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Asylstopp: Syrien nach Assad und das Ende des Flüchtlingsschutzes

Das Globale Forum für Migration und Entwicklung befasst sich mit geregelten Rückkehroptionen. Der Fall Syrien verdeutlicht, dass ein rechtebasierter Rückkehrprozess nur freiwillig und unter sicheren Bedingungen stattfinden darf.

Nach mehr als zehn Jahren Krieg und Vertreibung galt der Sturz Assads Ende 2024 als möglicher Wendepunkt für die syrische Bevölkerung. Die europäischen Regierungen reagierten rasch auf die veränderte Lage. Binnen weniger Stunden stoppte Deutschland Entscheidungen über Asylanträge von Syrer_innen und löste damit eine Welle ähnlicher politischer Kursänderungen auf dem gesamten Kontinent aus. An die Stelle rechtebasierter Schutzmechanismen traten Rückkehrprogramme, die von wahltaktischen Motiven geprägt waren, aber als pragmatische Reaktion auf den Regimewechsel dargestellt wurden.

Die Lage in Syrien ist jedoch deutlich anders als das politische Narrativ. Die strukturellen Ursachen der Vertreibung – Staatszerfall, Unsicherheit und konfessionelle Spannungen – bestehen weiterhin fort. Im März 2025 führten Massaker an der alawitischen Zivilbevölkerung zur Flucht von etwa 40.000 Menschen in den Libanon. In den darauffolgenden Monaten schürten ein Selbstmordanschlag in einer Kirche in Damaskus, Massaker an Drus_innen im Süden sowie politische Spannungen im Nordosten die Angst vor einem erneuten Aufflammen der Konflikte. So sieht kein Land aus, in das man sicher zurückkehren könnte.

Rückführungen unter solchen Bedingungen setzen Menschenleben aufs Spiel und stehen im Widerspruch zu internationalen Migrationsverpflichtungen, darunter auch jene des Global Forum on Migration and Development (GFMD), in denen eine freiwillige, sichere und würdevolle Rückkehr als zentraler Bestandteil eines multilateralen Ansatzes für Migrationsgerechtigkeit betont wird.
 

Die EU entzieht sich der Verantwortung

Die EU reagierte schnell und opportunistisch auf den Sturz des Assad-Regimes. Nachdem Deutschland seine Asylpolitik überstürzt geändert hatte, folgte Österreich mit finanziellen Anreizen und vollzog erstmals seit Jahren wieder eine Abschiebung nach Damaskus. Dänemark belebte und erweiterte sein sogenanntes freiwilliges Rückkehrprogramm: Syrer_innen, die freiwillig in ihre Heimat zurückkehren, erhalten nun bis zu 27.000 Euro. Diese Maßnahmen, die man als pragmatische Reaktionen auf ein „stabilisiertes“ Syrien präsentierte, erfolgten ohne glaubwürdige Sicherheitsbewertungen und entgegen den Warnungen des UN-Sondergesandten angesichts der weiterhin fragilen Lage im Land.

Die Rückführungsbestrebungen sind nicht neu, sondern die jüngste Variante einer seit Langem bestehenden europäischen Eindämmungsstrategie, die bereits Jahre vor Assads Sturz begann. Zwischen 2019 und 2021 hatte Dänemark trotz der anhaltenden Verfolgung durch das Assad-Regime bereits Teile Syriens als „sicher“ eingestuft. Griechenland, das seit 2019 auf eine harte Abschreckungspolitik setzt, verschärfte im Verlauf aufeinanderfolgender Krisen die Pushbacks und schränkte den Zugang zu Asyl ein.

Außerhalb Europas hat die EU ihre Externalisierungspolitik weiter intensiviert. Sie gliedert die Kontrolle ihrer Außengrenzen an Drittstaaten aus und gewährt diesen im Gegenzug finanzielle Unterstützung, wie etwa im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens von 2016 oder bilateraler Abkommen mit dem Libanon, Libyen und anderen Staaten. Auf diese Weise entzieht sich die EU ihrer Verantwortung und nimmt dabei bewusst erhöhte Gefahren für Geflüchtete in Kauf.

Statt ihre Asylpolitik im Sinne internationaler Menschenrechtsstandards neu auszurichten, nutzen europäische Regierungen den Regimewechsel in Syrien, um ihre seit Langem etablierte Politik der Ausgrenzung unter neuen Vorzeichen fortzuführen. Der politische Übergang in Syrien dient als Rechtfertigung für den zunehmenden Druck zur Rückkehr. Dabei wird jedoch eine zentrale Tatsache außer Acht gelassen: Ohne Sicherheitsgarantien, rechtlichen Schutz und Zugang zu den notwendigen Lebensgrundlagen kann eine Rückkehr weder freiwillig noch nachhaltig sein. Zwangsrückführungen verletzen möglicherweise den Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement-Prinzip) und gefährden den ohnehin fragilen Wiederaufbauprozess in Syrien zusätzlich.
 

