Friedrichs Bildungsblog

2

Mehr Kinderrechte in die Schulen – aber wie?

Unzweifelhaft sind in den letzten Jahren zahlreiche Anstrengungen zu beobachten, um Kinderrechte in Schulen stärker zu verankern. Aber das reicht bei weitem nicht aus.

Bild: Daniela Steenkamp und Margit Sein von Privat

Von Margit Stein und Daniela Steenkamp

Das (föderale) deutsche Erziehungs- und Bildungssystem kinderrechtebasiert auszugestalten und es an die Erfordernisse, die sich aus der UN-Kinderrechtskonvention ergeben, anzupassen, stellt eine zentrale bildungspolitische Herausforderung dar.

Ziel unseres Beitrags ist, Impulse für eine kinderrechtsbasierte Schule zu geben und den aktuellen Diskussionsstand vor dem Hintergrund bildungswissenschaftlicher Diskurse, bildungspolitischer und zivilgesellschaftlicher Initiativen sowie schulbezogener Programme zu reflektieren.

Unzweifelhaft sind in den letzten Jahren zahlreiche Anstrengungen zu beobachten, um Kinderrechte in Schulen stärker zu verankern (z.B. die Kinderrechteschulen des Deutschen Kinder- und Jugendhilfswerks, das Modellschulnetzwerk für Kinderrechte Hessen und das Landesprogramm NRW für Schulen).[1] Aber das reicht bei weitem nicht aus.

Die Umsetzung von Kinderrechten muss ein Qualitätsmerkmal werden!

Aktuell gilt es, die Debatte um Kinderrechte in der Schule mit dem Diskurs um Schulqualität systematisch zu verknüpfen. Kinderrechtebasierte Arbeit muss in der empirischen Bildungsforschung als ein Qualitätsmerkmal stärker berücksichtigt werden. In der Praxis halten wir die Erarbeitung und Umsetzung von Kinderrechte-Audits bzw. die Nutzung von Monitorings oder auch ein auf Kinderrechte bezogenes Mainstreaming (das sog. childrens rights mainstreaming) für sinnvoll. Hier hat der Europa-Rat bereits einige Vorschläge vorgelegt.[2] Auch sind in den letzten Jahren verschiedene Indexmodelle stärker zu berücksichtigen, die darauf abzielen, Organisationen ganzheitlich einem Auditierungsprozess zu unterziehen oder Indikatoren für kinderrechtsbasierte/ menschenrechtsbasierte Schulen/ Organisationen zu entwickeln. Hier sind exemplarisch die Human Rights Friendly Schools von Amnesty International, die Child Friendly Schools von UNICEF, das Child Rights Programming von Save The Children, der schulklimatische Index des Human Rights Resources Center/ University of Minnesota und das Demokratieaudit der DeGeDe sowie das buddY-Programm zu Kinderrechten in der Schule oder auch die Arbeiten der Antonio Amadeu Stiftung (Kinderrechte in der Kommune) zu nennen.[3]

Direkte Beteiligung von Kindern!

Child rights-focused zu arbeiten, heißt nicht nur im besten Interesse des (einzelnen) Kindes zu arbeiten. Es heißt auch, das System Schule im besten Interesse des Kindes umzugestalten, und zwar unter direkter Beteiligung von Kindern, d.h. es auch direkt von Kindern umgestalten zu lassen. Kein Auditierungsprozess sollte ohne Kinder stattfinden. Es gilt die Frage zu beantworten, wie nicht für Kinder, sondern mit Kindern (von Beginn an) gedacht wird. Dies betrifft auch die Arbeit von Steuerungsgruppen bei der Weiterentwicklung von Kinderrechteschulen, beispielsweise in den Kultusministerien. Wie wird die kindliche Meinung von Beginn an eingebunden?

