Notiz zum 300-Euro-Familien-Bonbon aus dem Konjunkturpaket

Oder: Warum die Strategie des Gender Budgeting mehr Anwendung braucht. Ein Beitrag von Almut Schnerring.

Bild: Sparschwein von kschneider2991 / pixabay lizenziert unter CC0

"Hier, kauf dir was Schönes", sagt die Politik den #CoronaEltern und schenkt ihnen in Artikel 9 des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes einen Einmalzusatzbetrag zum Kindergeld in Höhe von 300 Euro pro Kind. "Kauf dir was Schönes", sagen Erwachsene zu ihren Kindern, wenn sie ein schlechtes Gewissen haben, weil ihnen das fehlt, was sich Kinder eigentlich wünschen: Zeit für gemeinsame Unternehmungen. Genau das ließe sich als Subtext des Konjunkturpaketes lesen: „Liebe Familien, kauft euch was Schönes, und dann lasst uns in Ruhe unsere richtige Arbeit machen, Care gehört nicht dazu“.

Unerfüllte Hoffnungen – versandeter guter Wille

Eine kurze Zeit lang gab es die Hoffnung, dass die Politik aus der Pandemie lernen würde - aus der sichtbar gewordenen Systemrelevanz und gleichzeitig fehlenden gesellschaftlichen Anerkennung von unbezahlter und unterbezahlter Care-Arbeit. Es gab durchaus Anzeichen, dass etwas für die Aufwertung von Care-Tätigen wie Eltern, Pflegekräften, pflegenden Angehörigen beziehungsweise für Geschlechtergerechtigkeit insgesamt unternommen würde. Noch Ende Mai hatte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey gefordert, dass auch weitere Passagen des Konjunkturpakets Frauen und Familien im Blick haben müssen: beispielsweise, dass Unternehmen, die Geld vom Staat möchten, "im Gegenzug etwas dafür tun, die Lohnlücke zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu reduzieren, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu stärken oder Frauen in Führungspositionen zu bringen." Leider ist davon im aktuellen Konjunkturpaket trotz vieler guter Ansätze nichts zu sehen. Der 18 Uhr Applaus in den Anfangstagen der Pandemie soll also genügen?

Oder ginge da noch mehr?

Der Vorstoß von Franziska Giffey, hätte er Berücksichtigung gefunden, wäre ein wichtiger Schritt gewesen in Richtung Gender Budgeting: übersetzt „geschlechtergerechter Haushaltsplan“. Das Ziel dieser finanzpolitischen Strategieist es, den Staatshaushalt durch eine veränderte Haushaltspolitik gerechter zwischen Frauen und Männern aufzuteilen, indem die Folgen, beispielsweise von Investitionen, auf die Lebenssituation von Frauen und Männern analysiert und bereits bei der Vergabe der Gelder berücksichtigt werden. Eine Gender Budgeting-Analyse stellt die grundlegende Frage: Wie wirken Budgeteinnahmen und -ausgaben auf Frauen/Mädchen und Männer/Jungen vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Rollen, Positionen und Aufgaben? Je nach den festgestellten Wirkungen lassen sich Haushalte folgendermaßen unterscheiden:

  • Geschlechterblinde Haushalte: Die bestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern werden ignoriert und somit zementiert.
  • Geschlechterneutrale Haushalte: Die Folgen der Mittelverteilung betreffen Frauen und Männer gleichermaßen, bestehende Benachteiligungen können damit nicht behoben werden.
  • Das Ziel von Gender Budgeting sind geschlechterbewusste Haushalte: Mittel werden bewusst eingesetzt, um bestehende Ungleichheiten zu beseitigen.

Was ergibt die Gender Budgeting-Analyse nun für den 300 Euro-Kinderbonus?

Wie wirkt sich diese Einmalzahlung auf Frauen/Mädchen und Männer/Jungen aus vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Rollen, Positionen und Aufgaben?

Private Care-Arbeit wird überwiegend von Frauen geleistet. Während der Pandemie wurde diese Ungleichheit zugleich sichtbarer und weiter verstärkt. Die Mehrarbeit blieb vor allem an Müttern hängen, wodurch viele ihre Berufstätigkeit aufschieben, aussetzen oder ganz aufgeben mussten. Dem möchte die Einmalzahlung an Familien in Höhe von 300 Euro pro Kind etwas entgegensetzen. Sie soll eine Anerkennung der Leistung und der finanziellen Ausfälle von Familien sein. Sie ist aber gewiss keine nachhaltige Lösung für die in der Krise verschärften, aber auch sonst vorhandenen Vereinbarkeitsprobleme insbesondere für Frauen.

Aus Gender Budgeting-Perspektive stellt sich zudem die Frage, wofür die Einmalzahlung seitens der Familien verwendet wird, denn sie ist nicht zweckgebunden. Jeder Familie ist es selbst überlassen, für wessen Bedürfnisse sie das Geld ausgibt. Vielleicht fließen die 300 Euro in die alltäglichen Ausgaben und sind mit Lebensmitteln und Schulbüchern schnell aufgebraucht? Vielleicht braucht das Kind einen eigenen Computer für die neuen Herausforderungen im Home Schooling, oder das Geld geht für einen neuen Gasgrill drauf? Vielleicht freut sich die Mutter der Familie über die Anschaffungen – vielleicht aber auch nicht?

Ziel der Umverteilung von Sorgearbeit verfehlt

Wenn die Familien - und im größeren Zusammenhang die Unternehmen - darüber entscheiden, wie sie mit der Situation umgehen, ist zumindest die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein geschlechtertradierter Umgang dabei herauskommt, also keiner zugunsten der Mütter. Der Kinderbonus berücksichtigt die unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Rollen, Positionen und Aufgaben von Müttern und Vätern nicht. Er ist also geschlechterblind, die bestehenden Ungleichheiten im Familiengefüge werden ignoriert.

