Gender Matters – Geschlechtergerechtigkeit zählt!

Parität

Das Thema Parität in der FES

Die Friedrich-Ebert-Stiftung geht dem Thema Parität als Demokratiestabilisator im deutschen Parlamentarismus bereits seit 2019 nach. Auftakt bildete die Studie „Pari…Was? Fragen und Antworten zu Parität und Paritätsgesetz“, die zeitgleich mit den ersten Gesetzesvorschlägen im Land Brandenburg erschienen ist.

Auf Initiative der FES und der damaligen Bundestagsabgeordneten Cansel Kiziltepe gründete sich im gleichen Jahr im Land Berlin das überparteiliche „Berliner Netzwerk Parität“, zu dem das Landesbüro Berlin bis heute regelmäßig einlädt. Es gibt zudem die Studienreihe "Frauen MACHT Berlin" welche die politische Teilhabe von Frauen in der Hauptstadt dokumentiert. Zuletzt legten Lisa Hempe, Nora Langenbacher und Helga Lukoschat anlässlich der Wiederholungswahl 2023 aktuelle Zahlen und neue Analysen als neuen Impuls für die Paritätsdebatte im Land Berlin vor.

Jetzt hat die Friedrich-Ebert-Stiftung die Juristin Silke Laskowski gebeten, in einem Rechtsgutachten den rechtlichen Abwägungsprozess zu erläutern, die politische Bedeutung der Zurückweisung von Paritätsgesetzen in deutschen Verfassungsgerichten herauszuarbeiten und Empfehlungen für die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit und Parität auf den Ebenen der Verfassung, des Wahlrechts und der Parlamente abzugeben.

Warum brauchen wir ein Paritätsgesetz?

Elke Ferner, Vorständin des Deutschen Frauenrats, hat im Rahmen der Veröffentlichung der der FES-Studie „Wächter der Ungleichheit? Verfassungsrechtliche Diskussionen über wahlrechtliche Paritätsgesetze. Ein Rechtsgutachten“ in einer Videobotschaft aufgezeigt, warum wir ein Paritätsgesetz brauchen.

Der Politikwissenschaftler Volker Best sieht in der Zurückweisung eines Paritätsgesetzes seitens der deutschen Verfassungsgerichte kein Hinderungsgrund für den Gesetzgeber, andere Regeln aufzustellen, um den Frauenanteil in den Parlamenten deutlich zu steigern. Er entwickelt eine normatitve Alternative, um Frauen und anderen unzureichend repräsentierte Gruppen den Einzug in den Parlamenten zu erleichtern. Sein Vorschlag zielt auf eine Reformierung des Wahlrechts und des Parteiengesetzes. Im Mittelpunkt stehen hier Regeln zur Kandidat:innen-Aufstellung der Parteien, die ein Zwei-Personen-Prinzip auf den Wahllisten zur Grundlage haben. Durch das „mehr“ an Auswahl von Personen, werden die Wäher:innen in die Lage versetzt, selbst für eine paritätische und vielfältige Zusammensetzung der Parlamente zu sorgen.

 

Warum brauchen wir Parität?

"Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter“.

Dieses Diktum stammt nicht aus einem feministischen Blog einer US-amerikanischen Onlinezeitschrift, sondern von dem deutschen sozialistischen Politiker, Schriftsteller und Redner August Bebel (1840-1913). Auch ist sein Gedanke, dass nur Gleichstellung die Freiheit demokratischer Gesellschaften herstellen und festigen kann, kein Menetekel der extremen Ereignisse des 20. Jahrhunderts, sondern hoch aktuell:

In Zeiten besorgniserregender Zustimmungswerte zur rechtspopulistischen Parteifamilie in Europa, die zentrale Errungenschaften auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung in der Politik, in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft zurücknehmen wollen, ist die Frage der demokratischen Repräsentanz, die Frage, wer die Bürger:innen in den demokratischen Parlamenten vertritt, alles andere als banal und aufschiebbar. 

