Arbeitsmigrationsgesetze auf dem Prüfstand

FokusNorD: Warum die schwedischen Gewerkschaften sich uneins sind. Ein Beitrag von Joakim Medin.

Bild: construction site during daytime von Pixabay lizenziert unter CC0

Anfang Februar 2020 veranlasste die schwedische Regierung eine Studie zum schwedischen Arbeitsmigrationsgesetz, um einige seit Langem bekannten Mängel zu beheben, die sich aus diesem Gesetz im Umgang mit Arbeitsmigrant_innen aus Drittstaaten (also Ländern außerhalb der EU) ergeben. Die Regierung wollte mit dieser Studie laut ihrer Ankündigung mehrere Ziele erreichen: Hochqualifizierten Migrant_innen soll der Zugang zu Arbeit in Schweden erleichtert werden, außerdem soll damit auch gegen die Ausbeutung von Migrant_innen vorgegangen werden. Ein weiteres Ziel ist außerdem die Verhinderung von sogenannten „Zuständigkeitsabschiebungen“, bei denen hochqualifizierte Migrant_innen wegen geringfügiger Fehler in ihren Unterlagen abgeschoben werden.

Widersprüchliche Positionen der Gewerkschaften

Die Studie wurde von den Landsorganisationen i Sverige (LO) (Gewerkschaftsbund der Einzelgewerkschaften, in denen die  Arbeitnehmer_innen des privaten und öffentlichen Sektors organisiert sind) und der Tjänstemännens Centralorganisation (TCO; Zentralorganisation der Angestellten)  mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Die beiden führenden schwedischen Organisationen haben einander widersprechende Vorstellungen über Arbeitsmigration sowie über die Konsequenzen der Integration von Migrant_innen für den nationalen Arbeitsmarkt.

Weder bei der LO noch der TCO gibt es bisher ein spezifisches Projekt zur Erleichterung der Integration von Arbeitsmigrant_innen. In den typischen LO-Berufen sind die meisten Migrant_innen bei kleineren Firmen beschäftigt, in denen es weder Tarifverträge noch eine Gewerkschaftsvertretung gibt. Dies erschwert es, die Arbeitsbedingungen der Migrant_innen zu erfassen und überhaupt an sie heranzukommen. In der TCO hingegen bieten die Gewerkschaften Fachkräften aus dem Ausland eine einzigartige Gastmitgliedschaft zu einem reduzierten Mitgliedsbeitrag an. Auf diese Weise ist es gelungen, Fachkräfte aus Bereichen wie der IT- und der Gastronomiebranche gewerkschaftlich zu organisieren.

Das schwedische Modell  – das liberalste der Welt?

Das derzeitige Arbeitsmigrationsmodell in Schweden wurde 2008 von der damaligen Mitte-Rechts-Regierung eingeführt und bedeutete damals eine beträchtliche Liberalisierung. Die LO hat viele dieser Änderungen stark kritisiert. Tove Nandorf, eine Arbeitsmarktanalystin der LO, meint dazu, dass es der LO mit ihrer ablehnenden Haltung darum geht, sowohl Arbeitsplätze und Löhne zu schützen als auch Ausbeutung zu verhindern:

„Wir finden es unzumutbar, dass sechs von zehn Migrant_innen in typischen LO-Berufen arbeiten. In den meisten dieser Berufe gibt es keinen Arbeitskräftemangel. Und warum sollten wir Arbeiter_innen aus Drittstaaten einstellen, wenn hier in Schweden Arbeitssuchende haben?“

Seit der Reform von 2008 wurde das schwedische Modell bisweilen als das liberalste der Welt bezeichnet. Ein Arbeitgeber muss eine Stelle nicht länger als zehn Tage in Schweden und in der EU ausschreiben, bevor er jemanden aus einem Land außerhalb der EU einstellen darf.

