In vielen Ländern des Globalen Nordens ist es Mode geworden, sich eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik zu geben. Das wirft die Frage auf, ob und wie ein solches Vorgehen feministische Bewegungen im Globalen Süden vereinnahmt und beeinflusst.
Kanada, Schweden und Frankreich waren unter den ersten Ländern, die sich offiziell einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik verschrieben haben. Allgemein gesprochen, geht es dabei um Geschlechtergerechtigkeit, den Schutz und die Förderung der Rechte von Frauen und Mädchen, gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Konfliktprävention und -mediation sowie am politischen und öffentlichen Leben, die wirtschaftliche Stärkung von Frauen und um sexuelle und reproduktive Gesundheit sowie diesbezügliche Rechte. So soll Gender Mainstreaming erreicht und die Teilhabe von Frauen in wichtigen außenpolitischen Bereichen gefördert werden. Je nach Ausgestaltung im betreffenden Land können auch die nationale und internationale Sicherheitspolitik, die internationale Entwicklungszusammenarbeit/Entwicklungshilfe sowie die Außenhandelspolitik umfasst sein.
Diesen politischen Bekenntnissen müssen jedoch Taten in Form einer angemessenen Ausstattung mit Ressourcen folgen: für Organisationen und Programme, die sich dezidiert für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, und für feministische Aktivist_innen und Organisationen, die für die Achtung der Menschenrechte von Frauen kämpfen.
Das große Verdienst des Konzepts einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik besteht nicht nur darin, dass sich die Länder damit eine Selbstverpflichtung geben und einen institutionellen Rahmen schaffen, sondern auch in der öffentlichen Anerkennung der Tatsache, dass Frauen und Mädchen unverhältnismäßig hart von patriarchalen Einstellungen und Strukturen benachteiligt werden, und dass Abhilfe und Wiedergutmachung in Form von Transparenz und gesteigerten Ressourcen geschaffen werden muss, solange das Patriarchat selbst nicht abgeschafft ist.
Feministische Kritik an feministischer Außen- und Entwicklungspolitik
Obwohl eine solche Politik in der Regel in enger Partnerschaft mit ausgewählten zivilgesellschaftlichen Organisationen formuliert wird, die sich im Bereich Feminismus und Frauenrechte engagieren, gibt es auch Kritik – insbesondere von feministischen Akteur_innen, deren Arbeit direkt betroffen ist.
Im Zentrum dieser Kritik steht die Befürchtung, dass Mainstream-Politik und Neoliberalismus die Feminismen (es gibt ja nicht nur den einen Feminismus) ebenso kapern, wie sie es regelmäßig mit anderen progressiven Bewegungen tun, von denen sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlen.
Was Feminismus ist und was nicht, wird selbst unter Feminist_innen immer wieder kontrovers debattiert. Die Vielfalt feministischer Bewegungen kann als eine ihrer Stärken begriffen werden. Sie ist Ausdruck von Ehrlichkeit und politischer sowie intellektueller Integrität. Reaktionäre Strömungen hingegen sehen diese Vielfalt oft als Schwäche. Die Anerkennung, dass Frauen und Mädchen keine homogene politische Klasse bilden, und dass ihre Interessen und Prioritäten unterschiedlich sein können, führt zu einem intersektionalen Ansatz, der darauf achtet, wie Systeme und Strukturen der Diskriminierung und Unterdrückung miteinander interagieren und einander erhalten, um bestimmte Gruppen von Frauen und Mädchen weiter zu marginalisieren.
Dieser Pluralismus prägt feministische Debatten und Positionierungen in zahlreichen Schlüsselfragen, darunter Themen wie Abtreibung, Sexarbeit, Leihmutterschaft und Menschenhandel. Er hat auch erhebliche Auswirkungen auf unsere Fähigkeit, zu mobilisieren und unsere kollektive politische Macht zum Tragen zu bringen – denn manchmal ist es notwendig, mit einer Stimme zu sprechen.
Bei aller Akzeptanz und Wertschätzung dieses feministischen Pluralismus muss betont werden, dass das Hauptziel des Feminismus die Abschaffung des Patriarchats ist und der intersektionale Feminismus dabei einen Schritt weiter geht, indem er die Zerstörung aller Unterdrückungssysteme fordert. Feminismen sind also per definitionem subversiv. Ihr Ziel ist nicht und sollte nicht sein, für mehr Teilhabe und Repräsentation von Frauen innerhalb bestehender Machtstrukturen zu kämpfen. Stattdessen sollte es darum gehen, genau diese Machtstrukturen und -dynamiken zu hinterfragen, unterlaufen und letztlich zerstören.
Der Kapitalismus und der Neoliberalismus als seine Begleiterscheinung stützen sich maßgeblich auf die unbezahlte Reproduktionsarbeit von Frauen, die Ausbeutung von Frauen in der Arbeitswelt, Rassismus und andere Formen von Diskriminierung. Der Feminismus ist eine existenzielle Bedrohung für den Fortbestand des Kapitalismus und Neoliberalismus. Um ihn zu schwächen, ist man vielfach dazu übergegangen, ihn durch eine Vereinnahmung von Teilen seines Diskurses zu entpolitisieren und neutralisieren. Vor diesem Hintergrund nehmen viele feministische Akteur_innen, einschließlich intersektionale Feministinnen, feministische Außen- und Entwicklungspolitik als ein reines Instrument des Establishments zur Legitimierung seiner selbst wahr.
