Was tun gegen die Inflation?

Das Beispiel Schweden

von German Bender, Håkan A. Bengtsson, Daniel Lind, Elinor Odeberg |  23.12.2022

Die Entwicklung der Inflation in Schweden

 

In den zurückliegenden Jahrzehnten hatte Schweden eine niedrige und stabile Inflation. Davor, im Zeitraum von 1970 bis 1995, fiel die Inflationsrate hingegen hoch aus. Diese Periode war von Krisen und sinkenden Reallöhnen geprägt. Die Wirtschaftskrise zu Beginn der 1990er Jahre brachte den Wechsel zu niedrigeren Inflationsraten mit sich. Damals wurden auch neue finanzpolitische Richtlinien festgelegt, und die Geldpolitik wurde von der Finanzpolitik getrennt. Die schwedische Zentralbank erhielt eine größere Unabhängigkeit, und ein Inflationsziel von 2 Prozent wurde beschlossen.

 

Allerdings ist in den vergangenen 25 Jahren das Inflationsziel von 2 Prozent in Schweden meistens nicht erreicht worden. Zwischen 2011 und 2021 lag die Inflationsrate im Durchschnitt bei 1,1 Prozent, von 1996 bis 2011 zwischen 1,2 und 1,5 Prozent. Zahlreiche Ökonom_innen haben die Ansicht vertreten, dass sich Schwedens Wirtschaft, Wachstum und Beschäftigungsgrad besser entwickeln würden, wenn die Inflation höher wäre, und in den vergangenen Jahren sind Stimmen für eine Anhebung des Inflationsziels laut geworden.

 

Darüber hinaus wurde Kritik daran geäußert, dass die Finanzpolitik die Periode niedriger Zinsen nicht dazu genutzt hat, in Wohnungsbau und Infrastruktur zu investieren. Wäre die Finanzpolitik expansiver gewesen, wäre die Geldpolitik ihrerseits möglicherweise weniger expansiv ausgefallen, da staatliche Investitionen wahrscheinlich die Nachfrage und damit auch die Inflation vorangetrieben hätten. Auch vom verteilungspolitischen Standpunkt aus betrachtet wäre es günstiger gewesen, durch staatliche Investitionen eine Inflation von 2 Prozent zu erreichen, statt durch Minuszinsen eine sehr hohe private Verschuldung schwedischer Haushalte zu forcieren und generell eher Einkommen aus Kapital als Einkommen aus Arbeit zu begünstigen.

 

Die Periode mit niedriger Inflation seit Mitte der 1990er Jahre war hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung in Schweden einzigartig: jährliche Reallohnsteigerungen für alle Arbeitnehmer_innen mit Tarifvertrag – auch nach der Finanzkrise und während der Pandemie. Zwar blieben die Lohnsteigerungen auf niedrigem Niveau, aber da die Inflationsraten noch niedriger waren, hatten die Arbeitnehmer_innen dennoch jedes Jahr mehr Geld in der Brieftasche. Die Reallohnsteigerungen fielen höher aus, als es die Tarifpartner bei Vertragsabschluss noch erwartet hatten, da sie von einem 2-prozentigen Inflationsziel ausgegangen waren. Ebenso wie in anderen Staaten führte die niedrige Inflationsrate dazu, dass es günstig war, Immobilien und Investitionen durch Kredite zu finanzieren, was seinerseits zu kräftig steigenden Vermögenswerten führte, die eine bereits zuvor ungerechte Verteilung weiter vorantrieben.

 

Heute, in 2022, befindet sich Schweden wie die meisten Länder in einer völlig neuen wirtschaftlichen Lage. Im September lag die Inflationsrate bei 9,7 Prozent, sank aber im Oktober auf 9,3 Prozent. Prognosen gehen von weiteren Preissteigerungen aus. Das schwedische Konjunkturinstitut rechnet für dieses Jahr mit einer Inflation von 7,9 Prozent, während die schwedische Zentralbank in ihrer Novemberprognose von einer Inflation von 8,3 Prozent ausgeht, was sie zu historisch hohen und schnellen Zinsanhebungen veranlasst hat. Die meisten Expert_innen nehmen an, dass die Inflation im Jahr 2023 sinkt, aber die Unsicherheit bezüglich der Inflationsentwicklung bleibt groß.  