Im Deutschen Bundestag liegt der Frauenanteil in der aktuellen Wahlperiode bei 35,1 Prozent. Das sind rund 5 Prozentpunkte mehr als am Ende der vorhergehenden Wahlperiode: Im August 2021 lag der Frauenanteil bei 31,5 Prozent.2023 sind laut dem aktuellen weltweiten Ranking der Interparlamentarischen Union (IPU) im globalen Durchschnitt 26,7 Prozent aller Abgeordneten in den Parlamenten weiblich. 2013 hatte der Anteil bei 21,7 Prozent gelegen, im Jahr 2003 bei 15,5 Prozent. Deutschland nimmt laut weltweit IPU Deutschland zum Stichtag 1. August 2023 nur Platz 45 ein.

Dabei öffnet das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland einer Regel zur paritätischen Besetzung der deutschen Parlamente eigentlich Tor und Tür: im Artikel 3 des Grundgesetzes (Art. 3 II 2 GG) ist geregelt, dass der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt. Für viele Jurist:innen und Politiker:innen ergibt sich hieraus die Verpflichtung des Gesetzgebers, für eine Erhöhung des Frauenanteils in den Parlamenten zu sorgen. Seit einigen Jahren erreichen erste Klagen die Verfassungsgerichte – jedoch ohne Erfolg.

Die Herstellung von Parität in den bundesrepublikanischen Parlamenten steckt seitdem in einer Sackgasse.

Die 10 Argumente

Parität in den Parlamenten ist ein zentrales demokratisches Anliegen im Jahrzehnt der Gleichstellung!

Argument 1

„Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter“.

Dieses Diktum stammt nicht aus einem feministischen Blog einer US-amerikanischen Onlinezeitschrift, sondern von dem deutschen sozialistischen Politiker, Schriftsteller und Redner August Bebel (1840–1913). Auch ist sein Gedanke, dass nur Gleichstellung die Freiheit demokratischer Gesellschaften herstellen und festigen kann, kein Menetekel der extremen Ereignisse des 20. Jahrhunderts, sondern hoch aktuell: In Zeiten besorgniserregender Zustimmungswerte zur rechtspopulistischen Parteifamilie in Europa, die zentrale Errungenschaften auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung in der Politik, in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft zurücknehmen wollen, ist die Frage der demokratischen Repräsentanz, die Frage, wer die Bürger:innen in den demokratischen Parlamenten vertritt, alles andere als banal und aufschiebbar. Für die deutsche Situation untermauern das deutlich die Befunde
von Andreas Zick, Beate Küpper und Nico Mokros in ihrer neuen Studie „Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23“.

Diese Ausgangslage und der erstmalige deutliche Rückgang des Frauenanteils ausgerechnet in der Legislaturperiode (2017–2021), in die auch die Feierlichkeiten zu 100 Jahren Frauenwahlrecht fielen, setzte eine Dynamik in Gang: Vielen schien die Schlussfolgerung offensichtlich, es brauche verpflichtende Regeln für die Listen aller Parteien, um endlich die Parität im Parlament zu erreichen. Als Referenzfall herangezogen wird hier meist das französische Paritätsgesetz von 2000. Es schreibt tatsächlich für die Verhältniswahlen auf europäischer und kommunaler Ebene eine paritätische Besetzung der Listen mit Männern und Frauen vor. Dabei öffnet das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland einer Regel
zur paritätischen Besetzung der deutschen Parlamente eigentlich Tor und Tür: im Artikel 3 des Grundgesetzes (Art. 3 II 2 GG) ist geregelt, dass der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt. Für viele Jurist:innen und Politiker:innen ergibt sich hieraus die Verpflichtung des Gesetzgebers, für eine Erhöhung des Frauenanteils in den Parlamenten zu sorgen. Seit einigen Jahren erreichen erste Klagen die Verfassungsgerichte – jedoch ohne Erfolg.

