Meine liebste Mathilde!

So beginnt Rosa Luxemburg zahlreiche Briefe an ihre Freundin und Vertraute, Mathilde Jacob – Briefe vor allem aus ihrer Haftzeit ab 1915. Diese Briefe geben Einblick in die Haftumstände und die Gefühlslage der berühmten Sozialistin, setzen indirekt aber auch der Adressatin ein Denkmal.

Wer war Mathilde Jacob?

1915 ist Mathilde Jacob 42 Jahre alt und damit 2 Jahre jünger als die bewunderte Rosa. Sie bleibt unverheiratet, ist offenbar eine eher herbe und ernste Frau. Als gelernte Buchhalterin und Stenotypistin verdient sie den Lebensunterhalt für sich und ihre Mutter mit einem Schreib- und Übersetzungsbüro in Berlin-Moabit. Verschiedene Sozialdemokrat_innen nehmen ihre Dienstleistungen in Anspruch. So übernimmt sie auch die Schreib-, Vervielfältigungs- und Versandarbeiten für die „Sozialdemokratische Korrespondenz“, die Rosa Luxemburg mit Julian Marchlewski und Franz Mehring ab Ende 1913 herausgibt. Aus der geschäftlichen Beziehung entwickeln sich private, freundschaftliche Kontakte und Mathilde Jacob wird Teil der politischen Gruppe, zu der auch Karl Liebknecht, Clara Zetkin, Leo Jogiches und Franz Mehring gehören. Die Aufnahme in diesen Zirkel bedeutet für die aus verarmten, kleinbürgerlichen Verhältnissen stammende Jüdin soziale Emanzipation und politische Prägung zugleich: Sie bleibt der Sache und ihren Protagonist_innen zutiefst verbunden.

Mathilde – „ein aufopfernder Prachtkerl“

Ihre enge Beziehung zu Rosa Luxemburg prägt die Erinnerung an sie: Mit großer Loyalität, ja fast schon Ergebenheit, erfüllt sie Rosas Wünsche während der Haftzeit. Sie kümmert sich um deren Katze Mimi, bringt Pflegemittel, Kleidung, Blumen. Sie organisiert Zusatzkost für die Magenkranke (in Kriegszeiten!), besorgt die geforderte Lektüre und nimmt jede Strapaze auf sich, um die Gefangene so oft wie möglich zu besuchen. Die Besuche sind für Rosa Luxemburg in jeder Hinsicht überlebenswichtig: für ihre Gesundheit, ihr seelisches Befinden aber auch für ihre Rolle als Politikerin. Zunächst in Berlin, dann in Wronke (Posen), später in Breslau inhaftiert, macht sie die zuverlässige Vertraute zur Mittlerin ihrer Nachrichten an den Kreis der politischen Freunde. Sie entwickeln einen Geheimcode und Decknamen, um ihre Botschaften zu verschleiern. Mathilde Jacob gelingt es, Manuskripte und geheime Botschaften aus der Haft zu schmuggeln: so etwa das Manuskript des dann anonym als „Junius-Broschüre“ veröffentlichten Texts „Zur Krise der Sozialdemokratie“. Die einstige Sekretärin erweist sich als tatkräftige, diskrete und absolut vertrauenswürdige Freundin. Clara Zetkin lobt 1915 in einem Brief an Karl Liebknecht: „ …sie denkt an alles, sorgt für alles, tut alles: ein aufopfernder Prachtkerl.““

Konspirativ und mutig

Während des Ersten Weltkriegs unterstützt sie weiterhin Leo Jogiches und die Arbeit der Gruppe „Internationale“ bzw. „Spartakusgruppe“, gerät selbst ins Visier der Politischen Polizei. Ziel der Gruppierung ist die Propagierung von Massenaktionen gegen den Krieg, was von den Behörden als versuchter Landesverrat bewertet wird und damit illegal ist. Mathilde Jacob lässt sich durch Hausdurchsuchung, Überwachung und Verhaftung nicht abschrecken oder nur einschüchtern. Sie stellt ihre beruflichen Fähigkeiten und ihr großes Organisationstalent ganz in den Dienst der Sache und der Erstellung illegaler Flugschriften. Als Jogiches im März 1918 verhaftet wird, verfügt Mathilde

aufgrund der engen Zusammenarbeit über die aktuellsten und wichtigsten Informationen – etwa über die Verbindungen zu regionalen Gruppen und ihren Deckadressen. Ihr und ihrem konspirativen Geschick ist es zu verdanken, dass die Agitation nicht völlig zum Erliegen kommt und die Kontakte nicht abreißen. Sie steht im organisatorischen Zentrum der Spartakusgruppe, die durch Inhaftierung stark dezimiert ist.

Die Ermordung von Rosa Luxemburg im Januar 1919 und Leo Jogiches im März 1919 trifft sie sehr. Aus der Illegalität heraus organisiert sie Jogiches‘ Beerdigung. Im Juni 1919 ist sie diejenige, die die im Landwehrkanal aufgefundenen sterblichen Überreste der ermordeten Freundin identifiziert und hartnäckig für die Freigabe des Leichnams kämpft.

Im Dienste der sozialistischen Bewegung

Angesichts des Vorgehens der Regierungstruppen muss Mathilde Jacob selbst um ihre Leben fürchten. Nach einer erneuten Inhaftierung verlässt sie Berlin im Herbst 1919 in Richtung Stuttgart. Sie übernimmt dort redaktionelle Tätigkeiten für Clara Zetkins Wochenzeitung „Die Kommunistin“. Nach ihrer Rückkehr in die Hauptstadt stellt sie sich zunächst weiter in den Dienst der Kommunistischen Partei Deutschlands und arbeitet für Paul Levi, von 1919 bis 1921 Vorsitzender der KPD. Der Rechtsanwalt stand Rosa Luxemburg ebenfalls sehr nahe, 1913 hatte er sie in einem Prozess vertreten. Mathilde zeichnet redaktionell verantwortlich für Paul Levis Zeitschrift „Unser Weg“ sowie später für die Pressekorrespondenz „Sozialistische Politik und Wirtschaft“. Sie ist für Levi bis zu dessen Tod 1930 umsichtige Redakteurin, Assistentin und Sekretärin. Sie folgt ihm auch auf seinen politischen Stationen nach dem Ausschluss aus der KPD über die USPD zurück in die SPD. Ihre Arbeit bleibt stets im Hintergrund; nur einmal tritt sie noch öffentlich auf mit einem Referat in Stuttgart über „Die Arbeit der Frauen“. Anlässlich des zehnten Jahrestags der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 1929 steuert sie für die Gedenkseite der Leipziger Volkszeitung eine Episode aus der Haftzeit Rosas bei.

Nach der Ermordung Rosa Luxemburgs sieht sich Mathilde Jacob als deren Nachlassverwalterin. Auch wenn der Nachlass auf Wunsch der Erben der KPD zugesprochen wird, verbleiben doch Papiere und Briefe oder deren Abschriften sowie zahlreiche Bücher im Besitz der Freundin. Noch 1939 gelingt es ihr, Teile davon an den amerikanischen Historiker Ralph H. Lutz zu geben, der sie als Diplomatengepäck in die USA schaffen kann. Auch hier erweist sich Mathilde als die umsichtige, konspirativ geschickte Organisatorin. Sie selbst, Jüdin und Sozialistin, entkommt dem nationalsozialistischen Regime nicht: Mathilde Jacob, geboren am 8. März 1873 wird im Juli 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo sie am 14. April 1943 stirbt. Die Stadt Berlin erinnert an sie mit dem „Mathilde-Jacob-Platz“ in Berlin-Mitte.