 

Auf dem Weg in die Rezession

 

Aufgrund von Inflation und Zinsanhebung haben sich die Prognosen für die schwedische Wirtschaft im Laufe des Herbstes verschlechtert. Man rechnet mit einem weiter sinkenden Aktienmarkt im Winter, mit sinkenden Immobilienpreisen und mit stark steigenden sowie variierenden Energiekosten. Die Prognosen deuten darauf hin, dass Schweden im kommenden Jahr auf dem Weg in eine Rezession mit steigender Arbeitslosigkeit ist, obwohl sich der Beschäftigungsgrad 2022 bislang positiv entwickelt hat. Das Finanzministerium erwartet, dass Schwedens Bruttosozialprodukt im nächsten Jahr um 0,4 Prozent sinken wird, und die Abwärtsrisiken sind deutlich.

 

Eine Reihe von Ursachen hat zu dieser Situation geführt. Als kleines, exportabhängiges Land wird Schweden von den globalen Geschehnissen beeinflusst. Es darf nicht vergessen werden, dass die Inflationsrate bereits vor dem Krieg in der Ukraine zu steigen begonnen hatte, vor allem in den USA. Während der Pandemie stieg die Nachfrage nach Waren, aber die Möglichkeiten, Dienstleistungen zu kaufen, waren natürlicherweise begrenzt. Zu Beginn der Pandemie fiel die Inflation auf 0,5 Prozent, stieg dann allerdings in einer späteren Phase wegen logistischer Lieferprobleme mehrerer Warenketten. Gleichzeitig wurden erhebliche wirtschaftliche Hilfspakete beschlossen, um die Nachfrage zu stimulieren, während es gleichzeitig nach der Pandemie einen aufgestauten Konsumbedarf gab. Die hohe Nachfrage wurde in Schweden durch die frühere Niedrigzinspolitik der Zentralbank verstärkt, die eine hohe private Verschuldung schwedischer Haushalte zur Folge hatte.

 

Aber mit dem Kriegsausbruch am 24. Februar 2022 stieg die Inflation dramatisch. Dabei geht es zum großen Teil um eine Angebotsproblematik, verursacht durch Engpässe während der Pandemie und Rohstoffmangel infolge des Angriffs Russlands auf die Ukraine, vor allem in Bezug auf die Energie. Dem ist mit der Zinswaffe nicht beizukommen. Obwohl Schweden kein Gas aus Russland importiert, sind die schwedischen Strompreise durch Störungen auf dem europäischen Energiemarkt – nicht zuletzt auf dem deutschen – beeinflusst. In einem Land mit großen geografischen Entfernungen sind auch hohe Ölpreise bedeutungsvoll für die öffentliche Meinung. Beispielsweise wurde Kritik darüber geäußert, dass man in Schweden im Vergleich zu anderen Ländern mehr Biotreibstoff untermischt, sodass Diesel teurer ist.

 

Hohe private Verschuldung in Kombination mit einem hohen Anteil flexibler Zinsen macht schwedische Haushalte empfindlicher für Zinsveränderungen als Haushalte anderer Länder. Daraus ergibt sich eine große Herausforderung für Schweden. Der schwache Kurs der schwedischen Krone ist ein weiterer Faktor, der in der gegenwärtigen Situation erneute Zinsanhebungen veranlasst. Die schwedische Zentralbank kann ihre Zinskurve nicht zu weit unterhalb derjenigen anderer Zentralbanken legen, auch wenn die Situation auf dem Wohnungsmarkt es erfordern würde. Eine abweichende Zinskurve würde zu einer schwächeren Währung führen und damit Importe verteuern und die Inflation noch weiter erhöhen.  

 

Die Einwirkung der Inflation auf die wirtschaftliche Entwicklung

 