Die Herstellung von Parität in den bundesrepublikanischen Parlamenten steckt seitdem in einer Sackgasse. Das wirft Fragen auf: Was ist historisch und verfassungsrechtlich das deutsche Spezifikum, das zu einer Zurückweisung von normativen Regelungen führt? Welche Rechtsauffassungen dominieren derzeit im juristischen Diskurs und welche Haltungen sind in den deutschen Parlamenten selbst zu finden? Welchen gesellschaftlichen und politischen Benefit erbringt eine Paritätsgesetzgebung, welche Good-Practice-Beispiele sind in anderen Ländern zu finden? Wie kann der drängende politische Bedarf, Geschlechtergerechtigkeit in den Parlamenten herzustellen, in den politischen und rechtlichen Arenen wirkungsvoll weiterbearbeitet werden? Das FES-Landesbüro Berlin geht diesen Fragen bereits seit mehreren Jahren nach. Anlässlich der Wiederholungswahl 2023 legten Lisa Hempe, Nora Langenbacher und Helga Lukoschat in der Studie „Frauen MACHT Berlin“ aktuelle Zahlen und neue Analysen für das Bundesland Berlin vor.

Jetzt hat die Friedrich-Ebert-Stiftung die Rechtsprofessorin Silke Laskowski gebeten, in einem Rechtsgutachten den rechtlichen Abwägungsprozess zu erläutern, die politische Bedeutung der Zurückweisung von Paritätsgesetzen in deutschen Verfassungsgerichten herauszuarbeiten und Empfehlungen für die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit und Parität auf den Ebenen der Verfassung, des Wahlrechts und der Parlamente abzugeben. Als erfahrene Gutachterin und Klägerin im juristischen Ringen um ein Paritätsgesetz erklärt Silke Laskowski, warum der Gesetzgeber auf Grundlage von Art. 3 II 1 und 2 GG handeln muss und warum dies jetzt das Gebot der Stunde ist. Sie untersucht sachverständig, in welchem Kontext die juristischen Bedenken gegenüber Paritätsregelungen jeweils erwachsen, führt starke Argumente ins Feld, die diese Bedenken zerstreuen und ermutigt den Gesetzgeber, mit der anstehenden Wahlrechtsreform auch die Parität gesetzlich zu verankern, um sie im Parlament herzustellen.

Argument 2

Eine paritätische Änderung des Wahlrechts des Bundes (und der Länder) ist in Deutschland in verfassungskonformer Weise möglich und zudem geboten.

Argument 3

Paritätsregelungen verfolgen das verfassungsrechtlich legitimierte Ziel,

• Kandidatinnen vor struktureller Benachteiligung in parteiinternen Nominierungsverfahren zu schützen und ihren verfassungsrechtlichen Anspruch auf Chancengleichheit gem. Art. 38 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 GG durchzusetzen und zu sichern sowie
• den verfassungsrechtlichen Anspruch der wahlberechtigten Bürgerinnen auf gleichberechtigte demokratische Teilhabe und effektive Einflussnahme mithilfe von Bundestagswahlen durchzusetzen und zu sichern gem. Art. 20 Abs. 1, Abs. 2, Art. 38 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 GG.Paritätische Regelungen erfüllen den staatlichen Auftrag zur Verwirklichung der Gleichberechtigung in der Demokratie im Bereich des Wahlrechts, Art. 3 Abs. 2 S. 1, S. 2 GG, eine primär dem Gesetzgeber zufallende Aufgabe.

Argument 4

Die Paritäts-Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) steht paritätischen Wahlgesetzen auf Bundes- und Landesebene nicht entgegen. Die Bundesländer sind an die
Rechtsprechung der Verfassungsgerichte anderer Bundesländer nicht gebunden, der Bundesgesetzgeber ebenfalls nicht. Das BVerfG hat in seinem Beschluss zur ersten paritätischen Wahlprüfbeschwerde 2020 den verfassungsrechtlichen
Maßstab für die Beurteilung von Paritätsgesetzen deutlich gemacht, der sich aus dem GG ergibt; das BVerfG hat aber alle verfassungsrechtlichen Fragen offengelassen.

