Teil 1: Nicht mehr beste Freunde?
Der kommende Generationenkonflikt ist weniger ein Kulturkonflikt wie in den 1960er-Jahren als ein Verteilungskonflikt. Unter jungen Befragten fürchten 48 % einen „Zusammenbruch des Rentensystems“ direkt hinter dem Thema Klimawandel mit 56 %. Laut statistischen Berechnungen aus dem Jahr 2019 wird sich das Verhältnis von derzeit 100 erwerbstätigen Personen, die 60 Junge und Alte versorgen müssen, in den 2030er-Jahren auf 100 zu 80 erhöhen. Dies wird die sozialen Sicherungssysteme belasten und schließlich zu Verteilungskämpfen führen. Die derzeit noch geltende Solidarität zwischen den Generationen stellt keine Selbstverständlichkeit dar und könnte fortan ins Wanken geraten. Sie sollte daher weniger statisch, sondern vielmehr als ein durch Einstellungen, Werte, Normen und Wertschätzungen bedingtes und jederzeit aufrechtzuerhaltendes Projekt verstanden werden.
Zentral ist die emotionale Stimmungslage in der Beziehung der Generationen zueinander, die nicht unbeeinflusst durch vorherrschende Bilder und Vorurteile über die jeweils opponierende Generation bleibt.
Im größten Kontrast zu älteren Menschen steht derzeit die Generation der „Zoomer“ (1997–2012), die auf die Straße geht, um für das Klima zu protestieren. „Zoomer“ sind von klein auf mit digitalen Medien aufgewachsen, gelten als weltoffen, materialistisch orientiert, hedonistisch, mit einem Streben nach einer ausgeglichenen Work-Life-Balance und kehren sich zunehmend von Religion sowie von ideologisch geprägten Gesellschaftsentwürfen ab. Zudem sind sie von Verunsicherungen und Angst vor der Zukunft geprägt, die sich auf Krisen wie die Finanzkrise 2008 oder die Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 zurückführen lassen.
Auf der anderen Seite stehen die „Boomer“ (1955–1969), welche noch den ältesten und größten Teil der arbeitenden Bevölkerung darstellen, aber nun sukzessive in Rente gehen. Sie sind vor allem von der Erfahrung geprägt, Teil einer großen Masse zu sein. Sie mussten sich aufgrund ihrer Kohortengröße stets flexibel in ihrer Lebensplanung zeigen und sich insbesondere Führungsplätze, die sie derzeit bekleiden, hart erkämpfen.
Im Generationenkonflikt ist das Vorherrschen kollektiver Deutungsmuster über Altersbilder, die im öffentlichen Diskurs entstehen, wesentlich. Diskriminierung von Alten beginnt dabei in den Köpfen durch pauschale Urteile und vorherrschende Vorurteile. Eine internationale Studie der WHO zeigt, dass die Hälfte aller befragten Teilnehmer_innen aus 57 Ländern voreingenommen gegenüber älteren Menschen ist. Eine übertriebene Furcht vor dem Alter oder auch Diskriminierung respektive Vorurteile gegenüber alten Menschen werden hierbei von der WHO-Studie unter „Gerontophobie“ subsummiert. Ursachen der Gerontophobie können eine mehr oder weniger unterbewusste Abwehr oder Angst vor dem eigenen körperlichen Verfall und dem Tod sein, der auf alte Menschen projiziert wird.
Weiterhin kann durch Abwertung anderer Gruppen – in diesem Fall der „Boomer“ – ein Zugehörigkeitsgefühl zur eigenen Gruppe erzeugt werden, dass auf Überlegenheit gegenüber anderen beruht. In einem Gutachten der Sachverständigenkommission der Bundesregierung zur Lage der älteren Generation werden drei Vorurteile benannt. Erstens: die Alten als Ausbeuter und „Betrüger“ der Jungen und als „Profiteure“ des Sozialsystems. Zweitens: die Alterung der Gesellschaft als ökonomische „Innovations-, Wachstums- und Fortschrittsbremse“. Und drittens: der Weg der Gesellschaft in die Gerontokratie, bei der sich die Interessen jüngerer Menschen politisch nicht mehr durchsetzen lassen.