Direkte, unmittelbare Effekte einer Inflation bestehen darin, dass Gruppen mit geringem oder minimalem finanziellen Spielraum ihre alltäglichen Ausgaben möglicherweise nicht mehr bestreiten können. Vor allem sind Geringverdiener_innen betroffen, da ihre Lebenshaltungskosten steigen: Lebensmittel, Energie und Transporte werden teurer, für die sie einen Großteil ihrer Einkommen aufwenden müssen. Andere Gruppen haben im Allgemeinen einen größeren finanziellen Spielraum und die Möglichkeit, bei Ausgaben Prioritäten zu setzen. Aber im Gegensatz zu Unternehmen, die gestiegene Kosten auf ihre Kund_innen in Form höherer Preise weiterleiten können, müssen Haushalte ihre Kosten selbst tragen. Am stärksten trifft es Arbeitnehmergruppen mit den niedrigsten Löhnen, Teilzeitarbeiter_innen sowie diejenigen, die bei Unternehmen ohne Tarifvertrag arbeiten. Es gilt auch für Arbeitslose, Krankgeschriebene oder Menschen mit Sozialhilfe. Daher müssen solche Maßnahmen Vorrang haben, die die Kaufkraft dieser Gruppen stärken und schützen. Die sozialen Sicherungssysteme müssen ausgebaut werden, damit ein angemessener Lebensstandard gewährleistet werden kann, vor allem wenn ein Anstieg der Arbeitslosigkeit zu erwarten ist.

 

Eine Stärke des schwedischen Sozialversicherungssystems besteht darin, dass viele Transferleistungen der Inflationsrate angepasst werden. Man spricht von sogenannter Indexierung. Sie betrifft zum Beispiel die garantierte Rente, das Studien- und Elterngeld, aber auch gewisse Steuern. Jedoch sind nicht alle Systeme indexiert. Die Mittel für den öffentlichen Sektor etwa sind nicht dem Grad der allgemeinen Preis- und Lohnsteigerungen angepasst. Aber grundsätzlich ist dies ein wichtiger Unterschied zu einigen anderen Ländern, die nun sogenannte Inflationspakete zur Unterstützung der Haushalte einführen. Der Inhalt dieser Pakete besteht häufig aus direkter finanzieller Hilfe, während schwedische Haushalte automatisch durch die Indexierung gestärkt werden.

 

Außerdem lässt sich feststellen, dass Haushalte mit Krediten mit keiner oder nur sehr kurzen Zinsbindung davon betroffen sind, wenn die Zentralbank den Leitzins anhebt. Fast jeder zweite Wohnungskredit ist ohne Zinsbindung, ist also nur an eine Bindungszeit von drei Monaten geknüpft. Für gebundene Kredite besteht meist eine Laufzeit von zwei oder drei Jahren. Gleichzeitig steigen jetzt die Zinsen der gebundenen Kredite, was allmählich zu höheren Wohnkosten für alle führt: für Mieter_innen, Wohnrechtinhaber_innen und Hausbesitzer_innen. Die Bauwirtschaft hat sich bereits abgekühlt und geplante Projekte werden nicht ausgeführt, da Inflation und Zinsanhebungen eine veränderte und verschlechterte Rentabilität zur Folge haben. Dadurch erhöht sich dramatisch das Risiko eines stagnierenden Wohnungsbaus und fallender Immobilienpreise im gleichen Maß, wenn die Zentralbank den Leitzins anhebt. Im Oktober 2022 sind die Immobilienpreise im Vergleich zum Vorjahr um 10 Prozent gesunken.

 

Eine Rezession betrifft die gesamte Wirtschaft und setzt Individuen, Arbeitnehmer_innen, Unternehmen und den öffentlichen Sektor unter Druck, da Steuereinnahmen sinken und Kosten steigen, was besonders schwierig wird, falls sich die Inflationsrate auf einem hohen Niveau festigt. Aber es gibt wie immer einen Verteilungsaspekt, weil Krisen auf gesellschaftliche Gruppen unterschiedlich einwirken. Daher müssen politische Entscheidungen, die im Laufe der kommenden Rezession getroffen werden, einen Gerechtigkeitsstandpunkt enthalten.

 

Das größte Risiko für die schwedische Wirtschaft besteht darin, dass der Immobilienmarkt bei hoher Privatverschuldung und fallenden Immobilienpreisen zusammenbrechen kann. Außerdem besteht die Gefahr, dass im kommerziellen Immobiliensektor, der stark von steigenden Zinsen betroffen ist, Probleme entstehen, die die finanzielle Stabilität gefährden. 40 Prozent der Bankkredite gehen an kommerzielle Immobilienunternehmen. Um in einem solchen Fall gegenzusteuern, müsste der Staat – am Ende die Steuerzahler_innen – Kreditgarantien erteilen, um eine Finanzkrise zu vermeiden. Gleichzeitig verfügt Schweden über eine starke öffentliche Wirtschaft und somit über die Möglichkeit, eine schlechtere ökonomische Lage zu bewältigen, während schwedische Banken deutlichen Spielraum für ihre Kreditvergabe besitzen.

