Gewerkschaftsarbeit neu denken, um Arbeit der Zukunft zu gestalten

Führung der uruguayischen Gewerkschaften zu Gesprächen in Berlin

PIT-CNT-Delegation (Gewerkschaftsdachverband aus Uruguay) an der ehemaligen Berliner Mauer in Deutschland

Bild: PIT-CNT-Delegation an der ehem. Berliner Mauer von FES

PIT-CNT-Delegation (Gewerkschaftsdachverband aus Uruguay) mit Reiner Hoffmann, DGB

Bild: PIT-CNT-Delegation mit Reiner Hoffmann, DGB (3. von rechts) von FES

PIT-CNT-Delegation (Gewerkschaftsdachverband aus Uruguay) mit Christine Behle und Alexa Wolfstädte, ver.di

Bild: PIT-CNT-Delegation mit Christine Behle und Alexa Wolfstädte, ver.di von FES

»Warum seid Ihr eigentlich nicht im Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB)?« Diese Frage wurde dem Führungsteam des uruguayischen Gewerkschaftsdachverbands PIT-CNT während dessen Gesprächsreise in Berlin Ende März immer wieder gestellt. Und sie liegt ja auch auf der Hand: Die uruguayischen Gewerkschaften sind so stark wie sonst keine in Lateinamerika und gewinnen seit Jahren an politischem Gewicht. Sie haben ihr Organisationsniveau in 15 Jahren vervierfacht und gleichzeitig ihre Allianzen mit sozialen Bewegungen ausgebaut. Sie suchen aktiv internationale Zusammenarbeit, koordinieren die Gewerkschaftszentralen des Cono Sur und unterstützen den inzwischen sogar nach Montevideo umgezogenen regionalen Gewerkschaftsdachverband CSA. Doch weder letzterem noch dem IGB gehören sie formell an – weil dies die Einheit gefährden würde, die den PIT-CNT in der Region ebenfalls recht einzigartig macht.

Ginge es nach dem Präsidenten des PIT-CNT Fernando Pereira, der Jugendsekretärin Tamara Naiara sowie dem internationalen Sekretär Fernando Gambera, der zugleich Koordinator der Gewerkschaftszentralen des südlichen Südamerikas CCSCS ist, würde sich dies ändern. Denn dass sich die Zukunft der Gewerkschaften auch an der Frage entscheidet, inwiefern sie Lösungen auf internationalem Parkett organisieren können, ist allen dreien klar. Auf Einladung der FES führten sie daher Gespräche in Berlin zu Fragen, die Gewerkschaften dies- wie jenseits des Atlantiks gleichermaßen bewegen, darunter v. a.: Wie lässt sich der Wandel der Arbeitswelt im Interesse der Arbeitnehmer_innen gestalten? Von uruguayischer Seite waren vor allem das Weißbuch Arbeiten 4.0, die duale Bildung, die Organisation der Plattformökonomie und generell Fragen von Erneuerung der betrieblichen und gewerkschaftlichen Organisation sowie Jugendarbeit und eine feministische Agenda gefragt.

Eine intensive Dialogwoche

Gesprächspartner_innen von deutscher Seite waren: Kolleg_innen von DGB, ver.di, IG-Metall, Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) sowie Politiker_innen wie Yasmin Fahimi, Leiterin des Gesprächskreises Lateinamerika der SPD-Fraktion, und Thorben Albrecht, SPD-Bundesgeschäftsführer und deutsches Mitglied der globalen ILO-Kommission »Zukunft der Arbeit«. Zudem standen Besuche in einer Berufsschule und bei der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung zum Thema »Beschäftigung und Qualifizierung straffälliger Jugendlicher« auf dem Programm.

An Input oder Anregungen mangelte es der Gewerkschaftsdelegation nicht. Ein Höhepunkt ihres fünftägigen Besuchs war die Festveranstaltung zum 100. Jahrestag der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) am 27.3.2019 in der FES. An der von DGB und Global Labour University (GLU) organisierten dreitägigen Konferenz nahmen Gewerkschafter_innen, Wissenschafter_innen und Politiker_innen aus der ganzen Welt teil. Unter dem Motto: »100 Jahre ILO: Die Regeln für ein neues Jahrhundert der Arbeit gestalten« wurden unter anderem die Fragen diskutiert, warum es immer noch Kinderarbeit gibt und warum informell Beschäftigte in der ILO noch keine Vertretung haben.

In den bilateralen Gesprächen während des gesamten Aufenthalts wurde deutlich, dass beide Seiten ähnliche Sorgen, Anliegen und Strategien haben und Gewerkschaften zur Erreichung ihrer Ziele Allianzen mit Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft brauchen.

Kernthema Gendergerechtigkeit

Dass Gewerkschaftsarbeit und eine menschenwürdige Arbeitswelt auch in der Zukunft ohne Gendergerechtigkeit nicht möglich sind, wurde bei allen Programmelementen deutlich. Wichtige Arbeitsschwerpunkte bleiben daher u. a. der »Gender Pay Gap«, die eigenständige Existenzsicherung von Frauen, die Partizipation junger Frauen sowie natürlich auch die Digitalisierung der Arbeitswelt. Schlüsselelemente sind hierbei Bedarfsstudien, moderne Kommunikationswege und Kampagnen, zielgruppengerechte Beratungs- und Qualifizierungsangebote sowie gezielte Netzwerkarbeit.

Die Arbeit der Zukunft menschenwürdig gestalten

Die Zukunft der Arbeit gerecht zu gestalten, impliziert die Absicherung der Beschäftigten durch (berufliche) Weiter-/Bildung, demokratische »Arbeitsverhältnisse 4.0« sowie die Integration von Arbeiter_innen in die sogenannte Plattformökonomie.

Die Chancen und Herausforderungen der digitalen Transformation lassen sich am besten in einem gesellschaftlichen Dialogprozess unter Federführung von Gewerkschaften und Regierungen menschenwürdig gestalten und meistern.

Berufsbildungspolitik und das duale Ausbildungssystem in Deutschland sind Erfolgsmodelle; auch hier ist die gleichberechtigte Rolle der Sozialpartner essenziell. Die Expertise der Gewerkschaften für die berufliche Aus- und Weiterbildung sowie die Weiterentwicklung von Ausbildungsordnungen und Curricula für die Anforderungen künftiger Arbeitsmärkte ist unverzichtbar.

Die Gestaltungsmöglichkeiten für Gewerkschaften in einer veränderten (Arbeits-)Welt vergrößern sich zum einen durch Allianzbildung mit progressiven politischen Partnern, zum anderen durch die intensive Einbindung in regionale und internationale Organisationen wie gewerkschaftliche Regionalorganisationen, globale Gewerkschaftsdachverbände und die ILO.


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Gewerkschaften im Wandel

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Das Projekt „Gewerkschaften im Wandel 4.0“ wurde von der FES initiiert und hat zum Ziel, die Interessenvertretung von Beschäftigten im digitalen Kapitalismus zu verstehen. weiter

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