Zuwanderung unerwünscht - Die Visegrád-Staaten gemeinsam dagegen

Sind die Staaten Mittelosteuropas tendenziell unsolidarisch und fremdenfeindlich oder braucht der Rest Europas nur einen Sündenbock? Zu den Hintergründen der ablehnenden Haltung der Visegrád-Staaten veröffentlicht die FES eine Publikationsreihe.

Bild: Quelle: self-made, based upon Visegrad group countries Urheber:CrazyPhunk

Eine gemeinsame europäische Antwort auf die Flüchtlingsfrage scheint derzeit gleichermaßen  notwendig wie unwahrscheinlich. Der Versuch einer EU-weiten Lösung der aktuellen humanitären Krise scheitert auch an dem vehementen gemeinschaftlichen Widerstand aus Mittelosteuropa. Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei sind sich einig: Eine verpflichtende Quote zur Aufnahme von Flüchtlingen ist „inakzeptabel”.

„Um das europäische Projekt mit seinen Errungenschaften wie der Freizügigkeit zu erhalten, ist ein verstärkter paneuropäischer Dialog notwendig. Ein Dialog, der auf Augenhöhe geführt wird, um gegenseitiges Verständnis und Vertrauen zu fördern,” zeigt sich Jan Niklas Engels, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Budapest, überzeugt. Die neue Publikationsreihe der Friedrich-Ebert-Stiftung beschäftigt sich deshalb mit den Visegrád-Staaten und der aktuellen Flüchtlingssituation, den Einstellungen der politischen Parteien und der Stimmung in den jeweiligen Gesellschaften. In vier Papieren präsentiert das Referat Mittel- und Osteuropa eine Bestandsaufnahme und analysiert die Hintergründe der ablehnenden Haltung. Die Beiträge zu Polen, Ungarn und Tschechien sind bereits erschienen, das Papier zur Slowakei wird in Kürze folgen.

Vor allem in Ungarn spielen innenpolitische Überlegungen eine zentrale Rolle. „Seit Herbst 2014 hat die Regierungspartei stark an Zustimmung verloren. Eine geplante Internetsteuer und die Umstellung des Autobahnmautsystems stießen auf großen Unmut,” analysiert Engels. „Mit der Flüchtlingskrise hat sich das Blatt nun wieder gewendet. Das Thema beherrscht den politischen Diskurs, mit dem Bau eines Grenzzaunes und verschärfter Gesetzgebung hinsichtlich illegaler Migration hat die Regierung wieder das Heft in die Hand genommen.”

In Polen stellte die Flüchtlingsdebatte ein zentrales Wahlkampfthema dar. Justyna Seges Frelak kommt in ihrem Papier zu dem Ergebnis, dass im Zuge des Wahlkampfes für die Parlamentswahlen eine Radikalisierung der Standpunkte sowie eine Emotionalisierung der Debatte stattgefunden haben. Zwar stimmte nach langen Verhandlungen die Regierung in Polen - als einziges Land aus der Visegrád-Gruppe - dem neuen Verteilungsschlüssel zu, wurde jedoch vom Wähler dafür abgestraft. Die neugewählte rechtspopulistische PiS-Regierung machte nach ihrem Sieg am 25. Oktober 2015 ihre Ankündigung aus dem Wahlkampf wahr und nahm die Zusage, 7000 Flüchtlinge aufzunehmen, wieder zurück.

Auch die Tschechische Republik stand von Beginn an einer verbindlichen Quote für die Verteilung von Flüchtlingen ablehnend gegenüber - und das, obwohl diese Thematik in Tschechien bislang kaum eine Rolle gespielt hat. Die Anzahl der Asylanträge ist seit Jahren konstant niedrig. Leonie Liemich, Thomas Öllermann und Anne Seyfferth stellen in ihrem Papier fest, dass Tschechien vor allem empfindlich auf den verpflichtenden Charakter der Quotenregelung und der Mehrheitsentscheidung bei der Abstimmung im Europarat, die die osteuropäischen Länder schlicht überstimmte, reagierte. „Diese wird als Symbol der Bevormundung wahrgenommen,” so die Experten. „Es entstand der Eindruck, dass Prag sich umso mehr gegen eine Quote wehrte, je stärker aus Brüssel und Berlin darauf gedrängt wird.” Der Vorwurf an Tschechien, unsolidarisch zu handeln, führte zu weiteren Kränkungen.

Engels appelliert deshalb an die Dialogbereitschaft aller Beteiligten: „Sich gegenseitig mangelnde Solidarität oder Scheinheiligkeit vorzuwerfen, hilft nicht weiter. Nur wenn auf der einen Seite verstanden wird, dass die EU-Osterweiterung nicht nur eine Erfolgsgeschichte ist, sondern viele Neumitglieder in ihren Erwartungen enttäuscht wurden, nur dann kann auf der anderen Seite auch verstanden werden, dass die europäischen Werte nicht nur eine hohle Phrase zur Gängelung unliebsamer EU-Mitglieder, sondern zentraler Bestandteil des gemeinsamen europäischen Projekts sind.”


Friedens- und Sicherheitspolitik in Europa

Die neuen außenpolitischen Herausforderungen überfordern nationalstaatliche Reaktionsmöglichkeiten: Europa muss einen gemeinsamen Weg finden. Bei der konkreten Ausgestaltung jedoch dominiert oft nationalstaatliches Denken. Eine europäische Zusammenarbeit ist hier besonders schwer, da nationale Sicherheit naturgemäß ein sensibles Thema ist. Trotzdem wollen wir mit verschiedenen Formaten Vertrauen schaffen und Möglichkeiten aufzeigen, an welchen Stellen eine bessere Kooperation sinnvoll wäre.

Ansprechpartnerin

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