Stagflation

Was ist eine Stagflation?

Als Stagflation wird die konjunkturelle Situation einer Volkswirtschaft bezeichnet, bei der die Inflation steigt, obwohl es kein bzw. kaum Wirtschaftswachstum gibt. Das Wort setzt sich zusammen aus den beiden Begriffen Stagnation und Inflation. In der Regel tritt bei einer Stagflation auch eine zunehmende Arbeitslosigkeit auf, weil die Unternehmen aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Aussichten keine Arbeitskräfte einstellen, sondern eher Beschäftigte entlassen. Zumeist entsteht Stagflation dann, wenn externe Ursachen zu Ungleichgewichten in der Binnenwirtschaft führen. Wenn z.B. Energie- und Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt abrupt steigen, werden die inländischen Verteilungsspielräume enger. Wollen die Unternehmen trotz erhöhter Kosten die Gewinnspanne halten oder gar ausweiten, kann dies nur über Preiserhöhungen geschehen, was gesamtwirtschaftlich gesehen zu einer Erhöhung der Inflationsrate beiträgt und zu einer Gewinn-Preis-Spirale führen kann. Können die Beschäftigten über die Gewerkschaften Lohnerhöhungen, die über den Produktivitätsfortschritt hinausgehen, durchsetzen, um die höheren Preise auszugleichen, kann eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt werden. Normalerweise entsteht Inflation nur in Phasen eines Aufschwungs innerhalb eines Konjunkturzyklus, bei der die Nachfrage sowohl von privaten Konsument_innen, als auch von Unternehmen schneller steigt als das Angebot.

 

Die letzte große Stagflation in Industrieländern entstand während der Ölpreiskrise 1973/74. In jüngerer Zeit traten Stagflationsphasen vor allem in Volkswirtschaften von Schwellen- und Entwicklungsländern auf, in entwickelten Volkswirtschaften schien das Phänomen bis zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine mehr oder weniger verschwunden.

 

Wie entsteht Stagflation und welche Gefahren birgt sie?

Eine Stagflation wird in der Regel durch einen so genannten Angebotsschock ausgelöst. Damit sind Situationen gemeint, in denen das gewohnte Angebot bestimmter Güter durch ein bestimmtes Ereignis entscheidend herabgesetzt bzw. sein Preis stark erhöht wird. Der Angebotsschock entsteht also, wenn zum Beispiel ein wichtiger Rohstoff nicht mehr in der gleichen Menge wie zuvor zur Verfügung steht. In den 1970ern führte dieses Szenario zum besagten Ölpreisschock, der die Stagflation auslöste.

 

Durch den daraus resultierenden Mangel steigen zunächst die Preise für besagten Rohstoff, was bei den Unternehmen in der Folge zu erhöhten Produktionskosten sowie zu höheren Verkaufspreisen für die Verbraucher_innen führt. Diese führen in der Regel zu weiteren Preiserhöhungen bei anderen Produkten und Dienstleistungen, deren Vorprodukte teurer geworden sind (Inflation). Darüber hinaus schmälern Unternehmen potenziell ihre Angebotspalette und konzentrieren sich auf die Produktion ausgewählter Produkte. Außerdem sind wir heutzutage zunehmend mit dem Problem einer sogenannten Schrinkflation konfrontiert. Die Unternehmen reduzieren die Menge ihrer Produkte in einzelnen Verpackungen. Die Schokolade wiegt plötzlich nur noch 80 Gramm statt wie zuvor 100 Gramm. Oder die Qualität der Produkte nimmt ab. In Müslipackungen finden sich z.B. vermehrt preiswerte Haferflocken statt der teureren Nüsse.

 

Es ist im Grundsatz ein Verteilungsproblem entstanden: Es werden sowohl auf Produzent_innen- als auch auf Konsument_innenseite Einschränkungen vorgenommen, um die aufgrund des Preisschocks gestiegenen Produktionskosten bzw. zurückgegangene Kaufkraft zu kompensieren.

 

Diese Aktionen führen zu einem Ausbremsen des Wirtschaftswachstums (Stagnation). Dadurch werden die Auswahl und die Qualität der Produkte für die Konsument_innen reduziert. Mit sinkender Kaufkraft geht der Konsum zurück, weil sich die Verbraucher_innen nicht mehr so viel leisten können.

 

Angesichts des inflationsbedingt geringeren verfügbaren Einkommens werden die Verbraucher_innen daher über kurz oder lang Lohnerhöhungen fordern, welche – wenn Sie über dem Produktivitätsfortschritt liegen – zu noch höheren Produktionskosten und damit ebenfalls zu höheren Preisen führen, während der Umsatz aber eher stagniert oder abnimmt.

 

Hinzu kommt, dass vermehrt Mitarbeitende entlassen werden, weil es angesichts der schwindenden Produktion ohnehin weniger zu tun gibt. Die erhöhte Arbeitslosigkeit senkt das Durchschnitteinkommen und damit nimmt die Kaufkraft noch weiter ab.

