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Als die SED Friedrich Ebert zum Oberbürgermeister von Berlin ernannte

Bei den machtpolitischen Rivalitäten um die geteilte Stadt Berlin gelang der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) ein Manöver mit hoher Symbolkraft: Im November 1948 benannte sie Friedrich Ebert (1894–1979), den Sohn des ersten Reichspräsidenten, als Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters des Magistrats von Groß-Berlin – mit dem Anspruch, auch die von den westlichen Alliierten besetzten Teile Berlins zu vertreten.

Im Verlauf des Jahres 1948 führten die sich verschärfenden Auseinandersetzungen im geteilten Berlin zwischen den USA und ihren Verbündeten Großbritannien und Frankreich mit der Sowjetunion zu einer administrativen, infrastrukturellen und letztlich politischen Spaltung der ehemaligen Reichshauptstadt. Einen ersten Höhepunkt erreichte der Konflikt im Juni 1948, als sich die sowjetische Besatzungsmacht aus der Alliierten Kommandantur zurückzog. Sie wurde somit fortan nur noch von den drei westlichen Besatzungsmächten getragen. Die Konfrontation eskalierte mit der Ankündigung der westlichen Militärgouverneure, in ihren Zonen eine Währungsreform durchzuführen. Nach dem Willen der sowjetischen Militäradministration sollte Berlin von der Währungsreform ausgenommen werden. Nachdem die Alliierten auch in dieser Frage keine Einigung über den Status von Berlin erzielen konnten, befahl die sowjetische Besatzungsmacht am 23. Juni 1948 die Durchführung einer Währungsreform in ihrer Zone unter Einschluss der vier Sektoren Berlins.

Noch am selben Tag trat die Berliner Stadtverordnetenversammlung zu einer Sondersitzung zusammen. Aufruhr im Saal und Demonstrationen vor dem Neuen Stadthaus, das sich im sowjetischen Sektor Berlins befand, prägten die Atmosphäre dieser Dringlichkeitssitzung. Die SED inszenierte Auseinandersetzungen und Drohkulissen in und um das Gebäude. Trotz dieser Einschüchterungsversuche forderte die Mehrheit der Abgeordneten in einem Beschluss, dass beide Währungen in allen vier Sektoren Berlins gleichermaßen gelten sollten. Da die sowjetische Militäradministration aber nicht zulassen wollte, dass die alte Reichsmark, die sich in Berlin zu diesem Zeitpunkt noch in großen Mengen im Umlauf befand, ihren Sektor und ihre Zone „überschwemmte“, ergriff sie umgehend Gegenmaßnahmen. Sie sperrte den gesamten Personen- und Güterverkehr aus der und in die westliche Stadthälfte Berlins. Als Antwort auf die Blockade begannen die USA, die Menschen in den westlichen Sektoren Berlins über eine Luftbrücke mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen.

Stadtverwaltung und Parlament wechseln in die Westsektoren Berlins

Einen weiteren Höhepunkt erreichte der Konflikt in der Stadt, als der Berliner Magistrat am 26. Juli Paul Markgraf aus dem Amt des Polizeipräsidenten entließ, weil er ausschließlich auf Anordnung der sowjetischen Militärbehörden gehandelt hatte. Im Anschluss berief der Magistrat Johannes Stumm zum kommissarischen Polizeipräsidenten in Berlin. Die sowjetische Besatzungsmacht lehnte die Zustimmung zur Entlassung Markgrafs ab, der in ihrem Sektor weiterhin als Polizeipräsident von Berlin tätig war. Sofort nach seiner Ernennung begann Stumm mit der Verlegung von Dienststellen der Berliner Polizei in die Westsektoren der Stadt. In der zweiten Jahreshälfte folgten weitere Verwaltungsstellen des Berliner Magistrats. Am 6. September verlegte auch das Berliner Parlament den Sitzungsort in den Westteil der Stadt, weil Einschüchterungsversuche zunahmen und sich die allgemeine Bedrohungslage für die Abgeordneten verschärfte. Im Neuen Stadthaus berieten sich ab diesem Zeitpunkt nur noch die Abgeordneten der SED. Am 13. Oktober folgte der Magistrat, der fortan im britischen Sektor tagte.

