16 Frauen – 16 Jahrzehnte. Das weibliche Gesicht der Sozialdemokratie


Die Befreiung der Frau von politischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Bevormundung ist seit ihrer Gründung 1863 wesentliches Ziel der Sozialdemokratie. Genauso engagieren sich Frauen seit dem 19. Jahrhundert in der Sozialdemokratie und anderen Teilen der Arbeiter:innenbewegung.

Die Ziele dieses weiblichen Gesichts der Sozialdemokratie sind in den 160 Jahren ihres Bestehens grundsätzlich gleich; zugleich verändern sich die konkreten Themen und Formen entlang des gesellschaftlichen Wandels. Der Einsatz für ein demokratisches Wahlrecht und die Sicherung der Demokratie, der Kampf um soziale Gerechtigkeit oder das Eintreten für Geschlechtergerechtigkeit haben viele Facetten.

In der Ausstellung präsentiert die Friedrich-Ebert-Stiftung für jedes der vergangenen 16 Jahrzehnte eine Frau, die als Person und mit ihrem Lebensthema für die Geschichte der Sozialdemokratie stand und steht. Keines dieser Themen hat dabei an Aktualität verloren.

Verantwortlich

PD Dr. Stefan Müller
Leiter des Referats Public History
 

Abteilung
Archiv der sozialen Demokratie


Sophie Gräfin von Hatzfeldt (1805–1881)


„Die rote Gräfin“

Sophie von Hatzfeldt und Ferdinand Lassalle lernen sich Ende der 1840er-Jahre kennen, als Lassalle sie erfolgreich in ihrem Scheidungsprozess vertritt. Seitdem halten sie engen Kontakt und von Hatzfeldt unterstützt Lassalle finanziell. Nach Lassalles Tod im Duell 1864 sieht sich von Hatzfeldt als Sachwalterin seines Vermächtnisses.

Sie mischt aktiv in einer Männerwelt aus Politik und Vereinsmeierei mit. Sie gibt nicht nur Geld, sondern unterstützt ihr genehme Nachfolger als Präsidenten des 1863 von Lassalle gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV). Spaltungen der Organisation nimmt von Haztfeldt dabei bewusst in Kauf. Ihr Engagement wird von übelstem Antifeminismus begleitet. Karl Marx etwa bezeichnet sie als „Saumensch“. Als ihr Einfluss schwindet, zieht sie sich 1869 aus der Politik zurück.

  • Geboren am 10. Augst 1805 in Trachtenberg/Żmigród
  • 1822 Zwangsheirat mit äußerst reichem Vetter
  • 1848 Beteiligung an der Revolution
  • 1851 Scheidung von ihrem Mann
  • 1860–1863 Austausch mit Ferdinand Lassalle über die entstehende Arbeiterbewegung
  • Ab 1864 Verteidigerin der Ideen von Ferdinand Lassalle
  • 1867 Beteiligung an der Gründung des Lassalle‘schen Deutschen Arbeitervereins (LADAV)
  • Gestorben am 25. Januar 1881 in Wiesbaden

Julie Bebel (1843–1910)
 

„Buchhalterin ohne Gehalt"

Vom ersten Eindruck dürfen wir uns nicht täuschen lassen. „Eine liebevollere, hingebendere, allezeit opferbereitere Frau hätte ich nicht finden können“, beschreibt August Bebel seine Frau Julie. Leicht entsteht so das Bild der Politikergattin, die ihrem Mann den Rücken freihält. Doch Julie Bebel geht keineswegs in dieser Rolle auf.

Als ihr Mann August als politisch Verfolgter im Gefängnis sitzt, hält sie den Handwerksbetrieb am Laufen. Das jetzt von Julie Bebel geleitete Geschäft lasse „nichts zu wünschen übrig“, wie August schreibt. In einem Brief an Friedrich Engels wird sie von ihrem Mann als „Buchhalterin ohne Gehalt“ charakterisiert. Langfristig übernimmt Julie Bebel zahlreiche ehrenamtliche Aufgaben innerhalb der Partei. In die große politische Öffentlichkeit drängt es sie jedoch nie.