 

Die sich gegenseitig hochschaukelnden Löhne und Preise führen dann zu einer Lohn-Preis-Spirale. Sie ist eine der größten Gefahren der Stagflation und kann im Extremfall zu einer Hyperinflation führen. In einem solchen Fall versuchen die Zentralbanken, mithilfe von Zinserhöhungen der Inflation entgegenzusteuern, um die Spiralwirkung zu verlangsamen oder zu stoppen. Allerdings können Zinserhöhungen die Inflationsrate nicht immer positiv beeinflussen, sondern teilweise sogar genau das Gegenteil bewirken: Zu starke Zinserhöhungen können die Wirtschaft sogar bremsen. Reagiert die Zentralbank zu spät mit einer Zinserhöhung, wird sie umso energischer eingreifen müssen, was wiederum die Rezession verstärkt.

 

Ein Paradebeispiel für den Verlauf einer Stagflation sind übrigens die bereits erwähnten Ölpreiskrisen in den 1970er Jahren. Der Angebotsschock wurde damals durch ein Öl-Embargo der OPEC ausgelöst, wodurch sich der Ölpreis innerhalb kürzester Zeit vervierfachte. Das beeinflusste die ganze Wirtschaft und hatte Preiserhöhungen, eine höhere Arbeitslosigkeit und damit eine Steigerung der Inflationsrate zur Folge. Die mit Stagnation gepaarte Inflation dauerte in dem Fall in Deutschland insgesamt acht Jahre. Heute stehen wir anlässlich des Ukraine-Krieges vor einer vergleichbaren Situation.

 

Wie groß ist die Gefahr einer Stagflation aktuell?

Es gibt eine Reihe von ähnlichen Bedingungen wie beim Ölpreisschock in den 1970er Jahren, die eine Stagflation wahrscheinlich machen. Das aktuelle Szenario ist vergleichbar mit der Ölkrise der 1970er: Wieder ist ein Angebotsschock durch explodierende Energiepreise aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine entstanden. Verknappungen von Gas und Öl waren die Folge. In der aktuellen Situation sind aber mindestens zwei Krisen zusammengekommen. Bereits zuvor hat die Corona-Pandemie dazu geführt, dass Lieferketten gestört, die Produktion von Unternehmen vor allem in China unterbrochen oder eingeschränkt wurde und die Transportkosten in die Höhe geschnellt sind. Der Konsum ist stark zurückgegangen. Nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern die Weltwirtschaft insgesamt wurde entscheidend geschwächt. Alle diese Ereignisse waren treibende Kraft in der aktuellen Situation, in der alle Inflationserwartungen übertroffen wurden.

 

Es gibt allerdings im Vergleich zur Krise in den 1970er Jahren auch positive Aspekte: die Energieintensität in den Industriestaaten hat sich seit damals halbiert. Auch haben die Zentralbanken und die Regierungen einige Lehren aus der vergangenen Stagflation gezogen und haben ihr Instrumentarium in der Finanz-, Lohn- und Geldpolitik vor diesem Hintergrund verfeinert. Die EZB reagierte zunächst zögerlich auf die sich abzeichnende Inflation. Dadurch engte sie ihren Spielraum unnötig ein und musste anschließend umso energischer mit Zinssteigerungen reagieren, was die Gefahr einer weiteren Verschärfung der Rezession mit sich bringt. Hinzu kommt, dass die Zentralbanken der Inflation zwar bis zu einem gewissen Grad mit Zinserhöhungen begegnen können, aber das reduziert zunächst auch nur die Nachfrage nach Krediten von Unternehmen wie privaten Haushalten, – auf die Preise hat es keinen unmittelbaren Einfluss.

 

In einer Krisensituation, wie sie beispielsweise durch den russisch-ukrainischen Krieg entstanden ist, wird deutlich, dass es ohne staatliche Interventionen nicht zu einem neuen Gleichgewicht auf den Energiemärkten kommen kann. Inzwischen ist unter Ökonom_innen weitgehend unstrittig, dass eine Rezession einer „keynesianischen Intervention“ bedarf: Das bedeutet, staatliche Entlastungspakete für private Haushalte und Unternehmen sollten die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stabilisieren. Zugleich reiche es nicht mehr, dass die Angebotsschocks allein mit geld- und zinspolitischen Mitteln der Zentralbanken bekämpft werden. Bei Lieferengpässen und Angebotsknappheiten ist der Staat gefragt, politisch zu intervenieren, um die Wirtschaft am Laufen zu halten und die hohe Inflation sowie die drohende Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Die umfangreichen staatlichen Ankäufe auf dem Gasmarkt sowie andere staatliche Bemühungen, z.B. zur stärkeren Diversifizierung der Energiebezugsquellen oder zum beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien, sind Beispiele derartiger staatlicher Interventionen.

 


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