Schwindende Unterstützung, wachsende Gefahr

Unterdessen hat der Einbruch humanitärer Hilfe, verschärft durch die Aussetzung von Zahlungen seitens der USA und der EU, selbst die fundamentalen Voraussetzungen für eine sichere Rückkehr ausgehöhlt. Mehr als 170 Gesundheitseinrichtungen in Syrien stehen vor der Schließung, wodurch die medizinische Versorgung von über vier Millionen Menschen bedroht ist. Auch in den Aufnahmeländern verschlechtern sich die Bedingungen zunehmend.

So wird etwa im Libanon der Schutz der Geflüchteten schleichend zurückgefahren. Seit Anfang 2025 wurden die Bargeldhilfen des UNHCR um 65 Prozent gekürzt und derzeit sind nur 21 Prozent des Flüchtlingshilfeplans finanziert. Diese Kürzungen sind nicht nur Ausdruck von Gebermüdigkeit; sie dienen auch als Druckmittel, um Syrer_innen zur Rückkehr zu drängen – unabhängig davon, ob diese sicher ist oder nicht. Dabei handelt es sich nicht um Politikversagen, sondern klar um die Ausweitung einer langjährigen Abschreckungsagenda, die jetzt als Rückkehrstrategie für die Zeit nach dem Konflikt neu verpackt wird.
 

Geschlechtsspezifische Risiken

Für Frauen birgt die Rückkehr spezifische und erhöhte Gefahren. Vielen, die auf der Suche nach Sicherheit und Autonomie im Ausland und in Aufnahmeländern wie Deutschland rechtlichen Schutz erhielten, darunter beispielsweise Frauen, die sich scheiden ließen, drohen bei einer Rückkehr soziale Stigmatisierung, Vergeltung durch die Familie oder Gewalt. Syriens gesetzliche und gesellschaftliche Strukturen bieten nach wie vor unzureichenden Schutz für Frauen, deren im Ausland getroffene Entscheidungen von konservativen Familien oder Gemeinschaften als unehrenhaft angesehen werden.

Indem sie diese Risiken ignorieren handeln internationale Akteure nicht nur fahrlässig, sondern machen sich auch mitschuldig an der Verstärkung geschlechtsspezifischer Gewalt. Rückführungspolitiken, die diese Tatsachen außer Acht lassen, tragen zu einer weiteren Aushöhlung von Schutzstandards bei. Dabei wird politische Zweckmäßigkeit über rechtliche Verantwortung gestellt.
 

Gerechtigkeit beginnt vor der Rückkehr

Ein rechtebasierter Rückkehrprozess muss freiwillig, informiert und schrittweise erfolgen. Er darf nicht von politischen Zeitplänen oder diplomatischen Inszenierungen bestimmt werden. Eine Rückkehr sollte erst dann erfolgen, wenn vor Ort grundlegende Voraussetzungen wie persönliche Sicherheit, rechtlicher Schutz, Zugang zu Dienstleistungen und die Möglichkeit, ein würdevolles Leben neu aufzubauen, tatsächlich gewährleistet sind.

Eine dauerhafte Rückkehr erfordert regionale Zusammenarbeit, die über fragmentierte Abkommen und symbolische Koordination hinausgeht. Aufnahmeländer, UN-Organisationen, die syrische Zivilgesellschaft, lokale Behörden und die syrische Regierung selbst müssen sich gemeinsam und aktiv für den Wiederaufbau der Infrastruktur, die Förderung sozialer und wirtschaftlicher Reintegration sowie die Klärung offener Wohn- und Landansprüche einsetzen.

Während globale Akteure in Foren wie dem GFMD ihre Verpflichtung zu einer rechtebasierten Migrationspolitik betonen, macht der Fall Syrien deutlich, wie dringend politische Entscheidungen mit internationalen Rechtsverpflichtungen in Einklang gebracht werden müssen. Dabei muss sichergestellt sein, dass Rückkehrregelungen auf multilateraler Zusammenarbeit basieren und nicht auf einseitigem Rückzug.
 

Globales Forum für Migration und Entwicklung

Das GFMD ist ein informeller, staatlich geführter und nicht bindender Prozess außerhalb des UN-Systems, der 2006 von Kofi Annan initiiert wurde. Es fördert Migration und Entwicklung durch Dialog, strukturiert internationale Prioritäten und ermöglicht den Austausch bewährter Praktiken. Zivilgesellschaftliche Organisationen werden aktiv eingebunden, koordiniert durch den Civil Society Mechanism (CSM).


Zu den Autor_innen

Hussam Baravi ist Senior Program Manager im Syrien-Projekt der Friedrich-Ebert-Stiftung. Zuvor leitete er das Projekt „Kriegs- und Nachkriegszeit in Syrien“ für das Center for Operational Analysis and Research (COAR). Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen politische Risiko- und Lageanalysen, Kapazitätsaufbau bei Jugendlichen, Demokratisierungsprozesse sowie zivilgesellschaftliches Engagement in Syrien und der Diaspora.

Samantha Elia ist feministische Aktivistin, Wissenschaftlerin und Trainerin. Derzeit arbeitet sie bei der Friedrich-Ebert-Stiftung als Program Managerin für politischen Feminismus in der MENA-Region. Zu den Schwerpunkten ihrer Arbeit gehören Care-Arbeit, die soziale Konstruktion von Sexualität sowie die Integration feministischer und dekolonialer Ansätze in Entwicklungsprogramme.

Redaktion

Salome Lienert
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