  • Geboren am 2. September 1843 in Leipzig
  • 1850er-Jahre Besuch der Volksschule, Arbeit als Putzmacherin
  • 1863 Teilnahme an Festen des Gewerblichen Bildungsvereins Leipzig
  • 1866 Heirat mit August Bebel in Leipzig
  • 1870er-Jahre Geschäftsführung des Drechslerunternehmens ihres Mannes
  • 1880er-Jahre Ehrenamtliche Arbeit für die verbotene Sozialistische Arbeiterparte (SAP)
  • 1890er-Jahre Mitgründerin des Bildungsvereins für Frauen und Mädchen in Berlin
  • Gestorben am 22. November 1910 in Zürich

Eleanor Marx (1855–1898)
 

Aktivistin für die Internationale

Muss man bei so einem Vater – Karl Marx – nicht für die Arbeiter:innenbewegung aktiv werden? Man muss selbstverständlich nicht, aber Eleanor Marx tut es. Obwohl ihr vom Vater die Beziehung zu einem französischen Sozialisten verboten wird, arbeitet sie eng mit Karl Marx zusammen. Sie schreibt Artikel für Zeitungen und übersetzt Bücher. Immer wieder zieht es sie – wie den Vater – in die Bibliothek des Britischen Museums.

Nach dem Tod des Vaters ist sie gemeinsam mit Friedrich Engels Nachlassverwalterin seines Werks. Doch auch politisch engagiert sich Eleanor Marx. Bei der Gründung der von sozialistischen Parteien 1889 initiierten „Zweiten Internationale“ ist sie beteiligt. Als Vertreterin britischer Gewerkschaften hält sie auf deren Konferenzen Vorträge. Immer wieder von privaten Krisen erschüttert, nimmt sich Eleanor Marx 1898 das Leben.

  • Geboren am 16. Januar 1855 in London
  • 1872 zu Gast auf dem Kongress der Ersten Internationale in Den Haag
  • 1880er- und 1890er-Jahre Verwaltung des Nachlasses ihres Vaters gemeinsam mit Friedrich Engels
  • 1881  Eintritt in die britische Social Democratic Federation
  • 1884 Mitgründerin der Socialist League in London
  • 1886 USA-Reise mit Wilhelm Liebknecht zur Unterstützung der in Deutschland verfolgen Sozialdemokrat:innen
  • 1889 Delegierte auf dem Gründungskongress der Zweiten Internationale in Paris
  • 1890er-Jahre Aktive Rolle in der englischen Gewerkschaftsbewegung
  • Gestorben am 31. März 1898, London

Clara Zetkin (1857–1933)

 

Kampf für das Frauenwahlrecht

Die Volksschullehrerin Clara Zetkin knüpft 1874 Kontakte zur Arbeiter:innenbewegung. Wegen des Verbots der Sozialdemokratie geht sie 1882 mit ihrem Lebenspartner Ossip Zetkin ins Exil, wo sie an der Gründung der Sozialistischen Internationale mitwirkt. Für Clara Zetkin sind die Emanzipation der Frau und die Befreiung der Arbeiter:innenschaft aus den ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, die der Kapitalismus erzwingt, untrennbar verbunden.

Clara Zetkin wird eine führende Persönlichkeit der proletarischen Frauenbewegung. Auf der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz 1910 in Kopenhagen initiiert sie den Internationalen Frauentag. Dieser wird erstmals im folgenden Jahr begangen. Der Frauentag dient dem Kampf für das Frauenstimmrecht, das die SPD seit 1891 fordert.

  • Geboren am 5. Juli 1857 in Wiederau (Sachsen)
  • 1874–1878 Ausbildung zur Lehrerin in Leipzig
  • 1878 Beitritt zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP)
  • 1882–1889 Exil in Paris
  • 1891 Übernahme der Redaktion „Die Gleichheit“
  • 1907 Sekretärin des Internationalen Frauensekretariats der Sozialistischen Arbeiterinternationale
  • 1910 Beschluss zur Einführung des Internationalen Frauentags auf der Internationalen Sozialistische Frauenkonferenz
  • 1919 Eintritt in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), bis 1933 KPD-Abgeordnete im Reichstag
  • Gestorben am 20. Juni 1933 in Archangelskoje bei Moskau

Rosa Luxemburg (1871–1919)

 

Theorie, Aktion und Bildung

Als „Meisterin des Wortes“ mit „starkem theoretischen Sinn“ und „fabelhafter Unerschrockenheit“ wird Rosa Luxemburg in der Rückschau vom sozialdemokratischen Theoretiker Karl Kautsky beschrieben. Während ihrer aktiven Zeit in der Sozialdemokratie ist diese Bewunderung allerdings weniger ausgeprägt.

