Landesbüro Nordrhein-Westfalen

Dienstag, 24.08.21 18:00 bis Dienstag, 24.08.21 20:00 - Online

Wie bildet sich gesellschaftliche Diversität in der Kulturarbeit und in den Kultureinrichtungen ab?


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Ob mit Blick auf Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft, Behinderung, sexuelle Orientierung, Weltanschauung oder Religion: Unsere Gesellschaft ist divers – keine Frage. Aber spiegelt sich diese Diversität auch im Kulturbetrieb wieder? Wer hat in Kultureinrichtungen das Sagen? Was ist eigentlich mit Diversität gemeint und wo sollte man ansetzen, wenn man sie fördern möchte? Und ist es nun ein Fortschritt, nicht nur weiße Menschen auf der Bühne zu haben und wo läuft man Gefahr beim Streben nach Diversität im Sinne eines gesellschaftlichen Trends oder des sogenannten „Tokenisms“ vielleicht doch wieder diskriminierend zu sein? Diese Fragen verdeutlichen, wie breit das Thema Diversität ist und wie schnell man sich in Details verlieren kann. Nichtsdestotrotz griff der kulturpolitische Reporter Peter Grabowski diese und andere Aspekte als Moderator der vierten Veranstaltung der Reihe „Kultur als Motor für gesellschaftlichen Fortschritt“ auf und regte zu einem konstruktiven Diskurs an.

„Dialog, Diskurs, Diversität.“ Diese im einleitenden Trailer der Veranstaltung hervorgehobene 3-D-Regel der Choreografin Andrea K. Schlehwein verdeutlichte bereits, dass Diversität immer auch das Gespräch darüber und die gegenseitige Anerkennung, also den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus, beinhaltet. Die im Zentrum der Veranstaltung stehenden Themen wurden bereits von Damian Jordan in der Begrüßung auf eine Frage heruntergebrochen: „Wer gibt denn in Museen, in Theatern und in anderen Kultureinrichtungen den Ton an?“

Daran anschließend gab Moderator Grabowski das Wort an den Kabarettisten Marius Jung weiter, den er als jemanden vorstellte, der „beide Seiten der Diskriminierungsmedaille kritisch hinterfragt“ und für den das „Werben um Respekt“ in einer immer diverser werdenden Gesellschaft im Zentrum steht. Direkt zu Beginn seines Impulsvortrags beantwortete Jung die einleitende Frage von Jordan, indem er hervorhob: „Das sind weiße Männer. Das Patriarchat ist immer noch eine wahnsinnige Kraft.“ Anhand von Anekdoten aus seiner Künstlerkarriere betonte er in dem Zusammenhang, dass Kultur – insbesondere im kommerziellen Sinn – ein Männerbetrieb und darüber hinaus nicht frei von rassistischen und diskriminierenden Ressentiments sei. So verwies er darauf, dass seine Kolleginnen aus der Kulturbranche häufig den Satz hören: „Sorry, wir haben schon eine Frau in der Show“. Anhand dessen prangerte er an, dass Diversität im Kulturbereich an manchen Stellen „nach einem Abhakprinzip“ stattfindet. Darüber hinaus erläuterte Jung, dass er selbst den Weg vom Schauspieler zum Kleinkünstler gemacht hat, weil „man als Mensch mit Migrationshintergrund nur Rollen bekam, auf denen ganz groß ‚Migrationshintergrund‘ stand“. Um diesen Herausforderungen, die sich aus seinen Beobachtungen ergeben, angemessen zu begegnen, müsse man laut ihm einen „konstruktiven Ansatz“ verfolgen: „Ich möchte, dass wir uns darüber Gedanken machen, was wir wollen, also wie wir miteinander leben wollen.“

Vor dem Hintergrund dieser von Jung erwähnten „Baustellen“ im Bereich Diversität bezog Grabowski die Referatsleiterin für Teilhabe, Interkultur, Soziokultur und Individuelle Künstlerförderung im Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, Catrin Boß, in das Gespräch ein. Sie erklärte: „Das, was das Thema ausmacht, ist die unglaubliche Komplexität“ und verwies auf fünf Bereiche der Diversitätsförderung im Kulturbetrieb: Programm, Publikum, Personal, PR-Arbeit und Partner. Gleichzeitig appellierte Boß im weiteren Verlauf der Diskussion daran, sich von der Komplexität nicht entmutigen zu lassen und forderte: „Fang einfach an! Fang mit einem Bereich der Diversität an und versuche, Erfahrungen zu sammeln und dich weiterzuentwickeln.“

