Die Revolution von 1848/49 als soziale Revolution: Akteur_innen, Handlungen, Erinnerungen

Podiumsdiskussion mit den Historiker_innen Vincent Dold (Berlin), Sabine Freitag (Bamberg), Christian Jansen (Trier). Moderiert wird die Veranstaltung von Historikerin Susanne Kitschun (Gedenkort Friedhof der Märzgefallenen).


Podiumsdiskussion | 14. September | 18:30–20:15 Uhr | Berlin


Am 18. Mai 1848 trat in der Frankfurter Paulskirche das erste frei gewählte deutsche Parlament zusammen und verabschiedete die erste demokratische Verfassung Deutschlands. Doch die Revolution 1848/49 beschränkte sich nicht auf die Parlamente. Ihren Ausgang nahm sie auf Versammlungen unter freiem Himmel, in Kämpfen auf den Straßen und Barrikaden. Diskutiert wurde über Verfassung, Nation und Bürgerrechte, aber auch über soziale Verbesserungen für Bauern und Bäuerinnen, Handwerker und Arbeiter_innen. Die Forderungen nach politischer Freiheit und sozialer Gerechtigkeit fanden zusammen. Diese Verbindung wird im aktuellen Jubiläumsjahr bislang vergleichsweise wenig beachtet. Mit unseren Gästen beleuchten wir 1848/49 als soziale Revolution und zentralen Ort der Demokratiegeschichte des 19. Jahrhunderts.

 

Eine Veranstaltung des Archiv für soziale Demokratie, des Museum Karl-Marx-Haus und des Gedenkorts Friedhof der Märzgefallenen.
 

Veranstaltungsort

Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin
Konferenzsaal 1
Hiroshimastraße 17
10785 Berlin

Bus 100, 187 bis Haltestelle Lützowplatz,
Bus M29 bis Haltestelle Hiroshimasteg,
Bus 200 bis Haltestelle Tiergartenstraße
Parkmöglichkeiten stehen leider nicht zur Verfügung.

 

Bei Fragen zur barrierefreien Durchführung der Veranstaltung wenden Sie sich bitte vorab an uns.

Mit der Anmeldung wird der Friedrich-Ebert-Stiftung die Erlaubnis erteilt, während der Veranstaltung Foto- und Filmaufnahmen zu machen und diese für die Öffentlichkeitsarbeit, die Bewerbung eigener Angebote und zur Dokumentation in analoger und digitaler Form zu verwenden. Bitte wenden Sie sich an uns, wenn Sie damit nicht einverstanden sind.

Bitte beachten Sie: Sobald Sie sich die Karte laden, werden Informationen darüber an Google übermittelt.

Programm

Begrüßung

Dr. Jürgen Schmidt
Leiter des Karl-Marx-Haus, Trier

Prof. Dr. Peter Brandt
Mitglied des Vorstands der Friedrich-Ebert-Stiftung

Impulse

  • Vincent Dold, M.A.: Abhängigkeit und Verdrängung: Zur Geschlechterfrage in der sozialen Revolution
  • Prof. Dr. Sabine Freitag: Region und sozialer Protest. Zur Heterogenität der sozialen Revolution und der Suche nach adäquaten Antworten auf die soziale Frage
  • Prof. Dr. Christian Jansen: Welche politischen Folgen hatte die beginnende Emanzipation der Unterschichten im Bürgertum?

Podiumsdiskussion mit den Referierenden

Moderation: Dr. Susanne Kitschun, Gedenkort Friedhof der Märzgefallenen

Ausklang und Empfang

Verantwortlich

Dr. Peter Beule
Dr. Jürgen Schmidt

Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an

Stefanie Profus
0228 883 8069

Anmeldung

Zur Teilnahme an der Veranstaltung vor Ort bitten wir um Anmeldung bis zum 11. September unter: public.history(at)fes.de


Auf dem Podium im Gespräch:


Vincent Dold

ist Doktorand am Lehrstuhl für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts, Humboldt-Universität zu Berlin. Er promoviert zum Thema "Die Revolutionärin". Sozialistische Geschlechterdiskurse zwischen Revolutionserfahrung und Revolutionserwartung, 1848-1933.


Prof. Dr. Christian Jansen

Prof. Dr. Christian Jansen war bis 2022 Professor für Neuere Geschichte (19. Jahrhundert) an der Universität Trier, seitdem ist er Rentner und freiberuflicher Historiker.


