Sie wollen in der Ukraine Russland aufbauen!
Die Abwahl Juschenkos und die Machtübernahme durch Viktor Janukowitsch im Februar 2010 wurde zu einer echten Bedrohung für die ukrainische Gesellschaft. So wurden extrem antidemokratische Gesetze durchgesetzt und das berühmte, von Janukowitsch geförderte „Sprachengesetz“ bedeutete für viele Aktivist:innen die Fortsetzung der Russifizierungspolitik. Die politischen Maßnahmen Janukowitschs führten die Ukraine in einen Zustand der Banditen-Oligarchie und in Abhängigkeit von Russland, ähnlich wie die Lage jetzt in Belarus ist. Die folgende Passage ist ein Auszug aus einem Interview mit Jurij Badzio aus dem Jahr 2010 (Jurij Badzio: „Russland wird uns kein zweites Mal aus seinen Fängen lassen“, Interview mit Jurij Badzio von Olexander Gavrosh, 29. April 2010)
Interviewer: Also, Herr Jurij Badzio, wir haben den vierten Präsidenten der Ukraine.
Badzio: Eigentlich haben wir einen Rückkampf. Und es gibt allen Grund zu der Annahme, dass wir derzeit eine Besatzungsverwaltung haben. Und in der Ukraine kann man weitgehend von einem nationalen Erwachen sprechen, denn die repressive Politik der alten kommunistischen Regierung hatte die Russifizierung eines großen Teils der Bevölkerung der Ukraine zur Folge. Und das heutige Russland nutzt dies aus, mit dem klaren Ziel, einen verlässlichen Brückenkopf für seinen Einfluss in der Ukraine zu gewinnen. Das strategische Ziel ist es, die Existenz der Ukraine als unabhängigen Staat zunächst zu einer rechtlichen und politischen Fiktion zu machen und sie zu einem günstigen Zeitpunkt aufzuspalten.
Interviewer: Ist alles wirklich so intensiv?
Badzio: Diese Ideen werden in der russischen Gesellschaft sowohl auf der Ebene der Regierung als auch der öffentlichen Meinung geäußert. Was soll man sagen, wenn der berüchtigte Dugin weiterhin den Lehrstuhl an der Moskauer Universität leitet, der offen erklärt, dass ein Gebilde wie die Ukraine künstlich und hoffnungslos sei und von der politischen Landkarte Europas verschwinden sollte.
Interviewer: Und was sollte dann passieren?
Badzio: Anfang der 1990er Jahre entwarf Migranjan, der eine Abteilung in Jelzins Regierung leitete, einen Plan für die Rückkehr der Zentral- und Ostukraine zu Russland, während die westukrainischen Gebiete vor die „Wahl“ gestellt wurden: entweder Autonomie in der neuen geopolitischen Realität oder Zugehörigkeit zu Polen. Die Unabhängigkeit war für niemanden vorgesehen.
Interviewer: Nächstes Jahr werden wir den 20. Jahrestag der Unabhängigkeit feiern. Wie würden Sie die Entwicklung der Ukraine in dieser Zeit charakterisieren?
Badzio: Der zweite Präsident Kutschma [1994—2004] ging [1994] mit dem Slogan der Annäherung an Russland in die Wahlen. Mit seinem Amtsantritt begann eine neue Periode in der ukrainischen Geschichte. Doch 1994 wurde die Ukraine durch die russische Aggression gegen Tschetschenien, oder besser gesagt, durch den russisch-tschetschenischen Krieg gerettet. Dadurch entfernte sich die Gesellschaft von der Idee einer Annäherung an Russland, und auch für Kutschma verschärfte sich die Situation drastisch.
Ich habe keinen Zweifel daran, dass Russland von Anfang an das strategische Ziel verfolgte, den Status quo des Imperiums wiederherzustellen. Und die Ukraine hatte nicht nur eine sehr starke politische und psychologische Position, sondern auch ein fertiges politisches Umfeld. Und hier war das Gesetz über die Außenpolitik der Ukraine aus dem Jahr 2003 ein entscheidender Moment in Kutschmas Entwicklung. Das Gesetz, das den künftigen Beitritt der Ukraine zur NATO ankündigte. [Die Ukraine sollte 2008 der Nordatlantischen Allianz beitreten.] Dies wurde unter Kutschma beschlossen, und Juschtschenko hat sich mehr als einmal darauf bezogen [...]
Interviewer: Kann Janukowitsch sich weiterentwickeln, so wie Kutschma es seinerzeit getan hat?
Badzio: Kann er. Vielleicht wird Janukowitschs egoistisches Motiv überwiegen und er wird sich allmählich seiner Verantwortung gegenüber dem Staat bewusst. In der Partei der Regionen sind eine ganze Reihe ernsthafter Unternehmer vereint. Und sie sind daran interessiert, einen Markt zu haben und normale Beziehungen zum Westen zu unterhalten, ohne eine Provinz Russlands zu werden. Aber dieser Faktor erfordert eine aktive Politik der ukrainischen Kräfte. Wenn dies nicht geschieht, wird uns Russland nicht ein zweites Mal aus seinen Fängen entlassen.