Friedrichs Bildungsblog

1

Damit es jedes Kind packt - auf dem Weg zu einer gerechteren Bildungslandschaft

Bildung ist das zentrale Aufstiegsversprechen unserer Gesellschaft. Aber werfen wir doch einmal einen Blick auf die Abiturjahrgänge oder in die Hochschulsäle in unserem Land. Wie viele der Anwesenden kommen da aus einem wohlsituierten Haushalt?

Bild: Marja Liisa Voellers Pressefoto von Büro Völlers

Bildung ist das zentrale Aufstiegsversprechen unserer Gesellschaft. Aber werfen wir doch einmal einen Blick auf die Abiturjahrgänge oder in die Hochschulsäle in unserem Land. Wie viele der Anwesenden kommen da aus einem wohlsituierten Haushalt? Zugegeben, eine rhetorische Frage. Denn es sind nach wie vor weit mehr, als es rein statistisch sein sollten. Und genau das zeigt sich auch in Teilen in internationalen Vergleichsstudien wie PISA. Die Schere zwischen Arm und Reich geht auch im Bildungssektor weit auseinander. Kinder aus wohlhabenderen Familien schneiden deutlich besser ab als Kinder aus ärmeren Verhältnissen. Das gilt vor allem für die Lesekompetenz, aber auch für die Bereiche Rechnen und Naturwissenschaften. Und besonders ernüchternd: Diejenigen, die aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommen und trotzdem gute Ergebnisse erzielen, die glauben nicht an ihre Chancen. Zwei Drittel von ihnen rechnen laut den PISA-Ergebnissen nicht damit, später einen Hochschulabschluss machen zu können.

Das dürfen wir nicht einfach so hinnehmen. Zu viele Kinder und Jugendliche bleiben hinter ihren Potenzialen zurück. Aber jedes Kind in diesem Land hat Potenzial. Und es ist mir ein Herzensanliegen, alles daranzusetzen, dass alle Kinder die Möglichkeit haben, das Beste aus sich zu machen. Kein Kind darf zurückgelassen werden. Das schreibe ich hier nicht nur als Sozialdemokratin. Ich schreibe es auch, weil ich als ehemalige Lehrerin an einer integrierten Gesamtschule aus eigener Erfahrung weiß, wie viel ein gutes Lernumfeld bewirken kann.

Die politische Konsequenz daraus ist für mich klar: Wenn Kinder und Jugendliche in ihrem sozialen Umfeld nicht die notwendige Unterstützung bekommen können, dann liegt es auch an der Politik, ihre Lernorte umso stärker zu machen. Dazu braucht es selbstverständlich ein gutes Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen. Alle müssen ihren Beitrag leisten, unsere Kitas und Schulen stark zu machen.

Neues Bund-Länder-Programm „Schule macht stark“

Die SPD hat jetzt dafür gesorgt, dass Schulen in sozial schwierigen Lagen besonders in den Blick genommen werden. Auf Bundesebene haben wir dafür ein eigenes Förderprogramm im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD verankert. Mit dem Bund-Länder-Programm „Schule macht stark“ ist dieses Vorhaben nun Realität geworden. 125 Millionen Euro werden Bund und Länder für diese Schulen in den nächsten zehn Jahren in die Hand nehmen. Gemessen am Investitionsvolumen scheint das Programm auf den ersten Blick vielleicht nicht das spektakulärste zu sein. Aber das Besondere an dem Programm ist gerade nicht, dass Milliarden fließen. Das Besondere ist, dass Wissenschaftler_innen die Maßnahmen in den Schulen begleiten, sie evaluieren und dann aufbereiten, damit alle davon profitieren können. Viele Länder haben sich bereits mit eigenen Programmen erfolgreich auf den Weg gemacht. Aber fundierte Erkenntnisse, was unter welchen Bedingungen funktioniert und was nicht, fehlen noch in weiten Teilen. Deshalb wollen wir mit diesem Programm den Lehrkräften und Schulleitungen eine Art Baukasten an wissenschaftlich fundierten und praxisbewährten Maßnahmen bereitstellen – damit sie passgenau auf die schwierigen und oftmals ganz individuellen Herausforderungen reagieren und vor allem auch frühzeitig agieren können.

