Parlamentarische Arbeit und persönliche Angriffe
Luise Zietz ist ganz offenbar eine starke, selbstbewusste Frau, überzeugte Sozialistin, unerschrocken in der Auseinandersetzung. Vielleicht gerade deswegen greifen ihre Zeitgenoss_innen immer wieder auf Äußerlichkeiten zurück, um sie zu beschreiben, eher: zu diskreditieren. Lilly Braun, Genossin in der SPD, bescheinigt ihr „vermännlichte Züge“ und vermisst „jede Spur von Weiblichkeit“.
Die Tatsache, dass die Abgeordneten ohne die Verstärkung eines Mikrofons mit lauter Stimme sprechen müssen, um im Parlament überhaupt durchzudringen, wird – was die weiblichen Abgeordneten betrifft - von der Presse mit Vorliebe als Hysterie diffamiert. Luise Zietz wird als „kreischende Zwischenruferin“ bezeichnet, die wohl ihrer „frauenhaften Hemmungslosigkeit“ ausgeliefert sei. Ihre Redebeiträge werden vom politischen Gegner mit Zwischenrufen „Hier zieht’s, Frau Zietz“ gestört.
Tatsächlich kämpft Zietz als Abgeordnete weiter für die Belange der Frau. Vor allem in der Debatte um den Grundsatz der Geschlechtergerechtigkeit bezieht sie Position und fordert (letztlich erfolglos) mit Marie Juchacz (SPD) die Streichung des Wörtchens „grundsätzlich“ in Art. 109 der Verfassung und damit die Formulierung „Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte.“
Anlässlich dieser Debatte spricht ihr Adolf Stein – viel gelesener konservativer Journalist der Weimarer Republik – jede Anmut ab: „Wenn man ihr muskulöses breites Gesicht ohne Zucken als Sprechmaschine dienen sieht, aus der in harten Lauten immer wieder ein Stück Erfurter Programm hervorquillt, wenn man ihre kräftigen Arme stoßweise die Luft hämmern sieht, als wolle sie Hufeisen schmieden, so hat man unbedingt den Eindruck, daß ein Mann einem gegenübersteht, der nur in Ermangelung von Hosen sich in das lange Weibergewand geworfen hat […] Sie ist eine etwas beschränkte Proletarierfrau, die von Mutter Natur eine übergroße Menge […] männliche Moleküle mitbekommen hat und in ihrem männlichen Amt als Parteisekretär der Unabhängigen immer noch mehr verholzt“ sei.
Im Zuge einer Diskussion um die sogenannte „Schwarze Schmach“ (die französische Besatzung des Rheinlands durch zum Teil marokkanische Soldaten) 1920 bricht eine üble Schmutzkampagne gegen Luise Zietz los. Sie hatte sich in der von Ekel und Rassenhass geprägten Parlamentsdebatte gegen jeden Rassismus gewandt und Gräueltaten jedweder Urheberschaft scharf verurteilt:
„Die deutschen Soldaten haben genau die gleichen Greueltaten im besetzten Frankreich begangen wie die heute vorgetragenen. Die deutsche Kolonialpolitik ist eine ununterbrochene Kette von Verbrechen gegen die Schwarzen. Der Schwarze ist durchaus kulturfähig und treu.“
Die erboste Reaktion der bürgerlichen Presse gipfelt in einer Karikatur im „Simplicissimus“, begleitet von einem Schmähgedicht. Ein Shitstorm der ersten Stunde.
Luise Zietz erleidet am 26. Januar 1922 im Plenarsaal des Reichstages einen Schlaganfall und verstirbt am nächsten Tag. Nicht nur die USPD-Zeitung „Freiheit“ widmet ihr einen ausführlichen Nachruf, auch die SPD-Frauenzeitschrift „Gleichheit“ gedenkt der ehemaligen Genossin. Noch 1952 erinnert der „Neue Vorwärts“ an ihrem 30. Todestag an die „bedeutende Vorkämpferin der proletarischen Frauenbewegung“ und die „unter den weiblichen Abgeordneten markanteste Figur“.
Gabriele Rose
Ausführliche Literatur über Luise Zietz finden Sie hier.
Broschüren und Aufsätze von Luise Zietz können Sie hier abrufen.
Als Redakteurin der „Gleichheit“ veröffentlichte Luise Zietz eine Vielzahl von Beiträgen. Recherchieren Sie in der „Historischen Presse der deutschen Sozialdemokratie online“.
Die Nachrufe auf Luise Zietz finden Sie ebenfalls dort:
Nachruf in Die Freiheit (USPD)
Nachruf in Die Gleichheit (SPD)
Für den Hinweis auf die Schmutzkampagne 1920 bedanke ich mich bei Olaf Guercke. Das genannte Titelblatt des Simplicissimus findet man hier.