Ein Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters wird gesucht

Am 23. November traf die SED-Führung die Entscheidung, für den sowjetischen Sektor einen eigenen Magistrat zu bilden. Sie folgte damit Vorgaben der sowjetischen Besatzungsmacht, die trotz Versuchen der Geheimhaltung und öffentlicher Dementi in den Wochen zuvor bereits kolportiert worden waren. Der SED-Vorsitzende Wilhelm Pieck bestellte am Tag darauf Friedrich Ebert zu einer Unterredung ein und informierte ihn, dass ihm die Partei das Amt des Oberbürgermeisters übertragen wolle. Dabei verschwieg Pieck, dass Ebert nicht die erste Wahl für die Besetzung des Postens war, sondern Helmut Brandt (Ost-CDU), der jedoch das Amt ausschlug. Über den von der sowjetischen Besatzungsmacht kontrollierten Berliner Rundfunk wurde für den 30. November eine außerordentliche Stadtverordnetenversammlung im Admiralspalast, der sich sowjetischen Sektor befand, einberufen.

30. November – Höhepunkt der Kampagne

Die politische Situation in Berlin war an diesem Tag so explosiv, dass ein großes Polizeiaufgebot in Bereitschaft gehalten wurde für den Fall, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung im sowjetischen Sektor wiederhergestellt werden müsste. Der von der SED dominierte Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) rief zu einer Massenkundgebung vor der Berliner Universität – der heutigen Humboldt-Universität – zur Unterstützung der Stadtverordnetenversammlung auf. Erwartungsgemäß beschlossen die Teilnehmenden im Admiralspalast einstimmig, den bisherigen Magistrat wegen „Missachtung elementarster Lebensinteressen Berlins und seiner Bevölkerung und ständiger Verletzung der Verfassung“ abzusetzen und gleichzeitig einen „provisorischen demokratischen Magistrat“ zu bilden. Wie das Drehbuch für die Inszenierung der Veranstaltung vorsah, wählten die Anwesenden Friedrich Ebert per Akklamation zum Oberbürgermeister. Im Anschluss meldete sich das neue Stadtoberhaupt zu Wort. Seine Rede war eine Kampfansage an die 1946 demokratisch gewählten Stadtverordneten, die nunmehr im Westteil Berlins tagten. Er sprach ihnen das Recht ab, Sachwalter:innen für die Belange der gesamten Stadt zu sein. Zur selben Zeit billigten 80.000 Demonstrant:innen vor der Berliner Universität durch Handheben eine vorbereitete Entschließung, mit der die Beschlüsse der außerordentlichen Stadtverordnetenversammlung gebilligt wurden. Damit versuchten SED-Führung und sowjetische Besatzungsmacht, den Eindruck einer breiten öffentlichen Zustimmung zu erwecken.

Kampagne gegen Ebert im Westen

Die Übernahme des Amtes geriet für Ebert zum Tiefpunkt seines öffentlichen Ansehens. Dass seine Reputation und Glaubwürdigkeit litten, dazu trugen sicherlich auch seine öffentlichen Stellungnahmen bei. Anfang Dezember 1948, kurz nach Amtsantritt, leugnete Ebert auf einer SED-Parteikonferenz schlichtweg die Abriegelung und Blockade der Westsektoren Berlins. Schließlich, so seine Argumentation, sei der Magistrat in der Lage, die Versorgung für ganz Berlin zu gewährleisten, somit auch für den Westteil der Stadt. Doch bereits die Belieferung der Menschen im östlichen Berlin mit lebensnotwendigen Gütern bereitete dem von SED und sowjetischer Besatzungsmacht installierten Magistrat unter Führung Eberts ungeahnte Schwierigkeiten, die nur durch zusätzliche Lieferungen aus den Ländern der sowjetischen Zone gesichert werden konnte.

