Zusammenhalt ist tragend für jede Demokratie. Vertrauen unter Bürger_innen sowie Vertrauen in die politischen Institutionen und die Staatsgewalt sind das Schmiermittel für das Zusammenleben. Der Glaube, dass Gesellschaft und Politik einem mit guten Absichten begegnen und den richtigen Weg einschlagen, sorgt dafür, dass Krisen und Konflikte konstruktiv bewältigt werden können.
Um das Vertrauen in Deutschland und seine Zukunft sieht es allerdings nicht gut aus. Dies belegt die Studie „Vertrauen in Demokratie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der Untersuchung zufolge ist mehr als die Hälfte der Deutschen mit dem aktuellen Zustand unserer Demokratie wenig bis überhaupt nicht zufrieden. Diese Unzufriedenheit ist insbesondere in den sozial benachteiligten Schichten ausgeprägt. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die Untersuchung des Thinktanks More in Common. Die Organisation fand heraus, dass mehr als zwei Drittel der Deutschen das Gefühl haben, das Land entwickle sich in die falsche Richtung, und lediglich die Hälfte ist mit dem Zustand der Demokratie in Deutschland zufrieden. Knapp mehr als die Hälfte denkt, dass sich die Lage in den vergangenen fünf Jahren verschlechtert hat, zwei Drittel blicken pessimistisch in die Zukunft und schätzen, dass sich die Situation in der Gesellschaft zum Negativen entwickeln wird. Drei Viertel empfinden die öffentliche Debatte als zunehmend hasserfüllt. Die Hälfte der Deutschen hat den Eindruck als Bürger_in zweiter Klasse behandelt zu werden. Man muss festhalten: Die Mehrheit der Deutschen ist unzufrieden mit den Entwicklungen im Land in der jüngeren Vergangenheit. Ein ganzes Drittel der Bevölkerung fühlt sich zudem nicht mehr von politischen Prozessen eingebunden – dies spiegelt sich auch in der Wahlbeteiligung auf Bundesebene wider, bei der seit 2009 zwischen 25 und 30 Prozent der Wahlberechtigten nicht abgestimmt haben.
Diese Zahlen verdeutlichen: Die gesellschaftliche Stimmung ist geprägt von Unzufriedenheit, Sorgen und Pessimismus ziehen sich durch das Land. Damit das Land zusammenhält, sind deshalb zwei Ebenen wichtig: die soziale und die politische. Konkrete Lösungen, die Fortschritt, Zuversicht und Stabilität erlebbar machen, sind gefordert. Denn, was Bürger_innen selbst erleben, prägt ihre Einstellung zu Gesellschaft und Politik. Bildung, Gesundheit und Wohnen sind die Bereiche, die für die meisten Menschen eine tragende Rolle spielen. Marode Schulen mit Defiziten bei der Digitalisierung, horrende Mietpreise, Profitorientierung im Gesundheitswesen und der Pflegenotstand dominieren allerdings die öffentlichen Debatten um diese Schlüsselelemente für ein gutes Leben. Die öffentliche Hand muss dort stärkend wirken, wo Marktkräfte den Lebensstandard der Bürger_innen zunehmend unter Druck setzen und die Mittel nicht ausreichen, um ein Mindestniveau guter Versorgung zu sichern.
1.1 Bildung als Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft
Von Kindesbeinen an ist Bildung der treibende Faktor für Fortschritt, Chancen und Möglichkeiten. Sie eröffnet Wege für Benachteiligte und gewährleistet, dass kulturelle Vielfalt und heterogene Lebenswege nicht zu Hindernissen werden. Das Bildungssystem kann mit folgenden Ideen gestärkt werden.
