Die Friedrich-Ebert-Stiftung im Jahr 2023 –resilient und innovativ
»Die Welt ist aus den Fugen geraten«: So überschrieb der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Rede beim Deutschen Evangelischen Kirchentag im Juni 2015. Auf damals zurückblickend erscheint das fast übertrieben. Für heute kann man diese Aussage dagegen wohl leider nur bekräftigen.
Nicht nur der schreckliche Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zeigt uns das jeden Tag, auch zahlreiche weitere Konflikte sind im Jahr 2023 ausgebrochen oder wieder aufgeflammt. Im Frühjahr musste unsere Kollegin Christine-Felice Röhrs fluchtartig den Sudan wegen des Krieges verlassen, im Herbst erschütterten die Gräueltaten der Hamas bei ihrem Angriff auf Israel die Welt. Das Massaker an israelischen Zivilist_innen sowie die Verschleppung hunderter Geiseln in den Gazastreifen am 7. Oktober stellen eine eigene Zeitenwende dar, deren Ausmaß für die Region noch nicht abzusehen ist. Der folgende Krieg im Gazastreifen mit tausenden Opfern unter palästinensischen Zivilist_innen hat die dramatische humanitäre Lage der Bevölkerung noch einmal drastisch verschärft.
Die FES mit ihren Büros in Tel Aviv, Ost-Jerusalem, Beirut, Amman und Kairo konnte durch ihr Fachwissen die Ereignisse zeitnah für politische Entscheidungsträger_innen einordnen. Die verhärteten Fronten sowohl in der medialen Debatte als auch in den Gesellschaften der Region stellen die Arbeit der FES für einen nachhaltigen Frieden jedoch vor große Herausforderungen. Wir müssen nicht nur an erster Stelle unseren Kolleginnen und Kollegen vor Ort beistehen und Gesprächskanäle zu Partnerorganisationen offenhalten, sondern auch reaktionsschnell Analysen zu aktuellen Geschehnissen bereitstellen. Für die Politikberatung ist dabei jedoch besonders wichtig, dass wir über den Tag hinausdenken und die Entwicklungen in den größeren Kontext stellen.
Unsere beiden stiftungsweiten Schwerpunktthemen haben gezeigt, wie eng die großen innen- und außenpolitischen Herausforderungen zusammenhängen. Im Fokusprojekt »Wer zahlt die Zeche? Für eine gerechte Zukunft!« hat die FES Konzepte progressiver Finanzpolitik diskutiert, weiterentwickelt und in zahlreichen ansprechenden Formaten an verschiedene Zielgruppen vermittelt. Das Fokusprojekt »Zeitenwende« hat sich den Herausforderungen der internationalen Politik gewidmet, die uns seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 beschäftigen.
Soziale Investitionen, der Umbau unserer Wirtschaft, aber auch verteidigungspolitische Projekte brauchen finanzielle Spielräume. Wie kann eine gerechte Lastenverteilung in Zeiten von Krisen und Konflikten aussehen? In unserem Schwerpunkt »Wer zahlt die Zeche?« haben wir die Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen in den Mittelpunkt gerückt. Denn in den kommenden Jahren werden Billionen Euro als leistungslose Einkommen vererbt oder verschenkt, ohne dass diese Erbschaften und Schenkungen ausreichend und fair besteuert würden. Das gilt vor allem für Hochvermögende, die eine Besteuerung durch steuerliche Schlupflöcher zum Teil vollständig vermeiden können.
Die Innovationskraft des Fokusprojekts zeigte sich beispielsweise in einer Erbschaftsteueruhr, die digital im Netz, aber auch als eindrucksvolle, drei Meter große Installation den fortlaufenden Verlust für den Fiskus durch entronnene Steuereinahmen visualisiert. Die Uhr ging auf Tour durch das Bundesgebiet, nachdem sie am 30. November 2022 in Berlin enthüllt worden war; sie zog auf Veranstaltungen in den Ländern, beim Evangelischen Kirchentag, auf der re:publica oder im Deutschen Bundestag die Blicke auf sich und regte zu Diskussionen an.
An erster Stelle des Zeitenwende-Fokusprojekts stand die Frage nach unserem außenpolitischen Selbstverständnis. Eine Zeitenwende bedeutet nicht zwangsläufig die Aufgabe unserer Prinzipien. Doch zwingt sie alle politischen Akteur_innen dazu, bisherige Gewissheiten zu hinterfragen, etwa im Umgang mit machtvollen Autokratien wie Russland.
