Die EU in der Corona-Krise: Bernd Lange MdEP zur aktuellen Lage

Bernd Lange, niedersächsischer Europa-Abgeordneter und Vorsitzender des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments, in einem Interview zur aktuellen Lage der Europäischen Union in der Corona-Krise

Bild: Foto: European Union

Herr Lange, welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Arbeit des Europäischen Parlaments und auch von ihnen persönlich?

Das Europäische Parlament ist zurzeit ein verwaistes Gebäude, die Flure und Sitzungssäle sind menschenleer. Treffen und Besprechungen finden derzeit nur in der Form von Video- oder Telefonkonferenzen statt, meine Mitarbeiter und ich arbeiten von Zuhause. Das hat natürlich Auswirkungen auf das, was wir als Parlament leisten können, wir leben ja von einem sehr engen Austausch bei dem direkte Kontakte eine wichtige Rolle spielen. Wir sind dennoch in der Lage, die wichtigsten Entscheidungen treffen zu können, zum Beispiel kurzfristige Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie - diese Woche werden wir zum ersten Mal in der Geschichte eine Plenarsitzung abhalten, in der unser Plenarsaal menschenleer sein wird. 

Ich halte diese Maßnahmen übrigens keinesfalls für überzogen, sondern das einzig sinnvolle Mittel, um einer schnellen Verbreitung des Virus Einhalt zu gebieten. Gerade Politiker mit ihren vielen Kontakten haben großes Potential, das Virus in ganz Europa zu verteilen und tragen deswegen eine besondere Verantwortung. Ein warnendes Beispiel ist Michel Barnier, der positiv auf COVID-19 getestet wurde und sich sein Team und er sofort in Quarantäne begeben haben.

Sie sind Vorsitzender des Ausschusses für internationalen Handel, wie nehmen sie aus dieser Perspektive die Situation wahr?

Es beunruhigt mich sehr, dass wir innerhalb der Europäischen Union mehr und mehr nationale und vor allen Dingen völlig unkoordinierte Alleingänge sehen. Dass einige Staaten zum Beispiel ihre Grenzen größtenteils für Menschen schließen, andere wiederum nicht, ist europäischer Ansatz und den europäischen Bürgern nur schwer vermittelbar. Hier ist viel versäumt worden. Völlig falsch ist es auch für Güter Restriktionen einzuziehen. Wir müssen innerhalb der Union in der Lage bleiben, uns gegenseitig zu unterstützen. Auch Exportverbote oder -Beschränkungen sehe ich mit Bauchschmerzen. Ich kann zwar den Impuls nachvollziehen, aber glaube, dass das zu kurz gedacht ist. Denn diese Maßnahmen können zur Folge haben, dass Unternehmen, die innerhalb oder außerhalb der EU essentielle medizinische Produkte herstellen, nicht mehr an notwendige Vorprodukte kommen oder aufgrund fehlender Schutzausrüstung ihre Produktion stoppen müssen.

Generell ist diese Pandemie eine einzigartige, enorme Belastung für die Weltwirtschaft, da sie fast alle Branchen und den Großteil der Welt innerhalb von kürzester Zeit ergriffen hat. Globale Wertschöpfungsketten kommen teilweise komplett zum erliegen, da Vorprodukte fehlen, Arbeiter nicht mehr in Fabriken kommen können und teilweise einfach Abnehmer fehlen. Da müssen Staaten und auch die europäische Ebene entschlossen handeln. Ich finde es deswegen richtig, dass die Kommission ihre ansonsten strengen Regeln zur Verschuldung und Staatsbeihilfen gelockert hat, um Mitgliedstaaten maximalen Bewegungsspielraum zu geben Arbeitsplätze und Wirtschaft zu unterstützen.

Können wir jetzt schon Lehren aus der Situation ziehen?

Ich denke es ist noch zu früh, um eindeutige Schlüsse ziehen zu können. Der Impuls ist jetzt natürlich stark, globale Arbeitsteilung zu verteufeln und durch die Bank weg mehr Autarkie zu fordern. Dies mag bei manchen Branchen oder Produkten sogar zutreffen, aber man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass europäische oder rein deutsche Lieferketten diese Krise unbeschadet überstanden hätten und es nicht zu Engpässen oder Ausfällen gekommen wäre.

Das Gebot der Stunde heißt Solidarität. Wir müssen sicherstellen, dass dringend benötigte medizinische Produkte dort zur Verfügung gestellt werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Und zwar nicht nur in Deutschland, nicht nur in Europa und unserer unmittelbaren Umgebung, sondern weltweit. Eine globale Pandemie kann man nicht mit kleinstaatlichen Ansätzen bekämpfen. 

nach oben