 

Neue Herausforderungen für die schwedische Lohnbildung

 

Bislang wird die Inflation nicht durch eine Preis-Lohn-Spirale angeheizt, was wichtig zu betonen ist. Im Frühjahr 2023 beginnen die Beteiligten des schwedischen Arbeitsmarktes neue Lohnverhandlungen, bei denen ein großer Teil aller Tarifverträge zur Debatte steht. Die gestellten Lohnforderungen werden, auch wenn sie gänzlich erfüllt würden, im kommenden Jahr zu weiteren bedeutenden Reallohnsenkungen führen. Somit bricht die Inflation einen langjährigen Trend mit Reallohnsteigerungen. Die Verhandlungen werden unter völlig neuen Voraussetzungen geführt werden: unter hoher statt niedriger Inflation bei entschieden unsicherer wirtschaftlicher Lage. Darin besteht eine neuartige Herausforderung für die schwedische Lohnbildung im Ganzen sowie für den Zusammenhalt der gewerkschaftlichen Organisationen.

 

Gleichzeitig besagt die historische Erfahrung, dass Lohnausgleich für hohe Inflation wegen weiter steigender Preise zu geschwächter Kaufkraft geführt hat. Die gewerkschaftlichen Organisationen möchten nicht zu einer Lohn-Preis-Spirale zurückkehren, die in den 1970er und 1980er Jahren die Reallöhne gesenkt hat. Das schwedische Lohnbildungsmodell gründet sich seit Mitte der 1990er Jahre auf dem sogenannten Industrievertrag, was besagt, dass die Vertragsabschlüsse innerhalb des industriellen Sektors die Lohnsteigerungsrate für den gesamten Arbeitsmarkt angeben. Durch koordinierte Lohnverhandlungen auf lokaler und Branchenebene ist die Gehaltsnorm der Industrie bei allen Beteiligten des Arbeitsmarktes akzeptiert. Dieses Modell hat sich als stabil und inflationsdämpfend erwiesen. Der Vorteil einer koordinierten und zentralisierten Lohnbildung besteht darin, dass die normgebende Rolle der Industrie im Großen und Ganzen von den Beteiligten des Arbeitsmarktes anerkannt wird.

 

Wie man sich angesichts einer längerfristig hohen Inflationsrate verhält, ist allerdings eine bisher unbeantwortete Frage. Daher werden sich die kommenden Lohnverhandlungen extrem schwierig gestalten. Wahrscheinlich werden wegen der kaum vorhersehbaren Entwicklung kurzfristigere Verträge abgeschlossen werden (für ein Jahr). Die Frage bleibt jedoch, wie hoch die Lohnforderungen der Gewerkschaften sein und welche Kompromissbereitschaft die Arbeitgeber_innen zeigen werden, um ernsthafte Konflikte auf dem schwedischen Arbeitsmarkt zu vermeiden.

 

Es ist anzunehmen, dass sich die Diskussion über den Lohnspielraum auf gewerkschaftlicher Seite von der Konjunkturlage zur Gewinnhöhe verschiebt. Steigende Preise in Verbindung mit niedrigen Lohnerhöhungen führen unweigerlich zu höherem Gewinn, falls die Kosten der Unternehmen nicht in demselben Maße steigen. Verantwortungsvolle Arbeitnehmer_innen und gewerkschaftliche Organisationen setzen verantwortungsvolle Arbeitgeber_innen voraus. Es kann nicht darum gehen, die Gelegenheit zu nutzen, um überhöhte Gewinne einzufahren (siehe unten) oder schamlose Vergütungen und Boni an die Leitungsebene auszuzahlen.

 

Höhere Inflation kann zu steigendem Gewinnanteil führen

 

Der Fokus muss auf Preissteigerungen liegen, die nicht dem Kostenanstieg der Unternehmen entsprechen, vor allem wenn die Reallöhne stagnieren oder sinken. Leider ist es schwierig, sich das in einer Situation vorzustellen, in der die jährliche Inflationsrate bei 8 Prozent liegt. Dass die Löhne um 10 Prozent steigen werden, ist aus heutiger Sicht ganz einfach nicht wahrscheinlich. Dadurch ergibt sich das Risiko erhöhter Spannungen.

