Friedrichs Bildungsblog

„Schulen können von Kitas noch eine Menge lernen“

Der Übergang in die Schule ist für die Kinder und Familien häufig ein harter Bruch. Warum? Dafür muss man sich ansehen, wie Kindertagesstätten funktionieren und wie sie entstanden sind.

Bild: Konzept-e | Waltraud Weegmann

von Waltraud Weegmann

 

Der Übergang in die Schule ist für die Kinder und Familien häufig ein harter Bruch. Warum? Dafür muss man sich ansehen, wie Kindertagesstätten funktionieren und wie sie entstanden sind: Kitas stehen in einer sozialpädagogischen Tradition. Die Kinder erleben dort viele Möglichkeiten der freien Wahl. Sie wählen, mit wem sie wann was spielen und begegnen aufmerksamen Erzieher_innen, die im Dialog mit ihnen die Welt erkunden und sie in ihren Interessen und Begabungen fördern. Lernen geschieht dabei wie selbstverständlich.

 

Denn Kinder sind kleine Forscher und von Natur aus neugierig. Von den Erwachsenen braucht das Kind einerseits ihre liebevolle Zuwendung und emotionale Begleitung, andererseits den Freiraum und das Zutrauen für die selbstständige Erkundung der Welt. Daher sind aufmerksame und doch zurückhaltende Interaktionen, die die selbstverantwortliche Lernleistung des Kindes unterstützen, sowie Konzepte, die besonderen Wert auf inspirierende Raumgestaltung oder Naturerfahrungen legen, in Kitas weit verbreitet. Kinder sind gerne in Kitas. Hier macht Lernen Freude, jeder darf sein, wie er ist, alle sind vereint, keiner wird zurückgelassen oder selektiert.

 

Jetzt beginnt der Ernst des Lebens – sagt man

 

In der Grundschule und später auch in den weiterführenden Schulen sind plötzlich viel weniger Erwachsene für viel mehr Kinder zuständig. Alles verändert sich. Die Lehrer_innen werden von den Kindern gesiezt, wenn ein Kind traurig ist, wird es nicht immer liebevoll getröstet, die eigenen Interessen, die freie Wahl von Themen und Lern- oder Spielpartnern sowie die eigene Zeiteinteilung sind stark eingeschränkt. Die Kinder werden für ihre Leistungen und ihr Verhalten beurteilt und benotet.

 

Meiner Erfahrung nach hat ein großer Teil der Kinder erhebliche Schwierigkeiten mit dem Übergang in die Grundschule. Auch neuere Kooperationsprogramme der Bundesländer haben daran nichts geändert. Ich denke, dass die hohe sozialpädagogische und erziehungswissenschaftliche Kompetenz in Kitas mit ihrem Wissen um freudvolles, ganzheitliches Lernen genutzt werden könnte, indem Kita-Träger gleichberechtig in die Entwicklung der Ganztagesbetreuung von Grundschulkindern einbezogen würden. Der Ausbau der Ganztagesbetreuung im Grundschulbereich könnte eine Chance sein, dass Schulen sich zu einem Ort für das „ganze Kind“ und nicht nur für seine fachliche Entwicklung verändern.

 

Was brauchen Kinder, damit sie auf ihr Leben als Erwachsener in unserer Gesellschaft gut vorbereitet sind?

 

Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, nennt beispielsweise folgende Kernkompetenzen: Kritisches Denken und Problemlösung, Kreativität und Innovation, Kommunikation und Zusammenarbeit. Die eben beschriebene pädagogische Praxis in Kindertagesstätten stellt genau dafür einen nährhaften Boden dar und fördert diese Fähigkeiten. Stellen wir uns nun die Frage, ob Schulen eine ebenso förderliche Umgebung bieten, dann bescheinigt der PISA-Bericht Deutschland seit rund 20 Jahren darin nur mittelmäßigen Erfolg. Ich bin der Meinung, Schulen könnten sehr viel von den pädagogischen Erfahrungen, die in Kitas gemacht werden, lernen.

 

Kritisches Denken und Problemlösen, Kreativität und Innovationstrieb sind bereits in den Kindern angelegt, für ihre Entfaltung braucht es lediglich einen Raum, um sich entsprechend ihrer Interessen für eigene Forscherprojekte zu entscheiden.

 

Wirkungsvolle Projektarbeit in Kindertagesstätten

 

Kinder sind in ihren Projekten wahnsinnig engagiert. Aber für eine sinnliche und intellektuelle Vertiefung braucht es Zeit, freies Denken, Kommunikation sowie einen aufmerksamen und inspirierenden erwachsenen „Forschungsassistenten“. Vier bis acht Stunden Projektarbeit pro Woche, mit einem aufmerksamen Lernbegleiter und spannenden Materialien in einem inspirierendem Lernumfeld sind ein Geling-Faktor. Das ist etwas, was sich Schulen und Schulpädagog_innen von der Projektarbeit in den Kitas abschauen könnten.

 

Im Gegensatz zur strikten Leistungsschau und Leistungsbewertung in den Schulen liegt die Kunst gelingender Projektarbeit zur Ausbildung der Kompetenzen des 21. Jahrhunderts in der ergebnisoffenen Bearbeitung der für die Kinder relevanten Forscherfragen. Denn das Ergebnis an sich steht hier nicht im Vordergrund. Vielmehr geht es um das „Wie“ der Projektarbeit. In der Schule wird v.a. mit den Nebenfächern die Welt in eine künstliche Fachlogik aufgeteilt, während in der Kita ganzheitlich gelernt wird. Die vorgeschlagene Projektarbeit sollte also idealerweise fachübergreifend sein, die Welt insgesamt in den Blick nehmen und damit die künstliche Trennung überwinden.

 

In den Kitas - so lässt sich abschließend sagen - verantwortet ein mehrprofessionelles Team gemeinsam den Alltag, die Bildungsgelegenheiten, die Gestaltung von Essens- und Pflegesituationen: das gesamte soziale Miteinander. In Schulen sind die Lehrkräfte vorrangig für Bildung zuständig und in den übrigen Zeiten findet „Ganztagsbetreuung“ statt. Die Schulen können von den Kitas daher unter anderem lernen, das Miteinander im Schulleben tatsächlich gemeinsam zu gestalten. Wenn sich die Zusammenarbeit bis hinein in schulisches Lernen auswirkt, wird der Ausbau der ganztägigen Betreuung (unter Einbeziehung von Kita- und anderer Jugendhilfeträger) zu einer Chance, Schule weiterzuentwickeln.

 

 

Waltraud Weegmann ist Vorsitzende des Deutschen Kitaverbands. Sie ist Geschäftsführerin und Inhaberin des Konzept-e Trägernetzwerks, das in Baden-Württemberg, Bayern und NRW zahlreiche Kitas und Schulen betreibt. In Stuttgart ist sie Mitglied im IHK-Präsidium und im Jugendhilfe-Ausschuss der Landeshauptstadt.



Über diesen Bildungsblog

Friedrichs Bildungsblog ist der bildungspolitische Blog der Friedrich-Ebert-Stiftung. Friedrich Ebert ist nicht nur Namensgeber der Stiftung.

Sein Lebensweg vom Sattler und Sohn eines Schneiders zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Deutschlands steht für Aufstieg durch Bildung.

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Katja Irle, Redaktionelle Betreuung des Blogs, Bildungs- und Wissenschaftsjournalistin 

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