Friedrichs Bildungsblog

Schöne Bescherung: Überlegungen zu PISA

Beim Leseverständnis, in Mathematik und den Naturwissenschaften besser als der OECD-Durchschnitt, insgesamt aber etwas schlechter als früher – so lautet die Bilanz der deutschen Schüler_innen bei der aktuellen PISA-Studie.

Bild: von Burkhard Jungkamp

Zugegeben, Katastrophenmeldungen sehen anders aus, zumal manch einer deutlich schlechtere Ergebnisse prophezeit hatte. Schließlich sei der Anteil von Schüler_innen mit Migrationshintergrund weiter gestiegen, seien die Klassen also heterogener geworden, seien die Ansprüche an das Unterrichten damit gestiegen – und das ausgerechnet in Zeiten des Lehrermangels.

Es hätte also schlimmer kommen können.Und doch: Jeder fünfte Jugendliche kann nicht einmal auf Grundschulniveau lesen, die Leistungsspitze ist dünner geworden und der Schulerfolg in Deutschland hängt noch stärker von der sozialen Herkunft ab. Kurzum: Mit den Ergebnissen wirklich zufrieden sein kann man nicht. PISA – eine schöne Bescherung zur Weihnachtszeit. Was also ist zu tun? Was gehört auf den vorweihnachtlichen Wunschzettel an die Bildungspolitik?

Da jedoch ist guter Rat teuer. Denn, seien wir ehrlich: Niemand kennt den Königsweg, nicht die Politik, nicht die Schulpraxis, auch nicht die Wissenschaft. Niemand kann ihn kennen. Denn Lernen und Lehren sind komplex, viel zu komplex, als dass Ursachen für schulischen Erfolg oder Misserfolg zweifelfrei benannt werden können. Eindeutige Bewertungen sind also nicht zu erwarten, einfache Lösung schon mal gar nicht.

Wirksamere Frühförderung, auskömmliche Lehrerversorgung, zusätzliche Ressourcen

Und doch lassen sich mit einer gewissen Plausibilität dringliche Handlungsbedarfe identifizieren – verbindliche, intensivere, dauerhaftere Sprachförderprogramme für die Kitas etwa -  solche, die nicht erst bei Fünfjährigen ansetzen, die wirklich all die Kinder erreichen, die ihrer bedürfen und für die die Erzieher_innen angemessen qualifiziert sind. Und weil sich nicht nur die Sprach-, sondern auch die mathematische Kompetenz schon in sehr jungen Jahren entwickelt, sollte deren frühe Förderung deutlich ausgebaut werden.  

Auch das gehört auf den Wunschzettel: eine nahtlose Fortsetzung der frühkindlichen Förderung in der Grundschule, die Alphabetisierung in Klasse 1 und 2 durch den Einsatz ausschließlich gut ausgebildeter Lehrer*innen, die verbindliche und kontinuierliche Diagnose (nicht nur) der Lese, Schreib- und Rechenkompetenzen verbunden mit gezielten Förderangeboten, ebenso eine auskömmliche Lehrerausstattung an allen Schulen, zusätzliche Ressourcen für Schulen in sogenannten „sozialen Brennpunkten“ und qualitativ bessere Ganztagskonzepte.

Professionalisierung der Lehrer_innen verbessen

Zwei Lehrer_innen pro Klasse für jede Schule, zumindest eine ausgebildete Lehrkraft und eine Assistenz, eine Doppelbesetzung also – auch das müsste auf dem Wunschzettel weit oben stehen. Nur: Angesichts des akuten Lehrermangels ist dieser Wunsch, das sei zugestanden, zurzeit kaum realisierbar. Weil aber Illusionslosigkeit durchaus als Tugend begriffen werden, eine nüchterne Analyse mitunter erleichtern kann, wollen wir auf dem Teppich bleiben.

Also tun wir das und stellen - wie versprochen: durch und durch realistisch - fest: Was und wieviel junge Menschen lernen, entscheidet sich im Unterricht. Das hängt von dessen Qualität ab, diese wesentlich davon, wie gut Lehrer_innen qualifiziert sind. So einleuchtend das ist, so dringlich ist hier der Handlungsbedarf. Gebot der Stunde ist nämlich eine bessere Qualifizierung der Lehrer_innen. Das betrifft die Lehrer_innenausbildung, die flexibler auf die konkreten Herausforderungen im Schulalltag vorbereiten sollte, keine Frage. Das betrifft auch die Fortbildungskonzepte. Denn die sind, was aktuelle Forschungsbefunde eindrucksvoll belegen, in großen Teilen unwirksam. Die Qualifizierung unserer Lehrer_innen muss neu gedacht werden - auch, aber längst nicht nur die von Seiten- und Quereinsteigern.  Fortbildungen zu pädagogischen Megathementhemen wie Umgang mit Heterogenität, Inklusion, begabungsgerechte Differenzierung sollten in die Lehrerzimmer kommen oder – die Digitalisierung macht‘ s möglich - nach Hause zu den Kolleg_innen, nicht Einzelne zu ihnen. Vor allem sollten sie obligatorisch sein, dazu praxisnäher, und sie sollten kontinuierlich durchgeführt werden. Einmalige Crash-Kurse, womöglich zu pädagogischen Randthemen, mögen für Einzelne interessant sein, aber eine dauerhafte Verbesserung der Unterrichtsqualität bewirken sie nicht. 