 

Somit ist es wichtig, den Blick auf den Gewinnanteil zu richten. Falls er steigt, während die Reallöhne sinken, wird das vorhandene Einvernehmen auf dem Arbeitsmarkt zusammenbrechen. In ihrem neuesten Bericht über die wirtschaftlichen Aussichten Schwedens kommen die Ökonom_innen des schwedischen Gewerkschaftsdachverbandes (LO) zu der Prognose, dass der Gewinnanteil, der 2021 bei 38,1 Prozent des Wertschöpfungswertes lag, 2023 auf 40,9 Prozent steigen wird. Der Lohnbildungsbericht des schwedischen Konjunkturinstituts zeigt, dass die Rentabilität der Wirtschaft im Allgemeinen gut war, auch ehe die Inflation akzelerierte, während der Gewinnanteil über dem historischen Mittelwert lag.

 

Man sollte auch die Entwicklung der Rentabilität studieren, was von Daniel Lind, dem Forschungsleiter der Gruppe der industriellen Gewerkschaften innerhalb der Produktivitätskommission bei der Denkfabrik Arena Idé, hervorgehoben wird. Die Zahlen deuten darauf hin, dass die Rentabilität der Unternehmen bislang durch die Inflation nicht nennenswert gesunken ist – weder beim Handel noch bei der Gesamtwirtschaft. Eine Untersuchung der Rekordgewinne von Industrie und Wirtschaft im Jahr 2022 zeigt im Gegenteil, dass zahlreiche Unternehmen ihre Verkaufspreise in stärkerem Maß erhöht haben, als es die Kosten für Vorleistungsgüter erforderlich machten.

 

Das Augenmerk muss also auf Preissteigerungen gerichtet werden, die nicht dem Kostenanstieg der Unternehmen entsprechen – vor allem, wenn die Reallöhne stagnieren oder sinken. Wie die LO-Ökonom_innen in ihren wirtschaftlichen Aussichten schreiben: „Es wird besonders interessant sein, in den kommenden Jahren den Gewinnanteil im Verhältnis zu inflationstreibenden Kosten für Betriebsmittel zu verfolgen.“ Auch die schwedische Zentralbank hat diese Frage aufgeworfen, und das schwedische Konjunkturinstitut ist durch die vorige Regierung beauftragt, die Preisfestsetzung und Gewinnspannen der Unternehmen im Auge zu behalten.

 

Schleichflation und steigende Gewinne

 

Es scheint angebracht, in diesem Zusammenhang auf Begriffe wie „Stealth Inflation“ oder „Sneakflation“ aufmerksam zu machen, also eine Preiserhöhung durch Unternehmen, die den Kund_innen gegenüber nicht deutlich gemacht wird. Ein verwandtes Wort ist „Shrinkflation“, etwa „Schrumpfflation“. Dazu kommt es, wenn Unternehmen Preise erhöhen, indem sie für verkleinerte Verpackungen genauso viel Geld nehmen wie für die ursprünglich größeren.  

 

Im Dienstleistungssektor gibt es einen ähnlichen Mechanismus, indem man den Preis unverändert lässt, während der Bestandteil der Dienste geringer wird, etwa wenn Kund_innen für Gepäck oder Platzreservierung extra bezahlen müssen, weil der Dienst nicht mehr im Ticketpreis inbegriffen ist. Zuweilen kann der Anlass zu Preiserhöhungen auf gestiegene Ausgaben zurückgehen, für die das Unternehmen kompensiert werden muss.

 

Aber manchmal geht es darum, die Gewinnmargen zu erhöhen, also die Preise stärker zu erhöhen, als die Kosten steigen. In der schwedischen Debatte macht German Bender von Arena Idé darauf in einem Essay in der Internetzeitschrift „Dagens Arena“ aufmerksam, indem er den Begriff „Schleichflation“ lanciert. Zudem besteht die Tendenz, Betriebsmittel eines Produkts auszutauschen, sodass die Ware billiger, aber von schlechterer Qualität ist. Das gilt zum Beispiel für Kleidung und Lebensmittel. Diese Tendenz veranschaulicht auch die Schwierigkeit, Inflation zu messen, da der Konsumentenpreisindex nicht die Qualität der gemessenen Waren berücksichtigt.

