Lange Zeit galten Wählerinnen als relativ immun gegenüber den Wahlangeboten rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien. Doch das hat sich geändert.
Wenngleich der absolute Anteil weiblicher Wähler für die meisten dieser Parteien noch immer hinter dem männlichen zurückliegt, lässt sich doch erkennen, dass der Abstand sich verkürzt. Etliche Frauen haben Führungspositionen in rechts-populistischen Parteien, sind sozusagen ihr weibliches Gesicht – aber wie sieht es hinter der Fassade aus? Und was ist geschlechter- und familienpolitisch im Spiel – kann man hier einen Triumph für die Frauen verzeichnen, oder ist das Gegenteil der Fall? Auch in Deutschland haben viele Frauen während der Bundestagswahl 2017 rechtspopulistisch gewählt: Siebzehn Prozent der ostdeutschen und acht Prozent der westdeutschen Frauen stimmten für die Alternative für Deutschland (AfD). Im Wahlkampf standen etliche Frauen an der Spitze der Kandidat_innenlisten und waren äußerst vernehmbar in TV-Talkshows. Während dort vor allem das Thema Flucht zur Sprache kam, entlarvte sich die AfD an vielen Stellen vor allem durch die Abwertung von Menschen mit Migrationshintergrund aber auch von anderen gesellschaftlichen Gruppen, etwa den alleinerziehenden Müttern. Dahinter stecken regressive Vorstellungen von einer traditionellen Familien- und Geschlechterordnung, mitunter verbunden mit Forderungen nach weiteren Einschnitten reproduktiver Rechte von Frauen. Aus einer progressiven und feministischen Sicht erscheint es also unmöglich, als Frau in Deutschland die AfD zu wählen und doch passiert es. Ähnliche Phänomene lassen sich auch in anderen Ländern Europas beobachten: Frauen stehen prominent an der Spitze dieser Parteien, die Zustimmung der Wählerinnen steigt, in Polen erhielt die rechtspopulistische PiS-Partei (Prawo i Sprawiedliwość, Recht und Gerechtigkeit) mit 39,7 Prozent mehr Stimmen von Frauen als von Männern und schränkt – seit sie in der Regierung ist – nach und nach demokratische Grundrechte und Bürgerinnenrechte von Frauen ein. Warum also geben Frauen rechtspopulistischen Parteien ihre Stimme und engagieren sich dort? Nach den Wahlen in den USA und Deutschland beleuchtete die mediale und politische Debatte vor allem das Wahlverhalten des weißen (im Falle Deutschlands vor allem: des ostdeutschen) Arbeiters. Unzählige politische Analysen und Feuilleton-Artikel gingen der Frage nach, warum sogenannte Wende- oder Globalisierungsverlierer die Rechtspopulisten wählen. Was seit der Bundestagswahl jedoch wenig Aufmerksamkeit gefunden hat: Warum wählen Frauen rechts – obwohl Frauen, zumindest in Deutschland, seit den 1970iger Jahren in ihrem Wahlverhalten überwiegend nach links tendieren? Warum gibt es hier also einen Wandel? Das ist eine Frage, die insbesondere progressive Parteien beschäftigen sollte: Verfangen ihre Angebote für die weibliche Wählerschaft (noch)? Oder ist etwa das Gegenteil der Fall und ihre Politiken tragen sogar dazu bei, Frauen in die Arme der Rechtspopulisten zu treiben, die sie mit einfachen Wahrheiten und dem Bild einer heilen traditionellen Familie auffangen? Eines scheint deutlich zu werden: Eine Analyse, die nach den Ursachen des grassierenden rechtspopulistischen Gedankenguts in Europa fragt und dabei nur den weißen Arbeiter im Blick hat – ist unterkomplex und greift zu kurz.
Diese Vergleichsstudie betrachtet das Female Face des Rechtspopulismus in sechs europäischen Ländern – Deutschland, Frankreich, Griechenland, Polen, Ungarn, und Schweden unter zentralen Fragestellungen:
1. Die Programmatik der rechtspopulistischen Parteien und insbesondere das Verhältnis zu Frauenrechten und Geschlechterfragen.