Argument 5

Paritätische Wahlrechtsregelungen, die eine gleichmäßige Zusammensetzung der Parlamente mit Frauen und Männern bezwecken, ohne Menschen des dritten Geschlechts auszuschließen (BVerfG 2017), stehen mit den grundlegenden europäischen Werten gem. Art. 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) – Demokratieprinzip, Gleichheit von Frauen und Männern, Wahrung der Menschenrechte – und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Einklang. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in Judikaten, die das spanische (2011) und das slowenische (2019) paritätische Wahlrecht betrafen, klargestellt, dass Paritätsgesetze mit der EMRK in Einklang stehen und ein Instrument zur Sicherung der demokratischen Legitimation von Parlamentswahlen darstellen.

Argument 6

Das europäische Demokratieprinzip liegt dem Verordnungs-Entwurf des Europäischen Parlaments vom 3.5.2022 für ein einheitliches europäisches Wahlrecht für die Wahl des Europäischen Parlaments zugrunde, das neben transnationalen Listen und einem abgesenkten Wahlalter insbesondere Maßnahmen zur Gleichberechtigung der Geschlechter vorsieht, d.h. die Einführung eines Reißverschlusssystems (hälftig alternierend Frauen und Männer) oder Quoten bei der Nominierung der
Wahlvorschlagslisten der politischen Parteien in der Europäischen Union (EU). Die Implementierung eines Wahlsystems zur Gleichstellung der Geschlechter unter Berücksichtigung der Rechte nicht binärer Personen wird in Art. 10 Abs. 1 des Entwurfs genannt. Die Gleichstellung der Geschlechter ist ein Bestandteil des Demokratieprinzips im Sinne des (i. S. d.) Verordnung-Entwurfs.

Argument 7

Der Bundesgesetzgeber und die Landesgesetzgeber dürfen im Rahmen ihrer Gesetzgebungskompetenzen und damit verbundenen Gestaltungsspielräume paritätische Regelungen erlassen. Die Grenzen des jeweiligen Gestaltungsspielraums werden nicht überschritten. Die Wertordnung des GG und der Landesverfassungen, insbesondere die Wahlrechtsgrundsätze (Art. 28 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 GG), die Rechte der Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) und das Grundrecht und Gebot der  Gleichberechtigung (Art. 3 Abs. 2 GG) sowie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, werden beachtet und gewahrt. Das GG einschließlich Art. 3 Abs. 2 GG gibt den zu beachtenden Maßstab vor; es gilt in allen Bundesländern und bindet alle Staatsgewalten, Art. 20 Abs. 3, Art. 1 Abs. 3 GG.

Argument 8

Dem Gesetzgeber stehen unterschiedliche Regelungsoptionen zur Verfügung, z. B.:

a) Bund: Wahlgesetzliche Regelungen, die die Parteien zu einer paritätischen Nominierung von Wahlvorschlagslisten und Direktkandidaturen für Bundestagswahlen verpflichten.
b) Länder: Wahlgesetzliche Regelungen, die die Parteien zu einer paritätischen Nominierung von Wahlvorschlagslisten und Direktkandidaturen für Landtagswahlen (Kommunalwahlen) verpflichten.
c) Bund und Länder: Als Alternative zu gesetzlichen Nominierungspflichten (oder in Kombination) kommt eine neue wahlrechtliche Regelung zur paritätsabhängigen Mandatszuteilung in Betracht, die in der Wahlrechtskommission
des Deutschen Bundestages von Laskowski/Ferner (Kommissions-Drucksache 61 (Komm.-Drs.) vom 30.1.2023) vorgestellt wurde. Sie lehnt sich an die neue „zweitstimmenabhängige Mandatszuteilung“ in § 6 Abs. 1, Abs. 4 Bundeswahlgesetz
(BWahlG) an, die der Deutsche Bundestag am 17.3.2023 im Rahmen der Wahlrechtsreform (§ 55 BWahlG) trotz Unklarheit über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit beschlossen hat. Eine ergänzende paritätische Regelung, etwa eine „paritätsabhängige Mandatszuteilungsregelung“, fehlt jedoch noch.

