Deutschsprachförderung auf dem Land

Wir sprachen mit den Autorinnen einer neuen FES Studie über passende Angebote.

Bild: Hanne Schneider von privat

Bild: Jana Scheible von Fotofabrik Stuttgart

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Hanne Schneider und Jana Scheible sind die Autorinnen der neuen FES-Studie „Deutsch lernen auf dem Land – Handlungsempfehlungen für die Sprachförderung von Migrantinnen und Migranten in Deutschland“.

FES: Kurz umrissen: Warum ist die Deutschsprachförderung für Migrant_innen so bedeutend für den Integrationsprozess?

Hanne Schneider und Jana Scheible: Die Deutschsprachförderung stellt einen ganz zentralen Teil der Integrationspolitik  dar – und zwar für viele verschiedene Zielgruppen, die nach Deutschland kommen. Nicht nur Geflüchteten, sondern auch Arbeitnehmer_innen oder nachgezogenen Familienangehörigen erleichtert die Deutschsprachförderung die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Aus der Forschung wissen wir, dass Deutschkenntnisse wichtig sind für den Einstieg in den Arbeitsmarkt, Bildung und Studium, und insbesondere auch für Kontakte zu Deutschen und das Verständnis und die aktive Teilhabe am soziokulturellen Leben. Die Menschen, die nach Deutschland migrieren, kommen mit ganz unterschiedlichen Bildungs- und Lernerfahrungen. Manche können die Sprache sehr schnell lernen, z.B. wenn sie in ihrem Herkunftsland studiert haben und bereits andere Sprachen gelernt haben. Andere müssen in Deutschland erst Lesen und Schreiben lernen. Das dauert natürlich länger und bedarf stärkerer Förderung. Gerade für Personen mit besonderen Lernbedarfen ist die Sprachförderung daher wichtig, damit sie sich im Alltag verständigen können und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.

Die öffentlich finanzierte Deutschsprachförderung ist in den letzten Jahren stark ausgebaut worden und hat sich im Hinblick auf die unterschiedlichen Zielgruppen  ausdifferenziert. Was macht es für Migrant_innen in ländlichen Regionen im Vergleich zu urbanen Räumen schwieriger überhaupt ein bzw. ein für sie passendes Angebot zu finden?

Die verschiedenen Kursprogramme sind notwendig, um allen Lernenden mit ihren eigenen Vorkenntnissen und Lernmöglichkeiten gerecht zu werden. In ländlichen Regionen wird jedoch deutlich, dass viele dieser Spezialkurse, etwa für Eltern oder Jugendliche, aufgrund geringer Teilnehmendenzahlen nicht stattfinden können. Das ist in Großstädten natürlich anders. Für passende Angebote auf dem Land oder in kleineren Orten müssen häufig weite Wege zurück gelegt werden oder sie sind gar nicht erreichbar. Meist haben Migrant_innen keine Auswahl, sondern sind auf Angebote eines erreichbaren Trägers angewiesen. Hinzu kommen Herausforderungen eine passende Kinderbetreuung in Kursnähe zu finden sowie erhöhte Fahrtkosten. Personen mit besonderen Lernbedürfnissen, Frauen mit kleinen Kindern, Arbeitnehmer_innen im Schichtbetrieb oder auch Migrant_innen ohne PKW, wie häufig Geflüchtete, sind damit oft ausgeschlossen.

Was sind für Sie die (3-4) zentralen Erkenntnisse aus der Studie?

Für die Studie haben wir versucht, besonders praxisnah mit Expert_innen die Herausforderungen aber auch Lösungsansätze und „gute Beispiele“ der Deutschsprachförderung in ländlichen Regionen zu diskutieren. Dabei war es uns wichtig, aus verschiedenen Regionen und Arbeitsfeldern Personen zu befragen, denn auch die ländlichen Regionen in Deutschland sind sehr divers. Trotz dieser Vielfalt konnten wir ähnliche Hürden für Deutschkurse in ländlichen Regionen identifizieren: Viele davon betreffen nicht nur sehr abgelegene Regionen, sondern sie weisen auf allgemeine Herausforderungen im Sprachprogramm hin, die in ländlichen wie städtische Regionen auftreten, aber in ländlichen Regionen durch Verkettung verschiedener Faktoren noch sichtbarer werden. Dies betrifft beispielsweise die geringe Anzahl an Kursen mit Kinderbetreuungsmöglichkeiten oder Spezialkursen in erreichbarer Entfernung zum Wohnort, ganz abgesehen von weiterführenden Kursen auf höherem Niveau.

Unsere Studie betrachtet verschiedene Bereiche, wie beispielsweise die Koordination der verschiedenen Programme, wo aus unserer Sicht noch bessere Synergien zwischen den Angeboten geschafft werden könnte, z.B. zwischen den berufsbezogenen Sprachkursen und den Integrationskursen. Dies ist insbesondere bei einer geringeren Teilnehmendenzahl wichtig. Auf dem Land spielt natürlich auch das Thema Mobilität und ÖPNV eine große Rolle. Hier sehen wir insbesondere beim Thema Fahrtkosten noch Verbesserungspotenzial.

