Historische Presse der deutschen Sozialdemokratie

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Historische Presse der deutschen Sozialdemokratie online

Am 1. Oktober 1876 erschien der "Vorwärts", die bedeutendste periodische Publikation der deutschen Sozialdemokratie, zum ersten Mal. "Sozialistengesetz", Erster Weltkrieg mit der Spaltung der SPD und die Machtübernahme der Nationalsozialisten - in der Geschichte des "Vorwärts" spiegeln sich diese und alle weiteren politisch-historischen Ereignisse des Deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Entsprechend groß war und ist das Interesse an einer allgemein zugänglichen digitalen Ausgabe.

Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung hat zum Ende des Jahres 2017 die Digitalisierung des "Vorwärts" bis 1933 abgeschlossen. Im Rahmen des Projekts wurden hochwertige Scans von insgesamt 202577 Zeitungsseiten angefertigt, welche über eine im Volltext durchsuchbare Web-Präsentation der Forschung und der interessierten Allgemeinheit weltweit zugänglich gemacht werden.

Zusätzlich zum "Vorwärts" wurden bis Ende 2019 weitere historische Zeitungstitel der Sozialdemokratie digitalisiert und online zur Verfügung gestellt. Folgende Titel sind nun verfügbar: "Freiheit", "Der Sozialdemokrat", "Neuer Vorwärts", "Die neue Welt", "Demokratisches Wochenblatt", "Social-Demokrat", "Neuer Social-Demokrat", "Der Volksstaat", "Berliner Volksblatt", "Berliner Volks-Tribüne", "Die Arbeiterin", "Die Gleichheit", "Mitteilungsblatt des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine Berlins und Umgegend" sowie die "Deutschland-Berichte der sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Sopade".

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Wissenschaftliche Begleitung
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Leitung der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
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Leidenschaftlich, kämpferisch, unermüdlich: Toni Sender

Bild: Toni Sender von S-T-R-E-E-T-L-I-V-E lizenziert unter CC BY-ND 2.0

Sie schockiert bereits mit 13 Jahren ihre Eltern mit der Entscheidung zur Berufstätigkeit und damit zur ökonomischen Unabhängigkeit: Sidonie Zippora Sender, die sich Toni nennt, lehnt den ihr vorgezeichneten Weg einer gutbürgerlichen, jüdischen Hausfrau und Mutter ab. Sie bricht mit allen Konventionen, tritt in Gewerkschaft und SPD ein und wird eine der bekanntesten Politikerinnen der Weimarer Republik.

In ihrer Autobiographie bezeichnet sich Toni Sender als „deutsche Rebellin“ – und in der Tat schwimmt sie oft gegen den Strom, fügt sich nicht dem klassischen Frauenbild, vertritt unbequeme Positionen und kämpft unermüdlich für ihre Überzeugungen.

Von Frankfurt nach Paris und wieder zurück

1888 im hessischen Biebrich geboren, verlässt sie also mit 13 Jahren das Elternhaus, um die Höhere Handelsschule in Frankfurt zu absolvieren. Als Angestellte tritt sie der Gewerkschaft bei, 1910 wird sie zum Entsetzen ihrer Familie SPD-Mitglied. Um den familiären Vorwürfen zu entfliehen, geht sie im gleichen Jahr nach Paris. Dort erlebt sie die entscheidenden Jahre ihrer politischen Sozialisation, sie tritt der Französischen Sozialistischen Partei bei (die sie dann in den 1920er Jahren zum Ehrenmitglied macht). Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs muss sie Paris verlassen und kehrt nach Frankfurt zurück. Enttäuscht darüber, dass die SPD ihre internationalistischen Prinzipien aufgibt, schließt sie sich der Antikriegs-Opposition an und gehört später zu den Gründern der USPD. Sie wird eine begeisterte Unterstützerin der Rätebewegung und 1919 Mitglied der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung – als einzige weibliche Stadtverordnete der USPD.

Die Reichstagsabgeordnete: „klug und pikant“

1920 wird „Genossin Sender“ in den Deutschen Reichstag gewählt und bleibt MdR (ab 1922 für die SPD) bis zur Machtübernahme 1933. Sie gehört damit zur kleinen Gruppe weiblicher Abgeordneter - und entspricht überhaupt nicht den männlichen „Erwartungen“: sie ist jung, ledig, kinderlos, sie wirkt unabhängig und selbstbestimmt, sie kleidet sich „geschmackvoll der herrschenden Mode entsprechend“ (so der Parteigenosse Lohmann!). Die Frankfurter Nachrichten beschreiben sie als „klug und pikant“. Und sie lässt sich nicht auf Frauenthemen festlegen. Im Gegenteil: im Laufe der Jahre entwickelt sie sich zu einer Expertin für Außen- und Wirtschaftspolitik, für Handels- und Zollfragen. Sie vertritt die SPD in den entsprechenden Parlamentarischen Ausschüssen, wird Mitglied der Programm-Kommission der SPD.