Prof. Dr. Sabine Freitag

hat seit 2012 den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte unter Einbeziehung der Landesgeschichte an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg inne. Zurzeit ist sie auch Prodekanin an der dortigen Fakultät Geistes- und Kulturwissenschaften.


Dr. Susanne Kitschun

leitet den Gedenkort „Friedhof der Märzgefallenen“ in Berlin. Von 2006 bis 2021 war sie außerdem Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin.

Impuls Vincent Dold

Weder Liberale oder Radikaldemokraten noch Kommunisten forderten 1848/49 eine staatsbürgerliche Anerkennung von Frauen. Doch auch in den Kämpfen der sozialen Revolution sah man wenig Bedarf, sich von patriarchalen Familienkonzepten und Geschlechterrollen zu lösen. Vielmehr wurde die diskursive Trennung von ‚Frau‘ und ‚Arbeiter‘ für den Formierungsprozess der Arbeiterbewegung grundlegend. Die Geschlechterfrage sank in der Folge innerhalb der Traditionsbildung der sozialen Revolution ins Unterbewusste ab. Demgegenüber stehen die zahlreichen weiblichen Praxen der sozialen Revolution und die Heterogenität weiblicher Emanzipationsvorstellungen – wie 'männlich' war die soziale Revolution?

Impuls Christian Jansen

Das liberale Bürgertum war bis zur Revolution 1848/49 stark von egalitären, aber auch sozialharmonischen Vorstellungen geprägt. Als politisches Ziel imaginierten viele eine klassenlose Bürgergesellschaft ‘mittlerer’ Existenzen, eine berufsständisch organisierte Mittelstandsgesellschaft auf patriarchalischer Grundlage (Lothar Gall). Als sich nun 1848 die Unterschichten massiv politisch artikulierten und ihre Emanzipation mit sozial(istisch)en Forderungen, Arbeitervereinen und ersten Gewerkschaften begannen, zeigte sich die Realitätsferne dieser politischen Ideen. Die Folge waren die Trennung der proletarischen von der bürgerlichen Demokratie (Gustav Mayer) und die Entwicklung des Liberalismus zu einer Klassenideologie - mit Ausstrahlungen bis in die Gegenwart (FDP).

Impuls Sabine Freitag

Würde man die sozialen Unruhen und Aufstände in den Jahren 1848/49 im Deutschen Bund kartographieren, so fiele auf, dass sie in verschiedenen Regionen nicht nur unterschiedliche Verlaufsformen aufwiesen, sondern in manchen Regionen gar nicht stattfanden. Oft waren spezifische lokale oder regionale Gegebenheiten dafür verantwortlich, ob Rentämter gestürmt, die Villen ausbeuterischer Verleger angezündet oder Straßenproteste reichlich nachgeahmt wurden − oder auch nicht.

In den liberalen Programmen der bürgerlichen Revolutionsakteure fanden die Probleme der Verlierer des fortschreitenden Strukturwandels − die städtischen und ländlichen Unterschichten, das Kleinbürgertum, die freigesetzten Heuerlinge und Tagelöhner, die alle sozialen Abstieg, Statusverlust und Entwurzelung erfuhren − kaum eine adäquate, lösungsorientierte Berücksichtigung. Die radikaldemokratischen Forderungen nach einem „progressiven Steuersystem“ und dem Ausgleich von „Kapital und Arbeit“ reflektierten zwar immerhin die Misere, knüpften aber die Lösung der sozialen Frage an die Etablierung einer Republik, die nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch das bessere System vorstellen sollte, das – so die naive Vorstellung − künftig auf nahezu natürliche Weise für mehr Verteilungsgerechtigkeit sorgen würde. Selbst auf den Handwerker- und Arbeiterkongressen in Frankfurt und Berlin verkannten die Teilnehmer mitunter den eigentlich unumkehrbaren Prozess von Industrialisierung und Agrarkapitalismus, indem sie die Wiederbelebung vormoderner Gewerbestrukturen forderten. Auch wenn sich viele der zeitgenössischen Lösungsvorschläge als wenig tragfähig erwiesen, so war es am Ende doch vor allem die Idee der Selbstorganisation, die sich als außerparlamentarische Agitationsform in den nächsten Jahren erfolgreich durchsetzen konnte (über die Gründung von Genossenschaften, Gewerkschaften, Arbeiter(bildungs)vereinen), bevor die eigentliche Parteigründung im Raum stand.

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