Bei einer Studie aus dem Jahr 2018 bejahten 42 % Prozent der befragten 16-25-jährigen Deutschen die Aussage: „Die früheren Generationen sind verantwortlich für die Schwierigkeiten der jungen Menschen heute“ und 53 % stimmten der Aussage zu, es gebe zu viele alte Menschen. In der Corona-Krise wurde durch das Narrativ, jüngere Menschen hätten für das Wohlergehen der Alten Opfer mit ökonomischen, sozialen und psychologischen Folgen in Kauf nehmen müssen, das angespannte Generationenverhältnis weiter belastet.
Der Begriff „Boomer“ findet zunehmend Benutzung in der alltäglichen Sprache und referiert auf ältere Menschen, die als rückständig, peinlich oder selbstgefällig gelten. Als regelrechtes Abkanzeln von Meinungen alter Menschen gilt mittlerweile der Spruch „OK Boomer“. Obwohl der Ausspruch häufig ironisch und humorvoll gemeint ist, beinhaltet er altersdiskriminierende Züge und trägt performativ zu einer pauschalen Abwertung einer ganzen Generation bei. Die Polemik erfolgt insgesamt von beiden Seiten und vergiftet die Atmosphäre.
Einerseits werden Klimaaktivisten häufig als „verwöhnte Gören“ tituliert oder vor einem Jahr warf Elke Heidenreich in einer Talkshow den jungen Menschen vor, eine Generation gänzlich ohne Sprache zu sein.Auf der anderen Seite gelten alte Menschen als „gierige Greise“, Greta Thunberg proklamierte: „You are failing us, but the young people are starting to understand your betrayal.“ Auf dem Twitteraccount von Fridays for Future Deutschland war ferner im Dezember 2019 zu lesen: „Warum reden uns die Großeltern eigentlich immer noch jedes Jahr rein? Die sind doch eh bald nicht mehr dabei.“ Polemische Reaktionen warfen die Frage auf, ob es sich um eine Generation handelt, die das Klima schützen will, aber nicht alte Menschen.
In Umfragen unter jungen Menschen wird überdies ersichtlich, dass nur ein geringer Anteil der Jungen tatsächlich bereit ist, auf Fleischkonsum oder billige Kleidung für den Klimawandel zu verzichten. Die „Generation Greta“ ist folglich ihren Eltern beim entschlossenen Klimaschutz nicht viel voraus. Ferner zeigt sich, dass das Klima die Generationen nicht spaltet, sondern rund 80 %-90 % der Befragten aller Altersgruppen in repräsentativen Umfragen den Klimawandel als „ernstes Problem“ identifizieren und es für wichtig halten, sich ehrgeizige Ziele für die Steigerung der erneuerbaren Energien zusetzen.
Immer wieder kommt es zu Rationierungen von Versorgungsleistungen bei Krankheiten und Pflegebedürftigkeit im Alter. Einige Leistungen werden älteren Personen zur Schonung des Budgets verweigert, wie etwaPsychotherapien. In den kommenden Jahren werden sich die Probleme im Bereich der Pflege zunehmend verschärfen. Nach Jahrzehnten des Rationalisierungsdrucks und nach den Belastungen der Corona-Krise ist die Situation äußerst angespannt. Gespart wird vor allem beim Personal. Eine hohe Arbeitsverdichtung, bei hoher körperlicher Belastung, geringe Aufstiegschancen und ein generell schlechter Verdienst führen fortwährend dazu, dass viele qualifizierte Mitarbeiter fehlen.
Eine Altersdiskriminierung lässt sich somit durch die implizit chronische Unterfinanzierung des Sektors ausmachen. Gemäß der wissenschaftlich gut belegten „Kompressionsthese“ verursachen alte Menschen jedoch nicht durchweg höhere medizinische und pflegerische Kosten, sondern lediglich in der kurzen Zeitphase unmittelbar vor dem Tod.
Das Buch bietet einenguten Überblick über das Thema des Generationenkonflikts. Es klärt umfangreichüber gefährliche Altersbilder und latent vorherrschende Vorurteile auf und bietet konkrete Lösungsvorschläge an.Durchweg sind alle Passagen gut recherchiert und unterfüttert mit Nachweisen sowie vielen Statistiken und dabei zugleich gut lesbar. Das Buch könnte dennoch prägnanter sein, auch sind viele Lösungsvorschläge bereitsintuitiv klar oder bekannt.
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