Zusätzlich zu den bundesgeförderten Sprachprogrammen wie Integrationskursen haben viele Bundesländer eigene Zusatzkurse etabliert, wie auch Baden-Württemberg und Sachsen. Diese sind häufig sinnvolle Erweiterungen und sollten in den kommenden Jahren bundesweit weiter evaluiert werden. Vielleicht bieten sie noch die ein oder andere Anregung für die Bundeskurse?

Da auch viele ländliche Regionen Bedarfe an Fachkräften haben, sind natürlich auch Berufstätige eine wichtige Zielgruppe für Deutschsprachkurse. Diese Zielgruppe wird jedoch in öffentlichen Debatten in Bezug auf die Deutschsprachförderung wenig berücksichtigt. Des Weiteren bestehen Handlungsbedarfe in den Bedingungen für Lehrkräfte, um auch die ländlichen Regionen für gut qualifizierte und geeignete Lehrkräfte attraktiv zu machen. Nicht zuletzt weisen wir auch auf administrative Hürden hin, die besonders kleinere Sprachkursträger mit wenig Teilnehmenden stärker belasten als große Träger mit vielen Kursprogrammen in Großstädten. Zur Unterstützung der Träger haben sich in vielen Regionen kommunale Koordinationsstellen bewährt, die durch Ihre Vermittlerfunktion eine wichtige Funktion als Schnittstelle zwischen den Sprachprogrammen, den Kursträgern und den potenziellen Teilnehmenden einnehmen können.

Auf Basis dieser Erkenntnisse: Welche Veränderungen würden Sie sich zukünftig für die Kursgestaltung und –durchführung in ländlichen Regionen wünschen?

Besonders aktuell wurde in der Corona-Pandemie deutlich, wie wichtig die Weiterentwicklung von digitalen Kursformaten für die Zukunft sein kann. Auch diese Möglichkeiten haben wir in der Studie zu ländlichen Räumen thematisiert und hoffen, dass die vielen Ansätze zur Weiterentwicklung „virtueller Klassenzimmer“ langfristig in ländlichen Regionen Verbesserungen schaffen können. Sicherlich können digitale Angebote Kurse nicht ersetzen, aber sie könnten den Zugang zum Sprachlernen insbesondere auch für Personen in periphereren Orten als Zusatzangebot schaffen.

Gerade für Menschen mit besonderen Förderbedarfen oder Lebensumständen, wie zum Beispiel Frauen mit Kinderbetreuungsbedarfen oder Berufstätige mit Bedarfen an Teilzeitkursen oder Schichtkursen, ist es besonders schwer, auf dem Land einen Kurs zu finden. Oft bleibt ihnen dann der Zugang zu Deutschkursen verwehrt. Doch gerade für sie ist es wichtig, Angebote zu etablieren. Dazu ist es notwendig, über alle Ebenen des Föderalismus hinweg praktikable Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen. 

Die Studie zeigt auch auf, wie viele gute Ideen auf lokaler und regionaler Ebene existieren, die auch in die Weiterentwicklung des Gesamtprogramms Sprache des Bundes fließen sollten. Wir haben uns sehr gefreut, dass unsere Fokusgruppengespräche in den beiden Bundesländern vor Ort so positiv aufgenommen wurden und viele Teilnehmende nutzten die Gelegenheit, Tipps und gute Beispiele miteinander zu teilen. Auch wenn der Bund für das Gesamtprogramm Sprache zuständig ist: Integration bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und somit sollten lokale Perspektiven stets eingebunden sein. Die kommunalen Koordinierungsstellen, Kursträger und Sozialberatungen verfügen über ein wertvolles Erfahrungswissen, welches nicht ungenutzt bleiben sollte.

Die Integrationskurse und berufsbezogenen Deutschkurse können sicherlich nicht alle strukturellen Probleme in ländlichen Regionen lösen, wie beispielsweise die Mobilitätsschwierigkeiten und eingeschränkte Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Schön wäre es aber, wenn diese Regionen nicht als Sonder- sondern Regelfall in den Programmen mitbedacht würden, denn Migrant_innen leben nun schließlich auch dort und einige möchten auch bleiben. Auch von Seiten der ländlichen Kommunen besteht oft ein Wunsch, Abwanderung in größere Städte entgegenzuwirken.

 

Jana Scheible, Soziologin und Sozialforscherin (M.Sc.), ist freie Wissenschaftlerin und Programmkoordinatorin im Bereich Dialog und Forschung des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart und war bis 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Hanne Schneider, Migrationswissenschaftlerin (M.A.), ist seit 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Humangeographie mit dem Schwerpunkt Europäische Migrationsforschung an der Technischen Universität Chemnitz.

Scheible, Jana; Schneider, Hanne

Deutsch lernen auf dem Land

Handlungsempfehlungen für die Sprachförderung von Migrantinnen und Migranten in Deutschland
Bonn, 2020

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