Außerdem stellt sich die berechtigte Frage, wie glaubwürdig sich ein Land wie Frankreich oder Schweden mit einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik brüsten kann, während gleichzeitig Waffen zur Verwendung in Kriegen und Konflikten geliefert werden, unter denen Frauen und Mädchen überproportional leiden. Wie feministisch kann eine Außenpolitik sein, wenn die Gesellschaft gleichzeitig immer weiter militarisiert wird? Gesellschaftliche Militarisierung ist ein Phänomen, das Feminist_innen weltweit seit Jahrzehnten verurteilen. Repräsentation allein reicht nicht aus, um eine Politik ‚feministisch‘ zu machen. Solange es keine konkreten Initiativen gibt, die alte Machtdynamiken durchbrechen, bleibt es Etikettenschwindel.
Auswirkungen auf feministische Organisationen vor Ort
Bislang hatten feministische Außen- und Entwicklungspolitiken noch keinen Erfolg bei der Dekolonisierung der internationalen Hilfe. Mit ausgewählten Markern und Prioritäten als Konditionalitäten für Unterstützung beeinflusst die Politik des Globalen Nordens weiterhin die feministische Programmsetzung in den Zielländern, statt indigene Agenden und Prioritäten lokaler feministischer Bewegungen zu stärken. Die Entwicklungspolitik eines staatlichen Apparats, der letztlich nur sich selbst dient, steht mit feministischen Organisationen vor Ort im Wettbewerb um Finanzmittel. Dadurch werden feministische Bewegungen noch weiter fragmentiert. Aktivist_innen werden zu Vollzeit-Mitarbeitenden in NGOs, die in einer unternehmerisch durchorganisierten Welt arbeiten: Sie schreiben Berichte, managen Finanzen und analysieren Social-Media-Daten, statt in ihrer eigenen Arbeit gestärkt zu werden und den Raum zu bekommen, eigene Strategien zur Veränderung ihrer materiellen Lage zu entwickeln.
Die Internationale Hilfspolitik ist kein feministischer Finanzierungsmechanismus – auch dann nicht, wenn sie auf einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik beruht. In feministischen Förderorganisationen wie dem Doria Feminist Fund, dem FridaFund, dem Urgent Action Fund und dem Count Me In! Consortium wird gemeinsam darüber nachgedacht, wie feministische Grundsätze in die Förderpraxis integriert werden können. Zu diesen Prinzipien gehören radikale Solidarität, Bewegungsaufbau, sinnvolle Teilhabe, Kooperation und Sorge umeinander. Sie spiegeln die Bereitschaft wider, dafür zu sorgen, dass soziale Bewegungen dazu beitragen können, unterdrückerische Systeme abzuschaffen.
Einige Geberländer haben sich auch ohne eine explizit ‚feministische‘ Außen- und Entwicklungspolitik der Kritik feministischer Organisationen gestellt und Zweckbindungen von Fördergeldern reduziert oder abgeschafft, Anforderungen gesenkt und lokalen Organisationen ermöglicht, Fördermittel zu nutzen, um ihre eigenen Prioritäten voranzutreiben. Die Norm ist dies jedoch noch nicht. Viele große Geberländer erwarten von lokalen feministischen Organisationen nach wie vor, dass sie ihre Programme auf ihre eigenen außenpolitischen Prioritäten zuschneiden. Dadurch wird der Druck auf diese Organisationen und Aktivist_innen erhöht: Einerseits müssen sie Anforderungen erfüllen, andererseits auch die Prioritäten verfolgen, die sie selbst identifiziert haben.
Diese Praxis seitens der Geberländer hat nur einen Effekt: Sie belastet Aktivist_innen, die in schwierigen und volatilen Umfeldern die Menschenrechte von Frauen verteidigen, mit zusätzlichem Stress. Im Libanon kämpfen Feminist_innen zum Beispiel gegen ein restriktives Rechtssystem, das ihre Arbeit behindert. Sie sind Belästigungen und Diffamierungskampagnen ausgesetzt; Korruption und sozioökonomische Ungleichheiten und verschiedene andere Krisen, die sich aus einer neoliberalen Politik ergeben, erschweren die Arbeit zusätzlich. Diese Einschränkungen, Probleme und Krisen wurden durch die COVID-19-Pandemie und die verheerenden Nachwirkungen der Explosion im Hafen von Beirut noch verstärkt. Feministische Aktivist_innen mussten sich umorientieren und ihre Projekte anpassen. Verständnis gab es dafür nur in wenigen Geberländern. In solchen Umständen zu erwarten, dass das gleiche Anforderungsniveau weiter erfüllt wird, mit den gleichen Zeitplänen und der gleichen Berichtsqualität, zeigt die Unfähigkeit und mangelnde Bereitschaft, die Realitäten und Erfahrungen der Gruppen zur Kenntnis zu nehmen, die man eigentlich zu unterstützen vorgibt.
Bei der Evaluierung und Weiterentwicklung ihrer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik ist es unerlässlich, dass die Geberländer die Forderungen und Prioritäten feministischer Bewegungen berücksichtigen. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, welche Auswirkungen ihre Politik und Praxis auf diese Bewegungen haben wird, und sie müssen bereit sein, von den guten Praktiken der feministischen Förderorganisationen zu lernen.