Lechts oder rinks? Das Bündnis Sahra Wagenknecht im Parteienwettbewerb

Die aus dem Bündnis Sahra Wagenknecht entstehende Partei wird nach gegenwärtigem Kenntnisstand eine links-autoritäre, populistische Partei sein.



Die aus dem Bündnis Sahra Wagenknecht entstehende Partei wird nach gegenwärtigem Kenntnisstand eine links-autoritäre, populistische Partei sein. Untersuchungen von Personen-, Positions- und Populismuseffekten auf die potenzielle Unterstützung einer solchen Partei legen den Schluss nahe, dass diese neue Partei vor allem eine Konkurrenz für die AfD und, in weitaus geringerem Maße, für die Linke darstellen wird. Allerdings verändert sich durch die neue Partei auch das deutsche Parteiensystem in Richtung eines potenziell destabilisierenden Polarisierten Pluralismus.


Am 26. September als Verein „BSW – Für Vernunft und Gerechtigkeit e. V.“ gegründet, soll das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ eine neue Partei in der Bundesrepublik vorbereiten.[1] Gründungen von Parteien, die für den politischen Wettbewerb von Bedeutung werden, sind in Deutschland selten. Zuletzt ist es vor allem der Piratenpartei und der AfD gelungen, wenngleich im ersten Fall nur für kurze Zeit mit politischem Erfolg. Die bereits bestehenden Parteien blicken natürlich mit Interesse auf neue Parteien, stellen sie doch Konkurrentinnen und/oder potenzielle Partnerinnen dar. Daher liegt die Frage nahe, für wen die BSW eine Konkurrenz sein könnte. Dazu schauen wir auf drei „P“ der Wahl- und Parteienforschung: die Person, die Programmatik bzw. politische Positionen und den Populismus.

 

Personeneffekte
 

Sahra Wagenknecht – ob als offizielle Parteivorsitzende oder nicht – ist natürlich die bestimmende Figur der BSW. Sie gilt als hervorragende Rednerin, als charismatische Politikerin und trotz ihrer Jahrzehnte in der Politik als schlagfertige „Außenseiterin im Establishment“. Dass ihre Zustimmungswerte im Mittel eher gering sind, liegt daran, dass sie sowohl sehr ablehnenden Bewertungen erfährt als auch eine Fangemeinde hat. Auswertungen verschiedener aktueller Umfragen ergibt, dass die Gallionsfigur und Namensgeberin der BSW bei bisher dem Rechtspopulismus nahestehenden Wähler:innen besonders gut ankommt.

 

Positionseffekte
 

Zur Beschreibung inhaltlicher Positionen von Parteien und Wähler:innen hat sich in der Forschung das Bild eines zweidimensionalen Raums etabliert: Zu einer sozioökonomischen Dimension, in der es um Fragen von Sozialstaatlichkeit, Umverteilung, und staatliche Eingriffe in die Wirtschaft geht, kommt eine soziokulturelle Dimension. Hier werden Fragen gesellschaftspolitischer Liberalität, kultureller Identität, des (Inter-)Nationalismus aber auch der Ökologie thematisiert.

Die Programmatik der BSW einzuschätzen und die Position der zukünftigen Partei zu ermitteln, ist aufgrund der Nichtexistenz eines Wahl- oder Parteiprogramms schwierig. Präzise Analysen auf Basis des Gründungsmanifests, sind kaum möglich bzw. mindestes unsicher. Viele Beobachter:innen neigen momentan jedoch zur Beschreibung als sog. links-autoritäre Partei, d.h. als sozioökonomische linke und soziokulturell rechte Partei. Auf dieser Grundlage kann die BSW in dem angesprochenen Koordinatensystem verortet werden.

Aus der Logik politischer Positionen und räumlicher Nähe konkurrieren Parteien um die Wähler:innen, die im Politikraum zwischen ihnen positioniert sind bzw. neigen Wähler:innen Parteien dann zu, wenn sie ähnliche Positionen aufweisen. Wo positionieren sich nun Wähler:innen im politischen Raum? Um diese Frage zu beantworten, werden Daten des FES-Projekts „Kartografie der Arbeiter:innenklasse (Veröffentlichung 2024) verwendet. Darin wurden Bürger:innen u.a. nach ihren Einstellungen zu verschiedenen Themen, die jeweils sozioökonomische und soziokulturelle Dimension berühren, befragt.

 


In Abbildung 1 sind die mittleren Positionen der Parteiwähler:innen dargestellt. Nah am progressiven Pol finden sich die Grünen, etwas zentristischer die SPD und weiter links die Wähler:innen von Die Linke. Mitte-rechts befinden sich die mittleren Wähler:innenpositionen von CDU/CSU und FDP. Dem konservativen Pol an nächsten sind die Wähler:innen der AfD.[2] Die BSW, für die noch keine Wähler:innenpositionen vorliegen können, wurde entsprechend der oben dargelegten Überlegungen konservativer als die linken Parteien und links von rechten Parteien eingezeichnet.