Digitalisierung leben: Der „Digitalpakt Schule“ war ein wichtiger Aufschlag für den Ausbau der digitalen Infrastruktur an Schulen. Allerdings wurde bisher lediglich ein Bruchteil der Mittel abgerufen, ermittelte der Digitalverband Bitkom im März 2020. Besonders während der Corona-Krise zeigte sich, dass veraltete Lehrmittel modernen Anforderungen an digitale Kompetenzen nicht gerecht werden können. Dabei wurde deutlich, dass die digitale Infrastruktur von der öffentlichen Hand gefördert und geschützt werden muss. Die Improvisationen im Homeschooling der Millionen Schüler_innen im Frühjahr und Sommer 2020 sorgen dafür, dass private Geräte und Softwarelösungen genutzt werden. Der Datenschutz wurde in dieser akuten Situation weniger beachtet und für Techkonzerne wurde der Weg zu den Nutzerdaten von Jugendlichen auf der ganzen Welt geebnet. Die Förderung der Digitalisierung im Bildungswesen darf allerdings nicht bei der Infrastruktur enden. Lehrkräfte müssen selbst fortlaufend lernen können, um Wissen über digitale Technologien, Daten- und Netzsicherheit sowie die damit verbundenen ethischen Fragen überhaupt vermitteln zu können.
Schulzeiten optimieren: Um Kindern und Jugendlichen gute Ausgangsbedingungen und eine Betreuung zu bieten, die zu ihren Bedürfnissen passt, können Schulzeiten optimiert werden. Die Dauer der Grundschule kann verlängert werden, wie es bereits in einigen Ländern geschehen ist – auf diese Weise gewinnen Kinder mehr Raum, um ihre Fähigkeiten zu entwickeln, bevor sie unter Druck beweisen müssen, für welche weiterführende Schulform sie geeignet sind. Auch Kinder wissen, dass diese Entscheidung weitreichende Folgen haben kann – dies schafft bereits im frühen Alter eine belastende Wettbewerbsorientierung.
Das Modell der Ganztagsbetreuung an Schulen ist ein weiteres Element, das Kindern und Jugendlichen helfen kann: Sie erhalten Unterstützung bei Hausaufgaben sowie einen Begegnungsraum zum Spielen und Austauschen. Insbesondere Kinder aus benachteiligten Familien können davon profitieren.
Politische Bildung macht Jugendliche zu mündigen Bürger_innen: Verstehen, wie Demokratie funktioniert, ist eine Grundbedingung dafür, dass Menschen sich mit dem politischen System identifizieren und eine kritische Meinung entwickeln. Politische Bildung wurde in den vergangenen Jahren jedoch immer stärker zurückgedrängt – vor allem in Schulformen, an denen politikferne Gruppen unterrichtet werden. In Zeiten von Fake News und populistischer Verkürzung ist die Kombination aus politischem Wissen und digitalen Kompetenzen essenziell, um eine starke Demokratie und einen konstruktiven zivilen Austausch zu gewährleisten.
Dazu kommen viele neue Deutsche und solche, die es eines Tages noch werden – Einwander_innen und ihre Kinder. Sie fragen sich zurecht, welche Perspektiven ihnen diese Gesellschaft eröffnet und ob sie tatsächlich im gleichen Maße an öffentlichen Ressourcen und gesellschaftlichen Chancen teilhaben können wie die alteingesessene Bevölkerung. So haben beispielsweise auch heute nur rund sechs Prozent der Mitarbeiter_innen in der öffentlichen Verwaltung einen sogenannten Migrationshintergrund und das in einem Land, in dem mittlerweile rund 25 Prozent der Bevölkerung über direkte oder indirekte Migrationserfahrung verfügen. Rassismus ist für viele von ihnen eine praktische Lebenserfahrung , die sie bisher unzureichend benannt und adressiert sehen.
