blick auf die Gewalt- und Hasstaten, Terrorakte und Todesopfer rechter Gewalt, dass diese Herausforderung die größere für Deutschland ist und das sehen auch die Befragten überwiegend so, wenn sie Rechtsextremismus als größte Bedrohung für Deutschland markieren.
In diesem Jahr haben wir nun erstmal geprüft, inwieweit ideologisch rechte und linke Positionen tatsächlich in einer „Querfront“ vermischen. Hierfür haben wir zwei Aussagen zum Antikapitalismus bzw. zur Forderung nach Umverteilung genutzt, der als typisch für Linksextremismus gelten und in anderen Studien zu dessen Erfassung verwendet werden.
Bestimmte Begrifflichkeiten werden weiterhin benutzt, obwohl wir uns deren Wirkung und Historie bewusst sind. Zum Beispiel sprechen wir in unseren Texten von „Sinti_zze und Rom_nja“, während aber den Befragten am Telefon zum besseren Verständnis „Sinti und Roma“ vorgelesen wurde. Das gilt auch für das Gendern in den Fragen, im Text selbst versuchen wir geschlechtersensibel zu schreiben.
Die Begriffe „Ausländer“ und „Ausländerfeindlichkeit“ oder auch „Fremdenfeindlichkeit“ haben einen sprachlichen Wandel erfahren, dem wir in unseren Texten versucht haben gerecht zu werden. Der Anschlag von Hanau war nicht „fremdenfeindlich“, sondern „rassistisch“! Um die Vergleichbarkeit der Daten aber weiterhin zu ermöglichen, wurden die Konzepte für die Untersuchung nicht umbenannt, vielmehr gehen wir in den Texten auf die Schwierigkeiten mit den Begriffen ein.
Die Konzepte sind im ständigen Wandel und deren Grenzen fließend. Es gibt sehr unterschiedliche wissenschaftliche Definitionen und darüber hinaus noch die vom Verfassungsschutz und die umgangssprachlichen. In den Mitte-Studien sprechen wir von „Rechtsaußen“ als Sammelbegriff, differenzieren darunter dann „rechtspopulistisch“ (antipluralistisch und rechtsradikal), „rechtsextrem“ (gewaltförmig, verfassungsfeindlich und antidemokratisch) und „neurechts“ (sich vom Nationalsozialismus/Faschismus abgrenzend) als Beschreibungen von Einstellungsmustern und einzelnen Ausprägungen. In Abgrenzung dazu ist „rechtsradikal“ zwar tendenziell nationalistisch, gewaltaffin und autoritär, aber nicht notwendigerweise antidemokratisch im Sinne des Ziels, die Demokratie abschaffen zu wollen. Wie sehr all diese Konzepte miteinander verschwimmen, kann man an den Korrelationen in der Studie sehen. (siehe auch unser Glossar)