Sie kritisiert, dass die Sozialdemokratie mit Reformen und praktischer Alltagsarbeit ihren marxistischen Kern preisgebe. Sie setzt dagegen auf den politischen Streik und die Spontanität der Bewegung. Gewerkschafter legen ihr dies als „Mißkreditierung der Gewerkschaftsarbeit“ aus. Ihre „Freude am Gefecht“ bringt Luxemburg zahlreiche Feinde ein. Aber nicht nur als Theoretikerin tritt Rosa Luxemburg auf. Sie sorgt für Stimmenzuwächse in den polnischsprachigen Gebieten und unterrichtet an der Parteischule.

  • Geboren am 5. März 1871 in Zamość (Russland/Kongresspolen)
  • 1893 Mitgründerin der polnischen sozialdemokratischen Zeitschrift „Sache der Arbeiter“
  • Seit 1895 Regelmäßige Teilnahme an Sozialistenkongressen der Internationale
  • 1897 Promotion an der Universität Zürich mit einer Arbeit über „Die industrielle Entwicklung Polens“
  • Seit 1899 Delegierte zahlreicher Parteitage der SPD
  • Seit 1907 Dozentin an der Parteischule der SPD in Berlin
  • 1914–1918 Mehrjährige Haftstrafen
  • 1918 Teilnahme am Gründungskongress der KPD
  • Ermordet am 15. Januar 1919 in Berlin

Luise Zietz (1865–1922)

 

„Willst du arm und unfrei bleiben?“

So lautet die Überschrift des von Luise Zietz verfassten „Aufrufs an die Frauen des werktätigen Volkes“ von 1919. Armut und härteste Arbeit kennt sie von Kindesbeinen an. Mit 14 Jahren arbeitet sie als Dienstmädchen, dann in einer Tabakfabrik, bis sie eine Ausbildung als Kindergärtnerin absolvieren kann.

Zietz begeistert sich für August Bebels „Die Frau und der Sozialismus“ und beginnt sich politisch zu engagieren. Im Hafenarbeiterstreik 1896/97 organisiert sie eigene Veranstaltungen für die Frauen. In zahllosen Beiträgen in der Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ und in vielen Reden prangert sie mangelnden Arbeits- und Mutterschutz, Kinderarbeit und die Ausbeutung der Dienstmädchen an. Unermüdlich ruft sie die Frauen auf, sich gewerkschaftlich zu organisieren.

  • Geboren am 25. März 1865 in Bargteheide (Schleswig-Holstein)
  • Ab 1892 in der Hamburger SPD und im Fabrikarbeiterverband aktiv
  • 1896 Organisation des Widerstands der Frauen während des Streiks der Hamburger Hafenarbeiter
  • 1908 Wahl in den Parteivorstand der SPD (und damit als erste Frau in einer deutschen Partei)
  • 1909–1917 Sekretärin für Frauenfragen im Parteivorstand der SPD
  • 1917 Gründungsmitglied der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD)
  • 1919/20 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung
  • 1920–1922 Mitglied des Reichstages
  • Gestorben am 27. Januar 1922 in Berlin

Marie Juchacz (1879–1956)

 

Für den Sozialstaat

Als Dienstmädchen, Fabrikarbeiterin und Näherin lernt Marie Juchacz die Not der Menschen kennen. Der Einsatz für die soziale Absicherung der arbeitenden Menschen wird ihre Lebensaufgabe. Für sie bedeutet gelebte Demokratie Respekt vor allen Menschen zu haben. Ein Leben ohne Abhängigkeit von Almosen ist Voraussetzung dafür. Arbeitslosenversicherung, Mutterschutz, Wohnungsbau – unermüdlich streitet Juchacz für den Sozialstaat: Ab 1917 als Frauensekretären der SPD und ab 1919 in der Weimarer Nationalversammlung, wo sie als erste Frau eine Rede hält.

