Mit dem Begriff der „Freiheitsgrade“ wird ein Bild aus der Mechanik aufgegriffen, um damit eine gegenwarts- und zukunftsfähige liberale Ordnung zu skizzieren:
„In der Mechanik beschreibt der Begriff des ‚Freiheitsgrads‘ die Zahl der voneinander unabhängigen Bewegungsmöglichkeiten eines Körpers.“
Politische Freiheit offenbart sich demnach darin, dass sich Menschen innerhalb dreier weitreichender Dimensionen frei bewegen und entfalten können: a) zwischen den Polen individueller und gemeinschaftlicher Freiheit, b) im Spielraum zwischen rationalen und rein willkürlichen Entscheidungen und c) im Rahmen sowohl formalisierter als auch informeller politischer Praxis.
Zur ersten Dimension politischer Freiheit: In einer genuin liberalen politischen Ordnung stehen die individuelle und die gemeinschaftliche Freiheit gleichberechtigt nebeneinander und sind voneinander abhängig. Individuelle Freiheit ist nicht das Verdienst Einzelner, sondern ein Produkt der Gemeinschaft.
Der Bezug auf die Gemeinschaft bedeutet allerdings nicht, dass damit Ungleichheit zwischen den Einzelnen um jeden Preis nivelliert werden sollte:
„Statusgleichheit, die Anerkennung als rechtsfähige Bürgerin, ist der formalisierte und fixe Punkt, an den informelle bewegliche Praktiken der Ungleichheit anschließen können, etwa ungleich Gewolltes wie Präferenzen und ungleich Gekonntes wie verschiedene Möglichkeiten, die eigene Freiheit zu nutzen.“
Aus dieser Ungleichheit ergibt sich ein großes Potenzial für gesellschaftlichen Fortschritt – wenn denn stets aufs Neue überprüft wird, dass sie zumutbar ist und die Freiheitsausübung der Einzelnen nicht grundsätzlich behindert. Außerdem darf der Zugang zu wirtschaftlichen Gütern nicht dazu führen, dass politische Macht erlangt wird, über die die einen verfügen, andere aber nicht. Das Private – auch privates Eigentum – ist vom Politischen zu trennen.
Das bedeutet aber wiederum auch, dass nicht alles politisch ist und sein kann. Diese Sphärentrennung sichert die Distanz politischer Herrschaft gegenüber sozialen Interessen und Praktiken ab, denn der öffentliche Raum sollte von genuin politischen Positionen geprägt sein. Auch diese Grenzziehung muss immer wieder überprüft werden.
Forderungen, die oft abwertend unter dem Stichwort „Identitätspolitik“ genannt werden, sind allerdings durchaus als politisch einzuordnen:
„Wenn sich Individualität nur als Leistung einer Gemeinschaft verstehen lässt, dann ist der Schutz von Gemeinschaften, seien sie sprachlich, kulturell oder religiös, Bedingung der Möglichkeit individueller Freiheit.“
Gestärkt wird diese anerkennende Haltung gegenüber Emanzipationsbewegungen auch durch die These, dass eine liberale Gemeinschaft den Menschen als „Körperperson“ verstehen muss: Körperliche Bedürfnisse gilt es zu berücksichtigen und zu befriedigen. Hierbei kommt die zweite Dimension der „Freiheitsgrade“ zum Tragen. Demnach sind auch willkürliche Entscheidungen zu respektieren, die nicht rational durchdrungen sind und beispielsweise aufgrund körperlicher Bedürfnisse getroffen werden.
Die dritte Dimension politischer Freiheit – die sowohl formalisierte als auch informelle politische Praxis umspannt – äußert sich unter anderem darin, dass Politik nicht nur auf institutioneller Ebene gestaltet wird. Auch wenn Institutionen für eine „Ordnung der Freiheitsgrade“ essenziell sind, liegt es aus dieser liberalen Perspektive heraus doch schließlich an den Einzelnen, sich selbst innerhalb und außerhalb von institutionellen Strukturen aktiv politisch zu betätigen.
Politik sollte allerdings nicht als Idealismus oder moralisches Engagement verstanden werden. Sie ist – aus liberaler Sicht – Ausdruck einer respektvollen Verantwortung dafür, das Gemeinwohl im Sinne liberaler Freiheiten zu gestalten. Wichtig ist dabei die Tatsache, dass eigene Erfolge immer auch auf gesellschaftliche Umstände zurückzuführen sind.
Aus einer politischen Mitte kann – formalisierte oder informelle – Politik jedoch langfristig nicht erfolgreich sein, da diese Mitte eine entpolitisierende Wirkung entfaltet.
„Liberale reagieren [..] auf die Herausforderungen aktueller Politik häufig damit, sich in eine imaginierte politische Mitte zu setzen – um damit im Ergebnis Politik zu vermeiden.“
Daraus folgt, dass sich der Liberalismus eindeutig entweder als Links- oder Rechtsliberalismus positionieren sollte – und das nicht unbedingt in einer eigenen Partei:
„Das liberale Projekt ist in den Flügeln anderer Parteien aufgehoben und dort in manchen Konstellationen einflussreicher als in einer eigenen Kleinpartei.“
Diese Polarisierung in Links- und Rechtsliberalismus ist wichtiger Ausdruck von Freiheit einer politischen Gemeinschaft, die im Ganzen als liberal verstanden werden sollte. Geschützt und begrenzt werden muss sie durch eine Verfassung. Das ist beispielsweise eine der Stärken der EU, die durch formale Regeln zusammengehalten wird.