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Jeanette Wolff ist sie eine herausragende Gestalt, auch unter den jüdischen Menschen in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Sie war eine exponierte Sozialdemokratin und „religiöse Jüdin“, was sie nicht nur von der Mehrheit der religiös indifferenten Mitgliedern ihrer Partei unterschied, sondern auch von den jüdischen Menschen in der Sozialdemokratie.
Für Paul Spiegel war Jeanette Wolff (1888–1976) eine der beeindruckendsten jüdischen Frauen des 20. Jahrhunderts. Tatsächlich ist sie eine herausragende Gestalt, auch unter den jüdischen Menschen in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Sie war eine exponierte Sozialdemokratin und „religiöse Jüdin“, was sie nicht nur von der Mehrheit der religiös indifferenten Mitgliedern ihrer Partei unterschied, sondern auch von den jüdischen Menschen in der Sozialdemokratie, die meist eher in Distanz zum religiösen Judentum lebten, teils konvertiert waren oder sich zum weltanschaulichen Atheismus bekannten.
Einzigartig ist auch ihre Biografie. In der Weimarer Zeit gehörte sie zu den Frauen, die sich kämpferisch für die Sozialdemokratie einsetzten, doch trat sie auch für jüdische Anliegen ein. Nach der NS-Machtübernahme wurde sie zuerst als Sozialdemokratin verfolgt, erlitt dann aber ein Schicksal als Jüdin. Es folgten Segregation und Deportation, sie überlebte zusammen mit einer Tochter als einzige aus ihrer Familie den Holocaust.
Bemerkenswerterweise engagierte sich die Holocaustüberlebende nach dem Zweiten Weltkrieg erneut sowohl in der Sozialdemokratie als auch in der jüdischen Gemeinde, wurde Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dass sie dies alles als Frau – sicherlich gegen vielfältigste Widerstände – schaffte, macht ihre Leistung mit aus.
Jeanette Wolff wurde als älteste Tochter der jüdischen Eltern Isaac und Dina Cohen 1888 im westfälischen Bocholt am Niederrhein geboren. Der Vater, der als Lehrer wegen seiner Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie seit 1878 vom Schuldienst ausgeschlossen war, betrieb ein kleines Textilgeschäft. Schon bei ihm gingen politisches Engagement und religiöses Judentum mit Lebenspraxis nach den mosaischen Gesetzen zusammen. Zugleich lernte Jeanette schon im Elternhaus soziale Not unter den Textilarbeitern in ihrem Umfeld kennen, eine Erfahrung, die für sie lebenslang ein wichtiger Impuls ihres politischen Engagements war: die konkrete Lage der Menschen zu verbessern.
Jeanette erhielt zunächst Unterricht bei ihrem Vater, war eine gute Schülerin, absolvierte in Brüssel eine Ausbildung als Kindergärtnerin und trat hier der Sozialdemokratie bei (Der belgische Sozialdemokrat Émile Vandervelde, Vorsitzender der Zweiten Internationale, blieb für sie ein Idol). Nach einer kurzen Ehe, in der ihr Kind als Säugling und ihr Mann bald darauf an Tuberkulose starb, heiratete sie in zweiter Ehe den wohlhabenden jüdischen Kaufmann Hermann Wolff, der mit seinem Bruder eine Textilfabrik betrieb, was ihn nicht hinderte, SPD-Mitglied zu werden. Während des Ersten Weltkriegs, aus dem Hermann als Kriegsversehrter heimkehrte, führte die couragierte Jeanette – ungeachtet zweier kleiner Töchter, zu denen 1920 eine dritte hinzukam – selbstständig die Geschäfte weiter.
Nach der Novemberrevolution, die den Frauen, wie von der SPD schon lange gefordert, auf allen Ebenen das Wahlrecht brachte, begann sie – trotz familiärer ökonomischer Unabhängigkeit –, sich verstärkt in die Politik einzumischen: So wurde sie erste weibliche Stadtverordnete in Bocholt, gründete mit anderen zusammen im westlichen Münsterland die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und befasste sich vor allem mit Wohlfahrtsfragen, einem Politikfeld, in dem sozialdemokratische Frauen bald eine große Rolle spielten. Gleichzeitig aber wurde sie in den Vorstand des großen SPD-Bezirks Westliches Westfalen gewählt und avancierte rasch zu einer gefragten Rednerin, die sich umstrittenen Frauenfragen wie Familienplanung, Empfängnisverhütung und Schwangerschaftsabbruch widmete. Sie nahm an den Parteitagen in Görlitz 1921, Berlin 1924, Heidelberg 1925 und Kiel 1927 wie auch an Reichsfrauenkonferenzen teil, ergriff dabei das Wort insbesondere zu Bildungsfragen. Gleichzeitig engagierte sie sich auch in jüdischen Angelegenheiten, etwa im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens und setzte sich kritisch mit dem Nationalsozialismus und seinen Führern in der Region auseinander, was sie zu einer Hassfigur der Nazis machte.