„Für die Personen dürfte die Zeit kaum reichen, erst eine Stellenanzeige zu entdecken, dann einen Brief – auf Schwedisch – einzusenden, darauf eine Antwort zu bekommen und schließlich auch noch zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden – und das alles in nur zehn Tagen. Das ist doch alles nur eine reine Formsache, um nach Ablauf dieser kurzen Frist Menschen aus Drittländern ins Spiel bringen zu können“, sagt Tove Nandorf.

Nandorf begann sich für das Thema Arbeitsmigration zu interessieren, als sie eine Reinigungsfirma für ihren Privathaushalt engagierte. Ihre Reinigungskraft kam aus Weißrussland, hatte eine zweijährige Arbeitserlaubnis und war während dieser Zeit vollständig von ihrem Arbeitgeber abhängig. Hätte sie etwas getan oder gesagt, was zum Verlust ihres Jobs geführt hätte, wäre sie gezwungen gewesen, Schweden zu verlassen – außer sie hätte schnell eine neue Beschäftigung gefunden.

Laut LO ist dies ein typisches Beispiel dafür, wie das aktuelle Modell Ausbeutung, kriminelles Verhalten und Lohndumping ermöglicht. Es führt zu unlauterem Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt und bedroht auch die Löhne in mehreren LO-Berufen.

Die LO gab bereits eine Stellungnahme ab, bevor die Studie zum Arbeitsmigrationsgesetz angekündigt wurde. Unter anderem wünscht sich die Organisation, dass die in der EU registrierten Subunternehmen, die ausschließlich Drittstaatsangehörige beschäftigen, gründlicher unter die Lupe genommen werden. Die LO schlägt dazu vor, dass die schwedische Migrationsbehörde eine Arbeitserlaubnis erst nach Unterzeichnung eines fairen und ordnungsgemäßen Arbeitsvertrags erteilen sollte. Außerdem sollte es deutlich ernstere Konsequenzen für diejenigen Arbeitgeber geben, die gegen Regeln und Gesetze verstoßen.

Und vor allem möchte die LO auch zur früheren Regelung zurückkehren, wonach eine Arbeitserlaubnis Migrant_innen nur in Berufen mit Arbeitskräftemangel erteilt werden kann. Die LO befürchtet, dass Migrant_innen sonst nur Jobs annehmen, die durch bereits in Schweden lebende Arbeitslose besetzt werden könnten.

„Die Folge würde sein, dass Letztere arbeitslos bleiben und deshalb auch nicht integriert würden, was wiederum den Grundstein für soziale Instabilität legen würde", so Tove Nandorf.

In der Kritik an der Ausbeutung von Arbeitsmigrant_innen vereint

Der andere Gewerkschaftsbund, die TCO, stimmt diesen Aussagen teilweise zu. Die TCO sieht es genauso kritisch wie die LO, dass das derzeitige Modell die Ausbeutung von Arbeitsmigrant_innen ermöglicht, und sie spricht sich auch vehement dagegen aus, dass bei Fehlverhalten nur die Arbeitsmigrant_innen und nicht die Arbeitgeber_innen die Konsequenzen zu tragen haben. Die TCO fordert hier härtere Sanktionen für die Arbeitgeber und eine intensivere Zusammenarbeit der Behörden untereinander, um zu verhindern, dass das System weiterhin ausgenutzt wird.

Wie Samuel Engblom, politischer Direktor der TCO, erklärt, ist seine Organisation jedoch entschieden gegen den Vorschlag der LO, nur Migrant_innen zuzulassen, für die es in Schweden aufgrund von Arbeitskräftemangel eine Nachfrage gibt.

