Fairer Handel ist in Corona-Zeiten unerlässlich

Den Zugang zu medizinischer Ausstattung, Medikamenten und Nahrungsmitteln sichert nur ein gerechtes Abkommen, meint Annie Adviento von IndustriALL

Bild: Volle Tankladung auf offener See von © istock / AvigatorPhotographer

Die Verhandlungen über die Asia-Pacific Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) befinden sich in der Endphase und werden nach ihrer Ratifizierung bis zu 30 % der Weltbevölkerung und fast 30 % des globalen BIP umfassen. Die Regionalsekretärin von IndustriALL in Südostasien, Annie Adviento, betont die Bedeutung eines integrativen und gerechten Abkommens, das den Zugang zu medizinischer Ausstattung, Medikamenten und Nahrungsmitteln inmitten der Pandemie gewährleistet.  

Die Aufrechterhaltung offener Lieferketten und des Handels ist angesichts der anhaltenden Pandemie von entscheidender Bedeutung. Ebenso wichtig ist es, sicherzustellen, dass Freihandelsabkommen allen zugutekommen und die Gewerkschaften bei den Verhandlungen mit einbezogen werden. In den letzten Monaten wurden die Freihandelsverhandlungen inmitten von Ausganssperren- und Kontaktbeschränkungen in den meisten Ländern der Region Südostasiens fortgesetzt.  Die wohl wichtigsten Verhandlungen betreffen das RCEP, dessen letzten Gesprächsrunde Mitte April 2020 stattfand. In dieser verpflichteten sich die Partnerländer zum Abschluss des Vertrags im Jahr 2020. Das Hauptanliegen der IndustriALL Global Union ist nicht, wann und wo das Handelsabkommen unterzeichnet oder ratifiziert wird, sondern ob Handelsabkommen in der Region den 10 Grundsätzen für Handelsabkommen von IndustriAll entsprechen, die darauf abzielen, die Rechte der Arbeitnehmer_innen und das Wohl der Menschen zu schützen.

Immer noch keine durchsetzbaren Arbeitsrechte

Verantwortliche der ASEAN-Runde teilten mit, dass die teilnehmenden Länder sechs Kapitel abgeschlossen haben und auf den Abschluss der verbleibenden 14 Kapitel hinarbeiten. Dennoch scheint es keine Aufnahme durchsetzbarer Arbeitsrechte und die Einbeziehung von ILO-Kernarbeitsnormen in das Abkommen zu geben. Regierungen müssen regelmäßig Rücksprache mit den Gewerkschaften halten. Die Verhandlungstexte sind im Parlament, in Staats- und Regionalversammlungen sowie in den lokalen Regierungen zu erörtern. Der ordnungsgemäße demokratische Prozess muss eingehalten werden.

Der Rückzug Indiens aus dem RCEP aufgrund des von indischen Unternehmen, Landwirten und der Zivilgesellschaft ausgeübten Drucks zeigt, dass Inder_innen und ihre Regierung Bedenken hinsichtlich des möglichen Zustroms von Importprodukten haben, die lokale Unternehmen unter enormen Druck setzen könnten. Dies spiegelt die Bedeutung eines der Prinzipien von IndustriALL wider, wonach jedes Land in der Lage sein muss, politischen Spielraum zur Regulierung der Handelsaktivitäten beizubehalten. Die indische Regierung bewahrt mit dem Ausstieg das Recht, Handelszölle, zum Schutz von Sektoren von nationalem Interesse, zu erheben.

Länder sollen nicht wegen gerechter Sozial- und Wirtschaftspolitik verklagt werden

Im August 2019 schicken IndustriAll-Mitgliedsorganisationen des asiatisch-pazifischen Raums, Briefe an die jeweiligen Regierungen und forderten die Einhaltung der zehn Grundsätze des RCEP-Verhandlungsprozesses. In der Folge gab die malaysische Regierung bekannt, dass die Mitgliedsländer der RCEP vereinbart hatten, die Streitbeilegung zwischen Investoren und Staat vorerst aus dem Handelsabkommen zu streichen und die Angelegenheit erneut zu prüfen, sobald das Abkommen in Kraft getreten ist. IndustriAll begrüßt diese Entscheidung, da es jedem Land freistehen sollte, die Sozial- und Wirtschaftspolitik im Interesse seiner Bevölkerung umzusetzen, ohne die Gefahr, von einem nicht-öffentlichen Schiedsgericht ohne Kontrolle verklagt zu werden.

