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Arbeitsmigration äthiopischer Frauen in den Nahen Osten

Das Globale Forum für Migration und Entwicklung behandelt Fragen der regionalen Zusammenarbeit, um sichere Migrationswege und den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten.

Im Vorfeld des 15. Gipfels des Globalen Forums für Migration und Entwicklung (GFMD) rücken zentrale Diskussionen über Migrations- und Entwicklungspolitik in den Fokus – insbesondere in Bezug auf den Schutz und die Menschenrechte von Arbeitsmigrant_innen im Ausland sowie in ihren Herkunftsländern. Dieser Artikel beleuchtet den zunehmenden Trend der Arbeitsmigration in Äthiopien, mit besonderem Fokus auf Frauen, die wirtschaftliche Perspektiven im Nahen Osten suchen. Durch die Auseinandersetzung mit diesen Themen möchten wir zur laufenden Debatte beitragen, die durch den GFMD-Gipfel angestoßen wurde.

Der Nahe Osten hat sich, angetrieben durch die Aussicht auf höhere Löhne und bessere Lebensumstände, zu einem primären Ziel äthiopischer Frauen entwickelt. Dieser Trend der Arbeitsmigration lässt sich historisch auf politische Strategien früherer Regierungen zurückführen, die Auswanderung gezielt als Instrument zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und zur Linderung wirtschaftlicher Probleme im Inland einsetzten (Weltbank, 2023). Nach aktuellen Schätzungen sind derzeit rund 400.000 äthiopische Frauen in Ländern des Nahen Ostens beschäftigt – sie bilden damit einen wesentlichen Bestandteil der Arbeitskräfte in dieser Region (IOM, 2022). Ihr Beitrag zur äthiopischen Wirtschaft ist erheblich: Allein im Jahr 2021 beliefen sich die aus dem Nahen Osten stammenden Rücküberweisungen auf etwa 4,5 % des BIP.

Gleichwohl ist diese Form der Migration mit erheblichen Herausforderungen verbunden. Ein großer Teil der Frauen ist unzureichend rechtlich abgesichert, sieht sich geschlechtsspezifischen Risiken ausgesetzt und ist häufig von Menschenrechtsverletzungen betroffen, was sie besonders anfällig für Ausbeutung und Missbrauch macht. Trotz der wirtschaftlichen Vorteile der genannten Überweisungen unterstreichen die damit verbundenen Gefahren den dringenden Bedarf an besseren Schutzmaßnahmen und Unterstützungsangeboten.
 

Geschlechtsspezifische Migrationsmotive

Zahlreiche geschlechtsspezifische Faktoren bewegen äthiopische Frauen zur Arbeitsmigration. An erster Stelle steht dabei die wirtschaftliche Notwendigkeit – viele von ihnen streben danach, ihre Familien in der Heimat finanziell zu unterstützen. Kulturelle Normen schreiben zudem häufig vor, dass Frauen für das materielle Wohlergehen ihres Haushalts Verantwortung tragen, was den Druck, im Ausland eine Anstellung zu suchen, erheblich verstärkt (Zewdie, 2018). Hinzu tritt die verlockende Aussicht auf ein deutlich höheres Einkommen im Nahen Osten: Nicht selten berichten Migrant_innen von Löhnen, die ein Vielfaches dessen betragen, was ihnen in Äthiopien möglich wäre. Diese Beweggründe sind jedoch untrennbar mit einer hohen Verletzlichkeit verbunden. In Äthiopien sehen sich viele Frauen mit Diskriminierung und eingeschränkten beruflichen Perspektiven konfrontiert, sodass die Migration oftmals als einziger gangbarer Ausweg erscheint. Der mangelnde Zugang zu Bildung sowie zu beruflicher Aus- und Weiterbildung verschärft diese strukturelle Benachteiligung zusätzlich, da viele Frauen nicht auf die Herausforderungen vorbereitet sind, die sie im Ausland erwarten (Meron Zeleke, 2019).
 

Rechtliche und politische Rahmenbedingungen

Die äthiopische Strategie im Umgang mit weiblichen Hausangestellten im Nahen Osten hat sich fortentwickelt, um den vielfältigen Herausforderungen zu begegnen und den Schutz sowie die Rechte der betroffenen Frauen zu stärken. Die Regierung erließ Vorschriften zur Regulierung von Vermittlungsagenturen, um sicherzustellen, dass Arbeitsmigrant_innen umfassend über ihre Rechte und Arbeitsbedingungen aufgeklärt werden. Im Jahr 2013 wurde infolge zahlreicher Missbrauchsvorwürfe ein temporäres Ausreiseverbot verhängt, das 2018 nach Einführung strengerer Auflagen wieder aufgehoben wurde. Zudem wurden Schulungsprogramme etabliert, die Migrant_innen mit grundlegenden Sprachkenntnissen und interkultureller Sensibilität ausstatten sollen. Aufklärungskampagnen sensibilisieren potenzielle Migrant_innen für die Risiken einer Auslandstätigkeit. Parallel dazu bemüht sich Äthiopien aktiv um den Abschluss bilateraler Abkommen mit Staaten des Nahen Ostens, um die rechtliche Absicherung und den Schutz dieser Arbeitskräfte zu verbessern. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen in den Zielstaaten variieren jedoch erheblich, was sich direkt auf die Rechte und den Schutz der Migrant_innen auswirkt.