Argument 9

Es wird empfohlen, eine neue paritätsabhängige Mandatszuteilungsregelung in die geltenden Wahlgesetze aufzunehmen. Verpflichtende Regelungen zur paritätischen Nominierung für politische Parteien können bei einer paritätsabhängigen Mandatszuteilung entfallen:


a) Gesetzliche Nominierungsverpflichtungen der politischen Parteien wären unnötig. Die Parteienrechte, Art. 21 Abs. 1 GG, wären durch eine paritätsabhängige Mandatszuteilungsregelung nicht direkt betroffen, sondern allenfalls mittelbar tangiert. Daher lässt sich in paritätsabhängigen Mandatszuteilungsregelungen im Vergleich zu gesetzlichen Nominierungspflichtender Parteien ein „milderes Mittel“ sehen, das in jedem Fall verhältnismäßig ist. Der Vorwurf, Paritätsgesetze führten zu starken Eingriffen in die Parteienrechte, wäre dann gegenstandslos.
b) Paritätsbezogene Mandatszuteilungsregelungen wären im Vergleich zu der neuen Mandatszuteilungsregel in § 6 BWahlG, wonach Direktmandate nur noch dann zugeteilt werden, wenn sie zweitstimmengedeckt sind, mit keinen vergleichbaren Eingriffen verbunden. Denn alle zweitstimmengedeckten Direkt und Listenmandate würden paritätsabhängig zugeteilt werden, soweit ausreichend Männer und Frauen auf den Landeslisten nominiert wären. Die  Zuteilungsregelung bezieht sich nur auf die nach der Wahl erfolgende Sitzzuteilung, nicht aber auf die zuvor stattfindende Aufstellung und Wahl der Bewerber und Bewerberinnen. Gerade auch deshalb hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) 1950 die Sitzzuteilungsregelung in Art. 14 Abs. 4 Verfassung des Freistaates Bayern (BayVerf) (in Verbindung mit (i. V. m.) der Fünfprozent-Sperrklausel) als verfassungsgemäß angesehen.1 Anders als § 6 BWahlG und Art. 14 Abs. 4 BayVerf schließt eine paritätsabhängige Sitzzuteilungsregelung „gewonnene“ Mandate nicht wie die Zweitstimmendeckung in § 6 BWahlG oder die Fünfprozent-Sperrklausel in Art. 14 Abs. 4 BayVerf von der Zuteilung aus, sondern formuliert für alle zuteilungsfähigen zweitstimmengedeckten Sitze lediglich einen neuen Zuteilungsmodus, auf dessen Wirkung allein die Parteien – durch eine entsprechende Nominierung vor der Wahl – selbst Einfluss
nehmen können.
c) Zudem eröffnet die paritätsabhängige Sitzzuteilungsregelung eine neue verfassungsrechtliche Diskussion. Denn die bislang an Paritätsgesetzen (Thüringen, Brandenburg) geübte verfassungsrechtliche Kritik – die sich auf gesetzliche Vorgaben zur paritätischen Nominierung von Wahlvorschlagslisten beschränkt und vor allem die Parteienrechte (Art. 21 Abs. 1 GG) in Gefahr sieht –, ist nicht auf das neue Regelungsmodell der paritätsabhängigen Sitzzuteilung  (Mandatszuteilung) übertragbar. Im Übrigen ist die Kritik nach der hier vertretenen Auffassung unberechtigt.