Sie argumentiert vehement gegen den Eintritt der SPD in Regierungskoalitionen unter Beteiligung rechter Parteien. Toni Sender empfindet sich entschieden als Klassenkämpferin, gehört dem linken Parteiflügel an, der an marxistischen Konzeptionen festhält. 1932 tritt sie für einen Generalstreik ein, um die drohende faschistische Machtübernahme abzuwenden.

Eine wortgewaltige Agitatorin

Die auffallend kleine Frau ist eine mitreißende Rednerin. In ihrem Wahlbezirk Dresden spricht sie vor zehntausenden Zuhörern. Unzählige Male kündigt sie der „Vorwärts“ als Rednerin und Referentin an, zitiert aus ihren Reden. Unerschrocken ergreift sie im Reichstag das Wort, was manchem männlichen Kollegen nicht wirklich gefällt. Auf internationalen Kongressen vertritt sie die deutsche Arbeiterbewegung, wobei ihr ihre fundierten englischen und französischen Sprachkenntnisse sehr hilfreich sind. Sie bereist auf mehreren Vortragsreisen die USA.

Für eine Vielzahl von Zeitungen und Zeitschriften übernimmt die Unermüdliche im Laufe der Jahrzehnte die Schriftleitung: beginnend 1919 mit der  Redaktionsleitung der neubegründeten südwestdeutschen USPD-Zeitung „Volksrecht“,  tritt sie 1920 in die Redaktion der „Betriebsräte-Zeitschrift“ des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes ein und schreibt dort bis 1933 über 400 Artikel. Die SPD übergibt ihr 1928 die Schriftleitung der „Frauenwelt“, daneben veröffentlicht sie im Informationsblatt für SPD-Funktionärinnen „Die Genossin“.

Und auch im Exil weiter kämpferisch

Keine Frage also, dass Toni Sender auf den Listen der Nazis ganz oben steht: als Sozialistin, Jüdin und Reichstagsabgeordnete, die offen und ohne Konzessionen die NSDAP bekämpft, muss sie um ihr Leben fürchten. Am 5. März verlässt sie Deutschland. Nach Aufenthalten in der Tschechoslowakei und in Belgien emigriert sie 1935 in die USA und arbeitet auch dort weiter in verschiedenen Komitees gegen die Nazis und „Für das freie Deutschland von morgen“. 1943 wird sie amerikanische Staatsbürgerin; sie setzt ihre politische Arbeit in verschiedenen UN-Gremien fort bis sie sich aufgrund einer schweren Erkrankung 1956 zurückzieht. Nach langem, schwerem Leiden stirbt sie am 26. Juni 1964 in New York. Die New York Times widmet ihr einen ausführlichen Nachruf, die SPD eine kurze Pressenotiz.

1981 erscheinen ihre Memoiren „The autobiography of a German rebel“ erstmals in Deutsch. Aus Anlass ihres 100. Geburtstags erinnert ihr Geburtsort Biebrich (nun Teil Wiesbadens) mit einer Ausstellung an sie. Seit 1992 verleiht die Stadt Frankfurt den Tony-Sender-Preis zur Förderung von „hervorragenden innovativen Leistungen, die der Verwirklichung der Gleichberechtigung der Geschlechter dienen und der Diskriminierung von Frauen entgegenwirken.“ Die Sozialistische Bildungsgemeinschaft Hessen hat ihre Bildungsstätte nach Toni Sender benannt.

 

Texte von und über Toni Sender finden Sie hier:

Betriebsräte-Zeitschrift, 1. Jahrgang, Heft 1, 1920 (pdf)

"Vorwärts" vom 31.01.1932: Toni Sender spricht vor Tausenden in Paris

"Vorwärs" vom 05.11.1932: Massenaufmarsch für die Freiheit

New York Times vom 27.12.1964: Nachruf

Zahlreiche publizierte Reden und ihre Autobiografie finden Sie im Bestand der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung. Hier eine Trefferliste.

 

 

 

 


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