Von westlicher Seite wurde Friedrich Ebert heftig kritisiert. Die Empörung über sein Handeln steigerte sich zu einer Diffamierungskampagne, die auch vor seiner Familie nicht Halt machte. Ob Ebert tatsächlich im Spätherbst 1948 eine Flucht in den Westen in Erwägung zog, wie es der SPIEGEL und der Sozialdemokratische Pressedienst andeuteten, bleibt ungeklärt. Unter diesen Vorzeichen hätte er nach der Flucht kaum auf einen politischen Neuanfang im Westen hoffen können. Westdeutsche Sozialdemokraten erhoben den Vorwurf an den „ungeratenen Sohn des ersten Reichspräsidenten“ und „Arbeiterverräter schlimmster Sorte“, die Ideale seines Vaters verraten zu haben. Ähnlich äußerte sich Willy Brandt. Er hielt Friedrich Ebert vor, sich „mit dem Titel eines Oberbürgermeisters zum Aushängeschild der kommunistischen Stadtvogtei“ missbrauchen zu lassen. Und Ernst Reuter forderte, dass „Herr Ebert abfährt. Das ist ein Problem, mit dem sich Herr Ebert hoffentlich bald [...] beschäftigen wird“.

Zur Rechtfertigung seines politischen Werdegangs im Nachkriegsdeutschland warf der Gescholtene den Sozialdemokrat:innen vor, auf dem geschichtlichen Stand von 1918 stehen geblieben zu sein und die Idee des Sozialismus nicht fortzuführen. Diejenigen, die die Entwicklung seit 1918 berücksichtigten und weiterhin für das Ziel, den Sozialismus zu errichten, eintreten würden, könnten mit dieser historischen Erfahrung folgerichtig nur noch Kommunist:innen sein. Damit bekannte Ebert seine Wandlung zum Kommunisten und löste sich nunmehr endgültig von den Idealen der Arbeiterbewegung und den Traditionslinien der SPD und schließlich auch von seiner eigenen sozialdemokratischen Vergangenheit.

Nachbetrachtung

Am 2. Dezember 1948 erkannten die sowjetischen Militärbehörden nur noch den Magistrat in ihrem Sektor als einzige verfassungsrechtlich legale Stadtregierung an. Die für den 5. Dezember angesetzten Neuwahlen in Gesamtberlin wurden aufgrund sowjetischer Intervention nur in den drei westlichen Sektoren durchgeführt. Vergeblich wandte sich Ebert in seiner neuen Funktion als Oberbürgermeister in einem Aufruf an die Einwohner:innen des Westteils der Stadt, in dem er mit der Ankündigung von Sofortmaßnahmen zur besseren Versorgung der Bevölkerung für einen Wahlboykott warb. Die SPD erzielte einen sensationellen Stimmenanteil von 64,5 Prozent. Im Rathaus des (West-)Berliner Bezirks Schöneberg wurde einige Tage später der Sozialdemokrat Ernst Reuter nunmehr zum Oberbürgermeister der drei westlichen Sektoren Berlins gewählt. Im Juni 1947 hatte die sowjetische Besatzungsmacht den ersten Amtsantritt Reuters durch ein Veto noch verhindert.

Die Übernahme des Oberbürgermeisteramts ist der Angelpunkt in der historischen Bewertung von Eberts politischem Leben und prägt bis heute überwiegend die öffentliche Deutung seiner Person. Oft wird verkannt, dass ihm in diesem Amt von der SED-Führung kaum eine nennenswerte Entscheidungsbefugnis und lediglich ein geringer politischer Gestaltungsspielraum zugebilligt worden ist. Als Oberbürgermeister sollte er dafür Sorge tragen, dass politische Vorgaben und Beschlüsse des SED-Politbüros, dem er über Jahrzehnte angehörte, des zentralen Parteiapparats sowie staatlicher Verwaltungsstellen in seinem Verantwortungsbereich umgesetzt wurden. Angesichts dieses Hineinregierens in seine Amtsführung und seiner vergeblichen Versuche von Selbstbehauptung resignierte er schon nach wenigen Jahren und wollte bereits im August 1951 die Funktion abgeben. Schlussendlich schied er auf eigenen Wunsch erst am 5. Juli 1967 aus dem Amt aus. Die Friedrich Ebert an diesem Tag verliehene Ehrenbürgerschaft wurde ihm 1992 wegen seiner politischen Mitverantwortung für die Teilung der Stadt und den Bau der Berliner Mauer postum aberkannt.

René Schroeder

 

Weitere Lektüre:

René Schroeder: Friedrich Ebert (1894–1979) – Ein Leben im Schatten des Vaters, Berlin 2021.


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