1919 gründet sie die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und entwickelt diese zu einer bedeutenden fürsorgerischen und sozialpädagogischen Organisation. Mit der AWO setzt sie sich für die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 ein. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten zwingt Marie Juchacz zur Flucht. Erst 1949 kehrt sie aus den USA nach Deutschland zurück und wirkt am Wiederaufbau der AWO mit.

  • Geboren am 15. März 1879 in Landsberg an der Warthe
  • 1885–1905 Volksschule, Arbeit als Dienstmädchen, Fabrikarbeiterin und Näherin
  • 1908 Eintritt in die SPD
  • 1913 Erste Frauensekretärin der SPD in Köln
  • 1917 Hauptvorstand der SPD, Übernahme der Redaktion der Zeitschrift „Die Gleichheit“
  • 1919–1933 Mitglied der Nationalversammlung (MSPD/SPD)
  • 1919 Gründung der Arbeiterwohlfahrt (AWO)
  • 1933–1941 Flucht und Emigration (Saarland, Elsass, Südfrankreich und schließlich USA)
  • 1945/46–1948 Präsidentin der Arbeiterwohlfahrt New York, Organisation von Hilfsgütern nach Frankreich und Deutschland
  • 1949 Rückkehr nach Deutschland, Ernennung zur Ehrenvorsitzenden der AWO
  • Gestorben am 28. Januar 1956 in Düsseldorf

Toni Sender (1888–1964)

 

 „Der Faschismus ist der schlimmste Feind der Menschheit“

Toni Sender kämpft ihr gesamtes Leben für Gerechtigkeit, Frieden und Antifaschismus. Als „Nicht-Arierin“ und Sozialdemokratin ist sie in besonderem Maße der Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt. Nach Morddrohungen muss sie 1933 fliehen. In Belgien arbeitet sie mit der Exilgruppe des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold zusammen. 1935 emigriert sie in die USA, wo sie sich journalistisch gegen die Nazis engagiert und auch für den Geheimdienst arbeitet.

In der deutschen Nachkriegsgesellschaft sieht Toni Sender keinen Platz mehr für sich, „zu viele Menschen haben zugeschaut, als die Niedertracht herrschte.“ Ihre Anliegen vertritt sie fortan auf internationalem Parkett in verschiedenen Positionen bei der UNO und wirkt dort an der Entstehung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mit.

  • Geboren am 29. November 1888 in Biebrich (Wiesbaden)
  • 1910 Eintritt in die SPD
  • 1917 Mitbegründerin der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD)
  • 1920—1933 Abgeordnete im Deutschen Reichstag, zunächst für die USPD und ab 1922 für die SPD
  • 5. März 1933 Flucht über die Tschechoslowakei und Belgien in die USA
  • 1939 Veröffentlichung ihrer „Autobiografie einer deutschen Rebellin“
  • 1941 Direktorin im US-Nachrichtendienst Office of Strategic Services (OSS)
  • Ab 1944 Verschiedene Positionen für die UNO und der American Federation of Labor (AFL)
  • Gestorben am 26. Juni 1964 in New York

Elisabeth Selbert (1896–1986)

 

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“

1948 wird Elisabet Selbert in den Parlamentarischen Rat gewählt, der das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ausarbeitet. Als eine von nur vier Frauen unter den 65 Mitgliedern gehört sie zu den „Müttern des Grundgesetzes“. Selbert gelingt es, unterstützt durch andere Abgeordnete und Frauenrechtsorganisationen, Gleichberechtigung als Verfassungsgrundsatz zu verankern.

Aus der ursprünglichen Formulierung „Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ wird der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ (Artikel 3 GG). Damit wird Gleichberechtigung zur Pflicht der Gesetzgebung. In der Folge widersprechen viele familienrechtliche Bestimmungen im Bürgerlichen Gesetzbuch dem Grundgesetz. Es dauert noch Jahrzehnte hartnäckiger Auseinandersetzungen, Benachteiligungen zu überwinden. Selbert begleitet diesen Prozess bis zu ihrem Tod.

