Prävention statt Repression – Strategien zum Umgang mit radikalem Extremismus

Sicherheit statt Freiheit? Terroranschläge haben diese Frage in Europa wieder vermehrt aufgeworfen. Wie entsteht radikaler Extremismus, und was kann getan werden, um Radikalisierung und Bereitschaft zu Gewalt und Terrorismus frühzeitig zu vermeiden?

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Was uns Brüssel lehrt

Der Brüsseler Stadtteil Molenbeek ist zum Synonym geworden für Extremismus und Terrorismus in Europa. Aber der Bezirk, in dem viele Einwanderer leben und der sich ständig verändert, ist vielen Teilen anderer europäischer Großstädte nicht so unähnlich, wie gern angenommen wird. Und längst lässt sich Terrorismus nicht mehr so eindeutig territorial verorten, wie das zum Beispiel bei den Konflikten in Nordirland oder im Baskenland noch möglich war.

Terrororganisationen der Gegenwart haben Terrorismus von einem lokalen zu einem globalen Problem werden lassen. Über das Internet ist es für solche Organisationen einfacher denn je, neue Anhänger_innen zu radikalisieren. Vom Erstkontakt mit einer gewalttätigen Ideologie bis zu ersten Handlungen vergehen heute laut Brian Donald von Europol oft nur noch Wochen. Diese sicherheitspolitische Dimension rückt gerade nach Anschlägen in den Fokus. Aber was kann man tun, damit Menschen sich gar nicht erst radikalisieren? Wie erkennt man rechtzeitig Anzeichen von Radikalisierung und welche Rolle spielt dabei die EU, zum Beispiel durch die Unterstützung von Zusammenarbeit und Präventionsmaßnahmen?

De-Radikalisierung und Prävention auf lokaler Ebene

Oft sind es junge Männer, die mit terroristischen Vereinigungen sympathisieren, nicht wenige haben Schwierigkeiten, sich zu integrieren. Aber es beschränkt sich keineswegs auf diese Zielgruppe. Erstes Anzeichen einer Radikalisierung ist häufig die Abgrenzung von Familie und Freunden, die die Ideologie nicht akzeptieren. Emotionen werden unterdrückt, um Handlungen zu rationalisieren. Das ist bei religiösem Extremismus, aber auch im Fall von rechtsextremer Gewalt zu beobachten.

Der belgische Professor Johan Leman engagiert sich seit Jahren in Molenbeek in der Jugendarbeit und weist darauf hin, dass man eng mit den Jugendlichen zusammenarbeiten muss, um eine Gefährdung zu erkennen. Er hat Erfahrung mit Jugendprogrammen, wie etwa Boxvereinen, gesammelt: „Diese bieten zum einen eine gute Möglichkeiten zur sinnvollen Gestaltung der Freizeit, und zum anderen merkt man schnell, wenn sich jemand von einem Tag auf den anderen anders verhält oder gar nicht mehr kommt“. Auch Stefaan Deleus, der im belgischen Mechelen an der Gestaltung der städtischen Präventionsarbeit mitwirkt, betont, dass solche Programme von großer Bedeutung sind, um jungen Menschen Halt zu geben. Genauso wichtig sei es aber, die Familien, insbesondere die Mütter, zu unterstützen. Sie hätten viele Fragen und wüssten oft nicht, wie sie mit Verhaltensänderungen ihrer Kinder umgehen sollen.

Die Kommunikation mit denen, die von einer radikalen islamistischen Ideologie überzeugt wurden, ist schwierig. Julia Reinelt vom Violence Prevention Network in Berlin weiß, dass Gemeinsamkeiten wie Sprache oder Religion ein Türöffner sein können. Darüber kann es gelingen, einen anderen Zugang zum Islam aufzuzeigen, einen, der frei ist von Gewalt. Einen offenen Islam repräsentiert auch Ender Cetin, der in der Sehitlik-Moschee in Berlin Führungen veranstaltet und Aufklärungsarbeit leistet. Er nimmt es mit Humor, dass er dabei manchmal gefragt wird, was einen Muslim von einem Islamisten unterscheidet. Unterstützt wird diese Arbeit durch Kooperation mit lokalen Behörden, unter anderem der Berliner Polizei. Kooperationen auf allen Ebenen tragen entscheidend zum Erfolg von Aufklärungs- und Präventionsarbeit bei.

Was kann die Europäische Union tun?

Birgit Sippel, SPD Europaabgeordnete, weist darauf hin, wie wichtig es sei, dass EU-Mittel tatsächlich eingesetzt werden, um das Leben der Bürger_innen zu verbessern. Die Mitgliedstaaten können Gelder aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) oder Struktur- und Sozialfonds abrufen, um Programme für einen stärkeren Zusammenhalt in der Gesellschaft zu fördern. Auch die Vermittlung von Medienkompetenz sei entscheidend, um einer verstärkten Radikalisierung über das Internet entgegen zu wirken.

Als supranationaler Akteur kann die EU auch auf ideelle Weise helfen – unter anderem indem sie die Bildung von Netzwerken unterstützt. Ein ständiger Austausch verschiedener Akteure kann helfen, die Präventionsarbeit zu verbessern. Die Europäische Kommission hat speziell dafür 2012 das Radicalisation Awareness Network (RAN) ins Leben gerufen. Auch Gilles de Kerchove, Koordinator für Terrorismusbekämpfung der EU, findet, man müsse moderate Stimmen in der Zivilgesellschaft stärken. Allerdings sieht er auch Bereiche in denen die Europäische Kommission mehr tun müsste. Die Resozialisierung für Rückkehrer aus Syrien gehört dazu. Außerdem müsse man verstärkt über den Islam in Europa nachdenken, zum Beispiel über die Ausbildung von Imamen. Molenbeek, das nicht weit von seinem Arbeitsplatz entfernt liegt, sieht de Kerchove nicht als Ghetto. Bestehende Probleme müsse man aber analysieren und angehen, damit für gewaltsame Ideologien kein Raum bleibt.

„Prävention statt Repression“

war auch die Empfehlung der Expert_innen, die im Rahmen einer Veranstaltung des FES Europabüros am 31. Mai 2016 in Brüssel zusammenkamen. Die politischen Antworten auf terroristische Anschläge, wie jüngst in Paris und Brüssel, konzentrieren sich meist zunächst auf die Wiederherstellung der inneren Sicherheit durch repressive Maßnahmen, wie beispielsweise die Wiedereinführung von Grenzkontrollen, Razzien, Speicherung von Fluggastdaten oder Militärpräsenz auf den Straßen. Vielmehr sollten aber langfristig verstärkt Bemühungen im Bereich der Prävention und Inklusion in den Mittelpunkt rücken, um Radikalisierung und radikalen Extremismus zu verhindern.


Weitere Details zur FES Veranstaltung am 31. Mai 2016 im FES Europabüro in Brüssel finden Sie hier

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Friedens- und Sicherheitspolitik in Europa

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