„Wir befürchten, dass es ein zu stark reguliertes System wird. Es könnte immer noch einen Mangel an ganz bestimmten Fachkräften in Berufen geben, in denen kein allgemeiner Arbeitskräftemangel zu verzeichnen ist. Die Grundlage des Systems muss eine Kombination aus Offenheit und Gleichbehandlung sein.“

Die TCO argumentiert, dass Schweden eine großzügig gehandhabte Arbeitsmigration braucht, um die wachsende Nachfrage nach Arbeitskräften zu befriedigen, und das gerade in einer Zeit, in der das Land versucht, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu werden. Schwedische Unternehmen werden dafür möglicherweise Menschen von außerhalb der Europäischen Union einstellen müssen, und anstatt ihnen Hindernisse in den Weg zu legen, sollte man es ihnen erleichtern, Arbeiter_innen einzustellen, unabhängig davon, ob in den betreffenden Berufen Arbeitskräftemangel besteht oder nicht. Es sei unfair, den einen eine Arbeitserlaubnis zu erteilen, sie aber den anderen vorzuenthalten. Eine möglichst unregulierte Handhabung der Arbeitsmigration mit gleichen Chancen für alle sei das Beste.

Arbeitsmigrant_innen machen nur einen kleinen Anteil des Arbeitsmarktes aus

Samuel Engblom betont auch, dass relativ wenige Arbeitsmigrant_innen nach Schweden kommen, normalerweise etwa 20.000 Menschen pro Jahr. Von den Migrant_innen, die 2019 ankamen, waren etwa 11.000 in typischen LO-Berufen tätig. Die Gesamtzahl aller Arbeiternehmer_innen im LO-Bereich beläuft sich auf rund 2,5 Millionen Menschen.

„Arbeitsmigrant_innen machen nur einen kleinen Teil des schwedischen Arbeitsmarktes aus. Es ergibt wenig Sinn, ihnen vorzuwerfen, dass sie Jobs annehmen würden, die andere bekommen könnten, oder dass sie die Ursache dafür seien, dass andere arbeitslos sind“, sagt Samuel Engblom.

Die TCO erkennt durchaus an, dass einige der in der LO organisierten Branchen, etwa Bau und Transport, durch die Ankunft ausländischer Arbeitskräfte tatsächlich einem wachsenden Wettbewerb ausgesetzt sind. Dies sind jedoch in der Regel  europäische Arbeitnehmer_innen, die in der EU sowieso Freizügigkeit genießen, was – so Samuel Engblom – heißt, dass es sich hierbei gar nicht um Arbeitsmigration handelt.

Trotz einiger gemeinsamer Positionen gibt es zwischen den beiden Gewerkschaftsbünden eine klare -Trennlinie im Hinblick auf die Arbeitsmigration. Für die TCO ist die Frage, wie die Migration Löhne beeinflusst, nicht von übergeordneter Bedeutung. Für die LO liegt das daran, dass die TCO-Berufe davon nicht so stark betroffen sind wie die LO- Berufe.

Kommt die Reform ?

Die Ergebnisse der Studie zum schwedischen Arbeitsmigrationsgesetz sollen im Laufe des Jahres 2021 vorgestellt werden und den Weg für Reformen ebnen. Samuel Engblom war überrascht davon, dass die angekündigten Ziele über das, was die Regierung und die beiden sie tolerierenden liberalen Parteien im „Januar-Abkommen“ von 2019 zunächst vereinbart hatten, hinausgingen.

„In dieser Vereinbarung ist nicht davon die Rede, die Ausbeutung im System zu stoppen. Eine weitere Überraschung war, dass in einer kurz darauf von den Sozialdemokrat_innen abgegebenen Erklärung die Idee aufgenommen wurde, nur Arbeitsmigrant_innen zuzulassen, für die es eine konkrete Nachfrage aufgrund von Arbeitskräftemangel gebe. So etwas haben sie in keinem anderen Fall getan, in welchem das Januar-Abkommen ihre Regierung dazu zwang, eine Position zu vertreten, mit der sie als Partei nicht einverstanden waren “, so Samuel Engblom.

Das deutet auf Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien des Januar-Abkommens hin, was eine tatsächliche Reform des schwedischen Arbeitsmigrationsgesetzes alles andere als einfach machen dürfte.

 

Autor:

Joakim Medin ist schwedischer Journalist und Autor, der ausführlich über Migration, Integrationsbemühungen und den Aufstieg der Anti-Immigrationspolitik berichtet.

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