Damit werden die Lösungsversuche individualisiert, obwohl die Verteilung von Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern vorrangig ein strukturell bedingtes und damit auch systemisch zu lösendes Problem ist. Gerade in Haushalten, in denen HomeSchooling und HomeOffice „natürlich“ von der Mutter getragen werden, wo Haushalt, Kinder und Mental Load weiterhin "unsichtbare Arbeit" bleiben, wird der Kinderbonus kaum dafür eingesetzt werden, diese Hauptzuständigkeit für Sorgearbeit zu verändern. Das genau ist aber die Crux: Mit öffentlichen Geldern finanzierte Maßnahmen sollten ermöglichen, dass die Zuständigkeiten geschlechtergerechter werden können, beispielsweise durch die staatliche Bezuschussung haushaltsnaher Dienstleistungen.

Entlastung für Familien und mehr „freier Rücken“ für Mütter durch Dritte 

Das Konjunkturpaket wäre ein guter Anlass gewesen, ein diesbezüglich vielversprechendes Vorhaben des Koalitionsvertrages und eine der 18 Forderungen des Equal Care Manifests umzusetzen. Wenn Dritte einen Teil der Haus- und/oder Sorgearbeit bezahlt übernehmen, reduziert sich die für Eltern beziehungsweise für Alleinerziehende (zumeist Mütter) zu leistende unbezahlte Arbeit. Genau diese Entlastung ist die Idee der staatlichen Unterstützung haushaltsnaher Dienstleistungen.

Sicher haben sich Familien in den vergangenen Monaten haushaltsnahe Dienstleistungen eingekauft, sobald die Kontaktbestimmungen dies wieder erlaubten, um die noch immer nicht flächendeckend wiederhergestellte Kinderbetreuung kompensieren zu können. Dafür mussten und müssen sie in Vorleistung gehen, weil der Kinderbonus in zwei Raten erst im September und Oktober 2020 ausgezahlt werden soll. Dazu kommt, dass die 300 Euro bei einem Mindestlohn von derzeit 9,19 Euro nur ungefähr 33 Stunden Entlastung bedeuten. Bei nur einer halben Stunde ausgelagerter Care-Arbeit am Tag wäre der Bonus heute schon lange aufgebraucht, dabei sind manche Kitas noch oder schon wieder geschlossen. Statt des nicht zweckgebundenen Kinderbonus hätten die 300 Euro also für haushaltsnahe Dienstleistungen zweckgebunden ausgezahlt werden können.

Noch mehr und dauerhaft Zeit für bezahlte Care-Unterstützung würde jedoch ein reguläres Gutscheinsystem für haushaltsnahe Dienstleistungen ermöglichen, welches auch eine strukturverbessernde staatliche Hilfe für Familien wäre. Das sieht konkret so aus: Haushalte können Gutscheine kaufen für Care-Arbeit, die sie nur anteilig bezahlen und die vom Staat aufgestockt werden. Ein Gutschein kostet zum Beispiel neun Euro, der Staat zahlt elf Euro oben drauf, und es kann Care-Arbeit im Wert von 20 Euro eingekauft werden. Die Gutscheine können bei zertifizierten Care-Dienstleistungsbetrieben eingelöst werden – zumeist Betriebe, die von Frauen gegründet werden und dadurch gefördert würden.

Zugute käme diese Maßnahme aber vor allem allen, die für unbezahlte Care-Arbeit zuständig sind: auch Männern beziehungsweise Vätern, aber eben meist Frauen und Müttern, die dann (mehr) Zeit für eine Erwerbstätigkeit haben. Ihre Unabhängigkeit würde gefördert und die Entgeltlücke bekämpft. Das Gutscheinsystem bietet neben der finanziellen Unterstützung die Freiheit, sich nicht längerfristig finanziell binden zu müssen. Auch werden bürokratische Hürden minimiert und Schwarzarbeit verringert .

Gute Beispiele und: Wann, wenn nicht jetzt?

In Belgien gibt es ein solches Gutscheinmodell schon seit 2004 mit großem Erfolg. Und auch in Deutschland gab es dazu bereits von 2017 bis 2019 zwei Modellversuche in Heilbronn und Aalen. In der Begleitstudie des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung Tübingen heißt es dazu: „Neben einer besseren Vereinbarkeit von Familienaufgaben und Beruf war ein wesentlicher Grund für eine Teilnahme am Modellprojekt, dass ohne die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen eine Reduktion des Beschäftigungsumfangs unumgänglich gewesen wäre.“

Also: Worauf jetzt noch warten, zumal das Gutscheinsystem bereits im Koalitionsvertrag steht? Die Einführung solcher Gutscheine würde nicht  - wie der Kinderbonus - den Konsum von Familien unterstützen, sondern den  durch die aktuelle Betreuungskrise verschärften zeitlichen Vereinbarkeitsspagat von Eltern mit geschenkter Zeit anerkennen und idealerweise auch einen nachhaltigen Weg aus der Care-Krise weisen. Care-Arbeit fördern, ist eine nachhaltigere Wirtschaftsförderung, als es der Konsum-Anreiz durch eine Einmalzahlung vermag. Eine Konjunkturförderung ohne Gender Budgeting, das macht die aktuelle Situation deutlich, wird aus Care-Perspektive unbefriedigend bleiben.

 

Autorin:

Almut Schnerring ist Initiatorin des Equal Care Days und Autorin von "Equal Care. Über Fürsorge und Gesellschaft", Berlin 2020, wu2k.de

 

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