Eine Anmerkung sei mir an der Stelle noch erlaubt: Oft laufen diese Schulen unter dem Label „Brennpunktschulen“. Ich kann dieses stigmatisierende, negative Wort überhaupt nicht leiden. Natürlich müssen wir die Probleme klar benennen, gar keine Frage. Aber die Zukunftsperspektive muss doch eine gute sein. Aus diesen Schulen sollen Chancen erwachsen. Erfolgsgeschichten. Ein Feuerwerk statt Brennpunkt.

Signal an Lehrkräfte und Schulleitungen

Doch bei diesem Programm geht es auch noch um mehr. Wir stärken damit nicht nur die Strukturen vor Ort. Wir senden auch ein deutliches Signal an unsere Lehrkräfte und Schulleitungen: Wir lassen euch in diesen schwierigen Situationen nicht allein. Denn aus der aktuellen PISA-Studie wissen wir auch: Viele Lehrkräfte wenden sich bewusst von diesen Schulen ab oder meiden sie gar von vornherein. Die traurige Konsequenz: 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Schulen in sozial benachteiligten Lagen sind von Unterrichtsbeeinträchtigungen durch Lehrkräftemangel betroffen. Gerade die Kinder und Jugendlichen also, die besonders auf Unterstützung in der Schule angewiesen sind, kriegen am Ende noch weniger als ihre Altersgenoss_innen aus privilegierten Gegenden. Deshalb soll „Schule macht stark“ allen Schulleitungen, Lehrkräften, Sozialarbeitenden und Eltern auch Mut machen, sich dieser Herausforderung zu stellen.

Die Gebrüder-Grimm-Schule in Hamm hatte diesen Mut. Im Sommer 2019 haben mein Kollege der SPD-Bundestagsfraktion Oliver Kaczmarek und ich sie besucht, um etwas über ihr Erfolgsrezept zu erfahren. Sie liegt in einem Stadtteil mit besonderen Herausforderungen, was beispielsweise die Armutsquote oder den Migrationsanteil betrifft. Vor einigen Jahren noch stand diese Schule aufgrund extremer Bedingungen kurz vor der Schließung. Aber dann haben Lehrkräfte, Schulleitungen, pädagogisches Personal – einfach alle – mit angepackt. Mit viel Tatkraft und Experimentierfreude haben sie die Schule auf den Kopf gestellt und zu einem starken Lernort für alle Schüler_innen gemacht. Und im letzten Jahr, 2019, ist die Gebrüder-Grimm-Schule die Schule des Jahres in Deutschland geworden. Ich schreibe das, weil ich darauf aufmerksam machen will, dass viele andere Schulen noch auf eine solche, auf ihre Erfolgsgeschichte warten. Die Gebrüder-Grimm-Schule zeigt, dass es möglich ist. Und mit dem Programm „Schule macht stark“ werden wir hoffentlich in den nächsten Jahren noch viele weitere dieser so wichtigen positiven Effekte vor Ort sehen können.

Guter Ganztag schafft gute Chancen

Natürlich kann das Programm auf dem Weg zu einer gerechten Bildungslandschaft nur eine Maßnahme von ganz vielen sein. Eine weitere wichtige wird der flächendeckende Ausbau der Ganztagsbetreuung sein. Ein guter Ganztag schafft gute Chancen. Das ist keine Floskel, das ist die nackte Wahrheit. Nach dem Rechtsanspruch im Kita-Bereich ist der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter jetzt der nächste dringende Schritt. Ab 2025 soll dieser Anspruch in Kraft treten. Dafür wird der Bund 2020 und 2021 schon einmal zwei Milliarden Euro an Investitionsmitteln in die Hand nehmen – wohlwissend, dass das Gesamtbudget natürlich höher ausfallen wird. Auch die Länder und Kommunen werden ihren Teil dazu beitragen, um eine gute Ganztagsbetreuung in diesem Land hinzukriegen. Was für mich ein guter Ganztag ausmacht? Für mich verbindet er die Angebote an Schulen, den Unterricht, Vertiefungen und frei verfügbare Zeit sinnvoll miteinander. Multiprofessionelle Teams und auf Augenhöhe wahrgenommene Verantwortung von allen Beteiligten gehören dazu. Wenn uns das gelingt, dann werden wir einen deutlichen Schritt nach vorn machen. Hin zu mehr Bildungschancen, einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und einer höheren Erwerbsquote von Frauen.

