Neue Regeln für Zuwanderung nach Deutschland?

5 Fragen zum Thema Einwanderungsgesetz an den Migrationsforscher Dr. Sascha Krannich, wiss. Mitarbeiter am Forschungskolleg der Universität Siegen.

Bild: Dr. Sascha Krannich von FES

Die Politikwissenschaftler Uwe Hunger und Sascha Krannich haben für die Friedrich-Ebert-Stiftung ein Gutachten erstellt, das die aktuellen Regelungen zur Arbeitsmigration nach Deutschland untersucht und Vorschläge für eine effektive Einwanderungssteuerung macht. Am Ende steht der Vorschlag eines Punktesystems anhand von 5 Kriterien.

FES: Der Titel Ihres Gutachten lautet „Einwanderung neu gestalten – transparent, attraktiv, einfach“. Daraus schließe ich, Sie finden die momentane Regelung von Einwanderung nach Deutschland intransparent, unattraktiv und kompliziert, richtig?

Krannich: In Deutschland gibt es über 40 Einzelregelungen der Erwerbszuwanderung. Dabei gibt es für viele Berufsgruppen – wie Spezialitätenköch_innen, Schaustellergehilf_innen, oder Sprachlehrer_innen – spezielle Regelungen. Die Regelungen für diese Gruppen stehen in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen. Einen Überblick darüber zu gewinnen ist uns sehr schwer gefallen, und viele andere Wissenschaftler_innen und Politiker_innen haben ebenfalls Probleme, diese umfangreiche Gesetzeslage zu überblicken. Manche sprechen sogar von einem gesetzlichen „Flickenteppich“, der mit immer wieder neuen Gesetzen über Jahrzehnte größer geworden ist. Diese komplizierte und intransparente Gesetzeslage trägt auch dazu bei, dass potentielle Zuwanderer Deutschland unattraktiv finden.  

 

FES: Sie schlagen ein konkretes Modell vor: Menschen, die in Deutschland arbeiten möchten, bekommen Punkte je nach Alter, Berufserfahrung, Sprache, Qualifikation und einer möglichen Arbeitsplatzzusage. Daraus errechnet sich dann, ob sie nach Deutschland kommen dürfen oder nicht. Was sind die Vorteile Ihres Vorschlags?

Krannich: Die Vorteile eines an den Bedürfnissen Deutschlands ausgerichteten Punktesystems sind Einheitlichkeit, Transparenz und Flexibilität. Unser Vergleich der Punktesysteme klassischer Einwanderungsländer – Kanada, Australien und Neuseeland – hat gezeigt, dass die Einführung eines Punktesystems zu einer wesentlichen Vereinheitlichung und somit auch einer Vereinfachung der oftmals komplexen und unübersichtlichen Einwanderungsregelungen beigetragen hat, weil alle verschiedenen Einwanderungsgruppen durch das Punktesystem koordiniert werden. Das würde auch bei uns zu einer einheitlichen und übersichtlichen Gestaltung der Einwanderungspolitik beitragen, über die man sich einen schnellen Überblick verschaffen und die man auch besser nach außen präsentieren kann. Zudem wäre ein Punktesystem flexibel, da man die jeweiligen Auswahlkriterien durch eine veränderte Punktevergabe an neue ökonomische und politische Gegebenheiten anpassen kann, ohne dass es gleich zu einer Gesetzesänderung kommen muss.

 

FES: Sie kritisieren in dem Gutachten, dass es momentan so viele Einwanderungsregeln – 46 an der Zahl – gibt, die niemand mehr überblickt. Kritiker_innen ihres Vorschlags wiederum befürchten, dass das Punktesystem am Ende bedeutet, dass weniger Menschen nach Deutschland einwandern dürfen und man Menschen nur nach ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit beurteilt. Verstehen Sie diese Sorge?

Krannich: Die Sorge verstehe ich. Dennoch ist es wichtig zu betonen, dass ein Punktesystem nur die Erwerbszuwanderung nach Deutschland regeln soll, also derjenigen Menschen, die in erster Linie zum Arbeiten nach Deutschland kommen wollen. Für Flüchtlinge, Studierende oder Familienmitglieder sollte ein Punktesystem nicht gelten. Diese Zuwanderungsgruppen sollten weiterhin nach den bisherigen Kriterien einwandern dürfen.

 

FES: Viele Bürgerinnen und Bürger sagen, dass angesichts der vielen nach Deutschland gekommenen Geflüchteten lieber keine weiteren Einwanderer angeworben werden sollten. Was entgegnen Sie dieser Haltung?

Krannich: Deutschland ist weiterhin auf Zuwanderung angewiesen, allein schon aufgrund der demografischen Entwicklung. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung prognostiziert, dass weiterhin pro Jahr zwischen 275.000 und 500.000 Fachkräfte aus Drittstaaten (also außerhalb der EU) zuwandern müssten, um das gegenwärtige Erwerbspotenzial in Deutschland bis 2050 stabil zu halten. Im Jahr 2015 sind gerade einmal 6.800 Fachkräfte mit der EU-Blue Card nach Deutschland gekommen. Dabei werden nicht nur Fachkräfte in den MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), sondern auch beruflich qualifizierte Arbeitskräfte, wie z. B. in der Pflege, dringend benötigt. 

 

FES: Sie SPD-Bundestagsfraktion hat Anfang des Jahres einen Gesetzentwurf für ein neues Einwanderungsgesetz vorgelegt, das auch ein Punktesystem enthält. Ist damit Ihr Gutachten überflüssig geworden?

Krannich: Das würde ich nicht sagen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen guten Vorschlag gemacht. Der Hauptunterschied zu unserem Entwurf ist, dass es sich dabei um ein ergänzendes Modell handelt, d. h. dass nicht die komplette Erwerbsmigration über ein Punktesystem geregelt werden soll, sondern teilweise alte Regelungen parallel zum Punktesystem bestehen bleiben. Unser Vorschlag würde einen Schritt weitergehen, da die gesamten gegenwärtigen Regelungen der Erwerbsmigration in ein Punktesystem transformiert werden sollen.

 

Kontakt:Günther Schultze, Gesprächskreis Migration und Integration der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der FES, Tel. 0228 883 8313.

Hunger, Uwe; Krannich, Sascha

Einwanderung neu gestalten - transparent, attraktiv, einfach

Bonn, 2017

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