Für die Verwirklichung von Kinderrechten braucht es zudem einen schulischen Resonanzkörper. Ausbaufähig sind partizipative Elemente, auf deliberativer und kollaborativer Ebene und die Öffnung zum Gemeinwesen (Stichwort Service Learning). Kinder ernst zu nehmen heißt auch, sie in die Verantwortung zu nehmen und sie Ideen nicht nur entwickeln, sondern auch umsetzen zu lassen. Infolge der Digitalisierung gibt es mittlerweile verschiedene onlinebasierte Beteiligungsplattformen, die Kindern und Jugendlichen mehr Beteiligung ermöglichen können (z.B. aula)[4] und es haben sich auch die didaktischen Möglichkeiten bezogen auf die Menschenrechtsbildung verändert und aus unserer Sicht erweitert. Denkbar wäre, sog. Serious Games stärker im Unterricht zu nutzen (vgl. Zeigermann 2017).[5] 

Warum haben wir keine Lehrstühle für die Rechte des Kindes?

Kinderrechte in der Pädagogik sind ein Querschnittsthema. Es gibt keine Lehrstühle für Kinderrechte – warum nicht? Es würde die Forschung und Implementierung von Kinderrechten in Theorie und Praxis voranbringen. Der kinderrechtsbasierte pädagogische Diskurs „zerfällt“ in die Bereiche Inklusion (Inklusive Pädagogik, aber auch (noch) Sonderpädagogik), Demokratie (Demokratiepädagogik) und Nicht-Diskriminierung (Antirassismuspädagogik,  Antidiskriminierungspädagogik, vorurteilsbewusste Pädagogik), Geschlechter ( -gerechte oder sensible) Pädagogik, Interkulturalität, Globales Lernen sowie Pädagogik der Nachhaltigkeit, ohne dass der in den 1990er Jahren von Prengel entwickelte Ansatz der Pädagogik der Vielfalt, der ganzheitlich angelegt war, systematisch praxisbezogen auch ganzheitlich weitergedacht wird.[6] Zudem gilt es, historische pädagogische Entwicklungslinien mit ihrer stark ausgerichteten Subjektorientierung (Reformpädagogik, basisdemokratische Schulkonzepte wie Summerhill oder Just-Community, aber auch Befreiende Pädagogik) auch im child rights-focused bezogenen Diskurs nicht aus den Augen zu verlieren.

Stärkere Berücksichtigung von intersektionalen Forschungsergebnissen in der schulischen Praxis!

Zwar etabliert sich in den Bildungswissenschaften zunehmend ein intersektionaler Forschungsblick, die Praxis (die Entwicklung hin zu einer intersektional angelegten Pädagogik) steht jedoch weit dahinter zurück. In der Konsequenz bedeutet child rights-focused zu arbeiten, verschiedene pädagogische Handlungsansätze mit den genannten pädagogischen Subdisziplinen in einer Schule vereinen zu müssen.

Potentiale soziokultureller Bildung nutzen!

Die soziokulturelle Bildung (im erweiterten Sinn auch die ästhetische Bildung) leistet einen wesentlichen Beitrag zur Thematisierung von Kinderrechten und eröffnet Kindern (insbesondere denen, die von sozialer Benachteiligung betroffen sind) einen wichtigen Zugang. Soziokulturelle Arbeit und Schule müssen stärker miteinander verknüpft werden, Schule muss Chancen soziokultureller Bildung nutzen.[7] Hier sei auf erste Ansätze wie das Kinderrechtefilm-Festival (Kinder aus Schulen entwickeln mit ihrer Klasse ein Drehbuch zu einem Kinderrecht, drehen den Film und präsentieren ihn) oder die Bemühungen des Atze-Theaters in Berlin zur politischen Partizipation von Kindern und Jugendlichen verwiesen.[8] Denkbar sind beispielsweise Kooperationen mit Theater- und Opernhäusern, Jugendzentren, Familienzentren.