 

Ergriffene und geplante Maßnahmen, um der Inflation entgegenzusteuern

 

Staat und Politik sind tätig geworden, um auf die steigenden Treibstoff- und Strompreise zu reagieren. Die schwedische Finanzierungsdoktrin „Krone für Krone“, der zufolge die öffentlichen Ausgaben nicht steigen durften, war bereits während der Pandemie aufgegeben worden, als die Regierung umfangreiche Hilfspakete beschloss. Vor dem Hintergrund einer höheren Inflationsrate sind nun weitere Maßnahmen im Hinblick auf Unterstützungen und Subventionen ergriffen worden. Fragen zur Sozialversicherung sind wieder auf der Tagesordnung. Im öffentlichen Haushalt des vergangenen Frühjahres sind die niedrigsten Renten angehoben worden, das während der Pandemie zeitweilig angehobene Arbeitslosengeld gilt nun unbefristet und dasselbe gilt in Bezug auf das Wohngeld für bedürftige Familien mit Kindern.

 

Im Frühjahr 2022 befürworteten sämtliche Parteien einen Ausgleich für gestiegene Benzin- und Dieselpreise. Die damalige Regierung schlug Steuersenkungen für Treibstoff vor. Aber im Parlament stimmte eine Koalition aus den drei konservativen Parteien sowie den Linken und den rechtsradikalen Schwedendemokraten für noch höhere Steuersenkungen. Außerdem beschloss die Regierung einen Preisausgleich für die Haushalte wegen der gestiegenen Strompreise, der später noch verlängert wurde. Bei der Auswertung dieser Steuersenkung durch das schwedische Konjunkturinstitut ergab sich, dass 25 bis 40 Prozent der Reduzierung direkt an die Kraftstoffkonzerne gingen, statt zu einer Preissenkung an der Tankstelle zu führen.

 

Zum Winter 2022/23 hat die derzeitige wie auch ihre Vorgängerregierung einen Kostenschutz für höhere Strompreise versprochen, der insgesamt 60 Milliarden Kronen kostet. Die Kompensation soll teilweise durch höhere Abgaben der schwedischen Energiegesellschaften finanziert werden, die an den hohen Strompreisen verdient haben. Die Abgaben werden als eine Art Rückzahlung an die Haushalte betrachtet. Diese Hilfe kommt allerdings erst zum Frühjahr 2023 als rückwirkende Zahlung. Die Gefahr ist offensichtlich, dass sie die hinsichtlich ihrer tatsächlichen Zahlungsfähigkeit am schlimmsten betroffenen Haushalte nicht erreicht und sie stattdessen eine inflationstreibende Wirkung bekommt.

 

Schweden ist alles in allem unabhängig in Bezug auf Elektrizität und hat einen äußerst geringen Gasverbrauch. Es geschieht viel häufiger, dass Schweden Strom an den europäischen Strommarkt exportiert, als umgekehrt. Aber gleichzeitig führen steigende Strom- und Energiepreise sowie mangelndes Angebot dazu, dass auch der schwedische Strommarkt beeinflusst wird. Innerhalb des Landes gibt es vier Preiszonen für Elektrizität. Mängel bei der Überführungskapazität bringen entschieden höhere Strompreise im Süden als im Norden mit sich. Aus diesem Grund steht die Frage der Strompreise ganz oben auf der Tagesordnung.

 

Von rechten Parteien wird nun ein Ausbau der Atomenergie gefordert, was kurzfristig keine Wirkung hätte. Die Linke will, dass sich Schweden vom europäischen Strommarkt entkoppelt und „Schwedenpreise“ zur Anwendung kommen lässt. Jedoch scheinen sich alle Parteien darin einig zu sein, dass Haushalte und Unternehmen im kommenden Winter auf irgendeine Weise für steigende Strompreise entschädigt werden sollten. Die Vorschläge von rechts betrafen hauptsächlich Steuererleichterungen in Form verringerter Mehrwertsteuer oder gesenkter Verbrauchersteuern für Benzin und Diesel, während Sozialdemokraten eher direkte finanzielle Unterstützung etwa für Autofahrer_innen oder Haushalte mit hohen Strompreisen vorschlugen. Der Herbsthaushalt enthält eine Steuersenkung für Benzin und Diesel, die insgesamt zu 14 Öre Preissenkung pro Liter führen soll. Damit aber dürfte sie kaum eine Wirkung auf die Inflation zeigen. Hingegen handelt es sich um eine teure Maßnahme für den Staat, der laut Haushalt 2023 6,8 Milliarden Kronen dafür bezahlt. Es wurde auch diskutiert, in der EU auf eine Preisdeckelung für russisches Gas hinzuwirken – ein Punkt, in dem sich alle Parteien einig sind.

