Kernaussagen
Eine einseitige Marktgläubigkeit hat soziale Schieflagen und politischen Unmut produziert, die den Hintergrund der europäischen Krisen (Eurokrise, soziale Spaltung, Migrationskrise) bilden und sie verstärken. Die EU hat nur halbherzige Antworten darauf gefunden, während sich die zentrifugalen Tendenzen verstärkt haben. Allein eine stärkere politische Einhegung der Märkte kann Europa erneuern und neuen Wohlstand und Zukunftsvertrauen sichern.
Einordnung aus Sicht der Sozialen Demokratie
Die neoliberale Wende, Globalisierung und die einseitige Marktintegration in Europa gefährden wichtige Ziele der Sozialen Demokratie. Europa ist ein entscheidender Ansatzpunkt für einen Politikwechsel, der sozialen Ausgleich wieder in den Mittelpunkt stellt. Dafür liefert Hacker konkrete und realistische Vorschläge.
Der Siegeszug der Märkte
Mitte der 1970er-Jahre ging eine Epoche zu Ende, die jahrzehntelang durch regulierte Märkte und blühende Wohlfahrtsstaaten Wachstum, Vollbeschäftigung und sozialen Ausgleich erzielt hatte. Das Ende der seit 1944 gültigen Weltwährungsordnung, steigende Inflation und Krisen schafften die Bedingungen für eine neoliberale Wende in der Wirtschaftspolitik, die den Staat und Gewerkschaften schwächen und die Märkte deregulieren wollte.
Zunächst in den USA und Großbritannien, später auch in Kontinentaleuropa dominierten Parteien und Regierungen, die versuchten, diese marktfreundliche Agenda durchzusetzen. In Deutschland wurde diese Wende zunächst zögerlich von der Regierung Kohl und schließlich unter Schröder mit der Agenda 2010 umgesetzt. Steuern wurden gesenkt, soziale Risiken wie Arbeitslosigkeit oder Alter stärker individualisiert und die Arbeitsmärkte liberalisiert.
Treiber und Begründung der Marktstärkung war die Globalisierung. Sie veränderte die Kräfteverhältnisse zwischen der mehr ortsgebundenen Arbeit und dem Staat einerseits und dem international mobilen Kapital andererseits. Niedriglohnkonkurrenz und Steuerwettbewerb erleichterten die Umverteilung zugunsten der Profite. Mit dem Zusammenbruch der realsozialistischen Systeme in Europa und Chinas kapitalistischer Öffnung beschleunigte sich der Triumphzug der Marktwirtschaft und der Wettbewerbsdruck.
Im Ergebnis nahmen die Ungleichheit und soziale Unsicherheit zu. Das Aufstiegsversprechen, das die Nachkriegsgeneration inspiriert hatte, wich Abstiegsängsten. Die erfolgreiche Expansion der höheren Bildung konnte stabile und angemessen bezahlte Arbeitsplätze nicht mehr garantieren.
Auch die Demokratie litt unter den Legitimationsverlusten der traditionellen Politik und Parteien. Das TINA-Prinzip (There is no alternative – es ist alternativlos) hinterließ ein Gefühl der Ohnmacht, gegen die sich viele Menschen mit einer Radikalisierung zu wehren versuchten, meist nach rechts, gelegentlich auch nach links.
Hackers Buch ist vor allem für eine Leserschaft aus dem Umkreis der Sozialen Demokratie besonders ergiebig, da seine politischen Werte und Ziele mit den ihren übereinstimmen und er realistische Wege aufzeigt, um sie zu erreichen. Dabei vermeidet er die Pauschalkritik an der EU, wie sie von rechts, aber auch von links geäußert wird, ebenso wie scheinbar attraktive, aber utopische Politikvorschläge. Er will Europa rehabilitieren, indem er versucht, entfesselte und unterregulierte Märkte wieder unter politische Kontrolle zu bringen. Dazu schlägt er konkrete Maßnahmen vor, deren Angemessenheit auch darin sichtbar wird, dass einige von ihnen (z. B. eine gemeinsame europäische Verschuldung für ein Investitionsprogramm) in jüngster Zeit umgesetzt wurden – wenn auch nur unter dem Druck der Coronakrise, die erst eineinhalb Jahre nach Erscheinen des Buches ausbrach.
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