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von Michael Sonntag & Chris Lahusen | 10. März 2025 | Lesezeit: 10 Minuten
Disclaimer: Die Links im Text führen zu externen Quellen.
Eines der ersten Videogames war streng genommen eine digitalisierte Form von Tennis – Pong aus dem Jahr 1972. Die Spielwelt war simpel. Es gab keine Spielenden, kein Publikum, keine Werbebanner für Produkte am Spielfeldrand und auch keinen Verbund im Hintergrund, der das Turnier austrägt. Nur zwei weiße Quader, die einen Block über ein schwarzes Spielfeld schlugen. Pong dachte in zwei Dimensionen: Sieg und Niederlage. Aus dieser binären Darstellung heraus hat sich ein hochkomplexes Medium entwickelt, das Gesellschaft diskursiv begleitet.
Anfang der 2000ern kommentieren immer mehr Spiele gesellschaftliche Realität. Im Jahr 2008 werden sie vom deutschen Kulturrat als Kunstgut definiert. Dennoch nutzen sie nicht alle Privilegien eines Kunstwerks: Das erste Spiel, das sich auf die Sozialadäquanzklausel beruft und Hakenkreuze darstellt, erscheint erst 12 Jahre später. Es ist kein Blockbuster, sondern ein Indiespiel, das den Weg für weitere Spiele ebnet. Sozialäquadenzklausel in diesem Fall bedeutet, dass Symbole verfassungswidriger Organisationen in einem Spiel benutzt werden dürfen, wenn die Verwendung „der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.“ (§ 86 StGB Abs. 4)
Gaming wird 2023 zur Bühne eines politischen Kulturkampfes: Es wird zum Boykott des Videospiels Hogwarts Legacy aufgerufen – ein Open-World-Action-Rollenspiel, in dem die Welt um die berühmte Bücherfigur Harry Potter erkundet werden kann. Für die einen ist es die Verwirklichung eines Kindheitstraums, für die anderen eine Marke, hinter der eine transfeindliche Autorin steht, die ihre Bekanntheit für ihre politischen Ziele instrumentalisiert und von jedem Kauf profitiert. Die Gamer:innen stehen vor einer schwierigen Entscheidung, 15 Millionen entscheiden sich letztendlich für das Spiel. Die Streamerin Shurjoka, die die Boykott-Aktion in Deutschland maßgeblich mitgestaltet hat, wird beim Deutschen Computerspielpreis zur Spielerin des Jahres ernannt und ist seitdem das Ziel diverser antifeministischer Hetzkampagnen.
Sweet Baby Inc., Blizzards Diversitätstool, GamerGate 2.0, russlandkritische Spiele, israelfeindliche Spiele – in der Gaming-Szene gibt es viele Beispiele, wie gesellschaftspolitische Themen diskutiert, instrumentalisiert und problematisiert werden. Der französische Games-Publisher Ubisoft setzt sich für mehr Vielfalt in seinen Spielen ein und tätigt gleichzeitig die Aussage: “Wir machen keine politischen Statements”. Es scheint so: Gaming ist ein Tool für Politik, aber innerhalb seiner gestalteten Spielwelten nicht politisch. Es darf nicht ins Bewusstsein treten, es ist der letzte Raum, in der Spielende Zuflucht suchen können. Und gleichzeitig ein Ort, an dem politische Inhalte am besten versteckt werden können. Es ist der irrealste und realste Raum zugleich.
Die deutsche Gesellschaft bemühte sich sehr lange mit Aggressivität- und Suchtdebatten (am bekanntesten war/ist die sog. Killerspieldebatte) darum, Gaming aus der Gesellschaft zu halten. Während es gleichzeitig Institutionen und Gruppen gibt, die sich sehr lange mit Anfeindungen und Protesten darum bemühen, die (demokratische) Gesellschaft aus dem Gaming zu halten. Dabei sind Games besonders geeignet, um Gesellschaft zu repräsentieren und ihre politischen Systeme abzubilden. Durch ihre Selbstwirksamkeit halten sie Spielenden dazu an, Probleme zu lösen und sich dadurch komplexen politischen Fragestellungen spielerisch zu nähern.
