Eine neue Studie des Kompetenzzentrums ‚Demokratie der Zukunft‘ zeigt, wann sich identitätspolitische Interessen als Wahlmotive gegen demokratische Interessen durchsetzen. Wenn es um Themen wie die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare oder Einwanderung geht, tolerieren Wähler:innen eher Verstöße ihrer bevorzugten Kandidat:innen gegen demokratische Grundsätze, als gegen ihr eigenes „Lager“ zu stimmen.
Zusammen mit Prof. Milan Svolik von der Yale University gingen Johanna Lutz, Filip Milačić und Elena Avramovska der Frage nach, unter welchen Umständen undemokratische Politiker:innen gewählt werden. Dabei fanden sie heraus: Insbesondere im Gegenzug für identitätspolitische Fragen sind wir bereit, bei undemokratischem Verhalten von Politiker:innen ein Auge zuzudrücken.
In Umfragen wird die Demokratie regelmäßig als das beste verfügbare politische System bewertet, und dennoch gelingt es demokratisch gewählten Amtsinhaber:innen in vielen Ländern, die Demokratie auszuhöhlen. Vor dem Hintergrund dieses Trends zur schleichenden Autokratisierung hat das in Wien ansässige Kompetenzzentrum „Demokratie der Zukunft“ ein Befragungsexperiment in sieben europäischen Ländern (Schweden, Deutschland, Spanien, Serbien, Polen, Estland und der Ukraine) durchgeführt, um die aktuelle Einstellung zur Demokratie zu ermitteln. Im experimentellen Teil der Umfrage mussten die Befragten sich immer wieder zwischen Kandidat:innen mit unterschiedlichen politischen Positionen entscheiden, wodurch die Auswirkungen des Versuchs einer Kandidat:in, die Demokratie zu untergraben, auf ihre Wahlaussichten isoliert werden konnten. So konnte erhoben werden, ob Wähler:innen die Demokratie ausreichend wertschätzen, um Politiker:innen zu bestrafen, die undemokratische Haltungen vertreten.
Dem Ergebnis der vom Marktforschungsinstitut Ipsos durchgeführten Befragung zufolge schätzt eine Mehrheit der Wähler:innen die Demokratie und bestraft grundsätzlich Kandidat:innen, die gegen demokratische Normen verstoßen, allerdings nicht sehr stark: Für demokratische Verstöße verliert eine Kandidatin im Durchschnitt 7,8% der Stimmenanteile.
In identitätspolitischen Fragen missachten Wähler:innen eher undemokratische Ansichten von Kandidat:innen, als gegen ihr eigenes „Lager“ zu stimmen – auch dann, wenn das Thema die Gesellschaft nicht polarisiert. Der Befragung zufolge sind Wähler:innen zudem in erster Linie Parteigänger:innen und erst in zweiter Linie Demokrat:innen: Die meisten Wähler:innen verzeihen Kandidat:innen das Verstoßen gegen demokratische Normen, solange die Kandidatin aus der von der Wählerin bevorzugten Partei kommt. Am wenigsten bereit, ihre bevorzugten Kandidat:innen für undemokratische Positionen an der Wahlurne zu bestrafen, sind Anhänger:innen rechtspopulistischer Parteien.
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