»Nachhaltigkeitskapitel« in Abkommen schützen nicht vor Arbeitsrechtsverletzungen und Umweltschäden, so die Bilanz der Zivilgesellschaft.
Mit dem Ziel, ein Zeichen für mehr Nachhaltigkeit und Menschenrechte zu setzen und dem Protest der Zivilgesellschaft zu begegnen, wurden in den neueren EU-Handelsabkommen – wie dem zwischen der EU, Kolumbien, Peru und Ecuador – »Nachhaltigkeitskapitel« eingefügt. Darüber verpflichten sich die Vertragsparteien zur Einhaltung der international gültigen Sozial- und Umweltstandards wie z. B. der ILO-Konventionen oder des Pariser Abkommens. Zudem erhält die Zivilgesellschaft, u.a. auch die FES, eine Beratungsfunktion zur Nachhaltigkeit, die sie über sog. Domestic Advisory Groups (DAGs) wahrnimmt.
In Brüssel fand im Juni ein Treffen von Mitgliedern der zivilgesellschaftlichen DAGs aus Kolumbien, Peru und Ecuador sowie der EU statt. Diese Gespräche waren im Vorfeld von großer Skepsis begleitet, denn die Handelsbeziehungen der drei Andenländer mit der EU werden in Lateinamerika sehr kritisch gesehen: So zeigen Studien, dass die rein handelspolitische Entwicklung für die lateinamerikanischen Länder bislang nicht so günstig verläuft wie für die EU. Die Hauptkritik bezieht sich allerdings auf die soziale und ökologische Nachhaltigkeit der Handelsbeziehungen.
Kolumbien: Gewerkschafter_innen leben extrem gefährlich
Kolumbien ist z. B. weit davon entfernt, Arbeitnehmer_innenrechte und andere ökologische Rechte zu gewährleisten. Die Ermordung von Gewerkschafter_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen ist hier an der Tagesordnung: 2017 wurden über 170 dieser Aktivist_innen getötet. Die Regierung unternimmt nur wenig zum Schutz dieser Menschen. Der seit 2012 bestehende Freihandelsvertrag mit der EU hat die Lage kaum verbessert. Zwar wurden die Kapazitäten der Generalstaatsanwaltschaft verstärkt, um solche Verbrechen besser aufzuklären, die Quote der Straflosigkeit liegt jedoch nach wie vor bei über 95 Prozent und hat sich damit im Vergleich zu 2010 mit 98 Prozent nur marginal verändert.
Peru: Umweltschäden und Ausbeutung der Arbeitenden
Im Oktober 2017 reichten in Peru 14 europäische zivilgesellschaftliche Organisationen in Kooperation mit 27 peruanischen eine umfassende Beschwerde gegen die Regierung wegen Nichterfüllung ihrer Arbeits- und Umweltverpflichtungen aus dem Freihandelsabkommen ein. Diese Beschwerde listet detailliert Verstöße gegen ILO-Konventionen und Umweltstandards im Textil-, Bekleidungs- und agroindustriellen Sektor auf. Zudem verweist die Beschwerde auf strukturelle Probleme wie das Fehlen systematischer Arbeitsinspektionen, den mit über 70 Prozent hohen Grad an Informalität und eine vorrangig auf Extraktivismus angelegte Wirtschaftspolitik der peruanischen Regierung, die zudem bis heute keine unabhängige DAG anerkennt.
Ecuador: schlechte Bezahlung und Gesundheitsgefährdung durch Pestizide
In Ecuador wurde von der dortigen DAG ebenfalls eine Beschwerde aufgrund von Verletzungen des Nachhaltigkeitskapitels bei der Regierung eingereicht. Denn eine Untersuchung im Auftrag der Arbeitnehmer_innen-Vertretung ASTAC konstatiert eine deutliche Zunahme unsicherer Arbeitsverhältnisse, schlechter Bezahlung und der Missachtung von Gewerkschaftsrechten. Die Studie prüfte die Situation von Arbeitnehmer_innen-Rechten und ökologischen Standards im Bananensektor, dem wichtigsten Exportsektor Ecuadors. Hauptabnehmer der dort produzierten Bananen sind u. a. deutsche Supermarktketten wie ALDI, LIDL und REWE. Besonders schwer wiegt hier der Einsatz von Pestiziden ohne Rücksicht auf die in den Plantagen arbeitenden Menschen.
Zivilgesellschaftliche Beschwerden laufen ins Leere
Die Missstände in allen drei Ländern wurden von DAGs und Gewerkschaften wiederholt gegenüber ihren nationalen Regierungen und der EU angeprangert, jedoch ohne wirksame Reaktion. Lediglich auf die Peru-Beschwerde antwortete Handelskommissarin Malmström nach 17 Monaten mit einem Schreiben, in dem sie jedoch die Verantwortung für die Vertragsverletzungen an Peru delegiert und einen Dialog zur Nachhaltigkeit zwischen EU-Kommission und peruanischer Regierung als ausreichend beschreibt. Wirksame Maßnahmen gegen Vertragsverletzungen unterblieben bislang in allen drei Ländern.
Die Bilanz der zivilgesellschaftlichen Beratung durch die DAGs ist also mehr als dürftig. Zwar investieren zivilgesellschaftliche Akteure sehr viel Zeit und Mühe, um Vertragsverletzungen für die spärlichen Dialogräume zur Beratung zu dokumentieren, doch das Fehlen von Durchsetzungsmaßnahmen wie Sanktionen oder Vertragsaussetzung macht die Arbeit der DAGs letztendlich zu einem Papiertiger.
Die DAGs: ein schlecht konstruierter Papiertiger
Und auch die Struktur der zivilgesellschaftlichen Beratungsgremien schadet ihrer Wirkung. Drei Gruppen bilden die Zivilgesellschaft in den DAGs ab: Gewerkschaften, NGOs und Arbeitgebervertreter_innen. Während Gewerkschaften und NGOs meist zur Verbesserung der Nachhaltigkeit zusammenarbeiten, spielt dieser Aspekt für Arbeitgebervertreter_innen eine untergeordnete Rolle. Oft können die DAGs sich daher aufgrund interner Grabenkämpfe nicht ihrer Beratungsfunktion widmen. Noch dazu behindern die Regierungen ihre Arbeit teilweise systematisch, indem sie ihnen keine finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, nicht auf die Repräsentativität aller Gruppen achten oder die Unabhängigkeit des Gremiums vom Regierungsapparat nicht gewährleisten.
Die Lösung: Öffentlichkeit und eine Veränderung der Prozesse
»Ehrlich gesagt bin ich frustriert«, sagte daher eine kolumbianische Gewerkschafterin, und ihre Frustration teilen viele zivilgesellschaftliche Akteure. Sie fragen sich, ob die auf die Beratung verwendete Zeit und ihr Aufwand wirklich gerechtfertigt sind und man nicht stattdessen andere Wege der Einflussnahme suchen sollte. Ihren von der FES organisierten Brüssel-Aufenthalt nutzten die Mitglieder der DAGs aus Kolumbien, Peru und Ecuador für einen Austausch dazu und kamen zum Ergebnis, dass man trotz aller Frustration und momentanen Wirkungslosigkeit die Handelspolitik nicht allein den Regierungen überlassen dürfe. Eine Mitarbeit in den zivilgesellschaftlichen Beratungsgremien zum Freihandelsvertrag sei unbedingt nötig, um Prozesse zu verändern, Missstände öffentlich anzuprangern und auch durch kleine Nadelstiche Veränderungen herbeizuführen.