Wir sehen an allen Ecken und Enden: Die Herausforderungen einer gerechteren Bildungslandschaft sind extrem vielschichtig. Aber das darf uns nicht abschrecken. Sie muss uns jede Mühe wert sein. Mir ist sie es. Damit es jedes Kind packt.

 

Marja-Liisa Völlers ist Bundestagsabgeordnete der SPD und Mitglied des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags.



Über diesen Bildungsblog

Friedrichs Bildungsblog ist der bildungspolitische Blog der Friedrich-Ebert-Stiftung. Friedrich Ebert ist nicht nur Namensgeber der Stiftung.

Sein Lebensweg vom Sattler und Sohn eines Schneiders zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Deutschlands steht für Aufstieg durch Bildung.

Weiterlesen

Katja Irle, Redaktionelle Betreuung des Blogs, Bildungs- und Wissenschaftsjournalistin 

Lena Bülow, Team Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

Florian Dähne, Leiter Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

Wenden Sie sich bei Ideen und Vorschlägen für Blogbeiträge gerne an florian.daehne(at)fes.de

Für weitere spannende Blogbeiträge klicken Sie hier:

Kommentare

  • Cordula Grätz,
    ich bin da ganz bei Ihnen, dass es einen guten Ganztag braucht um gerechtere Bildungschancen zu ermöglichen. Es gibt immer einzelne Leuchttürme (bspw. Brüder-Grimm-Schule) und diese sollten als Beispiel genommen werden um in die Fläche zu gehen. Es sollte grundsätzlich berücksichtigt werden, das auch Ganztagskinder Raum für Rückzug, bauen, Rollenspiel, toben und klettern, spielen und bewegen, lesen und chillen, explorieren...benötigen. Diesen finden Kinder - besonders in Einzugsgebieten mit Herausforderungen (KESS 1/ 23+) - an Ganztagsgrundschulen selten. Gerade Kinder aus diesen Familien benötigen den familienergänzenden Umgang und nicht nur den curricularen, bspw. gemeinsames lesen in der Comic Ecke. Dies geht in der geführten Bildungsdebatte verloren, da immer nur auf Unterricht und Förderung fokussiert wird, und selten die familiäre Ursache betrachtet wird, nämlich die Herkunft der Kinder. Es sollte mal geprüft werden, was fehlt diesen Kindern. Jede Studie stellt fest: es ist die Herkunft. Also sollte doch auch dort angesetzt werden. Erziehungs-/ und Familienergänzend. Räume schaffen in denen Kinder auch spielerisch und ohne Curriculum lesen, Lesen, Schreiben, MINT entdecken. Dazu braucht es Räume und Personal. Mit Aufgabe der Horte in Hamburg, ist hier viel verloren gegangen. Natürlich sind jetzt mehr Kinder im System, aber die Erfolge bleiben offensichtlich noch aus, bzw. sind gering. Zudem wird in Hamburg Inklusion nicht ausreichend berücksichtgt. Es braucht Heilerzieher auch an Schulen und nicht nur in Kitas. Der Anfang ist gemacht, jetzt muss es konzeptionell, personell und strukturell weiter gehen. Nur gesicherte und gute Rahmenbedingungen können die Prozessqualität für die Familien, insbesondere die Kinder, verbessern und somit für gerechtere Bildungschancen sorgen.

Neue Antwort verfassen

nach oben