Argument 10

Eine Ergänzung des GG (der Landesverfassungen) um eine Regelung, die sich ausdrücklich auf „den gleichen Zugang von Frauen und Männern zu den Wahlmandaten und -ämtern“ bezieht – wie in der französischen Verfassung –, ist verfassungsrechtlich nicht nötig, könnte aber der Klarstellung dienen. Bereits der bundesweit direkt geltende Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG („Männer und Frauen sind gleichberechtigt“) enthält seit 1949 ein auf alle Rechts- und Lebensbereiche bezogenes Gleichstellungsgrundrecht sowie ein damit verbundenes Gleichstellungs(grundrechts)verwirklichungsgebot. Es schließt den Bereich der Politik und des Wahlrechts ein und richtet sich vor allem an den Gesetzgeber. Dies ist den historischen Materialien zu Art. 3 Abs. 2 GG (Protokoll Hauptausschuss des Parlamentarischen Rats vom 18.1.1949) klar zu entnehmen. Das BVerfG hat die historischen Grundlagen des Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG bereits mit der ersten Gleichberechtigungsentscheidung 19533 bestätigt und geklärt, dass Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG unmittelbar im ganzen Bundesgebiet gilt. Seit 1994 ist das in Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG enthaltene Verwirklichungsgebot nun ausdrücklich in Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG geregelt und sichtbar (Förder- und Durchsetzungsgebot, deklaratorisch); entsprechende Regelungen finden sich auch in den Landesverfassungen, z. B. Art. 118 Abs. 2 BayVerf. Im Übrigen gilt die deutsche Bundesverfassung einschließlich
Art. 3 Abs. 2 GG bundesweit in allen Bundesländern, Art. 20 Abs. 3, Art. 1 Abs. 3 GG.

10 Argumente für Parität - Download der Studie als PDF

Zum Reinhören: Wie wir Gleichberechtigung in Parlamenten erreichen

aus unserer FES-Podcast-Reihe "zukunft gerecht"

mit: Prof. Dr. Silke Laskowski (Uni Kassel), Dr. Helga Lukoschat (EAF Berlin), Dr. Nora Langenbacher (FES), Moderation: Katharina Schohl


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Anlässlich der Wiederholungswahl 2023 legt das Landesbüro Berlin der Friedrich-Ebert-Stiftung seine erstmals 2020 erschienene Studie „Frauen MACHT Berlin“ zur politischen Partizipation von Frauen im Land Berlin mit aktuellen Zahlen und neuer Analyse vor. Sie leistet einen Beitrag zur Debatte über ein Paritätsgesetz für Berlin und gibt Handlungsempfehlungen für mehr Partizipation von Frauen. weiter

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Das Landesbüro in Brandenburg hat 2022 eine Studie veröffentlicht, die sowohl eine detaillierte Bestandsaufnahme politischer Teilhabe von Frauen abbildet, als auch konkrete Barrieren für den Zugang von Frauen in die Politik identifiziert und entsprechende Handlungsempfehlungen ableitet. Der Blick richtet sich dabei insbesondere auf die kommunalpolitische Ebene. weiter

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Führt (nur) ein Paritätsgesetz zu mehr Frauen im Bundestag?

...die Studie ist demnächst hier zum Download verfügbar. weiter

Pari...was?

Pari...was?

Auf Bundesebene bleibt eine Wahlrechtsreform mit Paritäts-Regelungen strittig. Während man sich über das ZIEL, die geschlechterparitätische Besetzung des Bundestages, relativ einig ist, sind es die WEGE dahin, über die parteispezifisch verschiedene Vorstellungen existieren.

Diese Debatte um die richtigen Wege unterstützt die Friedrich-Ebert-Stiftung mit einer neuen Publikation. Wie auch bei anderen politisch-gesellschaftlichen Reformen - der Blick über den deutschen Tellerrand hinaus lohnt sich. In der Publikation "PARI...WAS? Fragen und Antworten zu Parität und Paritätsgesetz" werden Erfahrungsberichte aus Frankreich, Norwegen und Polen eingeholt und für die aktuelle Debatte in Deutschland nutzbar gemacht.

Denn: Die Debatte um Parität in den Parlamenten mag zwar in der politischen Debatte in Deutschland angekommen sein. Was genau Parität bedeutet und inwiefern Paritätsgesetze diese herstellen können, bedarf jedoch so mancher Erklärung und Vermittlung: Warum sind Frauen auch nach 100 Jahren Frauenwahlrecht in allen Parlamenten Deutschlands unterrepräsentiert? Welche Maßnahmen können das ändern und welche nicht?


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