Der internationale Handel muss den Zugang zu Medikamenten und Nahrungsmitteln gewährleisten

Die COVID-19-Pandemie bedroht das Leben und den Lebensunterhalt von Arbeitnehmer_innen in der gesamten Region. Gleichzeitig könnte es Regierungen und Arbeitnehmer_innen die Möglichkeit geben, die Verbindungen zwischen Handel, Menschenrechten und einer auf Solidarität gründenden Wirtschaft neu zu denken. Gerade die Pandemie könnte so die gegenseitige Unterstützung der Staaten Südostasiens stärken. Angesichts der Tatsache, dass einige Länder Exportverbote für medizinische Produkte auferlegt hatten, betonte die Welthandelsorganisation (WTO) die Rolle des internationalen Handels bei der Gewährleistung des Zugangs zu Arzneimitteln.  Gleichzeitig respektiert die WTO den politischen Spielraum des Mitgliedslandes zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und zur Finanzierbarkeit lebensrettender Medizin durch flexible Bestimmungen im TRIPS-Abkommen über geistige Eigentumsrechte. Exportverbote inmitten der Pandemie wirken sich unfair auf die am wenigsten entwickelten Länder aus, da diese stark auf den Import von medizintechnischen Produkten für den Inlandsverbrauch angewiesen sind. Diese Länder verfügen nicht über die Produktionskapazität, um diese Waren ausreichend für den lokalen Verbrauch herzustellen. Daher sollten Länder multilaterale Handelsforen wie die WTO nutzen, um die negativen Auswirkungen der einseitigen Handelspolitik auf die am wenigsten entwickelten Länder abzuschwächen.  

Es ist entscheidend, dass der Handel das Recht der Menschen auf Gesundheit und Nahrung schützt und stärkt. IndustriALL betont, dass Systeme des geistigen Eigentums den Regierungen helfen sollen, Ziele für eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen, anstatt sie zu behindern. Lebensrettende Medikamente und persönliche Schutzausrüstung müssen Arbeitnehmer_innen während der gesamten Gesundheitskrise zur Verfügung gestellt werden.

Verstärkte Zusammenarbeit zwischen ASEAN-Ländern in dieser Krise?  

Tatsächlich hat ASEAN proaktiv auf COVID-19 reagiert und zu einer verstärkten Zusammenarbeit bei der Bereitstellung von Medikamenten und Sanitätsartikeln aufgerufen, was sich im Aufbau regionaler Reserven dieser Produkte zur Bewältigung von Notfällen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zeigt. Die internationale Organisation erklärte außerdem, dass sie die Ernährungssicherheit durch die Nutzung der ASEAN Plus Three Emergency Rice Reserve gewährleisten will. In Bezug auf RCEP sollten die südostasiatischen Regierungen jedoch sicherstellen, dass der Verhandlungsprozess von Handelsabkommen partizipativ und transparent gestaltet wird. Alle Interessengruppen einschließlich der Gewerkschaften, müssen hinzugezogen werden und die Interessen der Arbeitnehmer_innenin den Vereinbarungen geschützt werden. 

Der Freihandel muss zur Verwirklichung der universellen Menschenrechte beitragen – für alle sollte einen angemessenen Lebensstandard mit ausreichenden Nahrungsmitteln und erschwinglichen Medikamenten sichergestellt werden.   

Annie Adviento  ist Regionalsekretärin für Südostasien von IndustriALL. Die IndustrieALL Global Union vertritt 50 Millionen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in 140 Ländern in «Bergbau, Energie und verarbeitendes Gewerbe». Annie Adviento ist eine treibende Kraft der globalen Solidarität, die sich weltweit für bessere Arbeitsbedingungen und Gewerkschaftsrechte einsetzt. Weitere Informationen zu den Grundsätzen für Freihandelsabkommen finden Sie im englischsprachigen Interview der FES Asien.

Dieser Artikel erschien im Original in Englisch als Teil des #FESAsiaCoronaBrief.


Ansprechpartner_innen

Mirko Herberg

+49 (0)30 26935-7458
Mirko.Herberg(at)fes.de

Matthias Weber

+49 (0)30 26935-7744
Matthias.Weber(at)fes.de 

weitere Ansprechpartner_innen

Ansprechpartnerin

Anja Bodenmüller-Raeder
Anja Bodenmüller-Raeder
030 26935-7508
Gewerkschaften im Wandel

Gewerkschaften im Wandel

Das Projekt „Gewerkschaften im Wandel 4.0“ wurde von der FES initiiert und hat zum Ziel, die Interessenvertretung von Beschäftigten im digitalen Kapitalismus zu verstehen. weiter

nach oben