 

In der schwedischen Debatte herrscht relative Übereinkunft darüber, dass die Finanzpolitik nicht gegen die Geldpolitik arbeiten darf. Während der Wahldebatte über die Inflation war zudem das Augenmerk besonders auf die Autofahrer_innen, Kleinunternehmer_innen und Hausbesitzer_innen gerichtet. Je akuter jedoch die Situation für einkommensschwache Gruppen wird und je schlechter die wirtschaftlichen Aussichten sind, desto mehr ist die Finanzpolitik zur Setzung von Prioritäten gezwungen, und es ist möglich, dass die Debatte zu einem besseren verteilungspolitischen Profil führt.

 

Wünschenswerte politische Maßnahmen

 

Politische Empfehlungen vor einer Rezession laufen in der Regel darauf hinaus, den Leitzins zu senken und durch Finanzpolitik die Nachfrage innerhalb der Wirtschaft zu steigern. Diesmal aber tun Zentralbanken in Europa, den USA und in Schweden das Gegenteil: Der Leitzins wird angehoben, wodurch das Risiko einer vertieften Rezession vergrößert wird, während die Finanzpolitik im Großen und Ganzen stramm bleibt. Gleichzeitig ist nicht sicher, wie effektiv die Zinswaffe gegenüber den Faktoren ist, die die Inflation antreiben. Die Dauer der Inflation und der Zeitpunkt, zu dem die Zentralbanken mit den Zinsen weniger Druck machen, sind in dieser Situation daher entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung – in Schweden und andernorts.  

 

Es ist vordringlich, dass die Politiker_innen in der gegenwärtigen Krise keine Beschlüsse fassen, die die Inflationsrate hochtreiben oder anderen zentralen politischen Zielsetzungen entgegenwirken. Während des zurückliegenden Parlamentswahlkampfes in Schweden haben sich etliche Parteien zu Versprechungen von Maßnahmen mit inflationstreibenden Folgen hinreißen lassen. Den Parteien, die nun an die Macht gelangt sind, wird Täuschung vorgeworfen, weil sie die versprochenen Senkungen der Benzin- und Strompreise nicht liefern können. Außerdem haben sie versprochen, die Pflicht der Abbezahlung von Krediten abzuschaffen, aber dieses Versprechen scheint sich nicht halten zu lassen. Angesichts der bereits hohen Verschuldung der Menschen in Schweden wäre es auch unklug. Die schwedische Zentralbank hat angekündigt, dass diese Maßnahme zu noch höheren Zinsen führen würde.

 

Die Anhebung der Verteidigungsausgaben ist bereits beschlossen. Das macht enorme Summen erforderlich (auch falls Schweden nicht die NATO-Mitgliedschaft beantragt hätte), und gleichzeitig besteht ein großer Investitionsbedarf für die Energiewende. Die akute Lage erfordert einen gewissen Ausgleich für die Strompreise. Aber die Maßnahmen sollten auch auf verringerten Stromverbrauch abzielen, nicht zuletzt aus Solidarität mit anderen Ländern in Europa sowie zur Förderung der längerfristigen Energiewende. Geringerer Stromverbrauch hat zudem die größte kurzfristige Wirkung auf den Strompreis. Im Vergleich zum Vorjahr hat der Stromverbrauch der Haushalte abgenommen. Jetzt, nach den Wahlen, rückt möglicherweise eine Notlage mit Stromrationierung in den politischen Blickpunkt.

 

Die Frage der Energieeffizienzsteigerung hat Aussicht, eine wichtige Rolle zu spielen. Langfristige Investitionen verringern außerdem Engpässe bei Lieferungen und Warenketten und damit im Endeffekt die Inflationsrate. Derartige Investitionen legen den Grundstein für eine effektivere Wirtschaft. Alles in allem zeigt die aktuelle Situation, wie verwundbar Europa dadurch ist, dass wir einen Großteil unserer Energie aus nichtdemokratischen Staaten importieren. Obwohl Schweden auf dem Gebiet der Elektrifizierung und der Energieeffektivierung weit fortgeschritten ist, ist die Preisbildung mit dem übrigen Europa integriert.