Strukturelle Änderungen

Schließlich: So wichtig Schule und Unterricht für das Lernen unbestritten sind, so wichtig wären auch systemische, strukturelle Änderungen. Wer schon Zehn-, Elf- oder Zwölfjährige auf verschiedene Schulformern verteilt, darf sich über die soziale Selektivität seines Schulsystems nicht wundern. Wer Chancengleichheit will oder bescheidener formuliert - wir wollten ja auf dem Teppich bleiben -, wer Bildungsbenachteiligung abbauen will, der wird hier ansetzen müssen. Strukturelle Veränderungen jedoch setzen Mut und Entschlossenheit der Politik voraus und wohl auch eine grundlegende gesellschaftliche Akzeptanz. Solange die nicht gegeben ist, befinden wir uns dann doch im Reich der Illusion. 

Bildung ist mehr als PISA misst

Unbestritten: Wer nicht gut lesen, rechnen oder schreiben kann, wird Schwierigkeiten haben, in unserer Gesellschaft Fuß zu fassen – auch und erst recht in der Arbeitswelt. Dass Bildungspolitiker_innen nach PISA 2018 ihr Augenmerk einmal mehr auf eine bessere Förderung dieser Kulturtechniken richten, ist richtig und wichtig. 

Mögen Sie jedoch nicht vergessen: PISA ist nicht das Maß aller Dinge. Bildung ist mehr als das, was in Schulleistungsstudien gemessen wird. Bildung ist wohl auch mehr als das, was messbar ist. Denn Bildung zielt auf den ganzen Menschen. Da geht es wesentlich um das Lesen, Rechnen und Schreiben, ja sicher. Aber letztlich geht es um vieles mehr: beispielsweise auch um Demokratie-, Umwelt- und Medienerziehung, um Persönlichkeitsentwicklung und um Gemeinschaftsfähigkeit. Jungen Menschen eine zeitgemäße Grundbildung zu ermöglichen, das ist Aufgabe der Schule. Was jedoch ist darunter zu verstehen, was an Bildung heutzutage unverzichtbar ist? Eine breit angelegte Debatte darüber gehörte ebenfalls auf den vorweihnachtlichen Wunschzettel.   

Politikberatung institutionalisieren und Schulen einbeziehen

Unbestritten auch das: Die Ergebnisse nationaler und internationaler Schulleistungsstudien haben geholfen, Stärken und Schwächen des Bildungssystems zu identifizieren. Die Politik sollte vor dem vorhandenen Wissen nicht die Augen verschließen. Sie sollte Wissen berücksichtigen, wo Wissen existiert. Das beherzigt sie ja durchaus, und das ist gut so. Nur ist das Wissen über die Leistungen unseres Bildungswesens in wenigen Jahren rasant gewachsen. Wir brauchen künftig nicht immer mehr Schulleistungsstudien, sondern Wissen darüber, was wir mit dem bisherigen Wissen anfangen können. Dazu sollte der gemeinsame Diskurs von Wissenschaft und Politik fortgesetzt, mehr noch: intensiviert werden. Hierzu böte sich in der Tat ein Nationaler Bildungsrat als institutionalisierte Politikberatung an. Aber ohne die Schulen geht es nicht. Sie müssen stärker als bisher in den Diskurs eingebunden werden. Denn wer auf Praxisveränderung zielt, muss auf Praxis aufbauen – ein weiterer Wunsch. Und er wird wohl nicht der letzte bleiben.
 

Burkhard Jungkamp ist Moderator des Netzwerks Bildung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Von 2005 bis 2014 war er Staatssekretär im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg.



Über diesen Bildungsblog

Friedrichs Bildungsblog ist der bildungspolitische Blog der Friedrich-Ebert-Stiftung. Friedrich Ebert ist nicht nur Namensgeber der Stiftung.

Sein Lebensweg vom Sattler und Sohn eines Schneiders zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Deutschlands steht für Aufstieg durch Bildung.

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Katja Irle, Redaktionelle Betreuung des Blogs, Bildungs- und Wissenschaftsjournalistin 

Lena Bülow, Team Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

Florian Dähne, Leiter Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

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