Von Ulrike Seybold, Geschäftsführerin des NRW Landesbüros Freie Darstellende Künste, wollte Grabowski nun wissen: „Ist die Klientel der freien, darstellenden Künste auf der Bühne und dahinter so divers wie unsere Gesellschaft?“ Seybold bilanzierte deutlich: „Sie ist leider ganz klar nicht so weit wie unsere Gesellschaft“ und erläuterte, dass die Alters- und Geschlechterverhältnisse in der Branche zwar einigermaßen ausgeglichen, alle anderen Diversitätsmerkmale jedoch unterrepräsentiert seien. Auf einer strukturellen Ebene betonte sie mit Blick auf das Thema Diversität in Institutionen zudem die Wichtigkeit von „professionalisierten und bezahlten Positionen, die einen Blick darauf haben, Kommunikation stiften und vermitteln“.

Im weiteren Verlauf der Diskussion kristallisierte sich ein von Seybold angesprochenes Dilemma heraus, dass man einerseits Diversität – beispielsweise in Jurys – aktiv fördern, andererseits jedoch gleichzeitig das von Marius Jung kritisierte „Abhaken von Diversitätsmerkmalen“ verhindern möchte. Jung  unterstrich daraufhin, dass das bewusste Einladen von „Quotenleuten“ durchaus ein Fortschritt sein könne, wenn das zu mehr Diversität auf Podien führe, denn: „Die Leute müssen erstmal etwas bunteres sehen“. Der zweite Schritt müsse dann jedoch zwingend das eigene Hinterfragen sein: „Wo denken wir in Kästen, aus denen wir nicht rauskommen?“ „Wir müssen zunächst einmal unsere eigene Fehlbarkeit einräumen“, folgert Jung weiter und stellt darüber hinaus die Offenheit und das Aufdecken eigener Ressentiments in den Mittelpunkt. Fazit: Selbstreflexion statt Fundamentalismus.

Grabowski griff den Fundamentalismus-Begriff auf und fragte Catrin Boß mit Blick auf die vielen Partikularinteressen in der Diversitätsdebatte: „Fehlt uns ein bisschen das gegenseitige Wohlwollen? Und wie wollen Sie mit ihren Förderprogrammen versuchen, dieses Wohlwollen zu verstärken?“ Daraufhin gab Boß Einblicke in die Grundprinzipien ihres Referats und verriet: „Wir wollen uns gedanklich von Gruppen lösen, im Sinne eines Ziels, Diversität als Normalität zu verstehen.“ Als Beispiel für die konkrete Umsetzung dieses Querschnittsgedankens nannte sie den von ihrem Referat verwalteten Diversitätsfonds, mit dem „wir niemanden gegeneinander ausspielen“ und durch den verhindert werden solle, dass sich das in der öffentlichen Diskussion etablierte „‚Wir‘ und ‚Ihr‘ noch weiter zementiert“.

Dr. Fritz Behrens, Staatsminister a.D. und Präsident der Kulturstiftung NRW, fasste in seinem Schlusswort zusammen, dass es mit Blick auf das komplexe Thema Diversität eine Lösung sein könne, „Ängste vor Veränderung zu überwinden“ und neue Beispiele zu setzen. Als ein solches Beispiel für die Umsetzung von Diversität im Kulturbetrieb erinnerte er an Roberto Ciullis „Theater an der Ruhr“.

 

Text: David Schlingmann

Redaktion: Landesbüro NRW der Friedrich-Ebert-Stiftung

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Gesellschaft ist vielfältig, das ist nichts Neues. Menschen haben verschiedene nationale, soziale und ethnischer Herkünfte, gehören unterschiedlichen (oder keinen) Religionen an, haben unterschiedliche Geschlechter und sexuelle Orientierungen. Damit diese Vielfalt sichtbar ist, ist es wichtig, dass sie auch personell in der Öffentlichkeit und in Institutionen abgebildet wird. Eine angemessenere Repräsentation gesellschaftlicher Gruppen ist nicht nur gerecht, die Vielfalt in der Besetzung ist eine notwendige Voraussetzung für Pluralität von vielfältige Perspektiven in Diskussionen.
Wie spiegelt sich gesellschaftliche Diversität in Museen, Theatern und anderen Kultureinrichtungen oder Institutionen wieder? Wie repräsentieren die Programme, die Führungskräfte Intendant_innen, Schauspieler_innen und Künstler_innen die Vielfalt der Gesellschaft? Was ist in den letzten Jahren schon passiert und an welchen Stellen muss noch gearbeitet werden?



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18:00-20:00 Uhr

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