So wurde Jeanette Wolff schon im März 1933 in sogenannte „Schutzhaft“ genommen, aus der die Sozialdemokratin erst 1935 freikam. Ihre Familie, die während der Wirtschaftskrise in Bocholt nicht nur in ökonomische Schwierigkeiten kam, sondern auch unmittelbar attackiert wurde, wich zunächst nach Dinslaken aus und siedelte dann nach Dortmund über. Hier gründete sie nach ihrer Freilassung einen Mittagstisch für jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, während ihr Mann zunächst als Versicherungsvertreter und dann als Tiefbauarbeiter den familiären Lebensunterhalt zu sichern versuchte. Am 9. November 1938 wurde die Wohnung der Wolffs in Dortmund verwüstet. Hermann Wolff wurde wie die anderen jüdischen Männer nach Sachsenhausen verschleppt, von wo er im Februar 1939 als gebrochener Mann zurückkam.
Es gelang der Familie nicht mehr zu emigrieren, sie wurde in ein Judenhaus eingewiesen und im Januar 1942 von Dortmund nach Riga deportiert. Die grauenhaften Erlebnisse der Familie hielt Jeanette Wolff in ihrer bereits 1946 publizierten Schrift „Sadismus oder Wahnsinn“ fest: insbesondere ihre eigenen Erfahrungen auf dem Transport, im Ghetto in Riga, im KZ Kaiserwald bzw. einem Außenlager, dann im KZ Stutthof bei Danzig und in weiteren Lagern bis hin zur Befreiung aus dem Zuchthaus Koronowo durch die Sowjetarmee. Es handelt sich um einen der ersten Berichte von einer Shoahüberlebenden, in dem sie zu Recht hervorhob, dass die sprachlichen Mittel nicht ausreichten, um das Erlebte und Erlittene darzustellen.
Bis zuletzt war Jeanette Wolff in den Verfolgungsakten nicht nur als Jüdin, sondern auch als Sozialdemokratin geführt worden. Zusammen mit ihrer Tochter Edith gelangte sie 1946 nach Berlin, wo sie sich sogleich wieder der Sozialdemokratie zur Verfügung stellte und auch begann, die jüdische Gemeinde wieder aufzubauen. 1947 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt, übernahm sie die Leitung wichtiger Ausschüsse wie den für Ernährung der Bevölkerung in der zerstörten Stadt. Noch einmal wurde sie Opfer politischer Gewalt, als sie beim Verlassen der Stadtverordnetenversammlung, in der es um die Einführung der DM in den Westsektoren gegangen war, von fanatisierten FDJ- und SED-Anhängern, begleitet von antisemitischen Schmähungen, heftig tätlich attackiert wurde und schwere Prellungen davontrug. Die Gegnerin der Zwangsvereinigung gehörte zu den scharfen Kritikerinnen des SED-Regimes, dem sie die Verfolgungen politischer Gegner in den Nachkriegslagern vorhielt.
Jeanette Wolff arbeitete in den Jahren 1952 bis 1961 als Berliner Abgeordnete im Deutschen Bundestag. In besonderer Weise setzte sie sich für die Wiedergutmachungsleistungen für NS-Opfer ein und kritisierte vehement die Diskrepanz zwischen Leistungen für die Opfer und für NS-Belastete bzw. -Mitläufer, etwa die 131er-Gesetzgebung, durch die Beamte des Dritten Reichs wieder in ihre alten Rechte eingesetzt wurden, wie generell den Umgang mit den Eliten der NS-Zeit. Scharf reagierte die eloquente Abgeordnete auf alle Tendenzen zu einer Renazifizierung und Verharmlosung des Nationalsozialismus. Die Aufklärung über den Nationalsozialismus in den Schulen betrachtete sie daher als wichtige persönliche Aufgabe.
Zugleich aber war ihr der Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde in Berlin und in Westdeutschland wichtig. Zeitweilig war sie Vorsitzende der jüdischen Repräsentantenversammlung, in besonderer Weise lag ihr die Gründung und Arbeit des Jüdischen Frauenbundes am Herzen. Sie wurde in den Zentralrat der Juden gewählt und amtierte hier von 1965 bis 1975 als stellvertretende Vorsitzende. Im Übrigen hatte sie die Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit mitgegründet, war lange Zeit stellvertretende und dann auch Vorsitzende des jüdischen Teils der Gesellschaft.
Als sie 1976 starb, wurde sie von vielen als „Mutter“ der jüdischen Gemeinde betrauert. Zu Recht war sie auch von Stadt und Sozialdemokratie vielfach geehrt worden. Gerade die Verbindung von Sozialdemokratie und jüdischer Kultur machte ihre Identität aus, die freilich ihre entscheidende Prägung durch das Durchleben und Überleben des Holocaust erhielt.
Bemerkenswert sind die Hinweise, die sie zu ihrem Verständnis von Sozialdemokratie und jüdischer Religion und Kultur gegeben hat. Sie sah beide durch eine verwandte Ethik geprägt, für die die Gleichheitsförderung eine zentrale Rolle spielte. Gleichheit vor Gott bedeutete für sie im Hinblick auf die Gesellschaft Realisierung von Gerechtigkeit und Engagement für sozial Schwächere. Sie fasste dabei das Judentum als eine Diesseitsreligion auf, in der die Menschen ethische Normen als Gottes Wille zu realisieren haben. „Mit Bibel und Bebel“ lautet der Titel eines Gedenkbuches für Jeanette Wolff, die einen besonderen Platz in der jüdischen und der sozialdemokratischen Erinnerungskultur in Deutschland verdient.
Bernd Faulenbach
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