 


Abbildung 2 gibt Aufschluss über den Anteil des Wähler:innenpotenzials der etablierten Parteien im links-autoritären Quadranten. Über die Parteipotenziale hinweg zeigen sich deutliche Unterschiede, die sich zumeist auch mit der räumlichen Logik des Wettbewerbs in Einklang bringen lassen. Mit über 43 Prozent kann ein großer Teil des AfD-Potenzials als links-autoritär gelten. Bei der Linken sind es 23 Prozent, bei CDU/CSU 22 Prozent, und bei FDP und SPD jeweils 18 Prozent. Zuletzt sind es nur etwa neun Prozent der potenziellen Grünen-Wähler:innen, die im selben Quadranten wie die BSW zu verorten sind. Während die höheren FDP-Werte aus Sicht der rein räumlichen Logik überraschen, entsprechen die niedrigen Werte für die Grünen sowie die hohen AfD-Werte den Erwartungen. Die Parteipotenzialanalysen zeigen die größten inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen den potentiellen Wähler:innen der AfD und der BSW, welche nach positioneller Logik damit zuvorderst eine Konkurrentin für die Rechtspopulist:innen wäre.

 

Populismus

 

Auch aufgrund der oben erwähnten Anti-Establishment-Ressentiments wird die BSW als populistische Partei verortet. Populismus wird hier nicht z.B. als Kommunikationsstil, sondern als eine sog. „dünne Ideologie“ verstanden, die sich vor allem durch einen Widerstreit zwischen dem Volk und den politischen Eliten auszeichnet. Für Deutschland zeigt sich hier stets, dass die AfD die mit Abstand populistischste Partei ist, gefolgt von der Linken, und die anderen Parteien im Bundestag folgen nach einem wiederum einem großen Abstand. Wichtig ist nun, dass diese populistischen Einstellungen und populistische Parteien zueinander finden. So wie Wähler:innen mit linken Positionen auf der sozioökonomischen Achse mit höherer Wahrscheinlichkeit für die SPD als für die FDP votieren, so wählen Personen mit starken populistischen Einstellungen mit höherer Wahrscheinlichkeit die AfD. Mehr noch: Diese Populismus-Dimension ist sogar wichtiger als die beiden Positionsdimensionen im politischen Raum. Wenn die BSW also eher populistisch eingestellte Bürger:innen anspricht, wären diese vor allem im AfD-Potenzial und erst in zweiter Linie im Linken-Potenzial verortet.

 

Fazit

 

Die Ergebnisse dieser Kurzanalyse der der Konkurrenz entlang von Person, Position und Populismus ergibt zusammengenommen, dass die BSW in erster Linie eine Konkurrenz für die AfD darstellen sollte. Dies gilt unter den Voraussetzungen, dass Sahra Wagenknecht eine sehr prominente Rolle einnehmen und als Gesicht der Partei wirken und dass die BSW den Weg einer links-autoritär populistischen Partei gehen wird. Dann wirken sowohl Person, als auch Position und Populismus am stärksten anziehend auf gegenwärtige und potenzielle AfD-Wähler:innen.

Aus dieser Analyse ließe sich schließen, dass die BSW für zwei Dinge gleichzeitig ein Problem werden kann: für die die liberale Demokratie herausfordernde AfD und für die liberale Demokratie selbst. Das Bündnis Sahra Wagenknecht könnte einerseits zu einer Schwächung der AfD beitragen, andererseits die Bildung stabiler Regierungsmehrheiten erschweren und die Fliehkräfte stärken. Die normative Bewertung der anstehenden neuen Konkurrenz im deutschen Parteiensystem hängt damit davon ab, welche der beiden Effekte überwiegt.

 

[1] Da der Name der zu gründenden Partei noch nicht feststeht, wird im Folgenden auch für die potenzielle Partei von BSW gesprochen.

[2] Die Positionen der Parteien selbst, beispielsweise nach der Expert:innenbefragung des Chapel Hill Expert Survey (CHES, S. Jolly et al. 2022), zeigt eine sehr ähnliche Verteilung im zweidimensionalen Politikraum. Diese weitgehende Passung von Parteipositionen und Wähler:innenpositionen spricht dafür, dass diese Zweidimensionalität die Struktur des politischen Wettbewerb gut abbildet. Zwei Ausnahmen sind hervorzuheben: die FDP ist soziokulturell progressiver und die AfD sozioökonomisch deutlich weiter rechts positioniert als die mittlere Position ihrer Wähler:innen.

 

Über den Autor

Aiko Wagner ist DFG-Heisenberg Fellow am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Er forscht zu politischen Einstellungen, Parteiensystemen, Wahlverhalten und politischem Wettbewerb.
 

Ansprechpartnerin in der FES

Catrina Schläger


 

Wagner, Aiko

Lechts oder rinks?

Das Bündnis Sahra Wagenknecht im Parteienwettbewerb
Bonn, 2023

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