Bildung endet nicht mit dem Schulabschluss: Innovation, Digitalisierung, aber auch politische Debatten können Menschen das Gefühl geben, nicht mehr mitzukommen. Ob als junge Fachkraft, Familienmensch in der Lebensmitte oder Beschäftigter mit langer Berufserfahrung – Bildung muss für Erwachsene zugänglich sein. Die Weiterentwicklung der Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung ermöglicht es, die (neuen) Risiken für alle Beschäftigten im Verlauf des Erwerbslebens angemessen abzusichern, ihnen mehr Unterstützung bei beruflichen Um- und Neuorientierungen zu geben und auf diese Weise neue Perspektiven für die individuelle Gestaltung der eigenen beruflichen Biografie zu eröffnen.
1.2 Ohne Gesundheit ist alles nichts
Die Corona-Krise hat deutlich gezeigt, wo ein großer Teil der „systemrelevanten Berufe“ ausgeübt wird: im Gesundheitswesen und der Pflege. Der Fachkräftemangel und der wirtschaftliche Druck lasten jedoch auf Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Deutschland hat ein weltweit führendes Gesundheitssystem, riskiert jedoch, seine Qualität teilweise zu verspielen. Dass die Lebenserwartung in Deutschland nach wie vor mit dem sozialen Status zusammenhängt, zeigt zudem, dass gute Arbeits- und Lebensbedingungen auch eine Frage der Gerechtigkeit sind. Die folgenden Ideen können dabei helfen, Gesundheit und Pflege zukunftsfähig zu machen.
Bürgerversicherung sorgt für gleiches Versorgungsniveau: Die Trennung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung sorgt dafür, dass in Deutschland eine Zwei-Klassen-Medizin besteht. Sie setzt falsche Anreize und führt die Ungleichheit zwischen Bevölkerungsschichten fort. Eine Bürgerversicherung würde diese Trennung aufheben und die Solidarität in der Finanzierung des Gesundheitswesens stärken.
Den Umbau für ein modernes Gesundheitswesen vorantreiben:
Ein modernes und patientenorientiertes Gesundheitswesen ist undenkbar ohne eine qualitätsgesteuerte sektorenübergreifende Versorgung. Im Mittelpunkt steht nicht nur die Verzahnung von stationärer und ambulanter Versorgung, sondern auch die Schnittstelle zwischen dem stationären Sektor und der pflegerischen Versorgung. Verbesserungspotenziale durch teamorientierte Zusammenarbeit sowie der gezielte Ausbau interkultureller Kompetenzen müssen durch adäquate Rahmensetzung in Ausbildung, Finanzierung und Planung gestärkt werden. Aktuelle Projekte der integrierten Gesundheitsversorgung im kommunalen Raum unterstützen u.a. den Abbau von sozialen Gesundheitsungleichheiten.
Gezielte Investitionen statt Wettbewerbsorientierung: Gesundheitseinrichtungen, die sich vor allem am erfolgreichen Wirtschaften orientieren, neigen dazu, Einsparungen auf Kosten der Patient_innen vorzunehmen. Ob beim Personal oder der Ausstattung – zu hoher Wettbewerbsdruck veranlasste zum Teil Krankenhausschließungen. Insbesondere in strukturschwachen Regionen kann die Schließung von Krankenhäusern zu Versorgungsengpässen und Unzufriedenheit führen. Allein zwischen 2003 und 2013 wurden 74 Krankenhäuser in Deutschland geschlossen. Die öffentliche Hand muss dieser Entwicklung entgegensteuern und gezielt investieren, um Gesundheitsversorgung zu verbessern und attraktive Arbeitsbedingungen für ausreichend Personal zu ermöglichen.
Pflegende Angehörige entlasten: Menschen, die Familienmitglieder pflegen, müssen oft Gehaltseinbußen hinnehmen und gefährden damit langfristig ihre Altersvorsorge. Sie verkürzen dabei Arbeitsstunden oder fallen aus dem Erwerbsleben vollkommen raus. Die Vereinbarkeit zwischen Job und Pflege ist oft kaum möglich. Flexible Pflege-Zeitbudgets mit Lohnersatzzahlungen bieten pflegenden Angehörigen die Freiheit, sich intensiv um ihre Verwandten zu kümmern. Doch nicht nur die finanziellen Seiten müssen bei der Pflege geklärt werden. Pflegende und Pflegebedürftige brauchen Beratung und Unterstützung für ihren Alltag. Sie könnten von mehr lokalen Pflegestützpunkten profitieren, die ihnen Hilfe für ihren individuellen Fall bieten.