Zum einen inszenieren sich rechtspopulistische Parteien europaweit als Schützer der Frauenrechte, insbesondere wenn es darum geht, weiße Frauen gegen angeblich frauenfeindliche (muslimische) Einwanderer zu verteidigen. Geht es jedoch darum, häusliche und sexualisierte Gewalt von weißen Tätern zu thematisieren, werden Forderungen oft mit dem Verweis auf „Gender-Gaga“ und einen ausufernden Staat abgeblockt. Auch bei anderen Themen zeigt sich mit einem Blick auf die Wahlprogramme und die Äußerungen der Akteur_innen: in den meisten Fällen vertreten rechtspopulistische Parteien deutlich anti-emanzipatorische Positionen. Das zentrale Thema der Rechtspopulist_innen sind die Begrenzung der Zuwanderung und die Betonung des kulturell Eigenen gegen das Fremde. Dahinter steht meist eine mehr oder weniger offen völkische Ideologie: Das kulturell homogene Staatsvolk soll erhalten werden. Die Familienpolitik wird vor dem Hintergrund des demografischen Wandels damit zu einem zentralen Politikfeld. Auch die häufige Ablehnung reproduktiver Selbstbestimmung kann zum Teil vor diesem Hintergrund interpretiert werden, wobei sich hier in einigen Ländern auch Einflüsse (ultra-)konservativer christlicher Akteure zeigen, für die rechtspopulistische Parteien häufig eine Plattform bieten. Zudem eignen sich reproduktive Fragen mit ihrer moralisch-ethischen Komplexität zur Emotionalisierung und Polarisierung, ein zentrales Moment populistischer Politik.
2. Die Rolle der Frauen innerhalb rechtpopulistischer Parteien.
Zwar sind rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien personell zumeist männlich dominiert, es sind jedoch zunehmend Frauen, die als Gesicht der Partei wahrgenommen werden und wurden – zum Beispiel Beata Szydło in Polen; Alice Weidel und bis zur Bundestagswahl 2017 Frauke Petry in Deutschland und nicht zuletzt Marine Le Pen in Frankreich, die dem Front National1 ein „freundlicheres“ Image gegeben hat, als es noch unter ihrem Vater der Fall war. Über ihre Rolle in Führungspositionen hinaus, stellt sich auch die Frage, warum sich Frauen in diesen Parteien engagieren? Liegt darin vielleicht auch ein Moment der persönlichen und politischen Emanzipation? Stehen Frauen wirklich in der ersten Reihe?
3. Das Wahlverhalten von Frauen in Bezug auf rechtspopulistische Parteien.
Sprechen die weiblichen Protagonistinnen der Parteien Frauen als potenzielle Wähler_innen explizit oder implizit an? Warum neigen Frauen diesen Parteien zu, und welche Erklärungsansätze gibt es dafür? Was hat sich im Wahlverhalten von Frauen in der letzten Zeit verändert?
4. Mögliche (Gegen-)Strategien progressiver Akteur_innen und feministischer sozialer Bewegungen.
Ein Blick auf die (Gegen-)Strategien progressiver Akteur_innen und feministischer sozialer Bewegungen rundet die einzelnen Länderstudien ab. Wie betten sich diese im politischen Spektrum der jeweiligen Länder ein? Welche Reaktionen gibt es seitens (feministischer) sozialer Bewegungen und progressiver Parteien? Wurden bestimmte Positionen übernommen oder Gegenpositionen entwickelt? Gibt es Anzeichen dafür, welche Gegenstrategien erfolgreich waren?
Eines ist schon jetzt klar: Der Triumph der Frauen muss anders aussehen. Was können progressive Parteien und feministische Akteur_innen also tun? Die vorliegende Studie beinhaltet nur einige Länderbeispiele, viele weitere ließen sich anschließen. Sie liefert erste konkrete Ansatzpunkte für Lösungsstrategien, aber keine abschließenden Antworten. Klar ist: ein selbstkritisches Hinterfragen eigener Politiken, besonders im Hinblick auf die geschlechterpolitische Ausrichtung aber auch die Betonung der ökonomischen Sicherheit von Frauen, scheint geboten. Gleichzeitig ist es wichtig, solidarisch zu handeln, auch im Zusammenspiel von Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft, und offen Haltung zu zeigen.
Wir hoffen, mit diesem Projekt einen Anstoß hierfür zu leisten. Letztlich ist es von entscheidender Bedeutung, wie sich Akteur_innen im progressiven Spektrum positionieren und länderübergreifend vernetzen. Nur so kann man den rechtspopulistischen Strömungen und Parteien wirksam etwas entgegen halten – nämlich das Female Face, das weibliche Gesicht, der Demokratie, der Menschenrechte, der Freiheit und der Solidarität.
Wir danken allen beteiligten Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge und ihr großes Engagement. Wir bedanken uns bei den Kolleg_innen der beteiligten FES-Büros, die dieses umfangreiche Projekt in den letzten Monaten begleitet haben. Dank gebührt zudem Susan Javad und Jonathan Menge, die das Projekt initiiert haben, sowie Björn Klein und Stephanie Tröder, ohne deren Unterstützung diese Studie nicht das Licht der Welt erblickt hätte.
Über Ihre sachliche Meinung und Kommentare zur Publikation und zum Thema freuen wir uns. Die Studie können Sie hier in deutscher Sprache und hier in englischer Sprache downloaden. Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre, die hoffentlich zur besseren Analyse unserer Gegenwart, zum Weiterdenken und Handeln anregt.
Dr. Stefanie Elies und Elisa Gutsche
Forum Politik und Gesellschaft, Friedrich-Ebert-Stiftung