In vielen Ländern des Nahen Ostens existiert kein umfassender Rechtsrahmen für weibliche Hausangestellte. Insbesondere das in Staaten wie Saudi-Arabien und dem Libanon verbreitete Kafala-System bindet die Arbeitnehmerinnen vertraglich und sozial an ihre Arbeitgeber – eine Struktur, die Missbrauch und Ausbeutung Vorschub leistet (Human Rights Watch, 2020). Darüber hinaus wurden Unterstützungsangebote wie Beratungs- und Reintegrationsprogramme für zurückkehrende Arbeitskräfte eingeführt, um deren Wohlergehen besser zu gewährleisten. Das Ministerium für Arbeit und Qualifikation hat verbindliche Richtlinien für lizenzierte Vermittlungsagenturen formuliert, die auf Transparenz und Rechenschaftspflicht abzielen. Dessen ungeachtet bleibt die Durchsetzung dieser Vorgaben mangelhaft, wodurch inoffizielle Agenturen florieren, die Frauen häufig ausbeuten.
 

Menschenrechtliche Bedenken

Die Arbeitsmigration äthiopischer Frauen in den Nahen Osten wirft schwerwiegende menschenrechtliche Bedenken auf. Berichte über Ausbeutung, Misshandlungen und Menschenhandel sind erschreckend zahlreich. Nicht selten unterzeichnen die Frauen Arbeitsverträge, die mit den tatsächlichen Bedingungen vor Ort kaum übereinstimmen – eine Diskrepanz, die sie in besonderem Maße der Gefahr von Ausbeutung aussetzt (IOM, 2019). Fälle körperlicher und sexueller Gewalt durch Arbeitgeber sind dokumentiert, wobei den Betroffenen häufig die Mittel oder die Unterstützung fehlen, um Gerechtigkeit einzufordern. Der unzureichende rechtliche Schutz in den Zielländern verschärft diese Problematik zusätzlich. Migrant_innen arbeiten häufig in für sie feindlichen Umfeldern, in denen ihre Rechte nicht anerkannt werden. Das Kafala-System beispielsweise wurde und wird vielfach kritisiert, da es ein Machtungleichgewicht etabliert, das es Arbeitgebern ermöglicht, migrantische Arbeitskräfte ohne Konsequenzen auszubeuten (Amnesty International, 2019).

Die Arbeitsmigration äthiopischer Frauen in den Nahen Osten ist ein komplexes Phänomen, das von rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Faktoren geprägt ist. Die Bewältigung dieser Herausforderungen erfordert einen vielschichtigen Ansatz, der die rechtlichen Rahmenbedingungen stärkt, die Unterstützung für Migrant_innen ausbaut und die Geschlechtergleichstellung sowohl in Äthiopien als auch in den Zielländern fördert - ein Anliegen, das wir gemeinsam mit staatlichen und nichtstaatlichen Partner_innen im Rahmen des bevorstehenden 15. Gipfels des Globalen Forums für Migration und Entwicklung (GFMD) vorantreiben möchten.
 

Globales Forum für Migration und Entwicklung

Das GFMD ist ein informeller, staatlich geführter und nicht bindender Prozess außerhalb des UN-Systems, der 2006 von Kofi Annan initiiert wurde. Es fördert Migration und Entwicklung durch Dialog, strukturiert internationale Prioritäten und ermöglicht den Austausch bewährter Praktiken. Zivilgesellschaftliche Organisationen werden aktiv eingebunden, koordiniert durch den Civil Society Mechanism (CSM).


Zur Person

Tirsit Sahledengle Beyene ist Forscherin und Assistenzprofessorin an der Universität Addis Abeba in Äthiopien. Sie promovierte dort in Sozialanthropologie und arbeitete mit dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen, UN Women und der Weltbank zusammen, um zentrale Themen wie Geschlechterfragen, Konflikte, sozialen Zusammenhalt, Klimawandel und Migration zu untersuchen. Ihre Forschung konzentriert sich auf Geschlechternormen, Politik und sozialen Zusammenhalt, wozu sie Studien in verschiedenen Regionen Äthiopiens durchgeführt hat.

Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.

Redaktion

Salome Lienert
+41 22 733-3450
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