Pflege in den Alltag integrieren: Deutschland ist eine alternde Gesellschaft. In den kommenden Jahrzehnten werden Millionen von Menschen auf Pflege angewiesen sein. Ob und wie der Fachkräftemangel in dieser und anderen Branchen gestillt werden kann, ist trotz politischer Debatten noch weitestgehend offen. Alternative Konzepte schaffen neue Möglichkeiten, um Pflege auf Augenhöhe zu ermöglichen: Durch integratives Quartiersmanagement sind Pflegebedürftige als Teil der Gesellschaft eingegliedert – auf ihre Bedürfnisse wird geachtet und sie erfahren direkte Unterstützung vor Ort im Quartier.
1.3 Zu Hause ist es am schönsten
Immer mehr Menschen zieht es in die urbanen Metropolen des Landes. Während die Landflucht dazu führt, dass Dörfer und Kleinstädte einerseits veröden und öffentliche Einrichtungen wie Schulen oder Krankenhäuser geschlossen werden, explodieren andererseits Mieten in den Großstädten. Bezahlbarer Wohnraum ist zu einem Politikum geworden. Langjährige Mieter_innen werden aus ihren Wohnungen gekündigt oder infolge hochfertiger Sanierungen wird die Miete für sie nicht mehr bezahlbar. Einkommensschwache Familien müssen hingegen aus lebenswerten Gegenden wegziehen. Zunehmend entsteht ein Ungleichgewicht, das unter anderem junge Familien trifft: Wegen der Mietsteigerungen bleiben Menschen in Wohnungen, die infolge von Auszug von Kindern, Scheidung oder Todesfall des Partners oder der Partnerin zu groß geworden sind. Dies verlangsamt die Rotation – Wohnraum für Familien wird somit schwerer verfügbar.
In Süddeutschland, Berlin und vereinzelten Regionen im Westen und Norden wachsen die Mieten schneller als das Einkommen. Damit Wohnen nicht zum Luxus wird, müssen Bund, Länder und Kommunen weiter aktiv der unverhältnismäßigen Miet- und Bodenpreisentwicklung entgegenwirken und bezahlbaren Wohnraum schaffen.
Boden und Bauland sind keine endlosen Ressourcen: Spekulationen und die Aktivitäten von Immobilieninvestor_innen haben dazu geführt, dass Bauland zunehmend teurer geworden ist und die Kosten für neuen Wohnraum dadurch stark gestiegen sind. Boden ist eine endliche Ressource und kein Wirtschaftsgut, das man schlicht neu herstellen kann. Die öffentliche Hand muss deshalb eine kluge Liegenschaftspolitik weiterentwickeln und z. B. Grundstücke prinzipiell nur noch als Erbpacht zur Verfügung stellen, kommunale Vorkaufsrechte stärken und über die Einrichtung von Bodenfonds nachdenken, um Boden vermehrt anzukaufen. Eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik muss auch Instrumente wie das Baugebot stärken und einen Planungswertausgleich einführen, um die Spekulation mit Boden zu verhindern und Bauland zu mobilisieren. Auch die Grundsteuer C kann ein effektives Instrument dafür sein. Nachverdichtung, das Aufstocken von Gebäuden oder die Aktivierung von Brachflächen können helfen, Fläche sparsam zu verwenden und neuen Wohnraum zu schaffen.