Kinderrechtebasierte Schulen brauchen qualifiziertes Personal – trotz Lehrkräftemangel!

Digitale Weiterbildungsangebote wie das Angebot zum Demokratielernen der Bertelsmann-Stiftung (Citizenship Education) könnten stärker mit universitärer Lehre verknüpft werden.[9] Weiterbildungs- oder zusätzliche Studiengänge im Bereich Kinderrechte und Demokratiebildung gibt es (z. B. FU Berlin oder FH Potsdam).[10]  Diese müssten jedoch einem größeren Adressat_innenkreis bekannt werden.

Fazit

Wird der allseitige Entfaltungsanspruch der UN-Kinderrechtskonvention ernst genommen, ist es dringend Zeit, dass die zahlreichen Impulse hierzu, die bislang insbesondere von NGO´s ausgegangen sind, in den Schulen ankommen: „Rechte eröffnen Lebensmöglichkeiten, und daher heißt es im Englischen so trefflich: Enjoy your rights! Auch Kinder sollen ihre Rechte genießen“ (Krappmann 2014, S. 2).[11]

 

Prof. Dr. Margit Stein ist Professorin für Allgemeine Pädagogik an der Universität Vechta und war bis 2019 Direktorin des dortigen Zentrums für Lehrer_innenbildung. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Werteerziehung.

Prof. Dr. Daniela Steenkamp ist Professorin für Wissenschaft und Methoden der Sozialen Arbeit an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Villingen-Schwenningen. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Menschenrechtsbildung.

Die Autorinnen sind unter steenkamp(at)dhbw-vs.de und margit.stein(at)uni-vechta.de erreichbar.

 

 

 

 

[1]https://www.dkhw.de/schwerpunkte/kinderrechte/kinderrechteschulen/; „MAKISTA- Bildung für Kinderrechte und Demokratie“; http://kinderrechteschulen-nrw.de/

[2]https://www.coe.int/en/web/children/children-s-rights-mainstreaming#{%2212439189%22:[0]}

[3]https://www.amnesty.org/en/human-rights-education/human-rights-friendly-schools/; https://www.unicef.org/cfs/ ; https://resourcecentre.savethechildren.net/our-thematic-areas/cross-thematic-areas/child-rights-programming-crp; https://education-y.de/handlungsfelder/schule/; https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2018/08/kinderrechte-internet-1.pdf

[4]http://aula-blog.website/

[5]halshs.archives-ouvertes.fr/halshs-01660992

[6] Prengel, Annedore (2008): Pädagogik der Vielfalt. Verschiedenheit und Gleichberechtigung in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik. Berlin Heidelberg New York (Springer-Verlag).

[7] Kämpf-Jansen, Helga (2001): Ästhetische Forschung. Wege durch Alltag, Kunst und Wissenschaft; zu einem innovativen Konzept ästhetischer Bildung.  (Salon-Verlag).

[8]http://www.kijufi.de/projekte-ansicht/kinderrechte-filmfestival/; http://www.atzeberlin.de/seiten/repertoire/seiten/musicals-die-ministerpraesidentin.php

[9]https://www.oncampus.de/blog/2018/10/04/online-kurs-citizenship-education-demokratiebildung-in-schulen/

[10] Master FU: Demokratiepädagogische Schulentwicklung und soziale Kompetenzen: https://www.ewi-psy.fu-berlin.de/einrichtungen/arbeitsbereiche/weiterbildung_bildungsmanagement/media/downloads/Flyer_MA_Demo_P__d__www.pdf?1366111421;  Master of Arts: Childhood Studies and Children's Rights (FH Potsdam:https://www.fh-potsdam.de/studieren/fachbereiche/sozial-undbildungswissenschaften/studium/studiengaenge/master/ma-childhood-studies-and-childrens-rights/

[11]http://kinderrechteschulen-nrw.de/wp-content/uploads/KICKOFF_L_Krappmann-1.pdf



Über diesen Bildungsblog

Friedrichs Bildungsblog ist der bildungspolitische Blog der Friedrich-Ebert-Stiftung. Friedrich Ebert ist nicht nur Namensgeber der Stiftung.