Eine ganz andere, aber ebenfalls wichtige Zäsur für die Rahmenbedingungen der Stiftungsarbeit war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 2023. Das Gericht befand, dass ein eigenständiges Gesetz zur Regelung der Finanzierung der politischen Stiftungen notwendig sei. Das Jahr stand daher auch im Zeichen dieser wichtigen Entwicklung für die Rahmenbedingungen der Stiftungsarbeit.
Die Besonderheit der deutschen demokratischen politischen Stiftungen liegt darin, dass sie den politischen Pluralismus verkörpern. Sie stärken das kritische Bewusstsein und die demokratische Vielfalt, indem sie in ihren Angeboten vermitteln, wie die verschiedenen politischen Grundströmungen auf dem Boden des Grundgesetzes um die besten Lösungen und um politisch-parlamentarische Mehrheiten ringen. Die Bildungsangebote der politischen Stiftungen stehen allen offen und sind wichtige Bestandteile der Förderung von Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt.
Dieses Prinzip wird politisch vom rechtsextremen Rand angegriffen. Die Freiheiten, die unsere Demokratie bereithält, werden genutzt, um das Vertrauen in sie und ihre Institutionen zu delegitimieren und die Gesellschaft zu spalten. Welche Effekte diese Politik hat, zeigen die beunruhigenden Ergebnisse unserer Studie »Die distanzierte Mitte«, die im September erschien. Die Mitte-Studie der FES, die seit 2006 alle zwei Jahre rechtsextreme Einstellungen in Deutschland erhebt, stieß auf enormes Medieninteresse, da sie die Entwicklungen sehr gut über den Zeitverlauf darstellt. Die Befunde sind besorgniserregend.
Umso wichtiger ist es, dass das Gesetz zur Finanzierung der politischen Stiftungen, das Ende Dezember 2023 in Kraft getreten ist, das Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Gedanken der Völkerverständigung zur Bedingung für die Finanzierung der Stiftungen macht.
Das Gesetz, das ansonsten die bewährte Praxis weitgehend fortschreibt, kommt zu einer Zeit, in der die Friedrich-Ebert-Stiftung sich auf ein großes Jubiläum vorbereitet: Am 2. März 2025 wird die FES hundert Jahre alt. Das bedeutet hundert Jahre Arbeit für eine freie, sozial gerechte und solidarische Welt. Dies ist für uns nicht nur ein Anlass, stolz auf das Erreichte zurückzublicken, sondern auch den Blick nach vorne zu richten. Hundert Jahre nach der Gründung ist die Stiftung als zentrale Akteurin der Sozialen Demokratie der Zukunft aufgestellt.
Die Feierlichkeiten zum Jubiläum beginnen bereits im November 2024 mit einer Ausstellung zur Geschichte der Stiftung und einem Ideenlabor für eine gerechte und solidarische Zukunft. Im Jubiläumsjahr 2025 werden wir neben einem Festakt, einer Kunstausstellung und einem internationalen Festival noch zahlreiche weitere Veranstaltungen und Aktionen ausrichten.
Damit die FES als Organisation weiter resilient und für große Herausforderungen gut vorbereitet ist, treiben wir auch interne Innovationsprojekte voran. So sind wir bei der Erarbeitung unserer Nachhaltigkeitsstrategie ein gutes Stück vorangekommen. Gleichzeitig wollen wir unsere Arbeits- und Feedbackkultur weiterentwickeln. Dass wir in Sachen Organisationsentwicklung auf einem guten Weg sind, hat die Validierung durch die European Foundation for Quality Management (EFQM) gezeigt, die der Stiftung im August das Qualitätssiegel »Qualified by EFQM« ausgestellt hat.
Besonders beeindruckt hat die Assessor_innen das Engagement, die hohe Identifikation und die kollegiale Kultur in der Stiftung. Darüber freuen wir uns sehr. Wir wissen, dass die FES engagierte und idealistische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat. Sie sind es, die unsere Stiftung so besonders machen und uns zuversichtlich und motiviert in die Zukunft blicken lassen. Wir bedanken uns an dieser Stelle ganz herzlich bei ihnen.