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Geballte Wirtschaftskraft für demokratische Stabilität

In Worms positionieren sich Unternehmen gegen populistische und extremistische Parteien. Mit Haltung und konkreten Projekten setzen sie sich für die Werte des Grundgesetzes ein.

Mitbestimmung | 2. Oktober 2025 | Bericht von Michael Kraske | Lesezeit: 5 Minuten

In der deutschen Wirtschaft gehört es zum vermeintlich guten Ton, sich weitgehend aus der Politik herauszuhalten. Zwar treten Verbände für niedrige Steuern und wenig Bürokratie ein, aber weitergehende politische Positionierungen sind eher rar. Mal ist es der Chef des Weltkonzerns Jenoptik, Stefan Traeger, der vor der AfD warnt und Weltoffenheit anmahnt, mal werben Familienunternehmen unter dem Label „Made by Vielfalt“ für Pluralismus. Ansonsten herrscht angesichts der aktuellen Angriffe auf die Demokratie in Parlamenten, auf der Straße und in digitalen Hasskammern vielerorts lautes Schweigen in den Konzernzentralen.

Nicht so in Worms. Dort ist das Wirtschaftsbündnis für Demokratie seit der Gründung im April 2024 von 35 auf rund 60 Mitglieder mit etwa 12.000 Beschäftigten angewachsen: vom Stromversorger EWR über Diakonie und Sparkasse bis zum Logistikunternehmen Rhenania Worms. Aber auch der DGB und drei Gewerkschaften sind beigetreten. Was will, was kann das Bündnis bewirken?

„Demokratische Werte geraten zunehmend unter Druck“, sagt Mit-Initiator Stephan Wilhelm, Vorstand bei der EWR AG. „Gerade in solchen Zeiten ist es entscheidend, dass die Wirtschaft Haltung zeigt.“ Wofür und wogegen das Wormser Bündnis eintritt, hat es mit einer „Charta für Demokratie“ klargemacht. Gegen die aktuelle „Zunahme von extremistischen Strömungen“ setzen die Unterzeichnenden auf Vielfalt, Toleranz, Offenheit und die persönlichen Freiheitsrechte, die das Grundgesetz garantiert. Es gehe darum, „Hetze und Ausgrenzung“ bewusst entgegenzutreten, so Wilhelm, und für ein „respektvolles Miteinander einzustehen – sowohl in den Betrieben als auch im öffentlichen Raum“. Das Bündnis zeige, „dass Wirtschaft mehr ist als Gewinnstreben. Sie trägt Verantwortung für das gesellschaftliche Klima“.

Was bedeutet das konkret? Das Bündnis ruft vor Wahlen dazu auf, Parteien der politischen Mitte zu wählen. Also Parteien, die zwar durchaus links und rechts der Mitte verortet sein können, aber eben nicht radikal, extremistisch oder populistisch auftreten. „Ohne Zuwanderung werden wir unseren Arbeitskräftemangel nicht beheben können“, so das Bündnis. Ein Zuwanderungs-Stopp, wie ihn die radikale Rechte fordere, verschärfe die Problematik. Zudem profitiere Worms mit mehr als 60 Prozent Exportquote extrem vom europäischen Binnenmarkt. Ein Austritt aus der EU „würde hunderttausende Arbeitsplätze akut gefährden“. Um die Renten dauerhaft zu sichern, spiele zudem die Nationalität keine Rolle, betonen die Initiatoren und erteilen der Ausgrenzung von Nicht-Deutschen durch radikale Parteien sowie einem Deutschland-first-Nationalismus eine klare Absage. Das Wormser Demokratiebündnis betont zudem die Wichtigkeit, politische Kompromisse auszuhandeln.

 

Betriebe reden mit Belegschaft über Grundsatzfragen

Namentlich wird keine Partei benannt, doch viele Kernaussagen des Wormser Bündnisses lassen sich als kategorischer Gegenentwurf zu einer völkischen, rassistischen, autoritären und antipluralistischen Agenda und der damit verbundenen Partei verstehen. Mitinitiator Prof. Karl-Rudolf Korte, emeritierter Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen, spricht von einem „lokalen Modell zur Überwindung von Gesprächsstörungen in der Politik“. Mit anderen Worten: In Worms wollen die beteiligten Betriebe mit ihrer Belegschaft öffentlich über Grundsatzfragen mitreden – und eine Politik fördern, die auf gesellschaftlichen Zusammenhalt abzielt. „Jede und jeder in Worms ist jemand“, betont das Bündnis. Eine Kampfansage an Parteien, die auf Hetze, Ausgrenzung und Diffamierungen setzen.

Botschafter:innen für die Demokratie ausbilden

Eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der gemeinsamen Ziele im Arbeitsalltag sollen sogenannte Demokratiebotschafter:innen spielen. Das sind Mitarbeitende aus den beteiligten Unternehmen, die freiwillig eine Vorbildfunktion übernehmen. In Blockseminaren werden sie von erfahrenen Coaches der Hertie Stiftung zu Themen rund um Demokratie und Teilhabe geschult. Als Multiplikator:innen sollen sie dabei helfen, am Arbeitsplatz menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Äußerungen entgegenzutreten und im Kollegenkreis für Vielfalt, Toleranz und gegenseitigen Respekt einzustehen. „Wer die Demokratie stärken will, muss in den Betrieben ansetzen, bevor die Demokratie-Gegner dort den Ton angeben“, sagt Karl-Rudolf Korte.

 

Sabine Hermsdorf, Vorstandsmitglied bei der Volksbank Alzey-Worms, berichtet im VORAN-Interview über gute Erfahrungen mit den Demokratiebotschafter:innen: „Wir haben ganz bewusst keine strikten Vorgaben gemacht, auf welche Weise diese Engagierten tätig werden sollen. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass es ihnen gelingt, viele Anregungen in das eigene Unternehmen zu holen.“

Projekte gegen Desinformation und Diskriminierung

In der Gründungsphase haben sich Demokratiebotschafter:innen  aus verschiedenen Betrieben auf dem Wormser Marktplatz versammelt, um auf die Aktion aufmerksam zu machen. Sie trugen Schilder, mit denen sie sich in ihrer Rolle zu erkennen gaben. In Zeiten, in denen Drohungen gegen Demokrat:innen zunehmend in Gewalt münden, braucht es für ein solches Bekenntnis durchaus Zivilcourage. Während demokratische Stimmen in rechten Hotspots immer leiser werden, wollen sie in Worms hör- und sichtbar bleiben. Die beteiligten Unternehmen „erreichen mit ihren Mitarbeitenden, Partnern und Kundinnen und Kunden täglich Tausende Menschen“, sagt EWR-Vorstand Stephan Wilhelm. „Diese Reichweite wollen wir nutzen, um für Respekt, Vielfalt und Menschenwürde einzutreten“. Dem Bündnis sei ein „starkes, deutschlandweit beachtetes Signal“ gelungen.

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