Repräsentationen gesellschaftspolitischer Systeme finden in Spielen auf vielfältige Art und Weise statt. Spielende können so interaktiv und gestalterisch demokratische Diskurse simulieren und erleben.
Inwiefern Spiele als Tool für die demokratische Willensbildung verwendet werden können, fragt sich auch die Friedrich-Ebert-Stiftung. Beim Game Jam for Democracy in Kooperation mit dem Cologne Game Lab der TH Köln vom 31. Mai bis zum 2. Juni haben sich Videospielentwickler:innen mit dieser Frage auseinandergesetzt.
Die Teilnehmenden sollten Spiele entwickeln, die demokratische Werte vermitteln. Um mit dem richtigen Mindset ausgestattet zu werden, erhielten sie zuvor Impulsvorträge von zwei anwesenden Entwickler:innen aus der Branche, nämlich Mona Brandt und Ilke Karademir.
Ilke Karademir ist einer der Gründer und Creative Director von Torpor Games. Mit einem Hintergrund im visuellen Kommunikationsdesign und einem Schwerpunkt auf Spieledesign und narrativem Design versucht er, seine Leidenschaft für das Geschichtenerzählen und die Politik zu verbinden, um zum Nachdenken anregende Spiele zu entwickeln, wie zum Beispiel „Suzerain“. Das Game erhielt große Anerkennung und wurde als Best Expert Game des Deutsche Computerspielpreises sowie 2021 beim Games for Change People's Choice Award ausgezeichnet.
Game-Mechaniken setzen politische Statements.
Die Spielenden schlüpfen in die Rolle des Präsidenten Rayne. Sie sollen das fiktive Land Sordland während der ersten Amtszeit begleiten.
Mona ist Lead Game Designer bei Paintbucket Games, einem in Berlin ansässigen Indie-Studio, das politische und historische Spiele entwickelt. Derzeit ist sie für die Umsetzung von „The Darkest Files“ verantwortlich, in dem es um die rechtliche Aufarbeitung von NS-Verbrechen im Nachkriegsdeutschland geht.
Mona studierte an der Filmuniversität Babelsberg und am Cologne Game Lab und forschte dabei zu Videospielen in der Holocaust-Aufklärung. Bevor sie zu Paintbucket Games kam, war sie Projektleiterin der Initiative „Erinnern mit Spielen“ der Stiftung Digitale Spielekultur.
Gaming ist immer politisch.
Das Strategiespiel "Through the Darkest of Times" lässt die Spielenden in die Rollen von Widerstandskämpfer:innen schlüpfen. Sie müssen versuchen möglichst viele Kräfte zu mobilisieren, aber aufpassen, dass ihre Gruppe sicher ist.
Spiele machen demokratische Werte auf einzigartige, interaktive Weise zugänglich: Viele Spiele bringen uns dazu, sich Fragen darüber zu stellen, was Gerechtigkeit in einer Gesellschaft bedeutet. Und weil Spiele die Fähigkeit haben, immersive Erfahrungen und unübertroffene Simulationen komplexer politischer Prozesse zu schaffen, sind sie das beste Medium, um marginalisierten Stimmen Gehör zu verschaffen und demokratische Grundsätze in unserer Gesellschaft zu testen.