Bauen, bauen, bauen: Wo Mieten massiv steigen, braucht es mehr bezahlbaren Wohnraum. Dies kann funktionieren, indem ein größeres Angebot auf dem Markt besteht. Öffentliche Wohnungsunternehmen und Genossenschaften sollten unterstützt werden, um mehr Wohnungen zu bauen. Sozialer Wohnraum muss weiter aktiv gefördert werden und Ideen, wie z. B. eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit, für dauerhaft niedrige Mieten müssen entwickelt werden. Gezielte (staatliche) Investitionen sorgen dafür, dass auch in attraktiven Gegenden für unterschiedliche Einkommensgruppen bezahlbare Wohnungen entstehen. Dies hätte einen positiven Nebeneffekt: Kieze und Quartiere werden wieder stärker zu Begegnungsräumen zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen – die Trends zu sozial homogenen Vierteln könnte gebremst werden.
Mietkaufmodelle schützen vor Altersarmut: Deutschland ist eine Mieternation. In keinem anderen EU-Land ist die Wohneigentumsquote so gering wie in der Bundesrepublik. Die Hälfte der Menschen wohnt dauerhaft zur Miete. Der Besitz von Immobilien bringt allerdings große Vorteile – insbesondere im Alter kann es eine Erleichterung sein, keine monatliche Miete zahlen zu müssen und stattdessen Eigentum zu besitzen. Für viele Menschen ist der Kauf einer Wohnung jedoch nicht finanzierbar – außer in einem Mietkaufmodell. Hierbei geht der Staat in Vorleistung und durch die Verrechnung von Miete und Kaufpreis wird es erschwinglicher, Wohnungen zu erwerben.
Mieten muss für alle möglich bleiben: Eine verschärfte Mietpreisbremse, befristete Mietstopps und weitere Begrenzungen der Miethöhe können helfen, dass Mieten für einkommensschwache Menschen, aber auch Normalverdienende bezahlbar bleiben. Politische Instrumente wie der Milieuschutz können ausgeweitet werden und sorgen dafür, dass Mieter_innen nicht aufgrund von Luxussanierungen, die in höheren Mieten resultieren, aus ihren Stadtvierteln und ihrem sozialen Umfeld verdrängt werden.
1.4 Politik erlebbar machen
Vertrauen in das Land kann durch eine starke Daseinsvorsorge wachsen. Allerdings braucht es mehr, um den Zusammenhalt im Land zu stärken. Die Politik muss sich wieder begreifbar und näher anfühlen. Die Tatsache, dass sich rund ein Drittel der Menschen in Deutschland innerlich von der Politik verabschiedet hat und keinen Sinn in der eigenen Wahlbeteiligung sieht, deutet darauf hin, dass politische Institutionen und Persönlichkeiten neue Wege beschreiten müssen. Demokratie verliert an Attraktivität, wenn die Akteur_innen und Prozesse schwierig und fern erscheinen.
Politikbetrieb öffnen: Politische Strukturen wirken für Außenstehende wie ein Dickicht – verschlossen und undurchsichtig. Dabei ist es eine der größten Aufgaben der Politik, ihre Entscheidungen und Handlungen nachvollziehbar zu erklären. Institutionelle Innovationen wie ein Beteiligungsrat für die Bundespolitik können Bürgerinteressen und Teilhabemöglichkeiten sichtbar machen. Gleichzeitig wird deutlich und greifbar, wie Bundespolitik funktioniert, welche Themen diskutiert werden und welche Positionen bestehen.
Kommunen stärken: Politik wird im Kleinen am sichtbarsten. Starke Kommunen können konkrete und unmittelbare Anliegen direkt vor Ort umsetzen. Allerdings brauchen die Kommunen auch die Rahmenbedingungen, um wirken zu können – dies betrifft die Gesundheitsversorgung, die Entwicklung der Infrastruktur, aber auch den Erhalt von Räumen zur Erholung und Begegnung. Die öffentliche Hand muss Akzente setzen, um Kommunen den notwendigen finanziellen Rahmen für die Ausgestaltung ihrer Ideen zu bieten, aber auch um junge, qualifizierte Köpfe in der Verwaltung anzuziehen.
