Kernaussagen
Über soziale Medien können Einzelne sich und ihren Anliegen in bisher ungekanntem Maß Gehör verschaffen. Die damit einhergehenden Chancen zur Vernetzung sind ein Privileg und bergen große Gestaltungspotenziale für die Demokratie. Die Nutzung sozialer Medien ist aber auch mit Verantwortung verbunden, insbesondere dann, wenn andere im Netz digitale Gewalt erfahren. Sich aus den sozialen Medien zurückzuziehen und das Netz antidemokratischen Kräften zu überlassen, ist daher keine Option. Mehr denn je müssen wir die Grundwerte unserer Demokratie auch auf Twitter, Facebook & Co verteidigen.
Einordnung aus Sicht der Sozialen Demokratie
Soziale Medien können und sollten nach den Grundwerten der Sozialen Demokratie gestaltet werden – das geht aber nur, wenn wir uns aktiv und kollektiv dafür entscheiden, an dieser Form der Öffentlichkeit zu partizipieren. Sozialdemokratisches Engagement im Netz beinhaltet, dass wir unsere Stimme für andere erheben, wenn sie Opfer von Angriffen, Diffamierungen oder Hass werden. Doch nicht nur die Nutzer_innen der sozialen Medien, sondern auch Legislative, Exekutive und Judikative müssen stärker als zuvor darauf hinwirken, dass im Netz dieselben zentralen Grundrechte eingehalten und durchgesetzt werden wie im analogen Raum.
Anfeindungen, Diffamierungen, blanker Hass – in den sozialen Medien ist das sprichwörtliche dicke Fell oft unerlässlich. Insbesondere Politiker_innen, aber auch andere Personen des öffentlichen Lebens, die sich beispielsweise gegen Antisemitismus oder Misogynie aussprechen, werden immer häufiger unsachlich kritisiert und mit Häme und Shitstorms überzogen. Vor allem weibliche bzw. als weiblich gelesene Personen trifft der Hass im Netz mit aller Wucht.
Die Zahl der Opfer digitaler Gewalt steigt stetig – auch weil sie, im Gegensatz zu den Täter_innen, kaum vernetzt sind. Organisierte Angriffe von sogenannten „Trollen“ und „Hatern“ verfolgen dabei das Ziel, all jene Menschen zum Schweigen zu bringen, die sich gegen gesellschaftliche Missstände aussprechen oder für andere laut werden; insbesondere versuchen sie, entsprechend engagierte Politiker_innen zu diskreditieren. Das hat verheerende Folgen für die Demokratie: „Das permanente Aberkennen der Kompetenzen fördert das Misstrauen in unsere Fähigkeit als politische Entscheider_innen. Es geht darum, uns kleinzumachen, uns zu brechen.“
Mit einigem Pathos und viel Verve setzt sich Sawsan Chebli dafür ein, dass wir demokratische Grundwerte im Netz verteidigen und soziale Medien für unsere Anliegen nutzen. Sie attackiert dabei nicht nur diejenigen, die ausgrenzen, diffamieren und drohen, sondern auch diejenigen, die sich aus der digitalen Öffentlichkeit zurückziehen und damit Hilfe gegenüber denjenigen unterlassen, die Opfer digitaler Gewalt werden. Dafür zeigt Chebli kein Verständnis, Selbstschutz hin oder her. Für sie ist die Frage nicht, ob wir uns engagieren sollen oder wollen, sondern, wann wir dieses Engagement endlich als unsere demokratische Pflicht begreifen. Dieser Rigorismus ist eng mit Cheblis Biografie verbunden, aus der sie im Buch immer wieder erzählt: Als zwölftes von dreizehn Kindern einer nach Deutschland geflüchteten palästinensischen Familie musste sich die Autorin das Privileg der eigenen Stimme, die gehört wird, hart erkämpfen.
Cheblis Manifest für das Engagement und das Lautsein in den sozialen Medien ist kurzweilig geschrieben. Erwartungsgemäß bietet sie dabei keine ausgefeilte Theorie über die Chancen und Gefahren digitaler Öffentlichkeiten, sondern einen subjektiven Erfahrungsbericht. So erzählt die Sozialdemokratin unter anderem von Shitstorms, die über sie hereingebrochen seien, wie beispielsweise 2018, als ein älteres Pressefoto von ihr viral gegangen sei, auf dem sie eine Rolex-Uhr getragen habe. Mit Beispielen wie diesen veranschaulicht sie die Angriffe auf ihre Person sehr deutlich, rechtfertigt sich aber auch für vermeintliche oder reale Fehlentscheidungen.
Die SPD-Politikerin macht in diesem Zuge auf den wichtigen Fakt aufmerksam, dass es für Frauen bzw. als weiblich gelesene Personen um einiges schwieriger ist, in der digitalen Öffentlichkeit zu bestehen, als für Männer bzw. männlich gelesene Personen. Frauen sind sexualisierter Hassrede ausgesetzt und werden viel häufiger angefeindet; bei der Beurteilung ihrer Arbeit, genauso wie bei der Wahl ihrer Accessoires, wird mit zweierlei Maß gemessen. Folgen wir Sawsan Chebli, müssen wir diese und andere Missstände digital immer und immer wieder anprangern – solidarisch und vor allem laut.
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