  • Geboren am 22. September 1896 in Kassel
  • 1918 Eintritt in die SPD
  • 1920 Delegierte der ersten Reichsfrauenkonferenz
  • Bis 1930 Jura-Studium mit Promotion über "Ehezerrüttung als Scheidungsgrund"
  • 1946—1958 Mitglied des Hessischen Landtags
  • 1948/1949 Abgeordnete im Parlamentarischen Rat
  • 1958--1981 Rückzug aus der Politik und Tätigkeit als Rechtsanwältin (Familienrecht)
  • Gestorben am 9. Juni 1986 in Kassel

Jeanette Wolff (1888–1976)

 

Entnazifizierung und Wiedergutmachung

Als Jüdin und Sozialdemokratin gehört Jeanette Wolff zu den „doppelt Verfolgten“ im Nationalsozialismus. Nach mehrjähriger Haft- und KZ-Erfahrung überleben sie und ihre Tochter Edith als einzige ihrer Familie den Holocaust. Schon in der Weimarer Zeit kämpft Wolff für soziale Wohlfahrt und Arbeitsschutz. Zugleich ist sie in der jüdischen Gemeinde aktiv.

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus engagiert sich Jeannette Wolff unverminderte weiter. Sie wird Stadtverordnete in Berlin, stellt sich gegen die Zwangsvereinigung von SPD und KPD und wirkt beim Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde in Westdeutschland mit. Jeanette Wolff plädiert für ein scharfes Entnazifizierungsgesetz und setzt sich vehement für Wiedergutmachungsleistungen für NS-Opfer ein. Unermüdlich mahnt sie, nicht zu vergessen.

  • Geboren am 22. Juni 1888 in Bocholt
  • 1904 Ausbildung zur Kindergärtnerin in Brüssel, Beitritt zur SPD
  • 1909 Abitur am Abendgymnasium, Parteiarbeit
  • 1911 Heirat mit Hermann Wolff, gemeinsamer Betrieb eines Textilunternehmens, das 1912 als erstes Unternehmen überhaupt den 8-Stunden-Tag einführt
  • 1919–1932 Stadtverordnete und Stadträtin in Bocholt
  • 1933 Verhaftung und „Schutzhaft“
  • 1942 Deportation ins KZ Riga-Kaiserwald, danach ins KZ Stutthof bei Danzig und weitere Lager
  • Jahreswechsel 1944/45 Befreiung aus dem Zuchthaus Koronowo (Polen) durch die Sowjetarmee
  • 1946–1951 Stadtverordnete in Berlin
  • 1952–1961 Mitglied des Deutschen Bundestags

Käte Strobel (1907–1996)

 

Sexuelle Aufklärung ist Gesundheitsversorgung

Lange bevor wir von Care-Arbeit sprechen, sensibilisiert Käte Strobel für Sorgearbeit. Als Ministerin für Gesundheit, Jugend und Familie zeigt sie, dass der gesellschaftliche Aufbruch von „1968“ nicht nur auf der Straße, sondern auch in der Regierung stattfindet.

Käte Strobel setzt auf den Ausbau der Gesundheitsvorsorge bei Schwangerschaft, Geburt und im Alter. Sie tritt auch für sexuelle Aufklärung ein. So beauftragt sie den Film „Helga“, der unerwartet zum Millionenerfolg wird. Die Darstellung einer Geburt ist ungewohnt, Menschen fallen in Ohnmacht und die Kinovorstellungen müssen vom Deutschen Roten Kreuz begleitet werden. Es folgt die Herausgabe des „Sexualkunde-Atlas“, womit Sexualkunde, trotz anhaltender Empörung, auch in den Lehrplan westdeutscher Schulen Einzug hält.

