Flucht vor den Nazis und Exil in den USA
Seit den Septemberwahlen 1930 hatten die Reichstagsabgeordneten der SPD mit den Nationalsozialisten zu kämpfen. Ihre Reichstagsreden und die öffentlichen Versammlungen in ihrem Wahlkreis wurden massiv gestört und bedroht. „Unser Leben glich immer mehr einem Tollhaus“, schrieb sie später in ihrer Autobiografie. Sie wurde nicht nur als Sozialistin und bekennende Antifaschistin beschimpft, sondern auch wegen ihrer „Rassenzugehörigkeit“ als Jüdin, als „Nicht-Arierin“. Als Vertreterin des linken Flügels der SPD plädierte sie 1932 für einen Generalstreik, um den drohenden Faschismus abzuwehren.
Am 5. März 1933 musste sie wegen offener Morddrohungen der Nazis aus Deutschland fliehen. Die beherzte Frau eines Arbeiterfreundes half ihr bei der Flucht in die Tschechoslowakei. Von dort gelangte sie nach Belgien, wo sie bis 1935 als Journalistin für die Volksgazet, eine sozialdemokratische Tageszeitung, beschäftigt war. Mit ihren Veröffentlichungen schaltete sie sich in die politischen Debatten des Exils ein; auch in die Auseinandersetzungen um die Bildung einer Volksfront. Sie wurde im Widerstand aktiv und arbeitete eng mit der dortigen 50-köpfigen Exilgruppe des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold zusammen. Im März 1934 teilte man ihr mit, dass sie aus Deutschland ausgebürgert sei. Als sie 1935 eine Einladung zu einer Vortragsreise durch die USA erhielt, entschied sie sich, dort zu bleiben.
In den USA arbeitete sie zunächst journalistisch, engagierte sich nun auch in jüdischen Organisationen und in der Flüchtlingshilfe. 1938/39 setzte sie an der New Yorker New School for Social Research ihr 1927 in Berlin begonnenes Studium der Ökonomie fort. 1941 holte man sie als Direktorin zum Office of Strategic Services, einem Nachrichtendienst des Kriegsministeriums der Vereinigten Staaten. Als sie 1943 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt, stand fest, dass sie in den USA bleiben werde. Schon 1939 hatte sie bezweifelt, je wieder nach Deutschland zurückzukehren. Zu viele Menschen hätten zugeschaut, „als die Niedertracht herrschte“. 1944 wurde sie Wirtschaftsexpertin in der Zentraleuropaabteilung der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) tätig, die Hilfsmaßnahmen in den vom Krieg betroffenen Ländern leisten sollte. Im selben Jahr wurde sie Mitglied in der Kommission für die Rechtsstellung der Frau sowie ab 1947 in der Menschenrechtskommission der UNO. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs vertrat sie den amerikanischen Gewerkschaftsdachverband, die American Federation of Labor (AFL), und den Internationalen Bund Freier Gewerkschaften bei den Vereinen Nationen.
Bereits 1939 veröffentlichte sie in New York ihre Autobiografie, die 1981 unter dem Titel „Autobiografie einer deutschen Rebellin“ in Deutschland erschien.
Große amerikanische Blätter hatten 1939 über ihre Autobiografie, die im Zusammenhang mit ihrer Widerstandstätigkeit gegen den Nationalsozialismus zu sehen ist, berichtet. Toni Sender war eine Rebellin – ihr Leben lang. Früh erkämpfte sie ihre Autonomie gegenüber dem bürgerlichen Elternhaus, sie eroberte sich ihren Platz innerhalb der Arbeiterbewegung, kämpfte gegen den Ersten Weltkrieg, gegen die Nazis und emanzipierte sich schließlich auch von der deutschen Nachkriegsgesellschaft, in der sie für sich keinen Platz sah. Ihr Anliegen war es stets, nicht nur ihre eigene Unabhängigkeit zu bewahren, sondern auch Frauen, Arbeiter_innen und Jugendliche zu ermutigen, sich von Unterdrückung und Diskriminierung zu befreien.
1956 musste Toni Sender wegen der Parkinson-Krankheit ihre Ämter und ihre Berufstätigkeit aufgeben. Ab 1960 kam sie nicht mehr ohne ständige Betreuung aus und nahm doch, gestützt auf ihre Betreuerin Liselotte Ehntholt, noch an vielen UNO-Sitzungen teil. Sie starb am 26. Juni 1964 in New York City im jüdischen Beth Israel Hospital und wurde auf dem Beth Israel Friedhof in Woolbridge, New Jersey, bestattet.
Gisela Notz
Literatur
- Gerhard Beier: Toni Sender. Eine deutsche Rebellin, in: ders., Schulter an Schulter, Schritt für Schritt. Lebensläufe deutscher Gewerkschafter, Köln 1983, S. 163-168.
- Margot Brunner: 100 Jahre Tony Sender. Ausstellung vom 29.11.1988 bis 28.2.1989 in Wiesbaden-Biebrich, Wiesbaden, Aktualisierte Neuauflage 1996.
- Hanna Eckardt: „Nichts halb zu tun ist edler Geister Art…“, in: Evelyn Brockhoff/Ursula Kern (Hrsg.), Frankfurter Frauengeschichte(n), Frankfurt a. M. 2017, S.162-174.
- Frauke Geyken: Tony Sender (1888, Biebrich – 1964, New York) – Journalistin, Revolutionärin und Parlamentarierin, in: Dorothee Linnemann (Hrsg.), Damenwahl! – 100 Jahre Frauenwahlrecht, Frankfurt a. M. 2019, S. 170f.