Mit kluger Bilderwahl der Instrumentalisierung entgegenwirken
Zum Zwecke der Abschreckung vor Zuwanderung werden von Medien Bilder genutzt, welche bedrohlich und überwältigend wirken: Bilder von anonymen Massen, deren Gesichter nicht deutlich gezeigt werden, überfüllte Schlauchboote auf dem Mittelmeer. Oft werden nur junge Männer dargestellt nicht aber Frauen und Kinder.
Organisationen können mit der Wahl ihres Bildmaterials dieser Instrumentalisierung von Bildern gezielt entgegenwirken. So ziehen es Caritas und UNHCR bzw. die UNO-Flüchtlingshilfe als deutscher Partner des UNHCR z. B. vor, Bilder auszuwählen, mit denen jede Person eine universell-menschliche Verbindung herstellen kann: Ein Vater mit Sohn im Arm, eine jesidische Frau auf der Flucht mit ihren drei Kindern oder ein Strand voller zurückgelassener Rettungswesten, die symbolisch für die Gefahr der Flucht und die Angst aber gleichermaßen für die Erleichterung der geretteten Ankommenden stehen. Der UNHCR und die UNO-Flüchtlingshilfe achten bei ihrer Bildauswahl besonders darauf, der „gesichtslosen Welle“ von Ankommenden ein individuelles Gesicht zu geben, also Massenbilder zu vermeiden und eine stark personifizierte Bildsprache zu benutzen, die auf einzelne Geschichten und Schicksale hinweist. Ein Sprecher vom UNHCR äußert sich zu dieser Herangehensweise folgendermaßen:
„Wir wollen Flüchtlinge als starke und widerstandsfähige Menschen zeigen, die unter schwierigsten Umständen leben, sich um ihre Familie kümmern und die Hoffnung nicht aufgegeben haben“ [3]
Hilfsorganisationen, die sich um Geflüchtete kümmern, sind oft mit einem Dilemma der Repräsentation konfrontiert. So sind deren Förderkampagnen abhängig vom Bildmaterial bedürftiger Geflüchteter bzw. Menschen auf der Flucht, um die Aufmerksamkeit der Spender_innen auf sich zu ziehen. Darüber hinaus führte das Refugee Studies Centre in Oxford Interviews mit Hilfsorganisationen verschiedener Größen durch und stellte fest, dass sie bei der Her- und Bereitstellung von Bildmaterial eine Zusammenarbeit mit den Versorgungsempfänger_innen anstreben. So kann das Bild ebenso als ein Mittel des Austauschs fungieren. Die Wahl bestimmter Bilder trägt zudem dazu bei, wie die Organisation öffentlich wahrgenommen wird.
Post-Humanitarianism: Im Auge des Betrachtenden
Die öffentliche Wahrnehmung von Hilfsorganisationen bildet sich aber nicht nur über deren Darstellung von Geflüchteten. Ähnlich wie Zeitungen abhängig von ihren Leser_innen sind, so sind es Organisationen von ihren Spender_innen.
Lilie Chouliaraki, Professorin für Medien und Kommunikationswissenschaften an der LSE in London, übt mit ihrem Buch „The Ironic Spectator: Solidarity in the Age of Post-Humanitarianism“ (2013)scharfe Kritik an der derzeitigen humanitären Hilfe. Sie beschreibt, wie sich die humanitäre Hilfe in den letzten 40 Jahren grundlegend verändert hat. So hat eine Verschiebung von einer Ethik des Mitleids (ethics of pity) hin zu einer Ethik der Ironie (ethics of irony) stattgefunden. Das Spektakel von Darstellungen des Leids in Medien und durch Organisationen habe den Westen zu einem öffentlichen Akteur und gleichzeitig zum ironischen Zuschauenden der verwundbaren „Anderen“ gemacht. Humanitäre Hilfe und Engagement für Geflüchtete und Leidende sei heute von selbstorientierter Motivation getrieben: Was ich für andere tue, muss sich in erster Linie für mich selbst gut anfühlen.
Chouliaraki beschreibt aber auch einen Wandel bei der Darstellung von Geflüchteten durch Organisationen. Sie unterscheidet dabei zwischen negativen und positiven Appellen. Bei negativen Appellen wird das Leiden schonungslos dargestellt, wobei die fotografierten Menschen als Opfer gezeichnet werden und der Betrachtende dem Leiden voll ausgesetzt wird. Die positiven Appelle lehnen die Darstellung des fotografierten Menschen als Opfer ab und fokussieren sich stattdessen auf dessen Handlungsfähigkeit und Würde. Somit fühlt sich der Betrachtende weniger konfrontiert und ist eher bereit, auf das Bild und dessen Thematik einzugehen.
Auch Organisationen wie UNHCR oder Caritas benutzen diese Strategien. Nach Chouliaraki braucht es allerdings einen Mittelweg zwischen „negativer“ Leiddarstellung und „positiver“ Würdedarstellung, um ein angemessenes Bild der humanitären Lage zu erfahren.