  • Geboren am 23. Juli 1907 in Nürnberg
  • 1925 Eintritt in die SPD
  • Nach Kriegsende Engagement beim Wiederaufbau der SPD in Franken und Bayern
  • 1949—1972 Mitglied des Deutschen Bundestages
  • 1958—1971 Mitglied des Bundesvorstandes der SPD
  • 1958—1967 Mitglied des Europaparlaments (zeitweise dessen Vizepräsidentin und Vorsitzende der Sozialistischen Fraktion)
  • 1966—1972 Bundesministerin für Gesundheitswesen bzw. für Jugend, Familie und Gesundheit
  • Gestorben am 26. März 1996 in Nürnberg

Annemarie Renger (1919–2008)

 

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

Nach der „Willy-Wahl“ 1972 wird Annemarie Renger als erste Frau zur Bundestagspräsidentin gewählt. Sie hofft, mit ihrem Amt gesellschaftliche Vorurteile gegenüber Frauen abbauen zu können – mit Erfolg: Annemarie Renger gilt als beliebteste deutsche Politikerin und trotzt damit sexistischer Kritik im politischen Umfeld und in der medialen Berichterstattung.

Ihre Popularität nutzt sie, um mit der Aktion „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ die Rechte berufstätiger Frauen zu stärken. 1975 ruft sie Frauen auf, gerichtlich gegen die Diskriminierung am Arbeitsplatz vorzugehen. Sie erhält tausende Zuschriften, doch den Gang durch die Justiz will niemand mit ihr antreten. Stattdessen publiziert Annemarie Renger 1977 eine Auswahl an Fällen in ihrem Band „Gleiche Chancen für Frauen?“.

  • Geboren am 7. Oktober 1919 in Leipzig
  • 1945—1952 Führung des Büros von Kurt Schumacher und des SPD-Parteivorstands
  • 1952 Beginn ihres aktiven politischen Engagements
  • 1953—1990  Mitglied des Deutschen Bundestags
  • 1961—1973 Mitglied im SPD-Parteivorstand
  • 1969—1972 Als erste Frau Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion
  • 1972 Präsidentin des Deutschen Bundestags und damit weltweit die erste Frau an der Spitze eines frei gewählten Parlaments
  • Gestorben am 3. März 2008 in Remagen-Oberwinter bei Bonn

Katharina Focke (1922–2016)

 

Für ein geeintes Europa

Die Europapolitik ist Katharina Focke über ihren Vater, den Publizisten und Europapolitiker Ernst Friedlaender bereits in die Wiege gelegt. Sie selbst zieht aus dem Nationalsozialismus die Lehre, dass die Antwort auf Nationalismus und Krieg in der europäischen Einigung liegt. Die promovierte Politikwissenschaftlerin wird für ihre analytischen Fähigkeiten und ihr Selbstbewusstsein geschätzt.

Katharina Focke berät als Parlamentarische Staatssekretärin Willy Brandt in der Europapolitik, leitet das Familienministerium, wird Abgeordnete in Europa und 1984 schließlich europäische Spitzenkandidatin der SPD. Im Wahlkampf wirbt sie mit dem „Katharina-Zirkus“ für die europäische Idee. Damit will sie dem entstehenden Bürokratie-Image Europas spielerisch entgegenwirken. Unbeirrt treibt Focke die Entwicklungszusammenarbeit Europas mit Staaten des globalen Südens und die europäische Integration voran.

  • Geboren am 9. Oktober 1922 in Bonn
  • 1934–1946 Exil in der Schweiz und Liechtenstein
  • 1954 Promotion „Über das Wesen des Übernationalen“
  • 1964 Eintritt in die SPD
  • 1966–1969 Mitglied des Landtages von Nordrhein-Westfalen
  • 1969–1972 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeskanzleramt
  • 1969–1980 Mitglied des Bundestages
  • 1972–1976 Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit
  • 1979 –1989 Mitglied des Europaparlaments
  • Gestorben am 10. Juli 2016 in Köln

Regine Hildebrandt (1941–2001)

 

Die soziale Stimme des Ostens

Regine Hildebrandt beginnt ihre politische Karriere mit dem Umbruch in der DDR. Zuvor hielt sich die überzeugte Christin aus Opposition zum SED-Regime von politischen Aktivitäten fern. In der Wendezeit engagiert sie sich in der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ und schließt sich im Oktober 1989 der neu gegründeten Sozialdemokratischen Partei der DDR an.