Während der knapp 72 Stunden haben die Teilnehmenden sich diesen Überlegungen gewidmet und in jeweils zwei Gruppen zwei Spiele konzipiert:
Das Spiel In Turnis übernehmen die Spielenden die Rolle einer Führungsperson, die ein Volk von 100 Individuen regiert. Jedes Individuum verfügt über unterschiedliche Merkmale (Geschlecht, finanzieller Status, Religion, etc.). Die Bürger:innen dürfen nicht zu 100 Prozent unzufrieden sein, weil sie dann die Führungsperson abwählen. Allerdings dürfen sie auch nicht zu 100 Prozent zufrieden sein, weil sie sich dann nicht an der Wahl beteiligen. Aus diesem Grund müssen die Spielenden absichtlich moralisch falsche Entscheidungen treffen, um das Gleichgewicht zu halten.Der Spielablauf Die Führungsperson soll nun immer wieder bestimmte Entscheidungen bezüglich großer Gesellschaftsfragen treffen. Beispielsweise: Soll die Gender Pay Gap abgeschafft werden oder nicht? Durch jede Entscheidung werden bestimmte Lager zufriedener oder unzufriedener mit der Regierung. Das Ziel ist es, nach 10 Fragen eine Wiederwahl für sich zu gewinnen.
Das Spiel Presidential Poker ist ein wettbewerbsorientierter politischer Simulator für 1-4 Spielenden, die darum wetteifern, Wahlen zu gewinnen, indem sie „Wetten“ auf verschiedene Bereiche der Gesellschaft und der Regierung platzieren, die wiederum die Wählenden beeinflussen und die Einnahmen für zukünftige Runden erhöhen. Um zu gewinnen, müssen die Spielenden die Mehrheit der Wahlen gewinnen (d.h. 6 von 11).Die Spielenden gewinnen Wahlen, wenn eine Mehrheit der Wählenden ihre Partei bevorzugt. Sie beeinflussen die Wählenden, indem sie Power-Poker-Chips auf Einfluss- und Mediensektoren setzen. Die Spielenden können mehr Chips generieren, indem sie sie in Machtbereiche investieren.
Das Spielablauf
Das Spiel wird in Runden gespielt. Die Spielenden würfeln, um zu sehen, wer an der Reihe ist. Alle Spielenden können wählen, ob sie keine, einen Teil oder alle Chips in einer Runde einsetzen möchten Eine Runde ist zu Ende, wenn alle Spielenden entweder alle ihre Chips eingesetzt haben oder sich entschieden haben, zu passen. Wenn die Spielenden ihre Züge beendet haben, findet die Wahl statt. Die Spielenden, die die meisten Wählenden überzeugt haben, gewinnen die Wahl.
Seit einigen Jahren erst bemühen sich Institutionen und zivilgesellschaftliche Akteur:innen darum, Gaming von seinem ihm zugeschriebenen Ruf als reine Freizeitaktivität zu lösen. So hat sich beispielsweise auf Initiative der Bertelsmann Stiftung und der Stiftung Digitale Spielekultur ein Netzwerk gebildet, das unter dem Thema "Gaming for Democracy" die Gestaltungsmöglichkeiten von Games als demokratiebildende Medien anerkennt und Möglichkeiten sucht, wie Games zur Demokratieförderung eingesetzt werden können. Mit Initiativen wie diesen werden erste Schritte unternommen, um die Wirkmacht von Games zu erkennen und sie zum Zwecke der demokratischen Willensbildung zu nutzen.
Michael Sonntag ist langjähriger Gaming-Journalist, Dozent, Content Creator und Podcaster. Er schreibt für GameStar, Vodafone Featured, 4Players und viele weitere Magazine. In seiner Freizeit verfasst er Romane oder spielt Klassiker sowie nischige Multiplayer.
Mit der "Keksdose" (dem ersten GameBoy von Nintendo) begann meine Leidenschaft für das Spielen. Das Feuer für interaktive Geschichten, fantastische Rollenspiele und actiongeladene Dramen lodert bis heute. Als Referent für Digitales Lernen bekomme ich vom Team nicht nur ein Gamepad in die Hand gedrückt, sondern auch die Aufgabe, nach Spielformaten und Gaming-Konzepten zu suchen, die wir für die politische Bildung nutzen können.
Friedrich-Ebert-Stiftung Godesberger Allee 149 53175 Bonn
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