Neue Achtsamkeit bei der Bilderwahl
Doch wie können die Themen, Flucht, Migration und Integration adäquat dargestellt werden? Und können sich so stereotype Darstellungen erschöpfen? Diese Fragen stellt auch eine aktuelle Studie von Bertelsmann aus dem Jahre 2017, welche die Bildberichterstattung deutschsprachiger Printmedien analysiert. Innerhalb der Studie wurden ähnliche Phänomene in den Medien beobachtet, die Chouliaraki ihrerseits bei Organisationen feststellte. So ginge es bei der Betrachtung von Bildern von Geflüchteten primär um die Befindlichkeiten der Aufnahmegesellschaft und weniger um die eigentlichen Hintergründe und Umstände des Abgebildeten.
Bilder können nur analysiert werden, wenn sie geschossen wurden. Nach Susan Sontag ist die Intention der Fotografin bzw. des Fotografen irrelevant für den größeren Prozess. [4] Die Bedeutung und Interpretation, die Bildern nach der Herstellung zuteil wird, ist nicht nur von ihrem Inhalt, sondern auch von ihrer Darstellung und ihrem Gebrauch abhängig. Verantwortung für diese Darstellung können nur Menschen übernehmen, welche die Darstellung und den Gebrauch der Bilder mitbestimmen: Redakteur_innen und Referent_innen, Journalist_innen, Autor_innen, Politiker_innen. Diese sollten sich bei der Auswahl und Herstellung fragen: Werden genügend Informationen zum Bild geliefert? Verstärken die Bilder bestehende Stereotypen?
Es ist an der Zeit, die Bildersprache zu den Themen Flucht, Migration und Integration weiterzubefördern und die Betrachter_innen der Bilder herauszufordern: So könnten neben Berichterstattungen zu aktuellen Fluchtbewegungen und den verschiedenen Gründen für Migration, Info-Kästen zu früheren Fluchtbewegungen gesetzt oder Bilder verwendet werden, die sich im „unbequemen Zwischenraum“ zwischen positiven und negativen Appellen bewegen. Und was sagen Geflüchtete selbst, über ihre Darstellung in den Medien und von Organisationen? Ihre Stimme würde ohne Zweifel neue Sichtweisen auf die Thematik aufzeigen.
In diesem Sinne: Mut zu neuen Kooperationen, Mut zu neuen Bildern!
[1] Sontag 2003, S. 17, Deutsch: „Im Unterschied zu geschriebenen Berichten – welche, abhängig von der Komplexität der Gedanken, Referenzen und dem Vokabular, an eine größere oder kleinere Leserschaft gerichtet ist – hat ein Bild nur eine Sprache und ist potentiell für alle vorgesehen“ (eigene Übersetzung der Autorin).
[2] Gröger/Kiebler/Probst 2018, S. 44.
[3] ebd. 2018, S. 53.
[4] Vgl. Sontag 2003, S. 109.
Autorin:
Hannah Newbery ist eine Englisch-Deutsche Autorin und Fotografin. Sie arbeitete in verschiedenen Redaktionen in New York und Berlin, u. a. bei der New York Times und dem ZEITmagazin. Zurzeit lebt sie in Berlin als freie Autorin und Übersetzerin. Sie engagiert sich u. a. in den Vereinen Polis 180 und dem Friedenskreis Syrien ehrenamtlich und studiert Islamwissenschaften an der Freien Universität Berlin.
Bibliographie:
Chouliaraki, Lilie (2013): The Ironic Spectator: Solidarity in the Age of Post-Humanitarianism. Cambridge: Polity Press.
Green, Mackenzie; Marden, Andonis; Seeley, Maira; Wells Kristiina (2015): Dilemmas of representation: organisations’ approaches to portraying refugees and asylum seekers, Refugee Studies Centre (Hrsg.), Working Paper Series, Volume 112.
Gröger, Kerstin; Kiebler, Simone; Probst, Jörg (2018): LebensBilder, Hilfsorganisationen über Flucht und Migration im Bild, in: Neue Ideengeschichtliche Politikforschung – nip, Studienmaterial herausgegeben von der Philipps-Universität Marburg.
Lünenborg, Margreth; Maier, Tanja (2017): Wir und die Anderen? Eine Analyse der Bildberichterstattung deutschsprachiger Printmedien zu den Themen Flucht, Migration und Integration, Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.
Philipps-Universität Marburg, Portal Ideengeschichte „Ideenbotschafter / Flucht und Bild: Die Sprache der Bilder – Über Bilder Sprechen. Bilderkreise der „Flüchtlingskrise“ 2015/16.
Sontag, Susan (2003): Regarding the Pain of Others. London: Penguin.
UNHCR: Who We Are, Figures at a Glance.