Bekannt ist Regine Hildebrandt für ihr leidenschaftliches und pragmatisches Engagement gegen soziale Ungerechtigkeit. Ihre Zeit als Brandenburger Arbeitsministerin ist geprägt von Massenarbeitslosigkeit und Betriebsschließungen. Sie will den Menschen im Osten Zuversicht geben und lieber Arbeit als Arbeitslosigkeit finanzieren. Regine Hildebrandt setzt auf Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Ihr Ziel: ein Alltag ohne soziale Demütigungen – für alle.

  • Geboren am 26. April 1941 in Berlin
  • 1959–1964 Studium der Biologie an der Humboldt-Universität zu Berlin
  • Oktober 1989 Eintritt in die Sozialdemokratische Partei der DDR
  • April – August 1990 Ministerin für Arbeit und Soziales in der ersten frei gewählten DDR-Regierung
  • 1990–1999 Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen in Brandenburg
  • 1990–2001 Mitglied im SPD-Parteivorstand
  • 26. November 2001 in Woltersdorf bei Berlin

Anke Fuchs (1937–2019)

 

Wohnen muss bezahlbar sein

Anke Fuchs tritt als Tochter des ehemaligen Hamburger Ersten Bürgermeisters Paul Nevermann in die Fußstapfen ihres Vaters: Sie studiert Jura, wird IG-Metallerin und macht Karriere in der SPD. Arbeitsmarktpolitik, Gleichstellungsfragen und Sozialpolitik prägen ihre Arbeit. 1995 wird sie Präsidentin des Deutschen Mieterbundes und setzt sich für eine mieterorientierte Wohnungspolitik ein.

In Zeiten von entfesselten Märkten und explodierenden Mieten reklamiert Anke Fuchs staatliche Regulierung: Sie fordert einen Ausbau des sozialen Wohnungsbaus und eine Begrenzung von Mieterhöhungen. Einen Ausverkauf kommunaler Wohnungen an private Investoren lehnt sie strikt ab, auch als dies von vielen als Allheilmittel angesehen wird. Sie will preiswerten Wohnraum erhalten: Wohnen soll auch für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen bezahlbar sein.

  • Geboren am 5. Juli 1937 in Hamburg
  • 1956–1964 Studium der Rechtswissenschaft
  • 1971–1977 Erste Frau im Geschäftsführenden Vorstand der IG Metall
  • 1977–1982 Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
  • 1987–1991 Erste weibliche Bundesgeschäftsführerin der SPD
  • 1995–2007 Präsidentin des Deutschen Mieterbundes
  • 1998–2002 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags
  • 2003–2010 Vorsitzende der Friedrich-Ebert-Stiftung
  • Gestorben am 14. Oktober 2019 in Wilhelmshaven

Andrea Nahles

 

Gegen Lohndumping, für gute Arbeit

2015 setzt Andrea Nahles als Bundesministerin für Arbeit und Soziales eine tiefgreifende Reform durch: Der Mindestlohn wird eingeführt. Zunächst liegt er bei 8,50 Euro pro Stunde, mittlerweile bei 12 Euro. Allein sorgt der Mindestlohn nicht für gute Arbeitsbedingungen, schafft aber allgemeingültige Mindeststandards. Durch die Reform steigen die Löhne im Niedriglohnsektor, Lohndumping wird vorgebeugt und es gibt weniger Mini-Jobs. Die negativen Prophezeiungen von Beschäftigungsverlusten und „Kneipensterben“ treten nicht ein.

Der Mindestlohn ist auch ein Kontrapunkt zur Agenda-Politik der Ära Schröder, durch die prekäre Jobs zugenommen hatten. Nahles galt als eine der wichtigsten parteiinternen Kritikerinnen dieses Kurses. Als Parteivorsitzende kündigt Nahles 2018 den Abschied von der „Agenda 2010“ an.

  • Geboren am 20. Juni 1970 in Mendig
  • 1988 Eintritt in die SPD
  • 1989–1999 Studium der Germanistik und Politikwissenschaft in Bonn
  • 1995–1999 Bundesvorsitzende der Jusos
  • 1998–2002, 2005-2019 Mitglied des Bundestags
  • 2009–2013 SPD-Generalsekretärin
  • 2013–2017 Bundesministerin für Arbeit und Soziales
  • 2018–2019 SPD-Vorsitzende
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