 

Die Inflation wird hauptsächlich durch Faktoren verursacht, über die Schweden nicht entscheidet. Daher gibt es nur wenige Maßnahmen, die man ergreifen kann, um sie zu dämpfen. Mit der Zinswaffe kann die Zentralbank gewisse Schritte einleiten, aber es besteht die offensichtliche Gefahr, dass die Geldpolitik zu stark eingreift und somit die Wirtschaft schädigt, während die Angebotsstörungen – und damit das Problem steigender Preise – unbewältigt bleiben. Einheimische Maßnahmen, die bereits zur Sprache kamen, bestehen etwa in einer schärferen Kontrolle der schleichenden Inflation, um auch Arbeitgeber_innen dazu zu bringen, ihre soziale Verantwortung zu übernehmen. Hier können Politiker_innen und die öffentliche Debatte in höherem Ausmaß die Tagesordnung bestimmen. Ferner ist von zentraler Bedeutung, dass die Sozialpartner am Arbeitsmarkt – nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Arbeitgeber_innen – gewährleisten, dass die Reallöhne nicht allzu stark geschwächt werden.

 

Es bedarf eines verteilungspolitischen Schlüssels für die durchzuführenden Maßnahmen sowohl in der gegenwärtigen Krise als auch für die kommenden Jahre. Systeme wohlfahrtsstaatlicher Leistungen, Arbeitslosengeld, Krankengeld und Sozialhilfe müssen unbedingt gestärkt werden. Die soziale Absicherung von Menschen mit minimalen wirtschaftlichen Spielräumen darf nicht untergraben werden. Das gilt für Ältere mit niedriger Rente, für Geringverdiener_innen, für Teilzeitbeschäftigte sowie für Menschen, die in unsicheren und atypischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten.

 

Politische Entscheidungen, die die Inflationsentwicklung weiter vorantreiben, sollten vermieden oder verringert werden. Es sollten keine falschen Investitionen getätigt, sondern langfristige Bedürfnisse bedacht werden: Mittel für Kommunen und Regionen, für die Energiewende, für die Transportinfrastruktur, für die Schul- und Hochschulbildung. Das Mantra, wonach die Finanzpolitik der Geldpolitik nicht zuwiderlaufen sollte, darf nicht dazu führen, dass notwendige Investitionen ausbleiben und das Augenmerk stattdessen auf kurzfristige Steuersenkungen mit geringer Treffsicherheit gerichtet wird, während einkommensschwache Haushalte noch größere Schwierigkeiten bekommen, den wirtschaftlichen Alltag zu bewältigen.

 

Kommunen und Regionen, die im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich tätig sind, sind auf dieselbe Weise wie private Haushalte von höheren Kosten für Heizung, Transporte und Lebensmittel betroffen. Daher muss der Staat dafür sorgen, dass der Wohlstand durch einen Ausgleich für die gestiegenen Kosten geschützt wird, die nun beim kommunalen Sektor anfallen. Derzeit entsprechen die staatlichen Zuschüsse nicht dem Bedarf innerhalb des kommunalen Sektors, sodass es zu Einsparungen im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich kommen wird. Die Politik muss gewährleisten, dass schwache Gruppen trotz des Preisanstiegs den Winter überstehen. Die Voraussetzungen dafür sind in Schweden gut, da eine starke öffentliche Wirtschaft vorhanden ist.  

 

Vor allem müssen politische Entscheidungen vermieden werden, die den Klimawandel beschleunigen. Daher ist es unglücklich, dass die Regierungsparteien, nach dem Druck durch den Wahlkampf, beschlossen haben, die Anforderungen bezüglich der Beimischung von Biotreibstoff bei Diesel zu senken, um den Preis zu reduzieren. Das wird dazu führen, dass Schweden seine Klimaziele nicht erreicht. Der Kampf gegen den Klimawandel sollte eher Vorrang erhalten, sonst werden die zukünftigen Kosten infolge von Extremwettern oder des Überschreitens von Tipping Points immens sein. Politik braucht die langfristige Perspektive. Diese darf bei der konkreten Arbeit zur Milderung der Konsequenzen von Inflation und Krise hier und heute nicht vernachlässigt werden.

 

Die Autor_innen:

German Bender, Analyseleiter bei Arena I. 

Håkan A. Bengtsson, Geschäftsführer bei Arenagruppen. 

Daniel Lind, Leiter der Forschung und der Produktivitätskommission bei Arena I. 

Elinor Odeberg, Chefökonomin bei Arena I. 

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