Austausch organisieren: Kulturelle Vielfalt und Heterogenität sind Bereicherung und Herausforderung zugleich. Vertrauen und Zusammenhalt entstehen erst durch direkte Begegnung und persönliche Erfahrungen. Die Begegnungsräume für Menschen mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen werden allerdings immer weniger. Auf dem Arbeitsplatz oder im Kiez begegnen sich immer mehr Menschen, die sich in ihren Werten und ihrer Biografie ähneln – und auf diese Weise übersehen sie, was sie mit anderen verbindet. Auf Landes- und Kommunalebene müssen politische Einrichtungen daher gezielter den Austausch organisieren. Dabei geht es um nichts weniger als um Integration – Integration von Menschen, die dieses Land noch nicht oder nicht mehr verstehen.
Finanzierung sichern: Die Diskussionen um die Finanzkrise, die Flüchtlingsbewegung oder auch aktuelle Hilfsmaßnahmen in der Corona-Krise haben eines gemeinsam: Die Frage um die Finanzierbarkeit zieht sich wie ein roter Faden durch. Insbesondere, wenn Bürger_innen das Gefühl haben, ihnen würde es selbst an der grundlegenden Daseinsvorsorge mangeln, können Frustration und Wut über vermeintlich großzügige Ausgaben an anderer Stelle aufkeimen. Instrumente zur gemeinwohlorientierten Finanzierung der öffentlichen Haushalte bieten die Möglichkeit für mehr Investitionen, die bei allen ankommen. Eine Möglichkeit, um den Haushalt der öffentlichen Hand zu stärken, ist das Stopfen von Finanzschlupflöchern. Die Besteuerung von international agierenden Unternehmen muss fair und nachvollziehbar sein, sodass die Ausflucht auf Steuerinseln nicht möglich ist. Auch die seit 1997 ausgesetzte Vermögensteuer kann ein Instrument sein, um den Haushalt zu stärken.
Sozialinnovationen fördern: Gesellschaften verändern sich laufend – mit ihnen entstehen neue Konflikte, die moderne Antworten bedürfen. Sozialinnovationen können aktuelle Lösungen entwickeln, um auf gegenwärtige Herausforderungen zu reagieren. Das historische Beispiel der Wohlfahrtsverbände, die eine Lösung für den Konflikt zwischen Kirche und Staat anboten, zeigt, wie tiefgreifend Sozialinnovationen wirken können. Dafür müssen allerdings Rahmenbedingungen vom Staat geschaffen werden, die Freiheit und Räume für Innovationen gestatten, diese allerdings auch proaktiv unterstützen.
1.5 Zusammenhalt ist keine Selbstverständlichkeit
Politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Krisen sind eine Herausforderung für jede Demokratie – auch für jene Nationen, die mit dem politischen System erfahren sind. Gerade in Krisenzeiten verliert man den Zusammenhalt aus den Augen, Menschen blicken stärker auf sich und ihre eigenen Bedürfnisse. Die eigene Umwelt wird kleiner, wenn das Gehalt, der Job oder die Wohnung unsicher wirken.
Die Corona-Krise wird rückblickend zweifelsohne einen tiefen Einschnitt hinterlassen – genauso wie die politischen und wirtschaftlichen Krisen der vergangenen Jahre. Die Folgen sind bisher kaum abzusehen, dennoch werden sie bereits jetzt gestaltet. Die Weichen, die die Politik jetzt legt, werden einen entscheidenden Einfluss darauf haben, wie die Bürger_innen die aktuelle Krise bewerten und wie robust die Gesellschaft bleibt.
Gesellschaftlicher und politischer Zusammenhalt wirkt im Alltag abstrakt. Doch es sind die ganz praktischen Lösungen, die das notwendige Vertrauen schaffen, die dafür sorgen, dass politische Extreme oder Politikverdrossenheit nicht die Überhand nehmen. Es lohnt sich, den Zusammenhalt im Blick zu behalten und mutige Wege zu beschreiten, um ihn zu sichern.