Sein Lebensweg vom Sattler und Sohn eines Schneiders zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Deutschlands steht für Aufstieg durch Bildung.

Weiterlesen

Katja Irle, Redaktionelle Betreuung des Blogs, Bildungs- und Wissenschaftsjournalistin 

Lena Bülow, Team Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

Florian Dähne, Leiter Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

Wenden Sie sich bei Ideen und Vorschlägen für Blogbeiträge gerne an florian.daehne(at)fes.de

Für weitere spannende Blogbeiträge klicken Sie hier:

Kommentare

  • Margit Stein und Daniela Steenkamp,
    Sehr geehrte Stipendiat*innen,

    vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Wir freuen uns darüber, dass Sie sich mit dem Thema auseinandersetzen. Der Anspruch auf Partizipation leitet sich insbesondere aus Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention ab. Bis auf die USA haben alle Staaten die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Insofern sehen wir einen universellen Handlungsauftrag gegeben. Für eine vertiefe Auseinandersetzung ist eine aktuelle Ausarbeitung der entsprechenden Monitoring-Stelle evtl. für Sie interessant (insbesondere ab S. 23):https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Information/Information_GC12_barrierefrei_geschuetzt.pdf

    Mit freundlichen Grüßen

    Margit Stein und Daniela Steenkamp
  • Friedrichs digitaler Bildungsstammtisch,
    Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Steenkamp, sehr geehrte Frau Prof. Dr. Stein,
    im Rahmen unserer Stammtisches, bei dem wir als Stipendiat*innen der FES in Zukunft über verschiedene Artikel Friedrichs Bildungsblogs sprechen, haben wir uns Gedanken über Ihren Artikel gemacht.
    Im Grunde stimmen wir mit Ihnen überein, dass Kinderrechte extrem wichtig sind und vor allem in Schulen Beachtung finden sollten.
    Jedoch stellt sich uns die Frage, ob das Bild, das Sie in Ihrem Artikel entwerfen, ein sehr westlich geprägtes ist. Dadurch, dass wir grundlegende Kinderrechte anerkennen und auch das Recht auf Bildung erfüllt wird, können wir uns beispielsweise Gedanken über mehr Partizipation an Schulen machen. Wer entscheidet an dieser Stelle aber, wie viel die Schüler*innen partizipieren sollen, damit Kinderrechte als erfüllt gelten? Wie viel können und dürfen wir den Kindern in diesem Bereich zutrauen?
    Auf die Frage, was mitbestimmen zu dürfen bei uns auslöst, haben wir Folgendes geantwortet: Verantwortungsgefühl, Bewusstsein über Probleme und Alternativen, es gibt das Gefühl dazuzugehören und etwas gestalten zu können, Gemeinschaftsgefühl, gutes Selbstwertgefühl & Selbstbewusstsein, Gefühl "ernst genommen" zu werden, größerer Lernerfolg.
    Uns stellt sich außerdem die Frage, wieso am Anfang des Artikels auf die UN-Kinderrechtskonventionen referiert wurde, wenn es in Ihrem Artikel - sofern wir es richtig verstanden haben - darum geht, dass eine Demokratisierung an Schulen stattfinden sollte, damit mehr Kinderrechte umgesetzt werden können. In den Konventionen fanden wir keinen direkten Bezug zur Partizipation und Demokratisierung an Schulen, sodass wir letztendlich selbst den Zusammenhang zwischen Partizipation und Kinderrechten hergestellt haben.
    Wir würden uns freuen, wenn Sie auf unsere Verständnisfragen eingehen würden.

    Mit freundlichen Grüßen
    Stipendiat*innen der FES

Neuen Kommentar verfassen